Zusammenfassung
Thermische Verbrennungen sind Gewebeschäden aufgrund von Hitzeeinwirkung. Je nach Tiefe der Schädigung werden Verbrennungen in vier Grade eingeteilt. Das Ausmaß der Verbrennung kann über die Neunerregel oder die Handflächenbestimmung abgeschätzt werden.
Durch die Entwicklung eines Kapillarlecks und die fehlende Barrierefunktion der Haut kann es zu großen Flüssigkeits- und Eiweißverlusten sowie zum Volumenmangelschock, SIRS und Sepsis kommen. Neben der lokalen Therapie ist daher eine intensive Flüssigkeitssubstitution sehr wichtig. Je nach Ausmaß der Verbrennung kann ein chirurgisches Vorgehen mit Nekrosenabtragung, Hautspaltung und sogar Hauttransplantation notwendig sein.
Definition
- Thermische Verbrennung: Gewebeschädigung durch Hitzeeinwirkung [1]
- Verbrennungskrankheit: Verbrennung großer Teile des Körpers mit möglichem Schock, systemischer Entzündungsreaktion, SIRS und Organversagen [1]
Ätiologie
- Übermäßige Hitzeeinwirkung durch [1]
- Offenes Feuer
- Heiße Feststoffe oder Flüssigkeiten (Verbrühung)
- Heiße Gase und Dämpfe
- Elektrischen Strom (siehe auch: Stromunfall)
- Explosionen
- Strahlung (siehe auch: Strahlendermatitis, Dermatitis solaris)
- Reibung
- Sonderfall: Chemische Substanzen
Pathophysiologie
- Hitzeeinwirkung → Nekrose der Haut → Schädigung von Kapillaren → Erhöhte Permeabilität (Kapillarleck)
- Flüssigkeits- und Eiweißverlust mit Ödembildung → Mikrozirkulationstörung, HZV↓, Gewebeischämie, Lactatazidose → Volumenmangelschock
Symptomatik
Lokale Symptome
Lokale Symptome und Schädigung je nach Verbrennungsgrad | ||
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Verbrennungsgrad | Symptome | Schädigung |
Verbrennung 1. Grades |
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Verbrennung 2. Grades (2a) |
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Verbrennung 3. Grades | ||
Verbrennung 4. Grades |
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Das Schmerzempfinden nimmt bei tieferen Verletzungen bis hin zur Analgesie durch die Verletzungen der Nervenenden ab!
Ausmaß der Verbrennung (Oberflächenbestimmung)
Die Berechnung der Körperoberfläche kann nach verschiedenen Formeln mithilfe der Größe und des Körpergewichts erfolgen. Bei einem Erwachsenen beträgt sie ca. 1,5–2 m2.
Neunerregel nach Wallace
- Zur Einschätzung des Ausmaßes der Verbrennung beim Erwachsenen
- Abweichende Zahlen für Kopf und untere Extremität bei Kindern
Neuner-Regel nach Wallace | |||
---|---|---|---|
Körperteil | Körperoberfläche | ||
Erwachsene | Kleinkind | Säugling | |
Kopf | 9% | 16% | 18% |
Rumpf | 36% (4×9%) | ||
Arme | 18% (2×9%) | ||
Beine | 36% (2×18% ) | 29% | 27% |
Genitalregion | 1% |
Körperoberfläche (Rechner)
Handflächenregel
- Die Handfläche des Patienten beträgt 1% seiner Körperoberfläche
- Genauere Oberflächenbestimmung des Verbrennungsareals als mithilfe der Neunerregel
Systemische Symptome
- Schocksymptomatik durch Flüssigkeits- und Proteinverlust
- Hypothermie durch Wärmeverlust
Verlaufs- und Sonderformen
Verätzungen durch Säuren und Laugen
- Gewebeschädigungen
- Säuren erzeugen Koagulationsnekrosen: Trockene und brüchige Nekrose
- Laugen erzeugen Kolliquationsnekrosen
- Sekundäre Verflüssigung des Gewebes
- Schwerer einzuschätzen als Verätzungen durch Säuren
- Erstmaßnahmen bei chemischen Verletzungen [1]
- Allgemein: Kleidung entfernen
- Calciumoxid (Zement): Abbürsten
- Natriumoxid (Rohrreiniger): Abspülen mit kaltem Wasser
