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Epidemiologie und Wahrscheinlichkeiten

Letzte Aktualisierung: 14.10.2024

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Wahrscheinlichkeiten helfen bei der Einschätzung, ob ein Ereignis (bspw. Krankheit, Regen, Klausur bestehen) eher auftreten wird oder nicht. Sie werden in der medizinischen Forschung je nach Anwendung mit eigenen Fachtermini benannt: „Risiko“, „Inzidenz“ (beide aus der Epidemiologie) und „Sensitivität“ (aus der Testtheorie) sind mathematisch alles Wahrscheinlichkeiten und werden prinzipiell gleich berechnet. Daher benötigt man Grundkenntnisse über Wahrscheinlichkeitsrechnung. Veranschaulichen kann man viele Berechnungen mit sog. „4-Felder-Tafeln“, die hier den Einstieg bilden.

Du möchtest diesen Artikel lieber hören als lesen? Wir haben ihn für dich im Rahmen unserer studentischen AMBOSS-Audio-Reihe vertont. Den Link findest du am Kapitelende in der Sektion „Tipps & Links“.

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4-Felder-Tafel und Beispielstudietoggle arrow icon

Sog. „4-Felder-Tafeln“ können zur Darstellung des Ergebnisses einer epidemiologischen Studie genutzt werden. An ihnen kann insb. die Berechnung der epidemiologischen Maßzahlen gut gezeigt werden.

4-Felder-Tafel bei epidemiologischer Studie
Exposition Keine Exposition
Ereignis Ereignisse bei Exposition (a) Ereignisse ohne Exposition (b)
Kein Ereignis Keine Ereignisse bei Exposition (c) Kein Ereignis bei fehlender Exposition (d)
  • Erklärung
    • Darstellung zweier qualitativ-binärer Merkmale in einer Tabelle
    • Die vier Felder werden mit „a“ bis „d“ benannt
  • Beispiel
Beispiel einer Kohortenstudie
Raucher:innen Nicht-Raucher:innen
Bronchialkarzinom 20 (a) 10 (b)
Kein Bronchialkarzinom 80 (c) 90 (d)
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Wahrscheinlichkeitentoggle arrow icon

Wahrscheinlichkeiten sind Maßzahlen dafür, ob ein Ereignis eher eintritt oder nicht. Sie können als Häufigkeiten eines sehr oft (formal mathematisch: unendlich oft) durchgeführten Zufallsexperiments interpretiert werden .

Unbedingte Wahrscheinlichkeiten

  • Definition
    • Wahrscheinlichkeit P für ein Ereignis A: P(A)
  • Schreibweise
    • Wahrscheinlichkeiten können in Dezimalschreibweise (z.B. 0,15) oder als Prozentsatz (z.B. 15%) ausgedrückt werden
  • Wertebereich
    • Wahrscheinlichkeiten liegen zwischen 0 und 1 (= 0% und 100%)
    • 0% beschreibt ein Ereignis, das nie eintritt
    • 100% beschreibt ein Ereignis, das immer eintritt
    • Alle Möglichkeiten addieren sich immer zu 1
      • Sind nur zwei Ereignisse möglich, lässt sich die Wahrscheinlichkeit des einen als Gegenwahrscheinlichkeit des anderen berechnen
      • Beispiel: Wahrscheinlichkeit, keine 1 zu würfeln?
        • Zwei mögliche Ereignisse: 1 gewürfelt oder keine 1 gewürfelt
        • Wahrscheinlichkeit für eine 1: 1/6
        • Es folgt Wahrscheinlichkeit, keine 1 zu würfeln: 1 - 1/6 = 5/6
  • Berechnung
    • P(A) = Anzahl der interessierenden Ereignisse / Gesamtzahl der Ereignisse
    • In der Beispielstudie: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, ein Bronchialkarzinom zu bekommen?
      • P(Bronchialkarzinom) = Anzahl der Studienteilnehmer mit Bronchialkarzinom / Gesamtzahl der Studienteilnehmer = 30 / 200 = 0,15 = 15% = a + b / (a + b + c + d)
      • Interpretation: Die Wahrscheinlichkeit eines Studienteilnehmers, ein Bronchialkarzinom zu bekommen, lag bei 30 von 200 = 15%

