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Techniken der interventionellen Blutungskontrolle

Letzte Aktualisierung: 24.4.2024

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Eine OP verursacht unweigerlich Blutungen. Intraoperativ auftretende Blutungen können nicht nur die Übersichtlichkeit des Operationssitus erheblich einschränken, sondern auch das postoperative Outcome negativ beeinflussen. Weiterhin kann eine insuffiziente intraoperative Blutungskontrolle zu postoperativen Nachblutungen führen, die ggf. weitere Interventionen notwendig machen. Die intraoperative Blutungskontrolle kann unterschiedlich erfolgen: durch mechanische oder thermo(elektrische) Techniken bzw. blutstillende Präparate. Oft ist die assistierende Person bei einem chirurgischen Eingriff für die Kontrolle von Blutungen verantwortlich oder zumindest maßgeblich daran beteiligt.

Dieses Kapitel fokussiert sich auf die in der Chirurgie angewandten Techniken, die ähnlich auch auf die Arthroskopie und Endoskopie übertragen werden können.

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Mechanische Methodentoggle arrow icon

Ligatur [1]

Einfache Ligatur

  • Indikation
    • Verschließen von Gefäßen vor Durchtrennung
    • Blutungskontrolle nach akzidenteller Gefäßverletzung
  • Material
  • Durchführung
  • Varianten
    • Anlegen der Gefäßligaturen vor Durchtrennung des Gefäßes
    • Doppelte Ligatur
  • Komplikationen: Abrutschen der Ligatur

Durchstechungsligatur

  • Indikation: Blutungskontrolle bei oder nach (akzidenteller) Durchtrennung von
    • Arterien
    • Größeren Gefäßen
    • Gefäßen in fettiger Umgebung
    • Gefäßen mit vulnerabler Gefäßwand
  • Material
  • Durchführung
    • Präparation und temporärer Verschluss mit Overholt-Klemmen (und ggf. Durchtrennung) des Gefäßes entsprechen der einfachen Ligatur
    • Durchstechen der gesamten Gefäßwand 1–2 mm unterhalb der Overholt-Klemme
    • Vorsichtiger Einhandknoten des Fadens auf der Seite der Durchstechung
    • Ggf. Faden um den Gefäßstumpf führen, Einhandknoten auf der anderen Seite
    • Lösen der Klemmen, Kürzen der Fäden und ggf. Versorgung des gegenüberliegenden Gefäßstumpfes entsprechend der einfachen Ligatur
  • Variante: Doppelte Durchstechungsligatur
  • Komplikationen: Ausreißen der Ligatur

Gefäßclip

  • Indikation
  • Material
    • Clipzange
    • Clips: Resorbierbar/nicht resorbierbar aus Titan oder Kunststoff [2]
    • Greifinstrument (Pinzette)
  • Durchführung
    • Fassen des zu ligierenden Gefäßes/Gefäßstumpfes mit einem Greifinstrument
    • Platzieren eines Clips mit der zugehörigen Clipzange
    • Schließen der Clipzange
    • Vorsichtiges Öffnen und Rückzug der Clipzange
  • Variante: (Endo‑)Stapler
  • Komplikationen
    • Abrutschen des Clips
    • Verhaken der Clipzange oder bspw. eines Bauchtuchs am Clip und dadurch Wiederaufreißen des Gefäßstumpfes

Kompression [2]

  • ≥3 min
  • Bauchtuch: Feucht und warm (ca. 45 °C)
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Thermische Methodentoggle arrow icon

Grundlagen [2][3][4]

Temperatureffekt im Gewebe
Temperatur Effekt Beschreibung und Anwendung
40–48 °C
  • Zunächst reversible Hyperämie
  • Anwendung zur Blutungskontrolle nicht möglich
49–69 °C
  • Irreversibler Zelluntergang
  • Unmittelbarer und dauerhafter Zelluntergang
  • Anwendung bspw. zur Thermoablation von Gewebe
70–99 °C
  • (Relativ geringe) Gewebeschrumpfung
  • Anwendung bspw. zum Verschluss kleiner Gefäße
100–199 °C
  • Desikkation
  • Gewebe zieht sich durch Austrocknung zusammen
  • Anwendung bspw. zum Verschluss von Gefäßen
  • Außerdem entsteht Dampf, der elektrisch isolierend wirkt und die Entstehung von Lichtbögen ermöglicht
200–499 °C
  • Verkohlen
  • Thermische Zersetzung von Kohlenwasserstoff
  • Gewebe wird mit einer Kohlenstoffschicht (sog. Karbonisation) überzogen
≥500 °C
  • Verdampfen
  • Anwendung zum Schneiden

