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Neurologische Untersuchung

Letzte Aktualisierung: 22.8.2024

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Die körperliche Untersuchung nimmt in der neurologischen Diagnostik eine zentrale Rolle ein. Anhand einer Funktionsprüfung des Nervensystems werden Informationen gesammelt, die eine Zuordnung zu einem Syndrom sowie möglicherweise auch zur Art einer Schädigung ermöglichen. Für Rückschlüsse auf den Ort einer Schädigung im Nervensystem sind fokal-neurologische Defizite von großer Bedeutung, also Funktionsbehinderungen, die sich auf den Ausfall einer bestimmten Struktur oder Region des zentralen oder peripheren Nervensystems beziehen lassen. Dieses Kapitel beschreibt als Kompendium ausführlich die Untersuchungen der verschiedenen neurologischen Funktionsbereiche mit den jeweils zu erwartenden Normalbefunden sowie möglichen pathologischen Befunden oder Abweichungen. Die lockere Reihung der einzelnen Abschnitte ist dabei nicht als eine strenge Chronologie zu verstehen, sondern stellt einen Kompromiss aus inhaltlicher Zusammengehörigkeit und praktikabler Abfolge dar. Insb. die hier an die Untersuchung der Vigilanz angeschlossene Beurteilung neuropsychologischer Funktionen wird nicht in vollem Umfang am Anfang jeder neurologischen Untersuchung stehen.

Der Umfang der neurologischen Untersuchung muss an die klinische Fragestellung angepasst werden. Während die orientierende neurologische Untersuchung die standardisierte Erfassung des neurologischen Status und dabei insb. die hinreichend sichere Erfassung des neurologischen Normalzustands zum Ziel hat, dienen leitsymptomorientierte fokussierte neurologische Untersuchungen einer gezielteren differenzialdiagnostischen Einordnung. Im Rahmen des Notfallmanagements steht die standardisierte Abklärung neurologischer Störungen („D“, siehe: Notfallmanagement - Disability) an, wenn entsprechend dem cABCDE-Schema Störungen auf höheren Dringlichkeitsstufen („cABC“) ausgeschlossen wurden; siehe: Orientierende neurologische Notfalluntersuchung.

Spezielle neurologische Untersuchungstechniken, die i.d.R. ausschließlich im Kontext bestimmter Leitsymptome bzw. Erkrankungen verwendet werden, sind in den entsprechenden Kapiteln aufgeführt (siehe bspw.: Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel - Diagnostik oder Myasthenia gravis - Diagnostik).

Für den AMBOSS-Anamnese- und Untersuchungsbogen siehe: Link in Zitation [1]

Die neurologischen Untersuchungstechniken haben nach wie vor eine immense Bedeutung für das klinische Fach, und insb. fortgeschrittene Kolleg:innen entwickeln dabei eigene Abläufe und Standards. Der AMBOSS-Redaktion ist bewusst, dass in diesem Kapitel nicht alle Varianten und Einsatzgebiete dargestellt werden können. Wir möchten vielmehr gerade wegen der herausragenden Bedeutung der Untersuchung eine fundierte und hilfreiche Ressource für Lernende und Wiederholende bieten, auf deren Grundlage die persönliche klinische Praxis auf- und ausgebaut werden kann.

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AMBOSS-Videokurs: Neurologische Untersuchungtoggle arrow icon

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Werkzeugetoggle arrow icon

  • Reflexhammer
    • Hammerförmiges Instrument
    • Insb. zur Reflexprüfung
    • Wird zur Untersuchung locker zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten und der Schwerkraft folgend auf den jeweiligen Reizort fallen gelassen
  • Untersuchungsleuchte
    • Kleine Taschenlampe mit definiertem Lichtkegel
    • Insb. zur Prüfung des Pupillenreflexes
  • Wattestäbchen: U.a. zur Prüfung der Oberflächensensibilität oder zur Reizauslösung auf Schleimhäuten
  • Zwei-Punkt-Diskriminator
    • Sternförmiges Instrument mit in definierten Abständen angebrachten Spitzen, die auf die Haut aufgesetzt werden
    • Zur Prüfung der Zwei-Punkt-Diskrimination
  • Holzspatel: U.a. zur Untersuchung des Mundraums und zur Prüfung bestimmter Primitivreflexe
  • Stimmgabel
    • Instrument zum Erzeugen eines Vibrationsreizes mit definierter Frequenz (64–128 Hz), i.d.R. mit Anzeige der Vibrationsstärke
    • Zur Prüfung der Pallästhesie
  • Frenzel-Brille
    • Brille mit bikonvexen Vergrößerungsgläsern und Lichtquellen zur Beleuchtung der zu untersuchenden Augen
    • Zur Nystagmusbeurteilung (bessere Sichtbarkeit durch Vergrößerung und Aufhebung der Fixation ) und zur besseren Sichtbarkeit der Augenbewegungen allgemein

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Vigilanz und höhere Hirnleistungentoggle arrow icon

Generelles zur Testung höherer Hirnleistungen

  • Überschneidet sich teilweise mit Erhebung des psychopathologischen Befundes und der Untersuchung anderer neurologischer Funktionsbereiche
  • Voraussetzung: Ausreichende Wachheit (Vigilanz)
  • Bildungsstand, Herkunft und Muttersprache berücksichtigen, da ansonsten die Gefahr besteht, kognitive Defizite zu übersehen oder zu überdiagnostizieren

Vor der Durchführung neuropsychologischer Testungen sollten möglichst der Bildungsstand, die Herkunft und die Muttersprache der zu untersuchenden Person in Erfahrung gebracht werden!

Beurteilung des quantitativen Bewusstseins

  • Quantitatives Bewusstsein

Vigilanzprüfung

Beurteilung des qualitativen Bewusstseins

Orientierungsprüfung

  • Allgemeines: I.d.R. Testung der Orientierung zu Zeit, Ort, Situation und eigener Person
  • Durchführung: Unterschiedliche Qualitäten nacheinander abfragen
    • Zeit: „Welches Jahr haben wir?“, „In welcher Jahreszeit/welchem Monat befinden wir uns?“
    • Ort: „An welchem Ort befinden wir uns gerade?“, „In welchem Bundesland sind wir?“
    • Situation: „Wissen Sie, warum wir gerade hier sind?“, „Verstehen Sie, was ich gerade mache?“
    • Person: „Können Sie mir Ihren Namen und Ihren Geburtstag sagen?“
  • Normalbefund: Alle Fragen können rasch korrekt beantwortet werden, voll orientiert zu allen Qualitäten
  • Pathologischer Befund: Orientierungsstörung
    • Teildesorientierung zu einer oder mehrerer Qualitäten
    • Globale Desorientiertheit

Prüfung von Aufmerksamkeit und Konzentration

  • Definition von Aufmerksamkeit und Konzentration: Fähigkeit, Bewusstseinsinhalte zu selektieren und sich über einen längeren Zeitraum konzentriert einem Thema oder einer Tätigkeit zuzuwenden
  • Durchführung
    • Spontane Interaktion der zu untersuchenden Person im Gespräch und mit der Umgebung beobachten
    • Von 100 in 3er- oder 7er-Schritten subtrahieren lassen
    • Von 20 rückwärts zählen lassen
    • Aufmerksamkeitsbelastungstest (d2-R, auch: d2-Konzentrationstest)
  • Normalbefund: Keine Ablenkung durch äußere Reize, Aufgaben werden schnell und ohne Zögern erfüllt
  • Pathologische Befunde: Patient:in macht lange Pausen, wirkt abgelenkt, lässt einzelne Zahlenschritte aus oder bricht ab
  • Für weitere Informationen siehe: Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen im AMBOSS-Kapitel Psychopathologischer Befund

Erkennen eines Neglects

  • Definition des Neglects
    • Vernachlässigung oder Nicht-Beachtung einer Raum- oder Körperhälfte, die verschiedene Modalitäten betreffen und durch Fokussierung aufgehoben werden kann
    • Meist als Hemineglect (halbseitiger Neglect) nach Schädigung der rechten, nicht-sprachdominanten Hemisphäre
    • Häufig mit Auslöschungsphänomen
  • Durchführung
    • Voraussetzung: Vor der Untersuchung sicherstellen, dass keine Parese, Sensibilitätsstörung oder Hemianopsie die Untersuchung verfälscht
    • Testung auf visuellen Neglect
      • Spontane Interaktion der zu untersuchenden Person im Gespräch und mit der Umgebung beobachten
      • Ein Bild nachzeichnen lassen
        • Normalbefund: Bild wird vollständig nachgezeichnet
        • Pathologischer Befund: Auf der betroffenen Seite fehlt ein Teil der Zeichnung
      • Testung auf visuelle Auslöschung
    • Testung auf motorischen Neglect
      • Durchführung
        1. Heben Sie den linken Arm“: Patient:in hebt den linken Arm
        2. „Heben Sie den rechten Arm“: Patient:in hebt den rechten Arm
        3. „Heben Sie beide Arme gleichzeitig“
      • Normalbefund: Patient:in hebt beide Arme
      • Pathologischer Befund: Bei Aufforderung, beide Arme zu heben, wird nur der rechte Arm gehoben (motorischer Hemineglect links)
    • Testung auf sensiblen Neglect

Fast immer ist die linke Seite von einem Neglect betroffen, da die Störung meist nach einer Schädigung der rechten nicht-sprachdominanten Großhirnhemisphäre auftritt!

Wahrnehmung

Für Informationen zu illusionären Verkennungen, Halluzinationen und weiteren Wahrnehmungsstörungen siehe: Wahrnehmungsstörungen im AMBOSS-Kapitel Psychopathologischer Befund

Beurteilung der Sprache

Die Beurteilung der Sprache berücksichtigt die Sprachproduktion, das Sprachverständnis und die zentrale Kompetenz der Sprache. Eine klare Abgrenzung dieser drei Aspekte voneinander ist nicht möglich, da sie sich gegenseitig beeinflussen. Man sollte sich daher immer mit einer Testung aller Teilaspekte einen Gesamtüberblick verschaffen. Gleichzeitig ist die Testung der Sprache aus praktischen Gesichtspunkten eng verknüpft mit der Testung des Sprechens, siehe: Untersuchung des Sprechens.

Vor Beurteilung der Sprache sind die Muttersprache und mögliche mangelnde Sprachkenntnisse sowie Störungen des Hörvermögens zu eruieren!

Redefluss

  • Durchführung: Tempo und Melodie der Sprachproduktion sowie Wortfindung/Wortwahl und Grammatik beobachten
  • Normalbefund: Patient:in spricht flüssig und melodisch
  • Pathologische Befunde
    • Störung der motorischen Sprachproduktion, siehe: Dysarthrie
    • Sprachliches Suchverhalten
      • Lange Pausen
      • Perseveration: Krankhaftes Wiederholen gleicher Worte, die unmittelbar zuvor gesagt wurden, aber im weiteren Kontext nicht mehr sinnvoll oder notwendig sind
        • Beispiel: „Dann habe ich eine Gabel… mit der Gabel… die Gabel… mit der Gabel den Kuchen gegessen.“
      • Satzabbrüche
      • Verwendung von Mimik, Gestik, Pantomime statt Wörtern
    • Paraphasien: Wortverwechslungen
      • Phonematische Paraphasie: Erschaffung neuer Wörter, die der Lautfolge nach nicht existieren, dem Ursprungswort aber ähnlich sind (z.B. „Bulme“ statt „Blume“), oder Verwendung existierender Wörter mit ähnlicher Lautfolge, aber deutlich abweichender Bedeutung (z.B. „Maus“ statt „Haus“)
        • Phonematischer Jargon: Phonematische Paraphasien sind in der Alltagssprache so dominant, dass kein sinnvolles Wort zu erkennen ist
      • Semantische Paraphasie: Statt korrekter Wörter werden andere, aber der Bedeutung nach verwandte Wörter verwendet (z.B. „Hund“ statt „Katze“ oder „rollen“ statt „laufen“)
        • Semantischer Jargon: Semantische Paraphasien sind in der Alltagssprache so dominant, dass trotz intakter Lautstruktur das Gesagte keinen Sinn ergibt
    • Neologismen: Wortneuschöpfungen, die im Sprachgebrauch so nicht existieren
      • Beispiele: „Augenhaare“ statt „Wimpern“ (Ursprung erkennbar), „Lalale“ statt „Blume“ (Ursprung entstellt), „Eisflügelpferd“ (völlige Neuschöpfung)
    • Sprachautomatismen: Häufige Verwendung inhaltsleerer Floskeln bis hin zu aneinandergereihten sinnlosen Silben
    • Echolalie: Automatisches Nachsprechen von Gesagtem, ohne dabei auf Inhalt und Sinn zu achten
    • Paragrammatismus: Meist komplexer, aber falscher Satzbau mit abweichender Abfolge von Satzteilen, Satzteilverdopplungen, Satzabbrüchen, fehlerhaften Konjugationen, Deklinationen
      • Beispiel: „Ich habe ja Fußball gerne im Verein Fußbälle gerne gespieltet.“
    • Agrammatismus: Grammatikalisch fehlerhafte Formulierungen (neu aufgetretene Syntaxstörung), kann mit zunehmender Ausprägung von leichten Deklinations- und Konjugationsstörungen bis zu Ein-Wort-Sätzen reichen

Sprachverständnis

  • Durchführung: Patient:in bei der Ausführung von 2- und 3-Schritt-Aufgaben beobachten
    • Mögliche Aufgaben
      • “Falten Sie dieses Blatt in der Mitte, lassen Sie es auf den Boden fallen und heben es wieder auf.“
      • “Fassen Sie mit Ihrer linken Hand an Ihr rechtes Ohr.“
  • Normalbefund: Aufgaben werden korrekt ausgeführt
  • Pathologischer Befund: Gestörtes Sprachverständnis
    • Aufgaben werden gar nicht, nur teilweise oder inkorrekt ausgeführt

Benennen

  • Durchführung: Alltagsgegenstände benennen lassen
    • Mögliche Frage: Bspw. einen Kugelschreiber zeigen: „Was ist das?“
  • Normalbefund: Alle Gegenstände werden korrekt benannt
  • Pathologischer Befund: Benennstörung
    • Gegenstand wird nicht benannt oder es kommt zu Paraphasien

Nachsprechen

  • Durchführung: Einen Satz oder eine Silbenkette nachsprechen lassen
    • Mögliche Aufforderung: Bspw. „Bitte wiederholen Sie, was ich sage: Die Mutter gibt dem kleinen Kind das Glas“, „Kein wenn und oder aber“
  • Normalbefund: Satz oder Silbenkette werden fehlerfrei nachgesprochen
  • Pathologische Befunde: Wörter werden ausgelassen, die Reihenfolge wird geändert oder es kommt zu Artikulationsfehlern

Erworbene Sprachstörungen (Aphasien)

Im Folgenden sind einige der wichtigsten erworbenen Sprachstörungen (Aphasien) aufgelistet, die sich anhand der oben genannten Prüfungen erkennen lassen.

