Zusammenfassung
Bei der Hodentorsion handelt es sich um eine akute Verdrehung von Hoden und Samenstrang innerhalb des Skrotums mit konsekutiver Minderdurchblutung. Klinisch manifestiert sich die Hodentorsion meist durch plötzlich einsetzende Schmerzen im Bereich des Hodens und/oder des Unterbauchs. Betroffen sind i.d.R. Kinder und junge Männer.
Da innerhalb von etwa 6 h Nekrose und Organverlust drohen, handelt es sich um einen urologischen Notfall und es sollte schon bei Verdacht auf eine Hodentorsion schnellstmöglich eine operative Hodenfreilegung, Detorquierung und beidseitige Orchidopexie erfolgen. Wichtigste Differenzialdiagnose ist die Nebenhodenentzündung (Epididymitis).
Epidemiologie
- Auftreten: 1 pro 4.000 Männer <25 Jahre [1]
- Alter: In jedem Alter möglich mit zwei Häufigkeitsgipfeln [2]
- 1. Lebensjahr, insb. Neugeborene
- 12.–18. Lebensjahr (ca. 65% aller Hodentorsionen)
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Pathogenese
- Idiopathische Hodentorsion (häufig)
- Abnorme Beweglichkeit des Hodens innerhalb des Skrotums → Ggf. Rotationsstimuli (insb. Sport) und Kremaster- oder M. Dartos-Kontraktionen → Torsion von Hoden und Samenstrang → Initial venöse Abflussbehinderung bei erhaltener arterieller Durchblutung (inkomplette Torsion) → Stase des Blutes → Schwellung → Ödem → Sekundäre arterielle Obstruktion (komplette Torsion) → Thrombose und hämorrhagische Nekrose des Hodens → Infarzierung
- Bei inkompletter Torsion: Intermittierende spontane Detorquierung mit Symptombesserung möglich → Gefahr die Diagnose zu verkennen
- Bei sofortiger kompletter Torsion: Ischämischer Hodeninfarkt
- Traumatische Hodentorsion (selten)
- Idiopathische Hodentorsion (häufig)
- Torsionsrichtung: In ⅔ der Fälle erfolgt die Torsion nach medial, in ⅓ der Fälle nach lateral
- Torsionsformen
- Intravaginale Hodentorsion (häufigste): Meist bei Hodenhochstand oder Jungen >10 Jahre
- Extravaginale Hodentorsion : Fast immer bei Neugeborenen, oft bei Kindern vor der Pubertät
- Mesorchial zwischen Hoden und Nebenhoden (selten): Bei langem Mesorchium oder Dissoziation von Hoden und Nebenhoden
- Risikofaktoren
- Retinierte Hoden (Hodenhochstand)
- Pendelhoden
- Verspätet deszendierte Hoden
- Bell-Clapper-Anomalie (Hoden in horizontaler Position mit geringer Fixierung und erhöhter Mobilität)
- Rezidivierende inkomplette Torsionen
Symptomatik
- Plötzlich einsetzende starke Schmerzen im Bereich eines Hodens (Palpation kaum möglich)
- Schwellung und Rötung des Hodens
- Oft steht der betroffene Hoden höher als auf der Gegenseite und wirkt immobilisiert
- Ggf. Ausstrahlung in Leiste und/oder Unterbauch, ggf. nur Unterbauchschmerzen
- Ggf. vegetative Symptomatik wie Übelkeit und Erbrechen, kalter Schweiß, Herzrasen
- Innerhalb von 2–12 h (meist 6 h) kommt es zu Nekrose und Funktionsverlust
Bei männlichen Patienten mit Unterbauchschmerzen sollte immer eine Untersuchung der Hoden erfolgen!
Bei plötzlichen, massiven Hodenschmerzen muss immer an eine Hodentorsion gedacht werden!