Diathermie

  • Definition: Erzeugen eines thermischen Effektes im Gewebe durch hochfrequenten Wechselstrom
  • Grundbegriffe
    • HF-Generator: Gerät zur Umwandlung des niederfrequenten Steckdosenstroms (50 Hz) in hochfrequenten, bspw. elektrochirurgisch nutzbaren Wechselstrom (300 kHz–1 MHz)
    • Aktivelektrode: Instrument zur Übertragung des Stroms auf das Gewebe
  • Effekt
    • Blutungskontrolle: Durch Koagulation und Desikkation bei ca. 70–199 °C
    • Schnitt: Durch Verdampfen ab ca. 500 °C [5]
  • Anwendung
    • Monopolar: Elektrischer Stromfluss von der Aktivelektrode durch den Körper zur Neutralelektrode
    • Bipolar: Elektrischer Stromfluss zwischen den zwei Spitzen der Aktivelektrode (häufig Maulfläche einer Pinzette)
  • Einflussfaktoren
    • Gewebeseitig: Gewebewiderstand↓ → Wärme↑
    • Geräteseitig
      • Leistung (Watt) ↑ → Wärme↑
      • Kontaktfläche↑ → Wärme↓
      • Ggf. Betriebsart: Automatische Anpassung von Leistung und Pulsdauer an gemessene Gewebeparameter
    • Personalseitig
      • Einwirkdauer↑ → Wärme↑
      • Kontaktfläche↑ → Wärme↓

Im blutenden Gewebe (elektrischer Widerstand↓) erhöht sich die Wirksamkeit der Diathermie (Wärme↑)!

Verkohlungen im Gewebe wirken elektrisch isolierend und behindern so die Blutungskontrolle!

Durchführung

  • Sicherheitsmaßnahmen [6]
    • Kein Kontakt zwischen Patient:in und leitfähigem Material
    • Urinableitung bei OP-Dauer >3 h
    • Entfernen von Schmuck
  • Vorbereitung
    • Ggf. Neutralelektrode anbringen und anschließen [6][7]
    • Nicht leitfähige Unterlage
    • Trockene Unterlage
    • Aktivelektrode auswählen und anschließen , bspw.: Nadel, Spatel, Schlinge oder (bipolare) Pinzette
    • Geeignete Betriebsart wählen [5], bspw.
      • Soft-Koagulation: Kontinuierlich bei <200 V
      • Auto-Cut
      • Dry-Cut: Puls moduliert bei ca. 1450 V
      • Forced Coag: Puls moduliert bei ca. 1800 V
  • Monopolare chirurgische Diathermie
    • Blutungskontrolle
      • Mit Gewebekontakt [4]
        • Elektrode berührt beim Aktivieren das Zielgewebe (z.B. Gefäß)
        • Elektrode berührt beim Aktivieren leitfähiges Instrument (z.B. Pinzette) mit Kontakt zum Zielgewebe
      • Ohne Gewebekontakt [2]
        • Unter Raumluft: Elektrode wird mit einigen Millimetern Abstand zum Zielgewebe aktiviert
        • Unter Schutzgas: Bspw. Argon-Plasma-Koagulation
    • Elektrochirurgisches Schneiden : Aktivelektrode wird mit einigen Millimetern Abstand über das Zielgewebe geführt und aktiviert
  • Bipolare chirurgische Diathermie: Blutungskontrolle [2]
    • Handstück: Bipolare Pinzette
    • Greifen mit leichtem Druck

Andere Verfahren

  • Laser [8]
  • Kryoverfahren: Mäßige Blutungskontrolle [8]
  • Radiofrequenzbasierte Verfahren [2]
    • Radiofrequenzsonden werden im Gewebe platziert
    • Hochfrequente elektromagnetische Wellen → Temperaturanstieg im Gewebe → Denaturierung → Blutungsfreie Durchtrennung

Komplikationen [2]