Erworbene Sprachstörungen
Pathologischer Befund Definition Ursache

Motorische oder expressive Aphasie (Broca-Aphasie [2][3])

  • Sprachproduktion: Expressive Sprachstörung mit telegrammartiger, agrammatikalischer Sprache und verzögertem Sprachduktus
  • Sprachverständnis meist intakt
  • Häufig gesteigerte Sprechanstrengung
Sensorische Aphasie (Wernicke-Aphasie)
Globale Aphasie (expressiv-rezeptive Aphasie)
  • Kombination aus expressiver und sensorischer Aphasie
  • Sprachproduktion und Sprachverständnis stark reduziert
  • Läsionen in dem Versorgungsgebiet des Hauptstamms der linken A. cerebri media, sodass die betroffenen Großhirnrindengebiete von den frontalen (Sprachzentren) bis zu den temporoparietalen Sprachregionen (d.h. den motorischen und sensorischen Sprachzentren) reichen
Amnestische Aphasie (anomische Aphasie)
  • Fokale Läsionen
    • Temporaler Kortex
    • Temporoparietaler Kortex
    • Frontaler Kortex
  • Diffuse Läsionen in mehreren Kortexarealen

Transkortikale Aphasie

motorisch
  • Nachsprechen möglich
  • Sprachverständnis erhalten
  • Kaum eigenständige Formulierungen
  • Präzentrale Hirnareale
sensorisch
  • Nachsprechen ohne Sprachverständnis möglich
  • Wenig Spontansprache
  • Kaum Sprachverständnis
  • Postzentrale Hirnareale

Für weitere Informationen zu erworbenen Sprachstörungen und deren Ätiologie, Diagnostik und Therapie siehe: Aphasien - Klinische Anwendung

Prüfung der Exekutivfunktionen

  • Definition der Exekutivfunktionen: Durch Aufmerksamkeitsprozesse vermittelte Aufnahme und Auswahl von Informationen und deren Einsatz in Handlungsprozesse
    • Neuroanatomische Zuordnung
      • Funktionen wurden früher voll umfassend dem Frontalhirn zugerechnet
      • Aktuell eher Annahme eines über das gesamte Gehirn verteilten Netzwerks, in dem das Frontalhirn einen essenziellen Bestandteil bildet → Exakter Rückschluss von einer Störung auf ein betroffenes Areal nicht möglich
    • Bestandteile: Handlungsplanung, Handlungsüberwachung und teilweise auch Funktionen des Arbeitsgedächtnisses
    • Dysexekutive Syndrome: Störungen der Exekutivfunktionen

Im Folgenden ist die Prüfung auf die wichtigsten und mit geringem Aufwand festzustellenden dysexekutiven Syndrome aufgeführt.

Planung und Ausführung willkürlicher zielgerichteter Handlungen

  • Durchführung
    • Alltägliche Bewegungsabläufe durchführen lassen
    • Luria-Test: Eine sich in variabler Länge wiederholende, immer gleiche Abfolge dreier Gesten (Faust zeigen, Handrücken zeigen, Handfläche zeigen) soll imitiert werden
  • Pathologische Befunde: Apraxien = Störungen der Ausführung willkürlicher zielgerichteter Bewegungen trotz intakter motorischer Funktion
    • Ideomotorische Apraxie
      • Vorgeführte Handlungsabläufe können nicht korrekt nachgeahmt werden (z.B. Winken wird nicht reproduziert, stattdessen Kratzen am Ohr)
      • Spontan können die Handlungen dagegen korrekt durchgeführt werden, sodass die Störung im Alltag teilweise nicht bemerkt wird
      • Dabei kommt es zu Perseverationen (ständige Wiederholung eines Bewegungsablaufs)
    • Ideatorische Apraxie
      • Komplexe Handlungsabfolgen können nicht durchgeführt werden; "Idee" für eine Handlungsabfolge fehlt
      • Betroffene haben Schwierigkeiten in alltäglichen Situationen und benutzen Gegenstände auf falsche Weise
    • Visuomotorische Apraxie: Danebengreifen beim Versuch, Gegenstände im kontraläsionalen Gesichtsfeld zu greifen

Modalitätsspezifisches Erkennen

  • Durchführung, z.B.
    • Gezeigte Objekte sowie Objekte nach alleinigem Betasten benennen lassen
    • Bilder berühmter Persönlichkeiten benennen lassen
    • Patient:in auf bestimmte eigene Körperteile zeigen lassen
    • Bewegungen der zu untersuchenden Person im Raum beobachten (z.B. beim Versuch, den Ausgang zu erreichen)
  • Pathologische Befunde: Agnosien = Störungen des modalitätsspezifischen (visuellen, auditiven etc.) Erkennens ohne Vorliegen elementarer Defizite der Sensorik
    • Stereoagnosie (auch Astereognosie oder taktile Agnosie): Unfähigkeit, Gegenstände durch alleiniges Tasten zu erkennen („Tastblindheit“); die visuelle Erkennung ist dabei nicht beeinträchtigt
    • Räumliche Agnosie: Unfähigkeit, sich im Raum zu orientieren
    • Prosopagnosie: Unfähigkeit, bekannte Gesichter zu erkennen; Physiognomie eines bekannten Gesichts wird als fremd empfunden (Gesichtsblindheit)
    • Autotopagnosie: Körperschemastörung; Schwierigkeit, nach Aufforderung Teile des eigenen Körpers zu zeigen

Erkennenkönnen neurologischer Störungen

  • Durchführung: Zu offensichtlichen neurologischen Störungen befragen
  • Pathologischer Befund
    • Anosognosie: Nicht-Erkennenkönnen neurologischer Störungen

Lesefähigkeit

  • Durchführung: Einfachen Text vorlesen lassen
  • Pathologische Befunde
    • Alexie: Nicht-Erkennenkönnen von Buchstaben, Wörtern oder Sätzen; Form der visuellen Agnosie, die ohne Einschränkung des Sehvermögens zum kompletten selektiven Verlust der Lesefähigkeit führt
    • Dyslexie: Teilweiser Verlust der Lesefähigkeit

Fähigkeit zum Umgang mit Zahlen

  • Durchführung: Einfache Rechenaufgabe lösen lassen
  • Pathologische Befunde
    • Akalkulie: Unfähigkeit im Umgang mit Zahlen trotz intakter Intelligenz
    • Dyskalkulie: Teilweiser Verlust der Fähigkeit zum Umgang mit Zahlen

Schreibprobe (Schriftprobe)

  • Hinweis: Testet nicht nur die höhere Hirnleistung der Produktion geschriebener Sprache, sondern dient auch als Schriftprobe
  • Durchführung: Einfachen Text schreiben lassen
  • Pathologische Befunde
    • Agrafie: Unfähigkeit zu schreiben trotz intakter Motorik und Intelligenz
    • Dysgrafie: Teilweiser Verlust der Fähigkeit zu schreiben
    • Mikrografie: Stetig, mit der Schreibrichtung immer kleiner werdende Handschrift , bspw. bei Morbus Parkinson

Prüfung der Gedächtnisfunktionen

  • Definition des Gedächtnisses: Ermöglicht das Speichern von Informationen und Wahrnehmungen
  • Gedächtnisstörungen
    • Untersuchung und Einteilung anhand
      • Betroffener Gedächtnisfunktion
      • Ihrer zeitlichen Ausprägung
      • Ggf. auslösender Faktoren
    • Ausprägungsformen
      • Anterograde Amnesie: Erinnerungslosigkeit für die Zeit nach einem Ereignis oder generelle Störung der Neugedächtnisbildung
      • Retrograde Amnesie: Erinnerungslosigkeit für die Zeit vor einem Ereignis oder Altgedächtnisstörung
      • Globale Amnesie: Erinnerungslosigkeit für die Zeit vor (retrograd) und nach einem Ereignis (anterograd)
      • Zeitgitterstörung (Ekmnesie): Zeitlich falsche Zuordnung von Gedächtnisinhalten
      • Katathyme Amnesie: Gedächtnisstörung aufgrund unbewusster innerpsychischer Vorgänge, bei der Betroffene einzelne Gedächtnisinhalte vergessen
      • Dissoziative Amnesie: Durch ein traumatisches Ereignis ausgelöster Erinnerungsverlust bzgl. belastender Informationen oder Ereignisse

Für weitere Informationen zu den Gedächtnisformen und den beteiligten anatomischen Strukturen siehe: Limbisches System und Gedächtnis; für die Abklärung eines demenziellen Syndroms siehe: Demenz - Diagnostik

Arbeitsgedächtnis

  • Durchführung: Von 100 in 1er-, 3er- oder 7er-Schritten subtrahieren lassen
  • Normalbefund: Subtraktion erfolgt rasch und ohne langes Zögern; Arbeitsgedächtnis ist intakt
  • Pathologische Befunde
    • Abbruch der Aufgabe
    • Abbruch der Aufgabe ohne Erinnerung an die Aufgabenstellung

Kurzzeitgedächtnis

  • Durchführung: Zahlenabfolge wiederholen lassen und so lange verlängern, bis sie nicht mehr korrekt wiedergeben werden kann
    • Bspw. „Wiederholen Sie die Zahlenabfolge: 1-4“ (4-6-3; 2-6-3-8 usw.)
  • Normalbefund: Zahlenabfolge wird korrekt wiedergegeben
  • Pathologische Befunde
    • Zahlenabfolge kann nicht wiedergegeben werden
    • Es kann nur eine kurze Zahlenabfolge wiedergegeben werden

Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis

  • Durchführung: Namen dreier Objekte merken und direkt wiedergeben lassen; nach 5–10 Min. erneut um Wiedergabe bitten
    • Bspw. „Merken Sie sich die Begriffe: Ball – Schlüssel – Apfel.“
  • Normalbefund: Alle 3 Begriffe werden sofort und nach 5–10 Min. korrekt wiedergegeben
  • Pathologische Befunde
    • Alle 3 Begriffe können unmittelbar nicht korrekt wiedergegeben werden → Störung des Kurzzeitgedächtnisses
    • Die 3 Begriffe werden nach 5–10 Min. unvollständig oder gar nicht wiedergegeben → Störung des Langzeitgedächtnisses
  • Hinweis: Diesen einfachen Tests werden vereinfachte, klinisch-praktisch relevante Definitionen von Kurz- und Langzeitgedächtnis zugrunde gelegt, die von den in der kognitiven Neurowissenschaft verwendeten Definitionen u.U. abweichen

Autobiografisches Gedächtnis

  • Definition des autobiografischen Gedächtnisses: Teil des Gedächtnisses, der autobiografische Erinnerungen, die für das Individuum von großer Bedeutung sind, dauerhaft speichert und dadurch die Identität der Person bildet
  • Durchführung: Biografische Meilensteine (Schulzeit, Beruf etc.) abfragen
    • Mögliche Fragen: „Wo sind Sie zur Schule gegangen?“; „Welchen Beruf haben Sie ausgeübt?“
  • Normalbefund: Biografische Daten können erinnert und korrekt wiedergegeben werden
  • Pathologische Befunde

Episodisches Gedächtnis

  • Durchführung: Persönliche Erlebnisse abfragen
    • Mögliche Frage: „Was haben Sie letztes Wochenende gemacht?“
  • Normalbefund: Persönliche Erlebnisse können korrekt wiedergegeben werden
  • Pathologische Befunde
    • Persönliche Erlebnisse können nicht erinnert werden
    • Konfabulation

Semantisches Gedächtnis

  • Durchführung: Faktenwissen abfragen
    • Mögliche Frage: „Wer ist zur Zeit Bundeskanzler:in?“
  • Normalbefund: Faktenwissen wird korrekt wiedergegeben
  • Pathologische Befunde
    • Faktenwissen kann nur teilweise oder nicht erinnert werden
    • Konfabulation

Zwischen Gedächtnisstörungen und exekutiven Funktionsstörungen bestehen einige phänomenologische Überschneidungen. So kann z.B. die klinische Unterscheidung einer Agnosie von einer semantischen Gedächtnisstörung im Einzelfall schwierig sein. Zur genauen Differenzierung höherer Hirnleistungsstörungen ist daher immer eine ausführliche und standardisierte neuropsychologische Funktionstestung zu empfehlen!

Mini-Mental-Status-Test

  • Anwendung: Standardisierter Kurztest zur Erst- und Verlaufsbeurteilung verschiedener kognitiver Fähigkeiten , z.B.
    • Orientierung
    • Aufmerksamkeit
    • Auffassung
    • Einige Exekutiv- und Gedächtnisfunktionen
  • Für mehr Informationen siehe: Mini-Mental-Status-Test
  • Für den Testbogen siehe: Link in Zitation [4]
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Untersuchung der Kopf-/Halsregiontoggle arrow icon

Aus pragmatischen Gründen orientiert sich die Untersuchung der neurologischen Funktionen in der Kopf- und Halsregion traditionell grob an der Reihung der Hirnnerven und wird meist als ein Abschnitt aufgefasst (ugs. „Hirnnervenstatus“). Die Untersuchungen in dieser Region gehen allerdings über die Testung der reinen Hirnnervenfunktionen hinaus und umfassen Elemente aus allen neurologischen Funktionsdomänen (Motorik, Reflexe, Sensorik/Sensibilität, Koordination), welche die Kopf- und Halsregion betreffen. Für die Funktionsprüfung des Geruchs- und Geschmackssinns existieren standardisierte Tests als Teil der speziellen HNO-Funktionsdiagnostik.