Bedingte Wahrscheinlichkeit

  • Definition: Wahrscheinlichkeit bei einer speziellen Untergruppe
  • Schreibweise: Wahrscheinlichkeit P eines Ereignisses A für die Untergruppe B = P(A|B)
  • Berechnung
    • P(A|B) = Anzahl der interessierenden Ereignisse in der Untergruppe / Gesamtzahl der Ereignisse in der Untergruppe
    • In der Beispielstudie: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit für Raucher:innen, ein Bronchialkarzinom zu bekommen?
      • P(Bronchialkarzinom|Raucher:innen) = Anzahl der rauchenden Studienteilnehmer mit Bronchialkarzinom / Gesamtzahl der rauchenden Personen in der Studie = 20 / 100 = 0,2 = 20% = a / (a + c)
      • Interpretation: Unter der Bedingung, dass eine an der Studie teilnehmende Person Raucher:in war, war ihre Wahrscheinlichkeit, ein Bronchialkarzinom zu bekommen, 20 von 100 = 20%

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Epidemiologische Maßzahlentoggle arrow icon

Risiko

Absolutes Risiko (AR)

  • Definition: Wahrscheinlichkeit einer Gruppe, zu erkranken
  • Berechnung: AR = Anzahl der interessierenden Ereignisse in der Untergruppe / Gesamtzahl der Ereignisse in der Untergruppe
  • Beispielstudie
    • Risiko der rauchenden Personen = AR1 = 20 / 100 = 0,2 = 20% = a / (a + c)
    • Risiko der nicht-rauchenden Personen = AR2 = 10 / 100 = 0,1 = 10% = b / (b + d)
    • Interpretation: Raucher:innen haben ein Risiko von 20% und Nicht-Raucher:innen von 10%, an einem Bronchialkarzinom zu erkranken

Relatives Risiko (RR)

  • Definition: Verhältnis des Risikos einer Gruppe (im Allgemeinen der Exponierten) zu einer zweiten Gruppe (der Nicht-Exponierten)
  • Berechnung: RR = Absolutes Risiko der Exponierten / Absolutes Risiko der Nicht-Exponierten = AR1 / AR2
  • Beispielstudie
    • RR = 0,2 / 0,1 = 2
    • Interpretation: Das Risiko, ein Bronchialkarzinom zu bekommen, ist bei rauchenden Personen zweimal so hoch wie bei nicht-rauchenden Personen

Absolute Risikodifferenz

Absolute Risikoreduktion (ARR)

  • Definition: Reduktion des absoluten Risikos aufgrund einer Intervention/Exposition
  • Berechnung: ARR = Risiko in der Kontrollgruppe - Risiko in der Behandlungsgruppe = AR1 - AR2
  • Beispielstudie
    • ARR = 0,2 - 0,1 = 0,1 = 10%
    • Interpretation: Durch die Intervention wurde das absolute Risiko, dass das Ereignis eintritt, um 10% verringert

Attributables Risiko

  • Definition: Erhöhung des absoluten Risikos aufgrund einer Intervention/Exposition
  • Berechnung: Risiko der Exponierten - Risiko der Nicht-Exponierten = AR1 - AR2
  • Beispielstudie

Relative Risikoreduktion (RRR)

Number needed to treat (NNT)

  • Synonyme
    • Number needed to harm (NNH)
    • Number needed to screen (NNS)
    • Number needed to vaccinate (NNV)
  • Definition: Anzahl der Personen, die behandelt werden müssen, um genau ein Ereignis zu verhindern
  • Berechnung: NNT = 1 / ARR
  • Beispielstudie

Die Number needed to treat ist im Allgemeinen die anschaulichste Möglichkeit, die Folgen einer Exposition darzustellen!

