Zusammenfassung
Das Patient Blood Management (PBM) ist ein interdisziplinäres Behandlungskonzept auf der Grundlage verschiedener fremdblutsparender Maßnahmen, deren Durchführung die Patientensicherheit und das Outcome bei elektiven operativen Eingriffen verbessern soll. Die 3 Säulen des PBM sind die Optimierung einer präoperativen Anämie (1), die perioperative Reduktion von Blutverlusten (2) und der perioperative rationale Einsatz allogener Blutprodukte (3). Auch wenn die Anwendung von PBM bereits seit 2011 von der WHO empfohlen wird, ist das Konzept noch nicht flächendeckend in deutschen Kliniken etabliert.
Definition
- Interdisziplinäres Behandlungskonzept: Evidenzbasiert, multimodal
- Ziele
- Verbesserung des Outcomes durch individuelle Behandlung
- Verbesserung der Patientensicherheit, insb. im perioperativen Bereich
- Indikation: Operationen und Interventionen mit (hohem) Verbrauch von Blutprodukten
- Ansatz: 3-Säulen-Modell
- Optimierung einer präoperativen Anämie
- Reduktion von Blutverlusten
- Rationaler Einsatz von Blutprodukten
- Anwendung
- Prä-, intra- und postoperativ
- Durch alle Disziplinen, die Blutprodukte verabreichen
Das Patient Blood Management ist v.a. für elektive Eingriffe gedacht, im Notfall sollten die perioperativen Maßnahmen individuell angepasst werden! Eine Schocksymptomatik kann eine Massivtransfusion notwendig machen!
Optimierung einer präoperativen Anämie
Präoperative Anämie [1][2]
- Definition: Präoperative Erniedrigung des Hämoglobin-Wertes
- Prävalenz: 10,5–47,9% [2]
- Unabhängiger Risikofaktor für
- Schlechteres postoperatives Outcome [2][3][4]
- Längere Verweildauer im Krankenhaus/auf der Intensivstation
- Höhere Mortalität
- Vermehrte Transfusion allogener Blutprodukte [5]
- Schlechteres postoperatives Outcome [2][3][4]
Im Rahmen des PBM werden alle Personen mit einem Hämoglobin-Wert <13 g/dL (<8,07 mmol/L) in das fremdblutsparende Maßnahmenbündel mit eingeschlossen!
Präoperative Detektion einer Anämie
- Indikation: Elektive Operationen mit einer Transfusionswahrscheinlichkeit >10% [2]
- Vorgehen: Im Idealfall 4–6 Wochen präoperativ
- Einschätzen der Transfusionswahrscheinlichkeit
- >10% oder erwarteter Blutverlust >500 mL
- Einleiten des Laboralgorithmus bei präoperativer Anämie
- Siehe auch: Diagnosesicherung bei Verdacht auf Eisenmangel
- <10%
- Präoperativ: Zunächst keine weitere Diagnostik notwendig
- Postoperativ: Weiterführende Diagnostik zur Ursache der Anämie einleiten [2]
- >10% oder erwarteter Blutverlust >500 mL
- Laboralgorithmus bei präoperativer Anämie [2]
- Bestimmung von Hb-Wert, MCV, MCH sowie Leuko- und Retikulozyten
- Bei V.a. Eisenmangelanämie: Serum-Ferritin, Transferrin und -sättigung, ggf. CRP und löslicher Transferrin-Rezeptor
- Bei V.a. perniziöse Anämie: Folat, Vitamin B12
- Bei V.a. renale Anämie: Glomeruläre Filtrationsrate, Kreatinin und ggf. Harnstoff
- Bei V.a. Anämie durch chronische Erkrankung: CRP, löslicher Transferrin-Rezeptor und ggf. Hepcidin
- Bei V.a. hämolytische Anämie: LDH, indirektes Bilirubin und ggf. Haptoglobin
- Bei Anämienachweis
- Ohne Nachweis eines Eisenmangels : Internistisches Konsil zur weiterführenden Abklärung (siehe auch: Diagnostik der Anämie)
- Mit Nachweis eines Eisenmangels : Eisensubstitution, meist parenteral
- Einschätzen der Transfusionswahrscheinlichkeit
Therapie der präoperativen Anämie
- Generell
- Fachärztliche Aufgabe
- Diagnostische Sicherung vor Therapiebeginn empfohlen [2][6]
- Zeitpunkt: Möglichst frühzeitig (mind. 2–4 Wochen, ggf. länger bei oraler Eisensubstitution) [1][7]
- Maßnahmen bei Eisenmangelanämie siehe
Festlegen des OP-Termins
- Verschieben elektiv geplanter Eingriffe: Bis zur Optimierung patienteneigener Ressourcen
- OP-Termin auf Gesamtstrategie abstimmen
- Ggf. Einbindung von Anämiepatient:innen in spezielle PBM-Sprechstunden
Elektive Operationen sollten bei präoperativer Anämie bis zur Optimierung patienteneigener Ressourcen verschoben werden!
Bei Notfällen tritt die erste Säule (Optimierung einer präoperativen Anämie) in den Hintergrund!