AMBOSS-Video-Tutorial zur Untersuchung von Kopf und Hirnnerven:

Kurzübersicht zur Untersuchung der Hirnnerven
Hirnnerv Was wird geprüft? Wie wird geprüft?
N. olfactorius I Prüfung des Geruchssinns
  • Im Rahmen der klinisch-neurologischen Untersuchung i.d.R. anamnestisches Erfragen
  • Alternativ: Überprüfung durch Riechen eines aromatischen Stoffes (z.B. Kaffee)
N. opticus II Einfache Visusprüfung
  • Gegenstand/Schrift in bestimmter Entfernung erkennen lassen
Fingerperimetrische Gesichtsfeldprüfung
  • Finger von allen Seiten dem Gesichtsfeld der zu untersuchenden Person annähern
Prüfung der Pupillomotorik
Ggf. Beurteilung der Papille
  • Spiegelung des Augenhintergrundes mit einem Ophthalmoskop (bspw. zum Nachweis einer Abblassung der Papille bei Optikusatrophie )
Nn. oculomotorius, trochlearis und abducens III, IV, VI Prüfung der Augenbeweglichkeit
  • Augenbewegungen: Blick dem Finger folgen lassen nach oben, unten, zur Seite, in der Diagonale
  • Konvergenzreaktion: Finger auf die zu untersuchende Person zubewegen
Prüfung von Lidhebung und Lidschluss
  • Augen öffnen und schließen lassen
N. trigeminus V Sensibilitätsprüfung
  • Bestreichen unterschiedlicher Gesichtsregionen
  • Palpation der Nervenaustrittspunkte
Prüfung der Motorik der Kaumuskulatur
  • Mund öffnen und schließen lassen, gleichzeitige Palpation der Masseteren
Reflexprüfungen
  • Masseterreflex: Finger auf das Kinn der zu untersuchenden Person legen, deren Mund leicht geöffnet sein sollte; durch das Beklopfen des Fingers mit dem Reflexhammer eine Kieferschlussbewegung induzieren
  • Kornealreflex: Wattebausch vom Lidrand an die Kornea heranführen → Bei Berührung der Kornea erfolgt ein Lidschluss
N. facialis VII Prüfung der Motorik der mimischen Muskulatur
  • Patient:in auffordern, Stirn zu runzeln, Augen zuzukneifen, Nase zu rümpfen, Wangen aufzublasen, Zähne zu zeigen, zu pfeifen
Prüfung der Geschmacksempfindung
  • Prüfung der Qualitäten süß, salzig und sauer mittels verschiedener Geschmacksstoffe
N. vestibulocochlearis VIII Hörprüfung
Prüfung des vestibulo-okulären Reflexes
  • Kopfimpulstest
    • Kopf wird in der Horizontalen passiv ruckartig um etwa 20° gedreht, während die Nase der untersuchenden Person fixiert wird
    • Alternativ: Der um 20° gedrehte Kopf wird passiv ruckartig in die Mittelstellung zurückbewegt (invertierte Testung)
    • Normalbefund: Blick bleibt während und nach der passiven Drehbewegung ohne erkennbare Abweichung auf dem zentralen Zielpunkt
Nn. glossopharyngeus und vagus IX, X Prüfung der Schluckmotorik
  • Palpation des Kehlkopfs während eines bewussten Schluckakts
  • Inspektion von Uvula und Gaumensegel
    • Bei Störung der Innervation: Abweichung des Gaumensegels zur gesunden Seite
  • Würgereflexprüfung: Holzspatel/langen Wattebausch kurz und vorsichtig Richtung Uvula führen
Nur IX: Prüfung der Geschmacksempfindung
  • Orale Gabe eines Bitterstoffes
    • Bei Störung der Innervation: Keine Geschmacksempfindung
Nur X (N. laryngeus recurrens): Stimmprüfung
N. accessorius XI Prüfung der Motorik von M. trapezius und M. sternocleidomastoideus
N. hypoglossus XII Untersuchung der Zungenmotorik
  • Zunge herausstrecken lassen
    • Bei Störung der Innervation: Abweichen der Zunge zur kranken Seite durch ein Überwiegen der Muskulatur der gesunden Seite
  • Zunge von innen in die Wange drücken lassen und Kraftprüfung von außen

Siehe auch: Hirnnerven-Syndrome, Mediathek: Untersuchungsvideos

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Visus, Pupillo- und Okulomotoriktoggle arrow icon

Einfache Visusprüfung

  • Ziel: Feststellung eines mind. ausreichenden Visus, um andere, sich auf den Sehsinn stützende Untersuchungen bewerten zu können
  • Durchführung: Seitengetrennte Prüfung, ggf. mit gewohnter Sehhilfe
    • Patient:in mit jeweils einem abgedeckten Auge eine Leseprobe (Zeitung, Zeitschrift, Bildschirm) vorlesen lassen
    • Gelingt dies nicht: In mehreren Durchgängen unterschiedliche viele Finger präsentieren, deren Anzahl korrekt benannt werden soll
    • Gelingt auch dies nicht: Erkennen mit den Händen erzeugter Schatten in beiden Gesichtsfeldern prüfen
    • Alternativ: Visusprüfung mittels Sehprobentafeln (z.B. mit Landolt-Ringen) in standardisierter Entfernung
  • Pathologische Befunde: Vorlesen gelingt nicht oder nicht fehlerfrei bzw. Anzahl vorgehaltener Finger wird nicht korrekt erkannt bzw. Schatten werden nicht erkannt
  • Hinweis: Untersuchung lässt das Erkennen eines ausreichenden Visus zu, ferner eine grobe Graduierung einer mono- oder binokularen Visusstörung bis zur Blindheit, allerdings keine genauere Zuordnung der Ursache

Die einfache Visusprüfung kann und soll eine exakte (optometrische) Messung des Visus nicht ersetzen!

Fingerperimetrische Gesichtsfeldprüfung

  • Ziel: Insb. schnelles Erkennen von retro-orbitalen (Sehnerv) und retro-chiasmalen Sehstörungen (Sehbahn) mittels Fingerperimetrie, ggf. in Ergänzung mit standardisierter kinetischer Perimetrie
  • Durchführung
    • Seitengetrennte Prüfung
      1. Gegenüber der zu untersuchenden Person mittig und auf Augenhöhe positionieren („Nase auf Nase“)
      2. Eigenes Auge abdecken, Patient:in macht es beim gegenüberliegenden Auge genauso; nun jeweils das offene Auge des Gegenübers fixieren
      3. In dieser Position einen gut erkennbaren Gegenstand (oder den erhobenen Zeigefinger) von außen in die einzelnen Quadranten der monokularen Gesichtsfelder führen
      4. Patient:in signalisiert verbal, ab wann der Gegenstand gesehen wird
      5. Den Gegenstand jeweils auch in die Mitte beider Gesichtsfelder führen und erfragen, ob er weiterhin sichtbar bleibt
    • Gleichzeitige Prüfung beider Gesichtsfelder
      1. Gegenüber der zu untersuchenden Person mittig und auf etwa gleicher Augenhöhe positionieren, Patient:in fixiert Nase des Gegenübers
      2. Einen gut erkennbaren Gegenstand (oder erhobenen Zeigefinger) in der Ebene zwischen Untersucher:in und Patient:in jeweils von seitlich in das kombinierte, binokulare Gesichtsfeld führen
  • Normalbefund: Patient:in erkennt den Gegenstand an derselben Stelle wie die untersuchende Person (in seitengetrennter Prüfung) bzw. in allen Gesichtsfeldhälften und -quadranten ohne Einengung der Außengrenzen
  • Pathologische Befunde: Gesichtsfelddefekte, insb.

Testung auf visuelle Auslöschung

  • Ziel: Erkennen eines möglichen Auslöschungsphänomens im Rahmen eines visuellen Neglects (visuelle Aufmerksamkeitsstörung)
    • Primäres visuelles Systems ist dabei erhalten
    • Tritt auf bei supratentorieller, meist parietaler kortikaler Schädigung
  • Durchführung: Erweiterung der o.g. fingerperimetrischen Gesichtsfeldprüfung um eine Prüfung mit beidseits geöffneten Augen
    • Beide Hände in den temporalen Gesichtsfeldern beider Augen der zu untersuchenden Person präsentieren
    • In mehreren Durchgängen jeweils eine und dann beide Hände bewegen
    • Patient:in signalisiert verbal, auf welcher Seite eine Handbewegung wahrgenommen wird
  • Normalbefund: Handbewegungen werden einseitig und beidseitig korrekt erkannt
  • Pathologischer Befund: Insb. bei visuellem Hemineglect = einseitige Handbewegungen werden erkannt , beidseitige Handbewegungen werden nur einseitig auf der nicht vom visuellen Neglect betroffenen Seite wahrgenommen
  • Hinweis: Nur zu bewerten bei mind. ausreichend erhaltenem Visus und ausgeschlossenem Gesichtsfelddefekt

Prüfung der Pupillomotorik

Inspektion der Pupillen

  • Ziel: Erkennen einer Asymmetrie der Pupillengröße und -form
  • Normalbefund: Seitengleiche runde Form und bei normalem Tageslicht oder Raumbeleuchtung jeweils mittelgroßer Durchmesser, dessen Seitendifferenz max. 1 mm betragen darf
  • Pathologische Befunde: Immer in Zusammenschau mit anderen Befunden
    • Mydriasis trotz hellen Umgebungslichts, z.B. bei sympathikotoner Intoxikation (dann beidseitig) oder iatrogen („weitgetropft“)
    • Miosis trotz dunklen Umgebungslichts, z.B. bei parasympathikotoner Intoxikation (dann beidseitig) oder einseitig im Rahmen eines Horner-Syndroms
    • Anisokorie: Seitendifferenz der Pupillendurchmesser >1 mm
    • Entrundete Pupille: Verlust der runden Pupillenkontur
      • In Kombination mit (maximal) weitgestellter Pupille und/oder bei gleichzeitigem Vorhandensein weiterer Hirndrucksymptome als dringendes Warnsignal zu werten
      • Möglich als Folge zurückliegender augenärztlicher Eingriffe an der Iris

Eine isolierte Anisokorie ohne weitere Auffälligkeiten und insb. ohne Bewusstseinsstörung ist in aller Regel kein Grund zur Sorge. Eine Anisokorie ist nicht selten Folge augenärztlicher Eingriffe (z.B. nach Linsenersatz), nach denen deshalb immer gefragt werden sollte!

Lichtreaktionsprüfung (Pupillenreflex)

Eine gestörte Lichtreaktion ist (insb. bei gleichzeitiger Bewusstseinsstörung) ein wichtiges Hirndruckzeichen! Ein erhöhter intrakranieller Druck wirkt sich über eine Kompression der parasympathischen Anteile des N. oculomotorius (Ganglion ciliare) gegen die Klivuskante direkt auf die Pupillenfunktion aus.

Prüfung der Okulomotorik

Anhand der Untersuchung der Okulomotorik lassen sich Informationen über mehrere komplexe Funktionssysteme gewinnen. Aus neurologischer Sicht sind v.a. die neu aufgetretenen Okulomotorikstörungen (Lähmungsschielen und supranukleäre Okulomotorikstörungen) von Bedeutung. Für die spezielle, systematische klinische Untersuchung und Beurteilung von Nystagmen, insb. in Kombination mit der Beschwerde Schwindel, siehe: Nystagmusbeurteilung.

Inspektion der Bulbusstellung

Chronische Abweichungen von der normalen Blickposition sind meist nicht-neurogenen Ursprungs und gehen i.d.R. nicht (mehr) mit Wahrnehmung von Doppelbildern einher. Bei Auffälligkeiten sollte daher immer nach einem bekanntem Strabismus gefragt werden!

Prüfung der Augenbeweglichkeit

Die Begriffe „Augenbeweglichkeit“ oder „okuläre Motilität“ meinen hier die Fähigkeit der Augen, einem Blickziel grundsätzlich in eine bestimmte Richtung oder Position folgen zu können. In Abgrenzung davon ist die zerebellär vermittelte Fähigkeit, einem sich bewegenden Ziel kontinuierlich und unterbrechungsfrei zu folgen, hier noch nicht gemeint.

  • Ziel: Erkennen von Störungen okulomotorischer Hirnnerven und übergeordneter okulomotorischer Zentren
  • Durchführung
    1. Patient:in instruieren, einem visuellen Ziel mit beiden Augen zu folgen, ohne dabei den Kopf zu bewegen, das Auftreten evtl. Doppelbilder zu signalisieren und diese zu beschreiben
    2. Ein visuelles Ziel (gut erkennbaren Gegenstand oder erhobenen Zeigefinger) in der Horizontalen, der Vertikalen und den Diagonalen bewegen
      • Während der Bewegung auf das Auftreten eines blickrichtungsabhängigen Nystagmus achten
    3. Den Kopf der zu untersuchenden Person zu beiden Seiten neigen und nach Auftreten, Verstärkung oder Abschwächung von Doppelbildern und ggf. nach deren Versatz fragen
  • Normalbefunde
  • Pathologische Befunde , u.a.
  • Hinweis: Nur zu bewerten bei mind. ausreichend erhaltenem Visus und erhaltenem zentralen Gesichtsfeld

Einfacher Abdecktest

  • Ziele
  • Durchführung
    • Patient:in in der Neutralposition die Nase der untersuchenden Person fixieren lassen, im mehrfachen Wechsel jeweils ein Auge abdecken und evtl. auftretende Korrekturbewegungen eines Auges (Refixationssakkaden) nach dem Aufdecken beobachten
    • Bei Angabe von Doppelbildern in einer bestimmten Blickposition: In der betreffenden Blickposition jeweils ein Auge abdecken und erfragen, ob die Doppelbilder verschwinden, sowie (wenn ja), welches der beiden Bilder
  • Normalbefund: Keine Angabe von Doppelbildern, keine Refixationssakkaden
  • Pathologische Befunde
    • Beim Abdecken verschwindende Doppelbilder bei allen (teil‑)kompensierten Abweichungen der Blickachsen möglich
    • Persistierende Doppelbilder trotz Abdeckens bei funktioneller/psychogener Störung

Beurteilung der Blickfolge

Der grundsätzlich mehrdeutige Begriff „Blickfolge“ meint hier die zerebellär vermittelte Fähigkeit der Augen, einem sich bewegenden Ziel kontinuierlich und unterbrechungsfrei zu folgen, was durch den englischen Begriff „smooth pursuit“ besser zum Ausdruck kommt. Es handelt sich also um einen Teilbereich der Koordination. In Abgrenzung davon ist die (voraussetzende) Fähigkeit, einem Blickziel grundsätzlich in eine bestimmte Richtung oder Position folgen zu können (okuläre Motilität), hier nicht gemeint.