  • Schädigung thermisch sensibler Strukturen (z.B. Gallenwege, Nerven)
  • Nur oberflächliche Blutungskontrolle
  • Entzündungs- oder Fremdkörperreaktion
  • Verkleben des applizierenden Instruments mit dem Gewebe → Erneute Blutung durch Wiederaufreißen
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Hämostatikatoggle arrow icon

  • Definition: Lokal anwendbare Präparate zur Blutungskontrolle
  • Indikation
  • Wirkmechanismus
    • Aktiv: Substitution von Bestandteilen der Gerinnungskaskade → Bildung Fibrinthrombus, z.B. Evicel® [9]
    • Passiv: Bereitstellung einer Gerinnungsmatrix/eines Fremdantigens → Aktivierung der Gerinnungskaskade → Kompression oder Konzentration von Faktoren der Gerinnungskaskade [10]
      • Gelatine, z.B. Spongostan® [11]
      • Kollagen (bovin, equidin), z.B. Sangustop® [12] oder AviteneTM [13]
      • Oxidierte regenerierte Zellulose (pflanzlich, synthetisch), z.B. Tabotamp® [14]
      • Polysaccharid-Sphären, z.B. AristaTM [15]
    • Mukoadhäsiv: Verkleben von Gewebe und kleineren Gefäßen
    • Biochemisch: Bildung von Crosslinks zwischen Proteinen
  • Mehrkomponenten-Präparate
  • Darreichungsformen
    • Pulver: Für unebene Oberflächen bei leicht zugänglichen Blutungen
    • Flüssigkeit: Für unebene Oberflächen in schwer zugänglichen Bereichen
    • Gewebe: Für glatte Oberflächen bei leicht zugänglichen Blutungen
  • Voraussetzung: Optimaler Kontakt zwischen Hämostatikum und Wundoberfläche
  • Anwendung
    • Vlies
      • Andrücken mit feuchtem Tupfer/Kompresse
      • 3–5 min
      • Blutblasen vermeiden
    • Flüssigkeiten/Schaum
      • Anmischen unmittelbar vor Applikation
      • Auftragen
      • Andrücken vermeiden
  • Komplikationen
    • Definitive Bewertung der Effektivität bei momentaner Datenlage und stetig wachsender Produktpalette nicht möglich
    • Erneutes/vermehrtes Bluten durch (versehentliches) Abziehen des Hämostatikums
    • Einschwemmen des Hämostatikums ins Gefäßsystem → Embolie
    • Allergie
    • Fremdkörperreaktion
    • Fehlinterpretation in der Bildgebung (z.B. als Tumorrest)

Hämostatische Substanzen nach Wirkmechanismus

Materialauswahl häufig genutzter Hämostatika
Typ Wirkstoff
Aktiv
Passiv
Mukoadhäsiv
  • Cyanoacrylat
  • Glutaraldehyd
Biochemisch
  • Polyethylenglykol (PEG)
Mehrkomponenten-Präparat

Beispielhaft ausgewählte Hämostatika nach Indikation

Mögliche Indikationen ausgewählter Hämostatika

Beispielpräparate

Blutung

Darreichungsform

Zusätzliche Anwendungsbereiche

BioGlue® [18]

+*, ++

Flüssigkeit

CoSeal® [20]

+*, ++

Gel, Spray

L

Hemopatch® [19]

+*, ++

Vlies

L, (EG)

Evicel® [9]

+

Flüssigkeit

(L) , EG

AristaTM [15]

+

Pulver

EG

FloSeal®, Surgiflo®, VeraSeal® [17][23][24]

(+), ++

Visköse Flüssigkeit

(L) , EG

Sangustop®, AviteneTM [12][13]

+

Vlies, (Pulver, Watte)

L, (EG)

Spongostan® [11]

+

Pulver, Schwamm

Tabotamp®, Traumastem® [14][25]

+

Pulver, Watte, Gaze, Vlies

TachoSil® [16]

+*, ++

Vlies

L, EG

* Anwendung nur nach nicht erfolgreicher Anwendung eines Einkomponentenpräparats empfohlen

+: Leicht, ++: Mäßig

L: Laparoskopie, EG: Eingeschränkte Gerinnung

Bei leichten Sickerblutungen eignen sich häufig passiv wirksame Hämostatika, bei mäßigen Sickerblutungen sind eher Mehrkomponenten-Präparate sinnvoll!

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