Odds

Odds sind eine andere Darstellungsform von Wahrscheinlichkeiten, die bspw. von Wetten bekannt ist. Um eine Verwechslung mit Wahrscheinlichkeiten zu vermeiden, werden sie häufig anders ausgesprochen: Odds von 1/2 werden dann „1 zu 2“ gelesen und nicht „ein Halb“ oder „Nullkommafünf“ . Ihre Anwendung führt oft zu Verwirrung, i.d.R. sind sie nur zur Berechnung einer Odds Ratio in Fall-Kontroll-Studien sinnvoll.

  • Erklärung
    • Alternative Art, eine Wahrscheinlichkeit auszudrücken
    • Wie auch die Wahrscheinlichkeit gibt die Odds an, wie häufig ein zufälliges Ereignis eintritt
    • Gegenüberstellung von Ereignis und Gegenereignis
  • Berechnung: Odds = Anzahl der interessierenden Ereignisse / Anzahl der nicht interessierenden Ereignisse
  • Wertebereich: 0 bis ∞
  • Angabe: Als Quote („1 zu 4“) oder als Dezimalzahl („0,25“) , nicht aber als Prozentsatz
  • Beispielstudie
    • Anzahl der interessierenden Ereignisse = Anzahl der Raucher:innen mit Bronchialkarzinom = 20
    • Anzahl der nicht-interessierenden Ereignisse = Anzahl der Raucher:innen ohne Bronchialkarzinom = 80
    • Odds einer rauchenden Person, ein Bronchialkarzinom zu bekommen = 20 / 80 = 0,25
  • Umrechnung: Odds können in das Risiko P umgerechnet werden
    • Odds = Wahrscheinlichkeit / Gegenwahrscheinlichkeit = P / (1 - P)
    • 1 / Odds = (1 - P) / P
    • 1 / Odds = 1 / P - 1
    • P = Odds / (Odds + 1)

In Dezimalschreibweise sehen Odds Risiken ähnlich, sind aber nicht mit diesen gleichzusetzen: Eine Odds von 0,25 (= 1 zu 4) entspricht bspw. einem Risiko von 0,2!

Odds Ratio (OR)

  • Definition: Verhältnis der Odds zwei verschiedener Gruppen
  • Berechnung
    • Odds der Exponierten / Odds der Nicht-Exponierten = (a / c) / (b / d) = (a × d) / (b × c) = OR = Kreuzprodukt
  • Interpretation
    • OR = 1 → Kein Unterschied zwischen den Gruppen
    • OR >1 → Exposition macht betrachtetes Ereignis wahrscheinlicher
    • OR <1 → Exposition macht betrachtetes Ereignis unwahrscheinlicher
  • Anwendung
  • Beispielstudie
    • OR = Odds der Raucher:innen / Odds der Nicht-Raucher:innen = (a / c) / (b / d) = (a × d) / (b × c)
    • OR = (20 / 80) / (10 / 90)
    • OR = (20 × 90) / (80 × 10)
    • OR = 1.800 / 800 = 2,25
    • Interpretation: In der Studie haben rauchende Personen öfter Bronchialkarzinome bekommen als nicht-rauchende Personen

Die Odds Ratio sollte nur in Fall-Kontroll-Studien genutzt werden. In Kohortenstudien und RCTs können relatives Risiko und NNT berechnet werden, die besser zu interpretieren sind!

Morbidität: Inzidenz und Prävalenz

Inzidenz und Prävalenz sind Maßzahlen, die sich auf eine Krankheit in einer Population beziehen. Die Inzidenz (syn. Neuerkrankungsrate) bezeichnet die Wahrscheinlichkeit zu erkranken, während die Prävalenz (Krankheitsbestand) die Wahrscheinlichkeit angibt, krank zu sein. Zusammenfassend spricht man auch von der Morbidität („Krankheitslast“).