- Natriumhypochlorit (Bleiche und Desinfektionsmittel): Sofortiges Einseifen und Abspülen mit Wasser
- Weißer Phosphor
- Abspülen mit kaltem Wasser
- Chirurgisches Debridement
- EKG- und Elektrolyt-Monitoring
- Flusssäure
- Abspülen mit kaltem Wasser
- Wundmanagement: Auftragen von Calciumgluconat-Gel und Unterspritzung mit Calciumgluconat
- EKG- und Elektrolyt-Monitoring
- Chromsäure: Abspülen mit Wasser und Auftragen von Phosphat + chirurgisches Debridement
- Phenol: Abspülen mit Polyethylenglykol
Strahlenbedingte Wunden (Strahlendermatitis)
- Schweregrad abhängig von der Strahlendosis
- Grad 1: Früherythem
- Grad 2: Dermatitis erythematodes
- Grad 3: Dermatitis bullosa
- Grad 4: Dermatitis gangraenosa
- Spätschaden: Strahlenulkus
Inhalationstrauma [1]
- Diagnostik
- Anamnese
- Unfallhergang (im Freien oder im geschlossenen Raum?)
- Exposition (Rauch, Flammen, Dämpfe, Gase?)
- Dauer der Exposition
- Bewusstseinsverlust
- Inspektion
- Weiterführende Untersuchungen
- Arterielle BGA mit CO und Methämoglobin: CO-Intoxikation?
- Diagnostischer Nachweis mittels Bronchoskopie (mit Entnahme von Trachealsekret): Rußspuren, Rötung, graue/weißliche Verfärbung der Atemwege
- Röntgen-Thorax: In den ersten 24 h nach Trauma (zur Verlaufsbeurteilung)
- Anamnese
- Einteilung nach endobronchialem Befund
- Grad 1: Schleimhaut erscheint gerötet und geschwollen
- Grad 2: Schleimhaut weist Blasen, Erosionen oder Kontaktblutungen auf
- Grad 3: Schleimhaut weist Ulzerationen und Nekrosen auf
- Therapie
-
Frühzeitige Intubation und lungenschonende, kontrollierte Beatmung für 24–48 h
- Empfohlene Richtwerte: PEEP ≥5 cmH2O, Atemzugvolumen 6–8 mL/kg Standard-KG, endinspiratorischer Atemwegsdruck ≤30 cmH2O, inspiratorische Druckdifferenz ≤15 cmH2O
- FiO2 von 1,0 bei Verdacht auf Kohlenstoffmonoxidvergiftung
- Kontrollbronchoskopie
-
Frühzeitige Intubation und lungenschonende, kontrollierte Beatmung für 24–48 h
Diagnostik
- Anamnese: Mit Fokus auf den Unfallhergang, bspw. nach SAMPLE-Schema
- Körperliche Untersuchung: Patienten komplett entkleiden und untersuchen
- Nadelstichprobe: Ab Verbrennung Grad 2b verminderte Schmerzempfindung
- Inkl. Lungenauskultation
- Vitalparameter: Blutdruck, Herzfrequenz, Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung, Körperkerntemperatur, ggf. EKG
- Laboruntersuchungen
- Bei schweren Verbrennungen: Gesamte intensivmedizinische Labordiagnostik
- Kleines Blutbild, Elektrolyte, Leber- und Nierenwerte, Albumin, Gesamteiweiß, Entzündungsparameter
- Blutgruppenbestimmung und Antikörpersuchtest, ggf. mit Anforderung von Blutprodukten (Plasmakonzentrate, Erythrozytenkonzentrate)
- Bei V.a. Inhalationstrauma: Arterielle BGA mit CO und Methämoglobin
- Bei schweren Verbrennungen: Gesamte intensivmedizinische Labordiagnostik
- Weitere Diagnostik
- Mikrobiologie: Wundabstriche, Blutkulturen bei Superinfektion oder Sepsis (siehe auch: Diagnostik bei Sepsis)
- Histopathologie: Probeentnahme im verbrannten Areal
- Radiologie: Konventionelles Röntgen bei V.a. Frakturen
- Laryngo-Bronchoskopie (und Entnahme von Trachealsekret) bei Inhalationstrauma
Therapie
Präklinische Erstversorgung von Verbrennungen [3]
- Beurteilung der Verletzungen: Leicht ablösbare, verbrannte Kleidung und Körperschmuck entfernen
- Erste-Hilfe-Maßnahmen bei kleinen, umschriebenen Verbrennungen
- Lokale Kühlung [1][4]
- Dauer ca. 20 min
- Wassertemperatur: Kühl bis Zimmertemperatur (nicht eiskalt!)