Diagnostik
- Anamnese: Plötzlicher Beginn der Symptomatik
- Körperliche Untersuchung: Meist aufgrund der Schmerzen nur sehr eingeschränkt möglich
- Prehn-Zeichen negativ = „Schmerzen unverändert bzw. verstärkt“
- Kremasterreflex auf betroffener Seite nicht auslösbar
- Gespanntes Abdomen bis hin zu Peritonismus
- Ggf. ipsilateraler Hodenhochstand mit immobilisiertem Hoden
- Sonografie bei Hodentorsion: Beurteilung der Hodenhomogenität: Befund variiert mit dem Ischämiegrad
- Initial oft keine Veränderung, ggf. Hypoechogenität, zunehmendes Volumen
- Im Verlauf Inhomogenität durch hämorrhagische Nekrose
- Ggf. Nachweis des sog. „Whirlpool-Sign“: Darstellung des torquierten Samenstrangs
- Duplexsonografie bei Hodentorsion: Beurteilung der Hodendurchblutung
- Fehlende Durchblutung oder Seitendifferenz: Hodentorsion wahrscheinlich
- Nachweis einer seitengleichen arteriellen und venösen Durchblutung im Hoden: Ausschluss einer Torsion
- Fehlerquellen
- Vermehrte Perfusion von Skrotalwand und Kapselgefäßen kann Hodendurchblutung vortäuschen!
- Bei inkompletter Torsion ist die arterielle Perfusion erhalten!
- Spektralanalyse und Messung des RI der Gefäße durch erfahrenen Untersucher
- Sonderform: Hodentorsion bei Hodenhochstand
- Erschwerte Diagnosestellung durch Leistenhoden oder intraabdominal gelegene Hoden
- Oft nur Unterbauchschmerzen
- Ggf. schmerzhafte Rötung, Schwellung und Überwärmung in der Leiste bei leerem Skrotalfach
Sofern eine Hodentorsion nicht sicher ausgeschlossen werden kann, muss schnellstmöglich operativ eingegriffen werden!
Eine durchgeführte Orchidopexie schließt eine erneute Hodentorsion nicht aus!
Differenzialdiagnosen
- Rezidivierende partielle Hodentorsion
- Epidemiologie: I.d.R. >8 Jahre
- Klinik: Intermittierende, spontan reversible, entsprechende Schmerzereignisse
- Diagnostik: Ggf. sind bei zeitnaher Vorstellung Rötung, Schwellung, reaktive Hydrozele und/oder sonografische Auffälligkeiten nachweisbar
- Therapie: Aufgrund des erhöhten Risikos für eine komplette Torsion ist eine operative Hodenfreilegung mit beidseitiger Orchidopexie indiziert
- Hydatidentorsion
- Definitionen
- Hydatide (bzw. Appendix testis) : 1–7 mm große Anhangsgebilde am oberen Pol des Hodens (Überrest des Müller'schen Ganges), am Samenstrang oder am Nebenhoden (Überrest des Wolff'schen Gangs)
- Hydatidentorsion: Verdrehung einer Hydatide, die mit konsekutiver Minderperfusion einhergeht und zu einer sehr ähnlichen Symptomatik wie bei der Hodentorsion führt
- Epidemiologie: Altersgipfel 6–11 Jahre, allerdings in jedem Alter möglich
- Klinik
- Initial nur empfindlicher kleiner Knoten am oberen Hodenpol
- „Blue Dot Sign“
- Ggf. reaktive Hydrocele testis mit Rötung, Schwellung und Erguss
- Diagnostik: Insb. Sonografie
- Vergrößerung der Hydatide >7 mm
- Reaktive Vergrößerung und Hyperperfusion des Nebenhodens
- Therapie
- Operative Hodenfreilegung mit Abtragung der Hydatide: Bei unsicherer Diagnose (insb. bei fehlendem Ausschluss einer Hodentorsion) oder ausgeprägter bzw. persistierender Klinik über 24–48 h
- Konservative Therapie (Bettruhe): Bei gesicherter Diagnose und erträglicher Klinik
- Definitionen
- Epididymitis oder Orchitis
- Hodenkontusion
- Hodentumor
- Appendizitis
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Die Therapie der Hodentorsion sollte immer operativ erfolgen. Ob der Hoden erhalten werden kann, hängt von Dauer und Ausmaß der Torsion und dem Grad der Schädigung ab.