  • Inzidenz: Neuerkrankungsrate
    • Voraussetzungen für die Bestimmung
      • Zu Studienbeginn darf niemand erkrankt sein
      • Jede Person wird mind. zweimal untersucht
      • Alle Studienteilnehmer können die Krankheit theoretisch bekommen
    • Berechnung
      • (Kumulative) Inzidenz: Anzahl der Neuerkrankungen während einer Studie / Gesamtzahl der Personen in der Studie
      • Inzidenzrate: Neuerkrankungen / Gesamtzahl der Personenjahre
      • Angabe: Immer mit dem Zeitraum
        • Üblich: Neuerkrankungen pro Jahr und pro 100.000 Personen
  • Prävalenz: Krankheitsbestand
    • Voraussetzung: Bei der Prävalenz reicht auch ein einzelner Zeitpunkt aus („Punktprävalenz“)
    • Berechnung
      • Punktprävalenz : Anzahl der Kranken am Stichtag / Gesamtzahl der Untersuchten, die an diesem Tag krank sein könnten
      • Periodenprävalenz : Anzahl der Kranken im Zeitraum / Anzahl der Personen unter Risiko in diesem Zeitraum
        • Lebenszeitprävalenz: Wichtige Sonderform der Periodenprävalenz, bei der die Periode die bisherige Lebenszeit ist

Mortalität und Letalität

Mortalität und Letalität beschreiben das Sterberisiko an einer bestimmten Erkrankung. Mortalität bezieht sich dabei auf die gesamte Population, während sich Letalität nur auf bereits an dieser Krankheit Erkrankte bezieht. Sie ähneln somit der Inzidenz, nur dass anstelle des Erkrankungsrisikos das Sterberisiko betrachtet wird.

  • Mortalität: „Sterberate
    • Berechnung: Mortalität = Anzahl der Todesfälle an einer Erkrankung in einem bestimmten Gebiet bezogen auf einen bestimmten Zeitraum / Gesamtzahl der Personen
    • Interpretation: Ermöglicht eine Abschätzung der Bedeutung in der Bevölkerung
    • Angabe: Wie bei der Inzidenz ist ein Zeitraum notwendig
  • Standardisierte Mortalitätsrate: Vergleich der Mortalität einer untersuchten Gruppe mit der Mortalität einer Vergleichsgruppe (z.B. dem Bundesdurchschnitt)
    • Berechnung: Standardisierte Mortalität = Aufgetretene Todesfälle in der untersuchten Gruppe / Erwartete Todesfälle gemäß Mortalität in der Vergleichsgruppe
  • Letalität: „Tödlichkeit“
    • Berechnung: Letalität = Anzahl der Todesfälle durch die Krankheit unter den Erkrankten / Gesamtzahl der Personen mit dieser Erkrankung
    • Interpretation: Wie schwerwiegend/tödlich ist eine bestimmte Erkrankung?
  • Beispiele

Die Mortalität erlaubt die Einschätzung, wie relevant eine Erkrankung in einer Population ist, während die Letalität die Tödlichkeit einer Erkrankung zeigt!

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Diagnostische Tests und Testgütekriterientoggle arrow icon

Diagnostische Tests sind Verfahren, die der Diagnosefindung dienen . Sie sind i.d.R. nicht 100%ig zuverlässig, sodass Irrtumswahrscheinlichkeiten berücksichtigt werden müssen. Dadurch besteht ein enger Bezug zur Wahrscheinlichkeitsrechnung und den 4-Felder-Tafeln.