  • Ziel: Beurteilung der zerebellär vermittelten Augenbewegungkoordination
  • Durchführung
    1. Patient:in instruieren, einem visuellen Ziel mit beiden Augen zu folgen, ohne dabei den Kopf zu bewegen
    2. Ein visuelles Ziel (gut erkennbaren Gegenstand oder erhobenen Zeigefinger) zunächst in der Horizontalen in einer kontinuierlichen Bewegung hin- und herbewegen, wobei an den Wendepunkten keine Unterbrechungen auftreten dürfen und die Geschwindigkeit langsam-stetig variiert
    3. Wiederholung der Untersuchung in den vertikalen Blickrichtungen
  • Normalbefund: Glatte Folgebewegung, d.h. ohne ruckartige Unterbrechungen oder Nachhängen in allen vorgegebenen Geschwindigkeiten
  • Pathologischer Befund: Sakkadierte Blickfolge = konjugierte Folgebewegung der Augen mit (unterschiedlich grob) ruckartigen Unterbrechungen bzw. erkennbaren Einzelsakkaden
    • Sakkadiert in alle Richtungen: Hinweis auf panzerebelläre Störung oder Störung des Vestibulocerebellums, z.B. bei Degeneration , kommt auch unter Substanzeinfluss oder als Medikamentennebenwirkung vor
    • Sakkadiert in eine (horizontale) Richtung: Hinweis auf fokale zerebelläre Pathologie

Prüfung der Konvergenzreaktion

  • Definition der Konvergenzreaktion
    • Über den N. oculomotorius vermittelte reflektorische Adduktionsbewegung beider Augen in Kombination mit beidseitiger Pupillenverengung und Linsenakkommodation bei Fixation naher Objekte
    • Reflexbogen über supranukleäre Strukturen, kein Hirnstammreflex
  • Ziele
    • Funktionsprüfung mesenzephaler Anteile des okulomotorischen System
    • Ggf. genauere Zuordnung anderer Pupillo- und Okulomotorikstörungen
  • Durchführung: Patient:in bitten, ein von vorn auf die Nasenspitze hin bewegtes Objekt zu fixieren
  • Normalbefund: Adduktion beider Augen und bds. Pupillenverengung bei Näherung des visuellen Ziels
  • Pathologischer Befund: Ausfall der Konvergenzreaktion
    • Fehlende bds. Adduktion und/oder Pupillenverengung
    • Kann auf mesenzephale Pathologie deuten, kommt aber auch bei Gesunden vor

Beurteilung der Willkürsakkaden

  • Definition der Sakkaden: Schnelle, konjugierte Blicksprünge von einem Fixationspunkt zum anderen, die sowohl willkürlich als auch unwillkürlich generiert werden
  • Ziel: Beurteilung der zerebellär vermittelten Augenbewegungskoordination und der Funktion okulomotorischer Zentren in Hirnstamm und Kortex
  • Durchführung
    • Patient:in bitten, auf Kommando jeweils abwechselnd die auf Augenhöhe in etwa 20 cm Entfernung und 1 m Abstand zueinander gehaltenen Zeigefinger der untersuchenden Person zu fixieren, zunächst in der Horizontalen, dann in der Vertikalen
    • Zielgenauigkeit/Metrik und Geschwindigkeit der Sakkaden beurteilen
  • Normalbefund: Bulbi bewegen sich mit minimaler Latenz auf das Kommando schnell, konjugiert und zielgenau, um den Zeigefinger zu fixieren (schnelle und metrische Sakkaden)
  • Pathologische Befunde
    • Dysmetrische Sakkaden (hyper- oder hypometrisch) mit erkennbarer Rück- oder Nachstellbewegung
    • Verlangsamte Sakkaden
      • Isoliert die Vertikale betreffend: Typisches Zeichen einer progressiven supranukleären Blickparese (PSP) im Frühstadium
      • In allen Richtungen: Bspw. bei progressiver supranukleärer Blickparese (PSP) im späteren Stadium oder anderen neurodegenerativen Erkrankungen
    • Diskonjugierte Augenbewegungen: Bewegung der Bulbi erfolgt nicht konjugiert, z.B. bei (inkompletter) internukleärer Ophthalmoplegie

Prüfung des vestibulo-okulären Reflexes

  • Ziele
    • Beurteilung der Hirnstammfunktion (insb. bei Bewusstseinsstörungen) und Erkennen einer möglichen Afferenzstörung
    • Beurteilung der Überwindbarkeit einer Okulomotorikstörung durch Auslösen des vestibulo-okulären Reflexes zur Unterscheidung zwischen supranukleären und nukleären (infratentoriellen) Schädigungen
  • Durchführung: Auslösen des vestibulo-okulären Reflexes mittels Kopfimpulstest
    • Bei Wachheit: Patient:in bitten, bei leicht inkliniertem Kopf die Nase der untersuchenden Person zu fixieren , Kopf dann passiv ruckartig um ca. 20° zu beiden Seiten drehen (zentrifugal); alternativ kann der Kopf aus jeweils 20° gedrehter Position ruckartig in die Nullposition bewegt werden (zentripetal)
    • Bei fehlender Wachheit: Bei passiv gehobenen Lidern den Kopf ruckartig um ca. 20° nacheinander zu beiden Seiten drehen
  • Normalbefund (veraltet: „Puppenkopfphänomen“)
    • Bei Wachheit: Blick bleibt während und nach der passiven Drehbewegung ohne erkennbare Abweichung auf dem zentralen Zielpunkt
    • Bei fehlender Wachheit: Eine mit minimaler Latenz einsetzende (ggf. leicht verlangsamte) und zur Kopfdrehung gegenläufige Blickbewegung sorgt für die Beibehaltung der ursprünglichen Blickrichtung
  • Pathologischer Befund
    • Bei Wachheit: Blick weicht mit der passiven Kopfdrehung vom zentralen Zielpunkt ab und wird nach Ende der Bewegung auf den Zielpunkt zurückgestellt (Korrektursakkade)
    • Bei fehlender Wachheit: Blick weicht mit der passiven Kopfdrehung ab, Blickrichtung verändert sich in Relation zum Kopf nicht („Blick bleibt starr“ )
  • Hinweis: Beispiele für supranukleäre Okulomotorikstörungen, die sich durch das Auslösen des vestibulo-okulären Reflexes überwinden und damit von Hirnstammläsionen unterscheiden lassen
    • Kortikal bedingte konjugierte horizontale Blickdeviation oder -parese , z.B. im Rahmen von Schlaganfällen („Herdblick“)
    • Vertikale Sakkadenverlangsamung oder Blickparese bei progressiver supranukleärer Blickparese (PSP) oder Parinaud-Syndrom

Die Prüfung des vestibulo-okulären Reflexes ist in der Horizontalebene standardisiert und gut reproduzierbar. Grundsätzlich ist die Reflexprüfung aber auch in anderen Bewegungsrichtungen in analoger Weise möglich (im Liegen allerdings nicht in der Vertikalebene)!

Der Begriff „Puppenkopfphänomen“ ist in der Literatur weiterhin verbreitet, sollte aber in der klinischen Kommunikation und Dokumentation nicht verwendet werden, weil nicht einheitlich definiert ist, ob damit der unauffällige oder der erloschene vestibulo-okuläre Reflex gemeint ist!

Prüfung der Fixationssuppression des vestibulo-okulären Reflexes

  • Ziel: Beurteilung der zentral(-vestibulär) vermittelten aktiven Unterdrückbarkeit des vestibulo-okulären Reflexes durch willkürliche Fixation eines sich mit dem Kopf bewegenden Blickziels
  • Durchführung
    1. Patient:in bitten, den Kopf leicht zu inklinieren, die Arme vor der Brust auszustrecken, die Hände zu falten und einen Daumen auszustrecken
    2. Patient:in instruierten, die ausgestreckten Daumen der eigenen Hände zu fixieren sowie Oberkörper, Kopf/Hals und ausgestreckte Arme nicht mehr zu bewegen
    3. Den Oberkörper der zu untersuchenden Person in mittlerer Geschwindigkeit nacheinander mehrmals in beide Richtungen drehen und dabei die Stabilität des Blicks auf die ausgestreckten Daumen beobachten
  • Normalbefund (intakte Fixationssuppression): Während der Drehung verharrt der Blick starr in Relation zum Kopf und auf dem sich mitbewegenden Daumen
  • Pathologischer Befund (gestörte/aufgehobene Fixationssuppression des vestibulo-okulären Reflexes): Repetitive Korrektursakkaden auf den Zielpunkt während der Drehung als Zeichen für einen nicht-unterdrückten vestibulo-okulären Reflex

Fixationssuppression“ (= Unterdrückung durch Fixation) ist begrifflich nicht zu verwechseln mit „Unterdrückung der Fixation“ (z.B. durch eine Frenzel-Brille)!

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Motorik und Sensibilität, basale Hirnnerven, Sprechentoggle arrow icon

Untersuchung der Motorik (Gesicht, Hals)

Masseterreflexprüfung

Untersuchung der Sensibilität (Gesicht, Kopf, Hals)

Eine lateralisierte Sensibilitätsstörung kann auch im Gesicht nicht streng medial begrenzt sein, da wie am gesamten Körper eine seitenüberlappende Innervation existiert. Eine streng mediane Begrenzung kann im Rahmen psychogener funktioneller Störungen vorkommen!

Kornealreflexprüfung

  • Definition des Kornealreflexes: Hirnstammreflex zwischen taktiler Afferenz über den N. trigeminus und motorischer Efferenz über den N. facialis, sorgt als ein Lidschlussreflex für den Schutz der Hornhaut
  • Ziel: Beurteilung der Hirnstammfunktion (insb. bei Bewusstseinsstörungen), Bestätigung/Abgrenzung möglicher Afferenz- oder Efferenzstörungen
  • Durchführung im direkten Seitenvergleich: Berührung der Kornea mit einem weichen, atraumatischen Gegenstand von seitlich, während die zu untersuchende Person in die entgegengesetzte Richtung blickt
  • Normalbefund: Sofortiger beidseitiger Lidschluss nach Berührung der Kornea
  • Pathologische Befunde: Ausbleibender bzw. im Seitenvergleich deutlich verlangsamter oder unvollständiger Lidschluss nach Berührung der Kornea
    • Einseitige Störung des Lidschlusses unabhängig von der Seite der Testung: Ipsilaterale periphere Fazialisläsion
    • Beideitige Störung des Lidschlusses nur bei Testung einer Seite: Trigeminusläsion (R. ophthalmicus) auf Seite der Testung
    • Beidseitiger Ausfall des Lidschlusses unabhängig von der Seite der Testung: Hinweis auf Funktionsstörung des Hirnstamms

Der Kornealreflex kann nur bei einem Teil Menschen auch durch Berührung der Sklera ausgelöst werden. Es ist daher wichtig, unbedingt die Kornea zu berühren, um fälschlich pathologische Befunde zu vermeiden!

Einfache Gehörprüfung

  • Ziel: Schnelle Erkennung ausgeprägter Hörstörungen und grober Seitenunterschiede
  • Durchführung: Daumen und Zeigefinger aneinanderreiben in seitengleichem Abstand zu den Ohren der zu untersuchenden Person, sowohl seitengetrennt als auch gleichzeitig
    • Fragen: „Hören Sie ein Geräusch?“ bzw. „Nehmen Sie das Geräusch auf einer Seite leiser (oder lauter) wahr?“
  • Normalbefund: Seitengleiche Wahrnehmung des Reibegeräusches
  • Pathologische Befunde

Die einfache Gehörprüfung kann und soll eine standardisierte Audiometrie nicht ersetzen!

Untersuchung der Rachenmotorik

  • Allgemeines
  • Ziel: Orientierende Beurteilung des Schluckakts, der Phonation und Bewegung des Gaumensegels
  • Durchführung: Patient:in zu Schluckstörungen, vermehrtem Husten oder Regurgitation befragen und bitten
    • Auf Aufforderung zu schlucken; dabei Hebung und Senkung des Kehlkopfs beidseits von außen palpieren
    • Bei weit geöffnetem Mund einen langen „Ah“-Laut laut zu phonieren; dabei die Zunge mit einem Holzspatel herunterdrücken und die Bewegung des Gaumensegels inspizieren
  • Normalbefunde
    • Kräftiger Schluckakt ohne Latenz nach Aufforderung und ohne palpierbare Seitendifferenz
    • Seitengleiche Hebung des Gaumensegels bei „Ah“-Phonation
  • Pathologische Befunde
  • Hinweis: Zur exakten Beurteilung des Schluckackts dient die Rachenendoskopie mittels starrem Endoskop oder die flexible endoskopische Evaluation des Schluckens (FEES)

Würgereflexprüfung

  • Ziel: Funktionsbeurteilung der beteiligten Hirnnerven (N. glossopharyngeus und N. vagus) und des kaudalen Hirnstamms
  • Durchführung: Auslösen des Würgereflexes
    • Berühren des linken und rechten Hinterwandanteils des Oropharynx mit einem atraumatischen Gegenstand (z.B. Wattestab oder Holzspatel) unter ausreichender Beleuchtung
    • Depression der Zunge mit einem (zweiten) Holzspatel in vielen Fällen erforderlich
  • Normalbefund: Nach beidseitiger Reizung sofortiger Würgeakt auf beiden Seiten mit erkennbarer Hebung des Kehlkopfs
  • Pathologischer Befund: Ausbleiben des Würgeakts oder verlangsamter Würgeakt mit deutlicher Latenz

Untersuchung des Sprechens

Die Untersuchungsschritte zur Beurteilung der über Hirnstamm und basale Hirnnerven vermittelten motorischen Funktion der Artikulation von sprachtragenden Lauten (= Sprechen) lassen sich in der klinischen Praxis sinnvoll mit der Untersuchung des Sprachvermögens (höhere Hirnleistung) kombinieren. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind in diesem Kapitel beide Funktionsuntersuchungen an verschiedenen Orten aufgeführt. Im Kontext der neurologischen Untersuchung stehen neu aufgetretene Sprechstörungen aufgrund von Störungen der beteiligten Hirnnerven und übergeordneter Zentren (Dysarthrien) im Vordergrund. Zu bedenken ist, dass Sprechstörungen grundsätzlich auch durch nicht-neurogene Erkrankungen des Pharynx und Larynx bedingt sein können.

