Zusammenfassung
Das Erythema (exsudativum) multiforme ist eine akute selbstlimitierende Entzündungsreaktion, die oft im Anschluss an eine (Virus‑)Infektion auftritt. Dabei kommt es insb. an den Akren zu schießscheibenförmigen, juckenden oder brennenden Hautveränderungen. Es werden Minor- und Major-Form unterschieden. Letztere geht zusätzlich mit einer Allgemeinsymptomatik und einem Schleimhautbefall einher. Meist ist bei beiden Formen des Erythema multiforme ein folgenloses Abheilen zu erwarten. Eine Kausaltherapie existiert nicht; neben einer symptomatischen Lokaltherapie können systemische Glucocorticoide und Antihistaminika verabreicht werden. Bei rezidivierenden Verläufen im Rahmen von Herpesinfektionen sollte eine HSV-Prophylaxe mit Aciclovir erwogen werden.
Epidemiologie
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Genaue Pathogenese unklar [1][2]
- Assoziation mit Infektionen
- Häufig nach Infektionen mit Herpes simplex Typ I
- Weitere Erreger: HSV Typ II, Coxsackievirus, EBV, Parvovirus B19, CMV, Mykoplasmen, Streptokokken, Treponema pallidum
- Triggerfaktoren: Kontaktallergien, UV-Einwirkung
- Ggf. genetische Prädisposition: Assoziation mit HLA-DQw3, -DRw53, -AW33
- Nicht mehr als auslösend angesehen werden Medikamente
Symptomatik
Hautbefund bei Erythema exsudativum multiforme
- Initial rasch entstehende einzelne rundliche Erytheme
- Im Verlauf trizonale, schießscheibenartige, papulourtikarielle Plaques (Kokarden) mit bläulich-lividem Zentrum, hellerer Intermediärzone und dunkelrotem Randsaum; im Zentrum ggf. Bläschenbildung und Krusten
- Teilweise Konfluieren der Plaques
- Typischerweise Beginn an den Akren (Extremitäten, insb. auch Handflächen und Fußsohlen) mit zentripetaler Ausbreitung über den gesamten Körper inkl. Stamm und Gesicht
- Bei Major-Form (ca. 50%) zusätzlich Schleimhautbeteiligung: Hämorrhagisch-verkrustete Läsionen an Lippen, Wangenschleimhaut, Augen und/oder Genitale
Weitere mögliche Symptome
- Juckreiz oder Brennen der betroffenen Hautareale
- Bei der Minor-Form keine Allgemeinsymptome
- Bei der Major-Form zusätzlich Allgemeinsymptome, insb. Abgeschlagenheit und Fieber
Verlauf
- Meist selbstlimitierende folgenlose Abheilung innerhalb von 2–3 Wochen
- Rezidivierende Verläufe möglich, insb. im Rahmen von Herpesinfektionen
Verlaufs- und Sonderformen
- Minor-Form: Typische Hauteffloreszenzen, keine oder höchstens leichte Schleimhautbeteiligung
- Major-Form: Starke Ausprägung des Hautbefundes mit Schleimhautläsionen und ggf. Allgemeinsymptomatik
- Fuchs-Syndrom: Unterform des Erythema exsudativum multiforme mit überwiegend oder ausschließlich Läsionen im Schleimhautbereich
Diagnostik
- Klinik: I.d.R. klinischer Befund zur Diagnosestellung ausreichend
- Anamnese: Infektionen, insb. rezidivierender Lippenherpes?
- Serologie: HSV, Mycoplasma pneumoniae
- Ggf. Abstrich mit PCR: Nachweis von HSV
- Ggf. Hautbiopsie mit Histologie: Charakteristischer, aber unspezifischer Befund mit Ödem und Entzündungsinfiltrat
Differenzialdiagnosen
- Stevens-Johnson-Syndrom
- Fixes Arzneimittelexanthem
- Urtikaria
- Subakut-kutaner Lupus erythematodes (SCLE)
- Polymorphe Lichtdermatose
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Allgemeine Maßnahmen
- Ggf. Therapie der vorausgehenden Infektion
- Insb. bei Schleimhautbeteiligung auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten!
Symptomatische Therapie bei Erythema exsudativum multiforme
- Glucocorticoidhaltige Externa
- Prednicarbat (jedes Alter)
Bei schweren Verläufen und/oder Schleimhautbefall
-
Glucocorticoide p.o.
- Prednison (Erwachsene und Kinder)
- oder Methylprednisolon (Erwachsene und Kinder) [3]
-
Antihistaminika p.o. (insb. bei Juckreiz)
- Desloratadin (Erwachsene)
- oder Levocetirizin (Erwachsene)
- oder Cetirizin (Erwachsene)
- Für pädiatrische Dosierungen siehe: Systemische Antihistaminika im Kindes- und Jugendalter
Bei Befall der Mundschleimhaut zusätzlich
- Mundspülungen mit beruhigenden und/oder analgetischen Lösungen
- Schmerztherapie systemisch
- Erwachsene: Ibuprofen oder Paracetamol
- Kinder: Ibuprofen oder Paracetamol
- Siehe auch: Ibuprofen (pädiatrisch) und Paracetamol (pädiatrisch)
HSV-Prophylaxe (bei Verläufen im Zusammenhang mit rezidivierenden Herpesvirus-Infektionen) [4]
-
Aciclovir p.o.
- Erwachsene
- Kinder
- oder Valaciclovir p.o. (Erwachsene)
Zur Akut-Therapie des Erythema multiforme sind Virostatika ungeeignet, da sie nur die Virusreplikation hemmen, die zum Manifestationszeitpunkt des Erythema multiforme schon abgeschlossen ist!
Prognose
- Gute Prognose
- I.d.R. selbstlimitierender Verlauf und narbenloses Abheilen innerhalb von 2–3 Wochen
- Rezidive möglich, bei einigen Patienten jährlich, bei immunsupprimierten Patienten häufiger
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- L51.-: Erythema exsudativum multiforme
- L51.0: Nichtbullöses Erythema exsudativum multiforme
- L51.1: Bullöses Erythema exsudativum multiforme
- L51.2-: Toxische epidermale Nekrolyse [Lyell-Syndrom]
- L51.20: Befall von weniger als 30 % der Körperoberfläche
- Toxische epidermale Nekrolyse [Lyell-Syndrom] o.n.A.
- L51.21: Befall von 30 % der Körperoberfläche und mehr
- Schleimhautbefall
- L51.20: Befall von weniger als 30 % der Körperoberfläche
- L51.8: Sonstiges Erythema exsudativum multiforme
- L51.9: Erythema exsudativum multiforme, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.