Operative Therapie
- Zeitintervall: Schnellstmöglich (innerhalb von 4–6 h)
- Operativer Zugang
- I.d.R. von skrotal
- Bei Hodenhochstand, inkarzerierter Hernie oder fraglichem Tumor von inguinal
- Vorgehen
- Operative Hodenfreilegung und offene Detorquierung mit Orchidopexie
- Orchidopexie kontralateral empfohlen
- Nach Freilegung und Detorquierung wird die Erholung des Hodenparenchyms (bis zu 30 min) abgewartet, ggf. Auflegen warmer NaCl-Kompressen
- Bei gesicherter Nekrose: Ablatio testis
- Im Zweifel sollte der Hoden zunächst belassen werden, da auch bei irreversibel geschädigtem Keimepithel ggf. die hormonproduzierenden Leydig-Zellen eine Teilfunktion übernehmen (Ischämiezeit 10–12 h)
Bereits bei Verdacht auf eine Hodentorsion ist die Hodenfreilegung indiziert, da ansonsten ein Organverlust droht!
Konservativer Detorquierungsversuch
- Indikation: Nur als Überbrückungsmanöver bei fehlender OP-Möglichkeit
- Voraussetzungen: Kurze Schmerzanamnese, skrotale Hodenposition und keine sonstigen Begleitbefunde
- Detorquierungsversuch initial nach lateral, da ⅔ aller Hodentorsionen nach medial erfolgen
- Bei Erfolg: Sofortige Beschwerdefreiheit
- Eine zeitnahe operative Hodenfreilegung zur Erfolgsüberprüfung und beidseitiger Orchidopexie ist trotzdem immer indiziert (innerhalb von 12–24 h)
Prognose
- Rechtzeitige Intervention innerhalb des Zeitfensters von 4–6 h → I.d.R. Restitutio ad integrum
- Zu späte oder fehlende operative Intervention → Ischämie → Nekrose und Funktionsverlust des Hodens
Trotz erfolgter Orchidopexie ist eine Retorsion möglich!
Hodentorsion beim Neugeborenen
Prä- und perinatale Hodentorsion
- Epidemiologie: 75% der Hodentorsionen beim Neugeborenen
- Ätiologie
- Korrelation zu Geburtsgewicht, Geburtsmodus und Geburtstraumata
- I.d.R. extravaginale Torsionsform
- Klinik
- Vorwiegend unilateral, bilateral selten
- Buntes klinisches Bild
- Diagnostik
- Klinische Diagnose
- Ggf. Sonografie
- Therapie
- Notfallmäßige operative Hodenfreilegung
- Indikationen: Akuter schmerzhafter Befund und/oder beidseitiger Befund
- Aufgrund der Rate irreversibler Hodenschädigungen (>95%) relativiert sich die Notwendigkeit der Notfall-OP
- Operative Hodenfreilegung im Verlauf
- Ist keine primäre Operation erfolgt, sollte im Verlauf immer eine Orchidopexie der Gegenseite erfolgen, da ein erhöhtes Torsionsrisiko vorliegt
- Bei Zeichen eines Abszesses sollte der betroffene Hoden entfernt werden
- Notfallmäßige operative Hodenfreilegung
- Prognose: >95% irreversible Schädigung des betroffenen Hodens
Postnatale Hodentorsion
- Epidemiologie
- 25% der Hodentorsionen beim Neugeborenen
- Auftreten innerhalb der ersten Lebensmonate; i.d.R extravaginale Torsionsform
- Klinik
- Diagnostik
- Klinische Diagnose
- Ggf. Sonografie
- Therapie: Notfallmäßige operative Freilegung des Hodens mit Detorquierung und Orchidopexie
- Orchidopexie kontralateral empfohlen
- Prognose: Abhängig von Ausmaß und Dauer der Torsion, bei rechtzeitiger Detorquierung Restitutio ad integrum möglich
Bei der postnatalen Hodentorsion ist genau wie bei Torsionen älterer Kinder eine zeitnahe operative Therapie zur Organerhaltung unabdingbar!
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- N44.-: Hodentorsion und Hydatidentorsion
- N44.0: Hodentorsion
- Torsion:
- N44.1: Hydatidentorsion
- N44.0: Hodentorsion
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.