  • Ziel: Erkennen neu aufgetretener Störungen der Artikulation der Sprache
  • Durchführung
    • Beurteilung der spontanen Sprachartikulation im Anamnesegespräch
    • Patient:in bitten, Silbenketten, Beispielsätze und milde Zungenbrecher nachzusprechen, z.B.
      • „Die dritte reitende Artilleriebrigade“
      • „Liebe Lilly Lehmann“
      • „Die Katze tritt die Treppe krumm“
      • „la-la-la-la-la-la-la“
  • Normalbefund: Unauffällige spontane Artikulation spachtragender Laute, unauffälliges Nachsprechen
  • Pathologischer Befund: Dysarthrie = neurogene Sprechstörung, z.B.
    • Heiserkeit: Neurogen z.B. bei Kehlkopflähmung durch einseitige Schädigung des N. laryngeus recurrens (N. vagus)
    • Aphonie mit obstruktiver Dyspnoe: Fehlende Sprechmotorik, Laute können nicht mehr gehaucht werden, z.B. bei absoluter Kehlkopflähmung durch beidseitige Schädigung des N. laryngeus recurrens (N. vagus)
    • Hypotone Dysarthrie mit „verwaschener“ Artikulation: Langsam-monotones Sprechen mit schwacher Stimme und undeutlicher Lautartikulation, z.B.
      • In der Frühphase einer supratentoriellen Schädigung
      • Als bulbäre Dysarthrie: Schlaffe Artikulationsstörung aufgrund einer Degeneration der Neurone der sprechmotorischen Hirnnerven (Nn. V, VII, IX, X, XII; 2. Motoneurone) im Bulbärhirn
      • Bei Hirnnervenschädigung , dann in meist geringerer Ausprägung
    • Spastische Dysarthrie: Sehr langsames und gedehntes Sprechen mit schwankender Tonhöhe und unscharfer Artikulation, z.B. in Folge kortikaler Schlaganfälle
    • Hypophonie: Pathologisch verringerte Sprechlautstärke, z.B. bei Parkinson-Syndromen
    • Rigid-hypokinetische Dysarthrie: Monotones Sprechen mit wechselndem Tempo und oft unpassenden Pausen, z.B. bei Parkinson-Syndromen vom hypokinetisch-rigiden Typ
    • Ataktische Dysarthrie bei zerebellärer Schädigung, gekennzeichnet durch
      • Skandierendes Sprechen: Abgehackte, eher langsame Artikulation mit zittriger Stimme sowie Lautstärke- und Tonhöhenschwankungen
      • Artikulatorische Dysmetrie: Wechsel zwischen über- und unterartikuliert gebildeten Konsonanten
      • Dysphonie: Durch Störung der Ansteuerung der Stimmlippenspannung häufig gepresste, raue Stimme

Dysarthrien treten häufig in Mischformen auf, sodass die hier aufgeführten Befunde nur zur Orientierung dienen können! Von neurogenen Sprechstörungen abzugrenzen sind nicht-neurogene Dysglossien, psychogene Dyslalien und Störungen des Redeflusses (Stottern).

Untersuchung der Zungenmotorik

  • Ziel: Beurteilung der über den N. hypoglossus bds. vermittelten Beweglichkeit und Kraft der Zungenmuskulatur
  • Inspektion: Suche nach spontaner Muskelaktivität der Zunge ohne Bewegungseffekt bei geöffnetem Mund und locker auf dem Mundboden liegender Zunge
  • Durchführung: Patient:in bitten
    • Die Zunge gerade herauszustrecken
    • Die herausgestreckte Zunge in die Mundwinkel sowie nach oben und unten zu bewegen
    • Die Zunge im Seitenvergleich gegen die außen an die Wangen gelegten Zeigefinger der untersuchenden Person zu drücken
    • Die herausgestreckte Zunge schnellstmöglich zwischen den Mundwinkeln hin und her zu bewegen
  • Normalbefund: Zunge wird gerade herausgestreckt, in alle Richtungen gleich weit, kräftig und schnell bewegt
  • Pathologische Befunde

Einfache Testung des Geschmacks- und Geruchssinns

  • Ziel: Objektivierung einer höhergradigen Störung des Geschmacks- und/oder Geruchssinns mittels einfacher qualitativer Testmethoden
  • Durchführung
    • Geschmackssinn: Patient:in bitten, bei geschlossenen Augen unterschiedliche Geschmacksrichtungen (süß, salzig, sauer, bitter, umami) zu erkennen und zu benennen
      • Die Innervationsgebiete für die Geschmackswahrnehmung der herausgestreckten Zunge per Wattestäbchen mit verschiedenen wässrigen gelösten Geschmacksstoffen (z.B. Zuckerwasser, Salzwasser, kalter Kaffee) benetzen
      • Alternativ: Standardisierte Geschmacksstreifen für die vereinfachte Testung verwenden (z.B. Taste Strips®)
    • Geruchssinn: Patient:in bitten, bei geschlossenen Augen unterschiedliche Gerüche zu erkennen und benennen
      • Einfache Geruchsproben unter die Nase (z.B. Kaffee, Zimt, Blumendüfte) fächern, idealerweise in Kombination mit Ammoniak
      • Alternativ: Standardisierte Geruchsproben für die vereinfachte Testung verwenden (z.B. Sniffin' Sticks®)
  • Pathologische Befunde

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Motoriktoggle arrow icon

AMBOSS-Video-Tutorial zur Untersuchung der Motorik:

Die im Folgenden verwendete Aufteilung des neuromuskulären Funktionssystems in einzelne Teilbereiche soll als roter Faden für den Ablauf der klinischen Untersuchung dienen. Die Teilbereiche sind dabei nicht streng voneinander getrennt.

Der Begriff Feinmotorik ist unscharf definiert bzw. lässt sich nicht eindeutig einem bestimmten Funktionssystem zuordnen. Er bezeichnet die korrekte Ausführung feiner, zielgenauer und aufeinander abgestimmter Bewegungen mit geringer Amplitude, insb. der Hände und der mimischen Muskulatur. Dies setzt allerdings das richtige Zusammenspiel aller an der Motorik beteiligten Systeme und Strukturen voraus, sodass der Begriff „Feinmotorikstörung“ keinen Rückschluss auf eine zugrunde liegende Pathologie zulässt.

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Inspektion der Muskulaturtoggle arrow icon

Überblick

Muskulatur – Pathologische Inspektionsbefunde

Muskelatrophie und weitere pathologische Inspektionsbefunde
Befund Definition Pathophysiologie
Muskelatrophie
  • Rückbildung von Muskelgewebe durch Reduktion der Zellgröße oder Zellzahl
  • Fokal: Verminderte Muskelaktivität, z.B. bei Immobilität oder durch Nervenläsion
  • Generalisiert: Bspw. bei Fehl- und Mangelernährung oder starker Immobilität , konsumierenden Erkrankungen , Myositiden, erblichen Muskeldystrophien
Kontraktur
  • Bewegungseinschränkung eines Gelenks
  • Nicht-neurologische Ursachen: (häufiger)
    • Tendomyogene Kontraktur: (häufigste Form) Verkürzungen von Sehnen, Muskeln oder Bändern
    • Dermatogene Kontraktur: Narbige Veränderungen der Haut
    • Arthrogene Kontraktur: Gelenkveränderungen wie z.B. Verwachsungen
  • Neurogene Kontraktur: Insb. infolge zentraler Paresen
Unwillkürliche Muskelaktivität Faszikulationen
  • Kurze, sichtbare Kontraktionen einzelner Muskelfaserbündel
  • Ohne Bewegungseffekt in Gelenken
Myokymien
  • Wellenartige Kontraktion wechselnder Abschnitte eines Muskels
  • Ohne Bewegungseffekt in Gelenken
  • Physiologisch: Oft benigne und vorübergehend, auch nach starker muskulärer Belastung
  • Pathologisch: Bspw. bei Erkrankungen des 1. oder 2. Motoneurons

Myoklonien

  • Kurze, ruckartige Zuckungen einzelner Muskeln oder Muskelgruppen
  • Mit Bewegungseffekt in Gelenken
  • Spontan oder als Reaktion auf Stimuli auftretend
  • Physiologisch: Bspw. in Aufwach- oder Einschlafphasen , bei Singultus, nach Belastung
  • Pathologisch
Asterixis (negative Myoklonien)
  • Generalisierte kurze „fallende“ Zuckungen
  • Entstehen durch intermittierendes unrhythmisches plötzliches Aussetzen des Muskeltonus
  • Können bei Inspektion sichtbar sein, treten aber besonders bei Haltearbeit hervor
Tremorformen und weitere Hyperkinesien
  • Vornehmlich bei basalganglionären, auch bei zerebellären Erkrankungen

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Muskeltonustoggle arrow icon

Definition: Grundspannung eines entspannten Muskels, der durch abwechselnde unwillkürliche Kontraktionen einzelner Muskelfasern entsteht

Untersuchung des Muskeltonus

Tonusprüfung großer Muskelgruppen

Froment-Manöver: Zur Aufdeckung eines subklinischen Rigors der oberen Extremität kann die zu untersuchende Person aufgefordert werden, während der Untersuchung wiederholt Bewegungen des kontralateralen Arms auszuführen (z.B. Öffnen und Schließen der Hand). Auf diese Weise wird eine aktive Mitbewegung unterdrückt!

Pendeltest (syn. Armpendeltest; Tonus in Arm und Schultergürtel)

  • Durchführung: Patient:in an Schultern fassen und um die Längsachse des Körpers hin- und herdrehen
  • Normalbefund: Arme schwingen locker mit
  • Pathologische Befunde
    • Vermindertes Mitschwingen der Arme bei Rigor
    • Vermehrtes Mitschwingen der Arme bei muskulärer Hypotonie

Kopffalltest (Tonus der Nacken- und Halsmuskulatur)

  • Durchführung: Kopf der liegenden zu untersuchenden Person etwa 20 cm vom Kissen heben und dann loslassen
  • Normalbefund: Kopf fällt der Schwerkraft folgend ohne Widerstand zurück
  • Pathologischer Befund: Verlangsamtes Zurückfallen des Kopfs bei Rigor
    • Extremfall „Kopfkissenphänomen“: Kopf bleibt in der Luft angehoben stehen

Muskeltonus – Pathologische Befunde

Muskeltonus - Pathologische Befunde
Befund Definition Pathophysiologie
Muskuläre Hypotonie

Spastik

  • Erhöhter Tonus bei passiver Dehnung der Skelettmuskulatur, geschwindigkeits- und beschleunigungsabhängig
    • Ggf. mit Taschenmesser-Phänomen: Zu Beginn der passiven Bewegung erhöhter muskulärer Tonus, gefolgt von einem raschen Nachlassen des Widerstandes

Rigor

  • Erhöhter Tonus mit „wachsartigem“ Widerstand bei passiver Dehnung der Skelettmuskulatur, nicht geschwindigkeitsabhängig
    • Ggf. mit Zahnradphänomen: Rigor mit ruckartigen Unterbrechungen durch einen überlagerten Tremor
  • Extrapyramidal-motorische Fehlregulation mit gleichzeitiger Aktivierung von Muskeln und ihren Gegenspielern

Paratonie

  • Gegenhalten: Aktive Tonuserhöhung bei passiver Durchbewegung der Skelettmuskulatur als Ausdruck fehlender willkürlicher Muskelentspannung
  • Mitgehen: Aktives Mitgehen der passiven Bewegungen der untersuchenden Person, z.T. über die Untersuchung hinaus fortgesetzt (motorisches Perseverieren)
  • Physiologisch: Bei Schwierigkeiten, bewusst zu entspannen oder bei ungenügender Kooperation der zu untersuchenden Person
  • Pathologisch: Bspw. im Rahmen von Frontalhirnstörungen bei Demenzen
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Muskelkrafttoggle arrow icon

Untersuchung der Muskelkraft

  • Allgemeines
    • Vorab Händigkeit erfragen
    • Untersuchung immer im Seitenvergleich
  • Grobe Beurteilung der Kraft
    • Beidseitiger Händedruck: Die eigenen Hände überkreuzen und Patient:in bitten, diese fest zu drücken
    • Heranziehen und Wegdrücken: Patient:in an den Händen fassen und bitten, die Hände gegen Widerstand zu sich heranzuziehen bzw. von sich wegzudrücken
    • Aufstehen aus der Hocke ohne Zuhilfenahme der Hände

Kraftgrade

Medical-Research-Council-Skala
Kraftgrad Befund Interpretation
0 Keine Muskelaktivität Plegie (Paralyse): Vollständige Lähmung einzelner oder mehrerer Muskeln
1 Tastbare Muskelaktivität ohne Bewegungseffekt Parese: Unvollständige Lähmung einzelner oder mehrerer Muskeln
2 Bewegung ohne Einfluss der Schwerkraft bzw. nur unter Ausschaltung der Schwerkraft möglich
3 Bewegung gegen die Schwerkraft möglich
4 4-

Bewegung gegen leichten Widerstand möglich

4 Bewegung gegen mäßigen Widerstand möglich
4+ Bewegung gegen kräftigen Widerstand möglich, aber schwächer als auf der Gegenseite Latente Parese: Nicht offensichtliche, nur im Seitenvergleich festzustellende Lähmung einzelner oder mehrerer Muskeln
5 Normalbefund: Seitengleiche Kraftentfaltung gegen kräftigen Widerstand Volle Kraft

Muskelkraft – Pathologische Befunde

Kraftminderung: Lokalisationsbezogene Pathophysiologie
Lokalisation Pathophysiologie
  • Monoparese bzw. Monoplegie: Parese bzw. Plegie einer einzelnen Extremität
  • Schädigung des Plexus
    • Bspw. obere, untere oder kombinierte Armplexuslähmungen
  • Zerebrale, fokal-umschriebene Läsionen im motorischen Kortex („kortikale Monoparese“) oder in den absteigenden motorischen Bahnen
  • Hemiparese bzw. Hemiplegie: Parese bzw. Plegie einer Körperseite
  • Paraparese bzw. Paraplegie: Parese bzw. Plegie beider Beine
  • Tetraparese bzw. Tetraplegie: Parese bzw. Plegie aller vier Extremitäten

Kraftprüfung wichtiger Muskelgruppen

Armhalteversuch

  • Durchführung: Patient:in bitten, bei geschlossenen Augen beide Arme ausgestreckt in gleicher Höhe zu halten mit den Handflächen zur Decke gerichtet für ca. 30 s
  • Normalbefund: Kein Absinken/Pronation
  • Pathologischer Befund: Absinken und Pronation einer Seite bei zentraler, auch latenter zentraler Parese

Beinhalteversuch

  • Durchführung: Patient:in bitten, bei geschlossenen Augen in Rückenlage beide Beine in 90°-Beugung im Hüft- und Kniegelenk zu heben und für ca. 30 s zu halten
  • Normalbefund: Kein Absinken
  • Pathologischer Befund: Absinken eines Beins bei zentraler, auch latenter zentraler Parese

Einzelkraftprüfung

Einzelkraftprüfung der oberen Extremität

Einzelkraftprüfung der oberen Extremität (Auswahl)
Gelenk Betroffene Bewegung Hauptmuskel Nerv/Wurzel

Schultergelenk

Abduktion
Elevation
Innenrotation
Außenrotation

Ellenbogengelenk

Flexion in Mittelstellung (bzw. Pronation)
Flexion in Supination
Extension

Handgelenk

Flexion
Extension

Fingergelenke

Flexion

Extension
Daumenadduktion

Daumenabduktion

Daumenflexion
Daumenextension
Daumenopposition

Fingerspreizung

Kleinfingerabduktion
Fingeradduktion

Einzelkraftprüfung der unteren Extremität

Klinische Unterscheidung zentraler und peripherer Paresen

Klinische Unterscheidung zentraler und peripherer Paresen
Ort der Parese

Muskeltonus/-trophik

Reflexniveau Wichtige klinische Zeichen Häufige Ursachen

Zentrale Parese (1. Motoneuron)

  • ↑ (spastische Parese) /eutroph

Periphere Parese (2. Motoneuron)

  • ↓ (schlaffe Parese)/atroph
  • ↓/nicht auslösbar

Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine wichtige Differenzialdiagnose, wenn gleichzeitig eindeutige Zeichen sowohl einer Läsion des 1. als auch des 2. Motoneurons vorliegen!