Grundüberlegungen

  • Tests sind in der Praxis nicht zu 100% genau
  • Der beste Test („Goldstandard“) kann nicht immer durchgeführt werden
  • Die Qualität eines anderen Tests wird im Vergleich zum Goldstandard bewertet

Vier-Felder-Tafel bei diagnostischen Tests

  • Analog zu epidemiologischen Studien (siehe: 4-Felder-Tafel und Beispielstudie) ist auch hier eine 4-Felder-Tafel hilfreich
  • Als richtig wird hier ein Ergebnis des untersuchten Tests interpretiert, wenn es mit dem Goldstandard übereinstimmt
Diagnostischer Test
Positives Testergebnis Negatives Testergebnis
Tatsächlich krank (= Goldstandard positiv) Richtig-positiv (a) Falsch-negativ (b)
Tatsächlich gesund (= Goldstandard negativ) Falsch-positiv (c) Richtig-negativ (d)

Beispiel

  • 100 Kranke und 100 gesunde Personen werden ausgewählt
  • Diese 200 Probanden werden einem Test unterzogen
  • Das Ergebnis ergibt folgende 4-Felder-Tafel:
Diagnostischer Test
Positives Testergebnis Negatives Testergebnis
Tatsächlich krank (= Goldstandard positiv) 90 (a) 10 (b)
Tatsächlich gesund (= Goldstandard negativ) 20 (c) 80 (d)

Testgütekriterien

Sensitivität

  • Definition: Gibt die Wahrscheinlichkeit eines positiven Ergebnisses an, wenn der Patient krank ist
  • Berechnung
    • Sensitivität = Anzahl der richtig-positiven Ergebnisse des untersuchten Tests / positive Ergebnisse des Goldstandards = Anzahl der richtig-positiven Ergebnisse des neuen Tests / richtig-positive und falsch-negative Ergebnisse = a / (a + b)
    • P(Test positiv|krank) = a / (a + b) = 90 / (90 + 10) = 90 / 100 = 0,9 = 90%
  • Beeinflussung: Weniger strenge Grenzwerte erhöhen die Sensitivität eines Tests
  • Interpretation: Wenn man eine erkrankte Person mit dem betrachteten Test testet, ist dieser mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% positiv

Falsch-negativ-Rate

Spezifität

  • Definition: Gibt die Wahrscheinlichkeit eines negativen Ergebnisses an, wenn der Patient gesund ist
  • Berechnung
    • Spezifität = Anzahl der richtig-negativen Ergebnisse des betrachteten Tests / die negativen Ergebnisse des Goldstandards = Anzahl der richtig-negativen Ergebnisse des betrachteten Tests / Anzahl der richtig-negativen und falsch-positiven Ergebnisse = d / (c + d)
    • P(Test negativ|gesund) = d / (c + d) = 80 / (20 + 80) = 0,8 = 80%
  • Beeinflussung: Strengere Grenzwerte erhöhen die Spezifität eines Tests
  • Interpretation: Wenn man eine gesunde Person mit dem betrachteten Test testet, ist dieser zu 80% negativ

Falsch-positiv-Rate

ROC-Kurve (Akronym für engl. „receiver operating characteristic“)

  • Definition: Grafische Darstellung des Zusammenhangs von Richtig-Positiv-Rate (Sensitivität) und Falsch-Positiv-Rate (1 - Spezifität) zur Beurteilung der diagnostischen Güte eines Tests
  • Voraussetzung: Es muss bekannt sein, ob die Teilnehmenden tatsächlich erkrankt oder gesund sind

Für die Entdeckung einer Erkrankung ist die Sensitivität entscheidend, für die Bestätigung des Vorliegens hingegen die Spezifität!

Die Güte eines Tests wird mittels Sensitivität („Empfindlichkeit“) und Spezifität („Treffsicherheit“) bewertet. Die Falsch-negativ- und Falsch-positiv-Raten ergeben sich direkt als jeweilige Gegenwahrscheinlichkeiten und werden daher üblicherweise nicht mit angegeben!

Eine Erhöhung der Sensitivität geht meistens mit einer Absenkung der Spezifität und umgekehrt einher!