Postoperative Weiterbehandlung
- Stimulation der Erythropoese
- Ggf. (weiter) Eisen substituieren
- Arzneimittelinteraktionen beachten
- Vermeidung und konsequente Behandlung von Infektionen
- Bei unbekannter Anämieursache: Weiterführende Diagnostik einleiten
Reduktion von Blutverlusten
Präoperative Maßnahmen
- Detektion und Minimierung des Blutungsrisikos
- Blutungsanamnese erheben
- Präoperative Gerinnungsdiagnostik - Untersuchungen einleiten
- Bei Vormedikation mit Antikoagulantien beachte
- Bei thrombozytärer Gerinnungsstörung : Vasopressin-Analogon erwägen, bspw. Minirin®
- Ausgleich von Elektrolytstörungen: Insb. Calcium [8] (siehe auch: Therapie der Hypokalzämie)
- Eigenblutspende erwägen
- Blutentnahmen zur Labordiagnostik auf Mindestmaß reduzieren
- Weitere Maßnahmen
- „Prewarming“ zur Vermeidung einer perioperativen Hypothermie [9]
- Optional prä- bzw. intraoperative Gabe von Tranexamsäure [10]
Intraoperative Maßnahmen [1][11]
- Vermeidung von Blutverlusten
- Minimalinvasive OP-Verfahren bevorzugen
- „Blutsparende“ operative Verfahren nutzen
- Blutentnahmen auf Mindestmaß reduzieren
- Bei Blutverlust >500 mL: Autologe Transfusion (insb. maschinelle Autotransfusion, bspw. mittels Cell Saver®)
- Rahmenbedingungen der Gerinnung aufrechterhalten
-
Normothermie, Normokalzämie und Normalisierung des pH-Wertes, siehe
- Perioperative Hypothermie
- Verschiebungen des Säure-Basen-Haushaltes
- Calciumsubstitution bei Hypokalzämie
- Patientennahe Gerinnungsdiagnostik (Point-of-Care-Diagnostik)
- Medikamentöse Wirkstoffe zur Verbesserung der Hämostase erwägen: Ersatz von Gerinnungsfaktoren und Gabe von Antifibrinolytika
-
Normothermie, Normokalzämie und Normalisierung des pH-Wertes, siehe
- Aufrechterhaltung der Homöostase
- Ausgeglichene Flüssigkeitsbilanz
- Ausreichende Diurese
- Moderate medikamentöse Kreislaufunterstützung
- Beatmung: Normokapnie anstreben
Postoperative Maßnahmen
- Vermeiden und frühzeitiges Erkennen von (Nach‑)Blutungen
- Postoperative Nachblutung
- Blutungen als Folge unerwünschter Arzneimittelwirkungen
- Vermeidung postoperativer Hypothermie
- Minimierung iatrogener Blutverluste
- Reduktion diagnostischer Blutentnahmen durch individuelle Indikationsstellung
- Ggf. geringere Volumina abnehmen
- Fortführen maschineller Autotransfusion, bspw. aus Drainagen
- Bei Wiederansetzen der Dauermedikation: Risiko-Nutzen-Abwägung
- Insb. bei gerinnungsaktiven Substanzen, siehe auch: Perioperatives Gerinnungsmanagement
Rationaler Einsatz allogener Blutprodukte
Grundsätze zum Einsatz allogener Blutprodukte
Erythrozytenkonzentrate (EK) [12][13]
- Restriktive Indikationsstellung (Ausnahme: Akute massive Blutung)
- Keine Transfusion bei Hb >10 g/dL (>6,21 mmol/L)
- Transfusion bei Hb 8–10 g/dL (4,97–6,21 mmol/L) nur bei Hinweisen auf anämische Hypoxie (physiologische Transfusionstrigger )
- Transfusion bei Hb 7–8 g/dL (4,35–4,97 mmol/L) nur bei Hinweisen auf anämische Hypoxie oder eingeschränkter Kompensationsfähigkeit
- Transfusion bei Hb <7 g/dL (<4,35 mmol/L) unabhängig von der Kompensationsfähigkeit
- Für die Hämoglobin-Grenzwerte gemäß Bundesärztekammer siehe: Transfusionsindikation für Erythrozytenkonzentrate bei akuter Anämie
- Für die Durchführung der Transfusion siehe: Transfusion von Erythrozytenkonzentraten - AMBOSS-SOP
- Für das Vorgehen bei akuter massive Blutung siehe: Transfusion bei hämorrhagischem Schock
Jede Transfusion eines Erythrozytenkonzentrats benötigt eine rechtfertigende Indikation!
Weitere Blutprodukte
- Plasmakonzentrate, siehe
- Thrombozytenkonzentrate, siehe
Ausschöpfen patienteneigener Ressourcen
- Optimierung der kardiopulmonalen Situation
- Kardiale Auswurfleistung
- Oxygenierung
- Minimierung des Sauerstoffverbrauchs
- Vermeidung/Behandlung von Infektionen
Studientelegramme zum Thema
- Studientelegramm 145-2020-2/3: Intravenöse Eisengabe im Rahmen des Patient Blood Managements
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AMBOSS-Podcast zum Thema
Patient Blood Management, Teil 1 (September 2020)
Patient Blood Management, Teil 2 (Oktober 2020)
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