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Extrapyramidale Symptometoggle arrow icon

Extrapyramidale Symptome gehen auf motorische Funktionsstörungen außerhalb des Pyramidenbahnsystems (sog. extrapyramidal-motorische Störungen) zurück. Im Wesentlichen umfassen sie Funktionsstörungen der Basalganglien sowie des Kleinhirns. Letztere werden innerhalb dieses Kapitels speziell aufgeführt (siehe: Koordinationsprüfung).

Tremoruntersuchung

Tremores beruhen auf einer gestörten Ansteuerung agonistisch und antagonistisch wirkender Muskeln. Sie sind gekennzeichnet durch Zitterbewegungen mit erkennbarem Bewegungseffekt. Die Untersuchung besteht im Wesentlichen aus einer fokussierten Inspektion.

Übersicht der Tremorformen
Bezeichnung Beschreibung Untersuchung Beispielhafte Störungen
Tremor im engeren Sinne

Aktionstremor

  • Tritt bei Beginn und während einer Muskelaktivität auf
  • Annähernd konstante Frequenz und Amplitude während der Bewegung
  • Sistiert bei Entspannung
  • Alltagstätigkeiten ausführen lassen
  • Patient:in bitten, eine Flasche aufzudrehen, Wasser in ein Glas zu gießen und das Glas zum Trinken zum Mund zu führen
Haltetremor
  • Unterform des Aktionstremors, der sich vornehmlich bei isometrischer Haltearbeit manifestiert
  • Annähernd konstante Frequenz und Amplitude
  • Sistiert bei Entspannung
  • Oft in Kombination mit anderen Aktionstremors
  • Arme ausgestreckt und proniert nach vorne halten lassen, dabei ein Blatt Papier auf die Handrücken legen und bitten, dieses stillzuhalten
  • Ein Glas o.ä. vom Körper entfernt halten lassen
  • Beide Hände vor der Brust mit den Fingern zueinander halten lassen (Fledermaus-Position)
Ruhetremor
  • Tritt bei Entspannung im entsprechenden Körperteil auf
  • Annähernd konstante Frequenz und Amplitude
  • Sistiert bei Beginn einer Willkürbewegung
  • Verstärkung bei einer kognitiven Aufgabe (z.B. Kopfrechnen)
  • Arme der zu untersuchenden Person im Sitzen auf ihre Oberschenkel oder die Armlehne legen
  • Kognitive Aufgabe (z.B. Kopfrechnen) durchführen lassen
Zieltremor (Intentionstremor)
  • Kein eigentlicher Tremor, sondern Form der zerebellären Ataxie
  • Dysmetrischer Bewegungsablauf, bei zielgerichteten Bewegungen
  • Bei abnehmender Distanz zum Ziel zunehmende Abweichung von der Ideallinie und größer werdende Korrekturbewegungen
Asterixis (Flapping Tremor)
  • Kein eigentlicher Tremor, sondern generalisierte kurze fallende Zuckungen durch intermittierendes plötzliches Aussetzen des Muskeltonus
  • Insb. bei Haltearbeit sichtbar
  • Unrhythmisch, variable Amplitude

Bradykinese und Hypokinese

Hyperkinesien

  • Definition
    • Allgemein: Pathologisch vermehrte und unwillkürliche Muskelaktivität
    • Im engeren Sinne: Durch einen Mangel bewegungshemmender Signale oder Überschuss bewegungsfördernder Signale in den Basalganglien ausgelöste hyperkinetische Störungen
  • Auf Basalganglienstörungen beruhende Hyperkinesien
    • Chorea
    • Athetose
    • Ballismus
      • Plötzliche, schleudernde Bewegungen insb. der proximalen Extremitätenmuskulatur (Jaktationen) , die auch zu Verletzungen führen können und feinmotorische Aktionen unmöglich machen
      • Meist nur einseitig = Hemiballismus
      • Ursache: Vaskuläre, entzündliche, raumfordernde oder degenerative Schädigung des Ncl. subthalamicus oder seiner Projektionen zum Thalamus
      • Können durch verschiedene (z.B. akustische oder emotionale) Stressoren verstärkt werden und sistieren im Schlaf
    • Dystonie
      • Prolongierte und insb. unwillkürliche Kontraktionen einzelner Muskeln oder Muskelgruppen
      • Häufig fokal begrenzt im Gesichts- und Halsbereich (z.B. Torticollis spasmodicus) oder an Hand und Fuß
      • Seltener generalisiert (z.B. Torsionsdystonie)
      • Ursachen: Multipel, z.B. genetisch, metabolisch, medikamentös induziert oder posttraumatisch
    • Tics
      • Unwillkürliche, rasche, wiederholte, unrhythmische Bewegung meist umschriebener Muskelgruppen oder eine Lautproduktion, die plötzlich einsetzt und keinem erkennbaren Zweck dient
      • Bis zu einem gewissen Grad willentlich unterdrückbar
      • Ursache: Insb. im Rahmen von Tic-Störungen
  • Weitere hyperkinetische Phänomene

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Reflexetoggle arrow icon

Bei den somatischen Reflexen werden physiologische Eigenreflexe und Fremdreflexe von pathologischen Fremdreflexen unterschieden .

AMBOSS-Video-Tutorial zur Untersuchung der Reflexe:

Allgemeines

  • Grundlagen der Reflexprüfung
  • Hilfsmittel
    • Reflexhammer: Wird locker zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten und der Schwerkraft folgend auf die Sehne bzw. den eigenen Finger fallen gelassen
    • Holzspatel o.ä. zum Bestreichen der Haut
    • Handschuhe und Gleitmittel für den Analreflex
  • Beschreibung der Reflexintensität
    • Intensität der Reflexantwort: Fehlend (‑), schwach (+), mittellebhaft (++), lebhaft (+++) oder gesteigert (++++)
    • Weitere Formen der Steigerung von Muskeleigenreflexen (= Hyperreflexie)
      • Reflexzonenverbreiterung: Vergrößerung des Bereichs, in dem sich derselbe Reflex auslösen lässt
      • Überspringende Reflexantwort: Antwort segmental benachbarter Muskeln/Muskelgruppen zusammen mit dem eigentlichen Effektormuskel
      • Kreuzende Reflexantwort: Antwort auch des kontralateralen Effektormuskels, meist zusammen mit segmental benachbarten Muskeln/Muskelgruppen ipsilateral oder beidseits
      • Kloniforme Reflexsteigerung

Die Beurteilung sollte immer im Seitenvergleich sowie im Vergleich zwischen verschiedenen Höhen (Arme/zervikales Myelon, Rumpf/thorakales Myelon, Beine/lumbosakrales Myelon) erfolgen! Der Masseterreflex erlaubt die Einbeziehung des Hirnstamms in den Höhenvergleich.

Prüfung der Muskeleigenreflexe

  • Definition der Muskeleigenreflexe: Monosynaptischer Reflex, bei dem Sensor und Effektor im gleichen Organ (Muskel inkl. Muskelspindeln) liegen
  • Allgemeines zur Durchführung
    • Positionierung des zu untersuchenden Muskels in entspannter Haltung, meist in Mittelstellung
    • Kontraktion des Effektormuskels ist die entscheidende Reflexantwort, eine Bewegung im Gelenk ist nachrangig
    • Bei schwachem/nicht auslösbarem Reflex
      • Palpation des Effektormuskels, um eine subtile Kontraktion zu erfassen
      • Bahnung des Reflexes, bspw.
        • Untere Extremität: Jendrassik-Handgriff: Patient:in bitten, die vor der Brust ineinander verhakten Finger kräftig auseinander zu ziehen
        • Obere Extremität: Patient:in bitten, die Zähne aufeinanderzubeißen
  • Normalbefunde
    • Normoreflexie, d.h. Reflex seitengleich mittellebhaft auslösbar
    • Keine unterschiedliche Auslösbarkeit und Reflexantworten im Höhenvergleich der Reflexe
  • Pathologische Befunde
  • Hinweis: Für Informationen zu dem im Hirnstamm verschalteten klinisch bedeutsamen Muskeleigenreflex siehe: Masseterreflex

Obere Extremität

Muskeleigenreflexe – Obere Extremität und Rumpf
Eigenreflex Auslösung Reflexantwort Wurzel/Nerv/Muskel
Bizepssehnenreflex (BSR)
  • Bei leicht gebeugtem Ellenbogen die Handinnenfläche der zu untersuchenden Person auf deren Unterbauch oder Hüfte legen und die Bizepssehne mit einem oder zwei eigenen Fingern aufsuchen
  • Beklopfen des auf die Sehne aufgelegten eigenen Fingers mit dem Reflexhammer
Brachioradialisreflex (BRR) auch Radiusperiostreflex (RPR) genannt
  • Bei leicht gebeugtem Ellenbogen die Handinnenfläche der zu untersuchenden Person auf deren Unterbauch oder Hüfte legen und die Sehne am distalen Radius mit einem oder zwei eigenen Fingern aufsuchen
  • Beklopfen des auf die Sehne aufgelegten eigenen Fingers mit dem Reflexhammer
Pronatorreflex
Trizepssehnenreflex (TSR)
  • Arm der zu untersuchenden Person am Handgelenk etwas zur Gegenseite über den Rumpf ziehen und dort locker halten
  • Beklopfen der Trizepssehne etwas oberhalb des Olecranons
Trömner-Reflex auch Fingerbeugereflex genannt
  • Hand der zu untersuchenden Person am proximalen Mittelfinger locker halten
  • Mit eigenen Fingerkuppen rasch und kräftig an das Endglied des Mittelfingers schlagen
  • Beugung der Finger und ggf. des Daumens im Endglied
  • Beachte: Gelegentlich schwierig auszulösen, oft nicht erhältlich!
    • Beidseitige Nicht-Auslösbarkeit: Nicht zu verwerten
    • Seitenungleiche Reaktion („Trömner-Reflex positiv“) immer im Kontext interpretieren
Bauchdeckenreflexe
  • Bauchdecke der zu untersuchenden Person mit den eigenen Fingern knapp unterhalb des Rippenbogens bzw. knapp oberhalb der Symphyse leicht eindrücken
  • Beklopfen der eigenen Finger mit dem Reflexhammer
  • Kontraktion der oberen bzw. unteren Bauchdecke zur Seite

Untere Extremität

Muskeleigenreflexe – Untere Extremität
Eigenreflex Auslösung Reflexantwort Wurzel/Nerv/Muskel
Adduktorenreflex
  • Bein der zu untersuchenden Person liegt am besten leicht abduziert und außenrotiert
  • Beklopfen der Adduktorensehne, etwas proximal des Epicondylus medialis femoris
Patellarsehnenreflex (PSR)
  • Eigenen Unterarm unter dem Kniegelenk der zu untersuchenden Person positionieren, um es in leichte Beugestellung zu bringen
  • Beklopfen der Sehne unterhalb der Patella
  • Kniestreckung
  • Beachte: Bei besonders lebhaftem Reflex zusätzliche Testung des Patellarklonus!
Tibialis-posterior-Reflex (TPR)
  • Inversion/Supination des Fußes
  • Beachte: Bei vielen Gesunden nicht auslösbar, daher bei beidseitigem Fehlen nicht beurteilbar
Achillessehnenreflex (ASR)
  • Plantarflexion des Fußes
  • Beachte: Bei besonders lebhaftem Reflex zusätzliche Testung des Fußklonus!