Prädiktive Werte

Für die Interpretation eines Testergebnisses bei einem einzelnen Patienten reichen Sensitivität und Spezifität nicht aus. Wie wahrscheinlich ein richtig-positives Ergebnis ist, hängt nämlich nicht nur von der Testgüte, sondern auch von der Wahrscheinlichkeit ab, dass der Patient an der getesteten Krankheit leidet (sog. „Prätestwahrscheinlichkeit). Ist diese sehr niedrig, kann selbst bei hoher Spezifität ein falsch-positives Ergebnis wahrscheinlicher als ein richtig-positives sein.

Positiver prädiktiver Wert (PPW)

Negativer prädiktiver Wert (NPW)

Prätestwahrscheinlichkeiten

  • Definition: Wahrscheinlichkeit, vor dem Test gesund (P(gesund)) bzw. krank (P(krank)) zu sein
  • Berechnung: P(krank) und P(gesund) sind komplementär, daher gilt : P(krank) + P(gesund) = 1
    • Es reicht also, P(krank) zu kennen
  • Nutzen: Werden zur Berechnung prädiktiver Werte benötigt
  • Problem: P(krank) ist i.d.R. unbekannt, muss also geschätzt werden
  • Lösung
    • Wenn kein Verdacht besteht : P(krank) Prävalenz
    • Wenn ein Verdacht besteht: P(krank) muss auf epidemiologischen Daten beruhend geschätzt werden, z.B. über Scores

Die prädiktiven Werte verändern sich je nach Prätestwahrscheinlichkeit, die im Allgemeinen geschätzt werden muss. Bei Screening-Untersuchungen ist sie identisch mit der Prävalenz (und damit unter Umständen sehr niedrig)!

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Risikokompetenztoggle arrow icon

  • Definition: Pragmatischer und praxisnaher Umgang mit Evidenz [1]
  • Ziele
    • Anwendung von Zahlen in der medizinischen Praxis
    • Korrekte Berücksichtigung von Studienergebnissen bei Therapieentscheidungen
    • Identifikation intransparenter oder irreführend kommunizierter Risiken
    • Intuitive Vermittlung von Statistik
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Beispiel Mammografietoggle arrow icon

Einleitung [1]

  • Ab dem 50. Lebensjahr wird von den Krankenkassen in Deutschland das Mammografie-Screening bezahlt und von der Leitlinienkommission empfohlen
  • Frage: Wie groß ist der Nutzen dieses Screenings?

Zahlen zum Beispiel

Fragen zum Beispiel

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Teilnehmerin des Brustkrebsscreenings auch tatsächlich Brustkrebs hat, wenn die Mammografie einen positiven Befund ergibt?

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau mit BRCA1-Mutation Brustkrebs hat, wenn die Mammografie positiv ist?

Folgen mangelnder Risikokompetenz am Beispiel

  • Untersuchung: Befragung von 160 Gynäkologen zum PPW der Mammografie als Screening-Untersuchung (entspricht der ersten Frage oben)
  • Vorgegebene Antwortmöglichkeiten
    • a: 90%
    • b: 81%
    • c: 10%
    • d: 1%
  • Ergebnis
    • Korrekte Antwort (c) nur von 21% der Teilnehmer!
    • Häufigste Antwort (a) von 47% der Teilnehmer

Lösungsansätze

Natürliche Häufigkeiten

Statt bedingter Wahrscheinlichkeiten können natürliche Häufigkeiten genutzt werden.

PPW-/NPW-Kurven

Für die exakte Berechnung der prädiktiven Werte benötigt man die Prävalenz, die jedoch nicht immer gegeben ist. Ein hilfreicher Ansatz in diesem Fall sind Kurven, die die prädiktiven Werte in Abhängigkeit von der Prävalenz darstellen.