- Primärer Wundverband: Steriler, lockerer Verband (bspw. metallbeschichtetes Verbandtuch) [4]
- Wunde großflächig bedecken (nicht zirkulär umwickeln)
- Ziel: Schutz vor Kontamination und Schmerzreduktion [1]
- Lokale Kühlung [1][4]
- Allgemeine Maßnahmen bei Schwerbrandverletzten
- Sichern der Vitalfunktionen, bspw.
- Sauerstoffzufuhr über Maske
- Ggf. endotracheale Intubation, insb. bei Inhalationstrauma [1]
- Volumentherapie [1]
- Anlage von 2 großlumigen, periphervenösen Zugängen (möglichst nicht in verbrannte Hautareale)
- Alternativ intraossäre Zugänge erwägen, insb. bei großflächigen Verbrennungen
- Balancierte kristalloide Infusionslösungen (möglichst erwärmt)
- Bei Erwachsenen ca. 1.000 mL in den ersten 2 h nach Trauma, Hypervolämie vermeiden [1]
- Schmerztherapie [1]
- Verbrannte Körperoberfläche <15%: Monotherapie mit Opioiden (und Antiemetikum)
- Verbrannte Körperoberfläche >15% oder hämodynamische Instabilität: Analgosedierung mit Ketamin und Midazolam
- Siehe auch: Präklinische Akutschmerztherapie
- Prävention einer Hypothermie: Wärmefolien anwenden, Temperaturmonitoring empfohlen [1]
- Rascher Transport in geeignetes Krankenhaus
- Siehe auch: Präklinische Traumaversorgung
- Sichern der Vitalfunktionen, bspw.
Eine Hypothermie verschlechtert die Prognose bei Schwerbrandverletzten!
Großflächige Verbrennungen erhöhen das Risiko eines generalisierten Ödems mit respiratorischer Insuffizienz!
Klinisches Management von Verbrennungen
- Allgemeinmaßnahmen
- ZVK-Anlage
- Evtl. Intubation [1]
- Siehe auch: Rapid Sequence Induction - AMBOSS-SOP
- Tetanusprophylaxe
- Systemtherapie
- Notfallversorgung und ggf. Schockraumaktivierung
- Flüssigkeitstherapie bei Verbrennungen [5]
- Kristalloide Infusionslösungen bevorzugen, bspw. Ringer-Acetat- oder Ringer-Malat-Lösung
- Parkland-Formel nach Baxter zur Berechnung des Volumens pro 24 h: 4 mL Infusionslösung × Prozent verbrannter Körperoberfläche × kg Körpergewicht
- Beispielrechnung bei 10% verbrannter Körperoberfläche bei 80 kg Körpergewicht: (4 × 10 × 80) mL = 3.200 mL
- Beachte: 50% des errechneten Volumens sollten in den ersten 8 h gegeben werden, je 25% in den darauffolgenden 8 h
- Siehe auch: Hypovolämischer Schock - Klinisches Management
- Analgesie [1]
- Durchführung in Anlehnung an das WHO-Stufenschema
- Bei Interventionen wie Verbandswechsel zusätzliche Analgesie verabreichen! [1]
- Koanalgetika: Antidepressiva, α2-Agonisten oder Ketamin im Rahmen eines multimodalen Konzeptes [1]
- Antibiotikatherapie: Bei Infektion (nach mikrobiologischer Diagnostik) bzw. als perioperative Antibiotikaprophylaxe
- Wundmanagement [1]
- Verbrennung 1. Grades: Konservativ mit pflegenden Salben, bspw. Panthenol-Creme oder Linola-Fettsalbe ohne Verband [6]
- Verbrennung 2. Grades (2a)
- Wundreinigung (aseptisch)
- Debridement: Eröffnung der Brandblasen, Entfernung von Fremdkörpern und Verunreinigungen
- Optionen des Wundverbandes, bspw.