Kloniforme Reflexe

  • Definition: Rhythmische (klonische) Kontraktionen als schnelle Folge von Muskeleigenreflexen, die auf einen anhaltenden Dehnungsreiz des betreffenden Muskels hin auftreten
  • Normalbefund: Kein Klonus oder seitengleich erschöpflicher Klonus
  • Pathologischer Befund: Nicht erschöpflicher oder erschöpflicher, aber seitendifferenter Klonus
  • Ursache: Fehlende Hemmung afferenter Impulse auf die α-Motoneurone im Rahmen einer Pyramidenbahnläsion
Kloniforme Reflexe
Durchführung Befund
Fußklonus
  • Rhythmische Kontraktion der Wadenmuskulatur
Patellarklonus
  • Ruckartiges Verschieben der Patella nach distal bei locker liegendem Bein
  • Patella wird mit leichtem Druck nach distal in dieser Position gehalten

Prüfung der Fremdreflexe

  • Definition der Fremdreflexe
    • Polysynaptische Reflexe , bei denen Sensor und Effektor in verschiedenen Organen liegen und die auf mehreren Rückenmarkssegmenten verschaltet werden
    • Unterscheidung in physiologische und pathologische Fremdreflexe
  • Allgemeines zur Durchführung
    • Positionierung der zu untersuchenden entkleideten Körperpartie in entspannter Haltung
    • Habituation: Bei mehrfacher Testung eines physiologischen Fremdreflexes kommt es zur Gewöhnung und damit Erschöpfung der Reflexantwort
  • Normalbefund
    • Physiologische Fremdreflexe: Normoreflexie, d.h. Reflex seitengleich mittellebhaft/lebhaft auslösbar
    • Pathologische Fremdreflexe: Nicht auslösbar
  • Pathologische Befunde
    • Physiologische Fremdreflexe: Im Seitenvergleich fehlend oder abgeschwächt
      • Zentrale Ursache: Hinweis auf Pyramidenbahnläsion
      • Periphere Ursache: Unterbrechung des peripheren Reflexbogens
    • Pathologische Fremdreflexe: Typische Reflexantwort vorhanden

Physiologische Fremdreflexe

Physiologische Fremdreflexe
Fremdreflex Auslösung Reflexantwort Wurzel/Nerv
Bauchhautreflexe (BHR)
  • Bestreichen der Bauchhaut mit einem Spatel bds.
    • Unterhalb des Rippenbogens
    • Auf Nabelhöhe
    • Oberhalb des Leistenbandes
Kremasterreflex
Analreflex
  • Bestreichen der Perianalregion mit einem Spatel
  • Kontraktion des Schließmuskels
Bulbokavernosusreflex

Pathologische Fremdreflexe (Primitivreflexe)

Babinski-Gruppe

Reflexe der Babinski-Gruppe
Reflex Auslösung Pathologische Reflexantwort
Babinski-Reflex Kräftiges Bestreichen des Fußaußenrandes mit z.B. der Spitze des Reflexhammergriffs Dorsalextension der Großzehe mit Beugung und Spreizung der Kleinzehen („Babinski positiv“)
Gordon-Zeichen Kompression der Wadenmuskulatur
Oppenheim-Zeichen Kräftiges Bestreichen entlang der Tibiavorderkante
Strümpell-Zeichen Beugung im Kniegelenk gegen Widerstand Tonische Dorsalextension der Großzehe, ggf. begleitet von Plantarflexion und Supination des Fußes.

Weitere Primitivreflexe (Auswahl)

Auswahl weiterer pathologischer Fremdreflexe (Primitivreflexe)
Reflex Auslösung Reflexantwort Mögliche Ursache
Palmarer Greifreflex Bestreichen der Handinnenfläche Fingerbeugung (Zugreifen) Beim Erwachsenen Zeichen einer schweren allgemeinen Hirnschädigung
Palmomentalreflex Festes Bestreichen des Daumenballens von proximal nach distal Kurzes Zucken der ipsilateralen Kinnmuskulatur
Glabellareflex Beklopfen der Glabella Unwillkürlicher und unerschöpflicher Augenschluss Unerschöpfliche Reflexantwort kann beim Erwachsenen z.B. auf Morbus Parkinson hinweisen
Saugreflex Bestreichen der Mundspalte Mundöffnung und Hinwendung zum Reiz, Saug- und Schluckbewegungen Beim Erwachsenen Zeichen einer schweren allgemeinen Hirnschädigung

Schnauzreflex

Beschnipsen eines auf den Lippen aufgelegten Spatels Lippenspitzen wie beim Pfeifen (Kontraktion des M. orbicularis oris) Beim Erwachsenen möglicher Hinweis auf M. Parkinson

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Sensibilitättoggle arrow icon

AMBOSS-Video-Tutorial zur Untersuchung der Sensibilität:

Allgemeine Hinweise zur Untersuchung

  • Patient:in muss die Augen während der Untersuchung geschlossen halten
  • Untersuchung immer im Seitenvergleich
  • Erhebung der Befunde immer in Bezug zu radikulären Dermatomen und sensiblen Innervationsgebieten peripherer Nerven
  • Vermeidung von Suggestivfragen

Sensible Qualitäten des lemniskalen Systems (inkl. Hinterstrang des Rückenmarks)

Berührungsempfinden (Ästhesie)

Zwei-Punkt-Diskrimination (räumliches Auflösungsvermögen)

  • Definition: Minimaler Abstand, den zwei mechanische Hautreize voneinander haben müssen, um noch als getrennt wahrgenommen zu werden
  • Durchführung: Haut simultan oder abwechselnd an unterschiedlichen Stellen berühren und minimalen Abstand messen, der zwischen zwei Punkten wahrgenommen wird
    • Hilfsmittel: Zwei-Punkt-Diskriminator oder aufgebogene Büroklammer
    • Fragen: „An wie vielen Punkten berühre ich Sie gerade?“; „Berühre ich Sie jetzt an einer oder an zwei Stellen?“
  • Normalbefunde
  • Pathologischer Befund: Herabgesetzte Zwei-Punkt-Diskrimination
    • Abstände oberhalb der Normwerte

Vibrationsempfinden (Pallästhesie)

  • Durchführung: Angeschlagene und voll schwingende neurologische Stimmgabel auf Knochenvorsprünge verschiedener Körperpartien ansetzen und Wert auf der Achtelskala ablesen, ab dem die zu untersuchende Person keine Vibration mehr spürt
    • Zunächst Testung des Sternums als Referenz
    • Danach Testung von Großzeh- und Daumengrundgelenk
    • Bei pathologischem Befund nach proximal ausweiten
    • Bei V.a. auf spinale Pathologie: Testung der Dornfortsätze der Wirbelsäule
    • Aufforderung: „Sagen Sie Bescheid, wenn Sie keine Vibration mehr spüren.“
  • Normalbefund: Pallästhesie bds. unauffällig/intakt
  • Pathologische Befunde: Pallhypästhesie, Pallanästhesie

Tiefensensibilität (Propriozeption)

Bewegungssinn

  • Durchführung
    • Finger/Zehen der zu untersuchenden Person bewegen
    • Zunächst kleinere, dann größere Bewegungen
    • Fragen: „In welche Richtung (aufwärts oder abwärts) wird der Finger/die Zehe bewegt?“; „Wohin (nach oben/nach unten) zeigt der Finger/die Zehe jetzt?“
  • Normalbefund: Korrekte Erkennung der Bewegungsrichtungen bei unterschiedlich großen Auslenkungen
  • Pathologischer Befund: Gestörter Bewegungssinn
    • Bewegungen oder Bewegungsrichtungen werden nicht korrekt erkannt

Lagesinn

  • Durchführung
    • Eine Extremität in eine bestimmte Position bringen und Patient:in auffordern, diese Position bei geschlossenen Augen zu fixieren und die kontralaterale Extremität in die gleiche Stellung zu bringen
    • Beurteilen, ob die Positionen der getesteten Extremitäten voneinander abweichen
  • Normalbefund: Patient:in kann bei geschlossenen Augen die Stellung der passiv bewegten Extremität halten und die kontralaterale Extremität in die gleiche Stellung bringen
  • Pathologischer Befund: Lagesinnstörung bei abweichenden Positionen der getesteten Extremitäten

Höhere Leistungen

Die folgenden Fähigkeiten sind höhere Leistungen des ZNS unter Einbeziehung des (lemniskalen) sensiblen Systems. Sie lassen sich aber im Rahmen der Sensibilitätsprüfung gut untersuchen und sind deshalb aus praktischen Gründen an dieser Stelle aufgeführt. Voraussetzung für diese Untersuchungen, die auch kognitive Leistungen wie Gedächtnis und Sprache erfordern, ist ein intaktes Berührungsempfinden.

Testung auf sensiblen Neglect

  • Ziel: Erkennen eines möglichen Auslöschungsphänomens im Rahmen eines sensiblen Neglects
  • Durchführung
    1. Berührung des linken Arms: Patient:in gibt an, die Berührung zu spüren
    2. Berührung des rechten Arms: Patient:in gibt an, die Berührung zu spüren
    3. Berührung beider Arme gleichzeitig
  • Normalbefund: Berührung wird an beiden Armen zeitgleich gespürt
  • Pathologischer Befund: Auslöschungsphänomen im Rahmen eines sensiblen Hemineglects links
    • Bei zeitgleicher Berührung beider Arme wird nur die Berührung am rechten Arm gespürt

Zahlen-/Schrifterkennung (Graphästhesie, Dermolexie)

  • Definition: Fähigkeit, auf die Haut geschriebene Zahlen, Buchstaben oder Wörter anhand der Berührungseindrücke ihrer Konturen zu „lesen“ und zu benennen
  • Durchführung: Mit dem Finger oder einem Holzstäbchen Buchstaben/Zahlen auf die Haut der zu untersuchenden Person schreiben, die diese korrekt erkennen und benennen soll
  • Pathologischer Befund: Gestörte Graphästhesie/Dermolexie

Tasterkennung (Stereognosie)

  • Definition: Fähigkeit, Gegenstände durch alleiniges Tasten erkennen und benennen zu können
  • Durchführung: Patient:in soll durch seitengetrenntes sowie bds. Ertasten einen Gegenstand in ihrer Hand erkennen und benennen
  • Pathologischer Befund: Stereoagnosie/Astereognosie

Sensible Qualitäten des anterolateralen Systems (inkl. Vorderseitenstrang des Rückenmarks)

Schmerzempfinden (Algesie)

  • Durchführung
    • Leichtes Reizen der unterschiedlichen Körperpartien, z.B. mit einem abgebrochenen Holzstäbchen oder einer speziellen atraumatischen Untersuchungsnadel
    • Testen der Spitz-Stumpf-Diskrimination: Abwechselndes Berühren der Haut mit spitzem und stumpfem Gegenstand
    • Frage: „Was spüren Sie hier? “ bzw. „Sagen Sie, ob Sie einen spitze oder eine stumpfe Berührung wahrnehmen.“
  • Normalbefund: Korrekt als (leicht) schmerzhaft empfundene Reizung an allen Testpunkten, korrekte Unterscheidung zwischen spitzen und stumpfen Reizen
  • Pathologische Befunde: Hypalgesie, Analgesie, Hyperalgesie
  • Hinweis: Dermatome für Algesie überlappen weniger weit als die für Ästhesie → Testung der Algesie sehr wertvoll zur genauen Eingrenzung eines dermatombezogenen sensiblen Defizits

Temperaturempfinden (Thermästhesie)

  • Durchführung: Haut mit Gegenständen unterschiedlicher Temperatur und ausreichender Größe berühren, bspw. mit Reagenzgläsern mit kaltem (bis 10 °C) bzw. warmem Wasser (bis 30 °C).
    • Aufforderung: „Sagen Sie, ob Sie eine kalte oder eine warme Berührung wahrnehmen.“
  • Normalbefund: Korrekte Unterscheidung zwischen kalten und warmen Reizen an allen Testpunkten
  • Pathologische Befunde: Thermhypästhesie, Thermanästhesie

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Sensibilitätsstörungen (Übersicht)toggle arrow icon

Sensibilität – Pathologische Befunde (Begriffsübersicht)

Sensibilität – Pathologische Befunde (Begriffsübersicht)
Sensible Qualität Pathologischer Befund Definition
Berührungsempfinden
  • Hypästhesie
  • Verminderte Wahrnehmung nicht schmerzhafter Berührungsreize
  • Fehlende Wahrnehmung nicht schmerzhafter Berührungsreize
  • Hyperästhesie
  • Verstärkte Wahrnehmung nicht schmerzhafter Berührungsreize
  • Dysästhesie
    • Allodynie
  • Missempfindung im Sinne einer falschen, qualitativ fehlerhaften Wahrnehmung von Berührungsreizen, bei der es zu abnormen, meist unangenehmen Empfindungen kommt
    • Schmerzhafte Wahrnehmung normalerweise nicht schmerzhafter Berührungsreize, z.B. bei Hyperpathie
  • Parästhesie
  • Als unangenehm, aber nicht schmerzhaft wahrgenommene Missempfindung (z.B. Taubheit, Brennen oder Kribbeln) im Sinne eines Positivphänomens auch ohne notwendige Reizung
Vibrationsempfinden
  • Pallhypästhesie
  • Herabgesetztes Vibrationsempfinden, Vibration mit geringer Amplitude wird nicht mehr wahrgenommen
  • Pallanästhesie
Schmerzempfinden
  • Hypalgesie
  • Hyperalgesie
  • Übermäßig schmerzhafte Wahrnehmung eines üblicherweise nicht in diesem Maße schmerzhaften Reizes
Temperaturempfinden
  • Thermhypästhesie
  • Verminderte Temperaturwahrnehmung bei teilweise noch erhaltener Diskriminationsfähigkeit zwischen verschiedenen, eher weit auseinanderliegenden Temperaturen
  • Thermanästhesie
  • Fehlende, indifferente Temperaturwahrnehmung, Wärme/Kälte werden nicht als solche wahrgenommen, zwischen weit auseinanderliegenden Temperaturen kann nicht unterschieden werden

Neuroanatomische Zuordnung von Sensibilitätsstörungen

Während die Untersuchung der einzelnen sensiblen Qualitäten vergleichsweise einfach ist, ergibt sich für die Interpretation der Befunde in der Zusammenschau von sensiblen Qualitäten, Lokalisation und Lateralisierung der Befunde eine erhöhte Komplexität. Als grundsätzliche Hilfe für die Zuordnung einer Sensibilitätsstörung zu einem Schädigungsort im Nervensystem können folgende Grundsätze dienen, wobei die Auflistung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann.