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Beipiel Thrombose bei oraler Kontrazeptiontoggle arrow icon

Einleitung [1]

  • Problem: Orale Kontrazeptiva erhöhen das Risiko einer Thrombose
    • Ausmaß hängt vom verwendeten Wirkstoff ab
    • Risiko ist insb. bei östrogenhaltigen Präparaten erhöht

Zahlen zum Beispiel [2]

  • Veröffentlichung 1995 zum Thromboserisiko: Vergleich vom Risiko unter Pillen der 3. und der 2. Generation (durch das UK Committee on the Safety of Medicines)
  • Kommuniziertes Ergebnis: Pille der 3. Generation erhöht das Thromboserisiko um ca. 100% gegenüber der 2. Generation

Fragen zum Beispiel

Wie relevant ist diese Risikoerhöhung? Was sollte man betroffenen Frauen raten?

Auflösung [2]

  • Absolutes Risiko einer Thrombose bei Pillen der 2. Generation = AR1 = 8 / 100.000 = 0,008%
  • Absolutes Risiko einer Thrombose bei Pillen der 3. Generation = AR2 = 17 / 100.000 = 0,017%
  • Relatives Risiko = AR2 / AR1 = 17/8 ≈ 2
  • Absolute Risikoerhöhung = AR2 - AR1 = 0,009% = 9 / 100.000
  • Gegenüberstellung der Aussagen
    1. „Unter der Pille der 3. Generation erlitten mehr als doppelt so viele Frauen eine Thrombose im Vergleich zur Pille der 2. Generation“
    2. „Unter der Pille der 3. Generation ist mit einer zusätzlichen Thrombose unter 10.000 Frauen zu rechnen“
    • Bewertung: Beide Aussagen sind korrekt, die erste klingt dennoch deutlich dramatischer und ist damit potenziell irreführend

Folgen mangelnder Risikokompetenz am Beispiel [2]

  • Reaktion in der Bevölkerung: Starke Verunsicherung
    • Beendigung der oralen Kontrazeption: Ca. 1% der vorherigen Nutzerinnen
    • Wechsel des Präparats: Ca. 58% der vorherigen Nutzerinnen
  • Auswirkungen (in England und Wales)
    • Unerwünschte Schwangerschaften (1996): Mehr als 10.000 (Schätzung)
    • Abtreibungen (1996): Ca. 14.000 mehr als 1995
    • Kosten von über 25 Millionen Pfund

Lösungsansätze [1]

Allgemeine Prinzipien

  • Angabe von Risiken: Absolutwerte verwenden
  • Interpretation von Prozentangaben: Immer auf Bezugsgröße achten
    • Beispiel: Medikament A reduziert das Risiko eines Pankreaskarzinoms um 20%, erhöht aber die Wahrscheinlichkeit eines Herzinfarktes um 2%
      • Frage: Wie hoch sind denn überhaupt die Grundrisiken eines Pankreaskarzinoms und eines Herzinfarktes, auf die sich diese relativen Risikoveränderungen beziehen?
    • Analogie: Gutschein für eine Preisreduktion um 50%
      • Frage: Wofür ist dieser Gutschein überhaupt gültig?
  • Auf Intransparenz achten

Natürliche Häufigkeiten

Ähnlich wie bei diagnostischen Tests können auch zur Darstellung eines Effektes natürliche Häufigkeiten verwendet werden.

  • Im Beispiel
    • (Hypothetische) Untersuchung: 100.000 Frauen nehmen Pille der 2. Generation, 100.000 Frauen nehmen Pille der 3. Generation
    • Von den 100.000 Frauen mit Pillen der 2. Generation erleiden 8 eine Thrombose
    • Von den 100.000 Frauen mit Pillen der 3. Generation erleiden 17 eine Thrombose
    • Absolute Risikoerhöhung: 9 zusätzliche Thrombosen unter den 100.000 Frauen mit Pille der 3. Generation

Das relative Risiko alleine ist kein aussagekräftiges Maß für die Stärke eines Effektes. Es muss immer zusammen mit den absoluten Zahlen betrachtet werden!

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