-
Anwendung topischer Salben/Gele, ggf. mit zusätzlicher Abdeckung wie bspw. Fettgaze (siehe auch: Wundgaze)
- Wundheilungsfördernde Salben, bspw. Panthenolcreme oder
- Wundgel, bspw. Polihexanidgel (wie Lavanid® Wundgel) oder
- Antiseptisches Gel, bspw. Octenilin®-Wundgel [7]
-
Okklusivverband
- Anwendung von silberhaltigen Materialien, biologischen oder synthetischen Hautersatzmaterialien erwägen, bspw Mepitel®, siehe auch: Wundauflagen
-
Anwendung topischer Salben/Gele, ggf. mit zusätzlicher Abdeckung wie bspw. Fettgaze (siehe auch: Wundgaze)
- Wundkontrollen bis zur Heilung
- Verbrennung 2. Grades (2b) bis Verbrennungen 3. Grades [7]
-
Nekrektomie mit anschließender Defektdeckung
- Tangentiale Nekrektomie bei Verbrennungen Grad 2: Tangential zur Körperoberfläche werden die Nekroseschichten abgetragen, CAVE: Blutverlust!
- Epifasziale Nekrektomie bei Verbrennungen Grad 3: Haut und Fettgewebe werden bis auf die Faszie entfernt
- Defektdeckung mit Spalthaut oder temporär mit synthetischer Folie [1]
-
Escharotomie (= Entlastungsschnitte in der Haut)
- Bei zirkulären Verbrennungen
- Bei V.a. Kompartmentsyndrom zusätzlich Fasziotomie
-
Nekrektomie mit anschließender Defektdeckung
- Verbrennungen 4. Grades
- Defektdeckung (muskulokutane Lappenplastik)
- Bei Lokalisation an den Extremitäten meist Amputation nötig
- Ruhigstellung von Extremitäten zur besseren Wundheilung, siehe auch:
Kleine Verbrennungsareale des Grades 2a können ambulant und konservativ behandelt werden, bspw. mit Fettgaze, antiseptischer Salbe und Analgetika!
Komplikationen
- Wundinfektion und Sepsis
- Narben- und Keloidbildung, Kontrakturen
- Zusätzlich bei Verbrennungskrankheit: Schock, Multiorganversagen
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
ABSI-Score (Abbreviated Burn Severity Index) zur Abschätzung des Letalitätsrisikos [1]
Anwendung und Auswertung des ABSI-Score | |||
---|---|---|---|
Parameter | Verbrannte Körperoberfläche (in %) | Alter (in Jahren) | Weitere Parameter |
Punktevergabe |
|
|
|
Auswertung | Punkte | Überlebensrate in % | |
2–3 | 99 | ||
4–5 | 90–99 | ||
6–7 | 80–90 | ||
8–9 | 50–70 | ||
10–11 | 20–40 | ||
12–13 | <10 | ||
>13 | <1 |
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- Im ICD-10-GM werden Verbrennungen im Kapitel XIX abgehandelt
- T20–T25: Verbrennungen oder Verätzungen der äußeren Körperoberfläche, Lokalisation bezeichnet
- T95: Folgen von Verbrennungen, Verätzungen oder Erfrierungen
- Aufgrund des großen Umfangs verweisen wir auf die Seite des BfArM für weitere Angaben zur Kodierung
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.