Neuroanatomische Zuordnung von Sensibilitätsstörungen (Auswahl)
Syndrom Befund
Periphere Neuropathie Sensibilitätsstörung in den Grenzen des sensiblen Versorgungsgebietes eines peripheren (rein sensiblen oder gemischten) Nerven
Polyneuropathie Längenabhängige Sensibilitätsstörung mit beidseitiger distal betonter Ausprägung
Radikulopathie Sensibilitätsstörung in den Grenzen eines oder mehrerer (angrenzender) radikulärer Dermatome
Komplettes Querschnittsyndrom Dermatomniveau, unterhalb dessen alle Qualitäten beidseitig ausgefallen sind
Inkomplettes Querschnittsyndrom Dermatomniveau, unterhalb dessen nur Schmerz- und Temperaturempfinden beidseitig ausgefallen sind (dissoziierte Empfindungsstörung)
Halbseitiges (inkomplettes) Querschnittsyndrom

Dermatomniveau, unterhalb dessen ipsilateral Berührungs- und Vibrationsempfinden sowie Propriozeption und kontralateral Schmerz- und Temperaturempfinden ausgefallen sind (dissoziierte Empfindungsstörung)

Zentral (zerebral) bedingte Sensibilitätsstörung Regionale, einseitige Sensibilitätsstörung mit Bezug zur Somatotopie des sensiblen Kortex , sensibler Bahnsysteme oder sensibler Kerngebiete

Für das Notfallmanagement des akuten Querschnittsyndroms siehe: Akutes Querschnittsyndrom - AMBOSS-SOP

Punktuelle Schädigungen in den sensiblen Bahnsystemen des zentralen Nervensystems wie lakunäre Hirninfarkte oder entzündliche Läsionen können sehr unterschiedlich ausgedehnte und ausgeprägte Sensibilitätsstörungen verursachen!

Grundsätzlich müssen die in der Sensibilitätsprüfung erhobenen Befunde immer in Zusammenschau mit der Untersuchung der übrigen neurologischen Funktionssysteme bewertet werden!

Hilfreiche Orientierungspunkte für bestimmte Dermatome sind z.B. die Mamillarlinie (Höhe der Brustwarzen: Übergang Th4/Th5), der Thenar (C6), der Mittelfinger (C7), der Bauchnabel (Th10) sowie die Vorderseite des Knies (L4)!

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Meningismus und Nervendehnungszeichentoggle arrow icon

Meningismusprüfung

Geringe Schmerzen und Nackensteifigkeit sind auch bei degenerativen HWS-Veränderungen (insb. bei Älteren) häufig – dabei ist i.d.R. aber auch die passive Kopfdrehung schmerzhaft, die beim Meningismus typischerweise nicht beeinträchtigt ist!

Untersuchung weiterer Dehnungszeichen

Die folgenden Tests prüfen die Schmerzempfindlichkeit evtl. geschädigter lumbosakraler Nervenwurzeln bzw. Nerven, die Dehnung überträgt sich allerdings auch auf die Meningen.

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Koordinationtoggle arrow icon

AMBOSS-Video-Tutorial zur Untersuchung von Koordination, Stand und Gang:

Überblick

  • Definition der Koordination: Feinjustierung der Innervation verschiedener Muskeln und Muskelgruppen und insb. die Synergie von Agonisten und Antagonisten für
    • Geordnete zielgerichtete Bewegungsabläufe, hier insb. auch
      • Feinjustierte Bewegungen der Augen
      • Zusammenspiel der Muskeln beim Sprechen und Schlucken
    • Isometrische Muskelarbeit, insb. für die aufrechte Körperhaltung
  • Untersuchung der Koordination: Umfasst neben Untersuchungen des Rumpfes und der Extremitäten demnach unbedingt auch die
  • Koordinationsstörungen

Okulomotorikprüfung

Zur Beurteilung der zerebellären Funktion ist die Untersuchung der Okulomotorik unerlässlich, weil sich Störungen der Kleinhirnfunktion auf die Koordination der Augenbewegungen auswirken. Die wichtigsten Untersuchungen und Befunde im Hinblick auf Koordinationsstörungen der Augen sind folgend kurz aufgeführt und verweisen auf die entsprechenden vorangegangenen Stellen in diesem Kapitel. Für die spezielle, systematische Untersuchung und Beurteilung von Nystagmen, die auch bei Kleinhirnschädigungen vorkommen können, siehe: Nystagmusbeurteilung.

Pathologische Befunde in Bezug auf Koordinationsstörungen

Untersuchung des Sprechens

  • Allgemeines: Beim Sprechen kann eine Koordinationsstörung der am Sprechen beteiligten Muskulatur zu einer Dysarthrie führen
  • Pathologischer Befund in Bezug auf Koordinationsstörungen: Ataktische Dysarthrie bei zerebellärer Schädigung, gekennzeichnet durch
    • Skandierendes Sprechen: Abgehackte, eher langsame Artikulation mit zitteriger Stimme sowie Lautstärke- und Tonhöhenschwankungen
    • Artikulatorische Dysmetrie: Wechsel zwischen über- und unterartikuliert gebildeten Konsonanten
    • Dysphonie: Durch Störung der Ansteuerung der Stimmlippenspannung häufig gepresste, raue Stimme
  • Störungsursache: Läsionen des Spinocerebellums

Rumpf und Extremitäten

Finger-Nase-Versuch

  • Durchführung: Patient:in bitten, jeweils einen Zeigefinger in weit ausholender Bewegung (90° abduzierter Arm) bei geschlossenen Augen auf die Nasenspitze zu setzen
  • Normalbefund: Bewegung läuft zielgenau und entlang einer glatten Linie ab (Finger-Nase-Versuch bds. metrisch)
  • Pathologischer Befund: Dysmetrischer Finger-Nase-Versuch
    • Ziel-Dysmetrie: Finger landet nicht zielgenau auf der Nase
    • Dysmetrischer Bewegungsablauf: Finger wird nicht auf einer glatten Linie (Bahnkurve, Trajektorie) geführt, sondern weicht instabil und unregelmäßig mit überschießenden Korrekturbewegungen von der Ideallinie ab
      • Zieltremor: Bei zielgerichteter Bewegung erst mit zunehmender Nähe zum Ziel einsetzender dysmetrischer Bewegungsablauf, ähnlich einem Tremor mit immer größer werdender Amplitude (dysmetrische Abweichung von der Ideallinie)
  • Störungsursache: Verursacht durch ipsilaterale Kleinhirnläsionen (insb. des Pontocerebellums und seiner Afferenzen bzw. Efferenzen)

Finger-Folge-Versuch

  • Durchführung: Patient:in bitten, eine Fingerspitze der gegenüberstehenden untersuchenden Person, die mehrfach ruckartig die Position wechselt und jeweils wieder verharrt, mit der Zeigefingerspitze schnellstmöglich zu verfolgen
  • Normalbefund: Zeigefinger erreicht jeweils rasch und präzise die Fingerspitze der untersuchenden Person (Finger-Folge-Versuch regelrecht)
  • Pathologische Befunde
    • Dysmetrie: Fingerspitze wird nicht genau getroffen
      • Hypermetrie: Überschießende, zu weite Folgebewegungen (mit anschließenden Korrekturbewegungen)
      • Hypometrie: Zu kurze Folgebewegungen (mit anschließenden Korrekturbewegungen)
    • Zieltremor
    • Verlangsamte Folgebewegungen
  • Störungsursachen

Bárány-Zeigeversuch

  • Durchführung: Patient:in bitten, einen ausgestreckten und nach oben gehaltenen Arm nach vorne abzusenken und dabei mit dem ausgestreckten Zeigefinger den horizontal gehaltenen Zeigefinger der untersuchenden Person zu berühren (erst mit offenen, dann mit geschlossenen Augen)
  • Normalbefund: Bewegung läuft glatt und zielgenau ab (Bárány-Zeigeversuch regelrecht)
  • Pathologischer Befund: Arm weicht in der Vertikalebene zu einer Seite ab und trifft Finger der untersuchenden Person nicht
  • Störungsursache: Bei peripher-vestibulären oder (ponto‑)zerebellären Läsionen Abweichen zur betroffenen Seite

Knie-Hacke-Versuch

Rebound-Versuch (Prüfung des Rückprall- bzw. Rückstoßphänomens)

Prüfung der Diadochokinese

  • Definition der Diadochokinese: Fähigkeit, in ihrer Geschwindigkeit, Amplitude und Kraft fein aufeinander abgestimmte, rasch aufeinanderfolgende antagonistische Willkürbewegungen auszuführen
    • Garantiert die Gleichmäßigkeit wiederkehrender Bewegungsabläufe, an denen agonistische und direkt antagonistische Muskeln beteiligt sind
    • Metrik diadochokinetischer Bewegungen wird maßgeblich durch Kleinhirn vermittelt
    • Initiation und Geschwindigkeit sowie die Fähigkeit zum schnellen Wechsel zwischen agonistischer und antagonistischer Bewegung stehen unter dem Einfluss der Basalganglien
  • Durchführung: Patient:in bitten,
    • Das Handgelenk wie beim „Einschrauben einer Glühbirne“ schnell hin- und her zu bewegen oder je eine Hand abwechselnd auf dem Oberschenkel liegend im Wechsel zu pronieren und supinieren
    • Daumen und Zeigefinger einer Hand mit größtmöglicher Amplitude schnellstmöglich zu spreizen und zusammenzuführen (Finger-Tapping)
    • Mit dem Fuß schnelle wiederholte Drehbewegungen wie beim „Austreten einer Zigarettenkippe“ auszuführen
    • Im schnellen Wechsel mit den Zehenspitzen und der Ferse den Boden zu berühren („Hacke-Spitze“)
  • Normalbefund
    • Eudiadochokinese: Schnelle, flüssige und gleich weite Bewegungen, schneller Wechsel zwischen den gegenläufigen Bewegungen
  • Pathologische Befunde
    • Dysdiadochokinese: Ungleiche Amplitude der agonistischen und der antagonistischen Bewegung führt zu „unrundem“, unruhigem Bewegungsablauf
    • Bradydiadochokinese: Verlangsamung der Diadochokinese, ggf. mit Hemmung des Bewegungsstarts und Unterbrechungen
    • Adiadochokinese: Gänzliche Unfähigkeit zur Ausführung rascher antagonistischer Bewegungen
  • Störungsursachen

Prüfung des freien Sitzens

  • Durchführung: Patient:in bitten, im freien Sitzen (ohne Arm- oder Rückenlehnen) mit geschlossenen Augen die Arme nach vorne auszustrecken
  • Normalbefund: Sichere Sitzhaltung des Oberkörpers ohne Schwanken (Sitzen unauffällig)
  • Pathologischer Befund: Rumpfataxie = Schwanken des Oberkörpers in verschiedene Richtungen
  • Störungsursache: Läsionen des Vestibulocerebellums bzw. seiner Afferenzen und Efferenzen

Stand- und Gangprüfung

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Ataxiebegriffe (Übersicht)toggle arrow icon

Der unscharfe Begriff „Ataxie“ bezeichnet nur grob eine Störung der Koordination von Bewegungen. Er taucht als einzelner Befund auf, wird aber auch in Verbindung mit dem Ursprungsort der Störung (z.B. zerebelläre Ataxie), als Bezeichnung einer spezifischen Erkrankung (z.B. Friedreich-Ataxie ) oder als Beschreibung eines Symptoms (z.B. Gangataxie) benutzt, sodass eine genaue Begriffsdefinition im Grunde genommen nicht möglich ist. Um etwas mehr Übersicht zu schaffen, sind im Folgenden die verschiedenen klinischen Erscheinungsformen der Ataxien aufgelistet.

Ataxiebegriffe mit ätiologischer Zuordnung

Ataxiebegriffe mit ätiologischer Zuordnung
Ätiologische Zuordnung Unterform Beschreibung Ursachen

Zerebelläre Ataxie

Dysmetrie

Zieltremor (auch: Intentionstremor)

  • Definition: Bei zielgerichteter Bewegung mit zunehmender Nähe zum Ziel einsetzender dysmetrischer Bewegungsablauf mit größer werdenden Abweichungen von der Ideallinie
  • Erscheinungsbild: Grobschlägiges, zunehmendes Verwackeln der Bewegung bei Durchführung der Zeigeversuche oder z.B. beim Greifen von Objekten

Dysdiadochokinese

  • Definition: Metrikstörung rasch aufeinanderfolgender antagonistischer Bewegungen
  • Erscheinungsbild: Antagonistische Bewegungen abgehackt und/oder überschießend

Rumpfataxie

  • Definition: Aufgrund einer reduzierten Koordination bzw. Lagekontrolle der isometrisch arbeitenden Rumpfmuskulatur eingeschränkte Fähigkeit, ruhig und gerade zu sitzen
  • Erscheinungsbild: Oberkörper schwankt beim Sitzen hin und her, freies Sitzen nicht möglich

Ataktische Dysarthrie

  • Definition: Dysarthrie infolge einer zerebellären Koordinationsstörung
  • Erscheinungsbild: Unnatürlich abgehacktes (skandierendes) Sprechen, artikulatorische Dysmetrie (Wechsel zwischen über- und unterartikuliert gebildeten Konsonanten), Dysphonie (durch gestörte Koordination der Stimmlippenspannung)

Sensible Ataxie

Spinale Ataxie: Sensible Ataxie durch Läsion der sensiblen Rückenmarksbahnen
  • Definition: Mangelnde Kontrolle von Bewegungen durch eine fehlerhafte sensible Rückmeldung bei gestörter Tiefensensibilität (Propriozeptionsstörung)
  • Erscheinungsbild: Gangataxie, seltener auch Standataxie
Sensible Ataxie durch Läsion peripherer sensibler Nerven

Der Begriff „spinale Ataxie“ ist kein Synonym der sensiblen Ataxie, sondern deren spinal bedingte Unterform!

Ataxiebegriffe ohne ätiologische Zuordnung

Standataxie

  • Definition
    • Im engeren Sinne keine eigene Ataxieform, sondern ein Symptombegriff, der einen unsicheren Stand beschreibt, der infolge einer Vielzahl von Schädigungen auftreten kann
    • Aufgrund einer reduzierten Koordination bzw. Lagekontrolle der Rumpf- und Beinmuskulatur eingeschränkte Fähigkeit, ruhig und gerade zu stehen
    • Extremform: Astasie = Unfähigkeit zu stehen
  • Erscheinungsbild: Patient:in schwankt beim Stehen ungerichtet hin und her oder zu einer Seite, ggf. mit lateralisierter Fallneigung (Sturzgefahr!)
  • Ursachen, z.B

Gangataxie

Auch Störungen in anderen Funktionssystemen (z.B. Pyramidenbahn, 2. Motoneuron, Basalganglien, propriozeptives System) führen zu Fehlern in der Ausführung von Bewegungsabläufen, sodass für eine verlässliche Beurteilung immer auch die Untersuchung der anderen Systeme erfolgen muss!

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Stand- und Gangprüfungtoggle arrow icon

Für physiologischen Stand und Gang ist das korrekte Zusammenspiel nahezu aller Funktionssysteme notwendig. Dementsprechend kann die genaue Beobachtung eine Fülle von Hinweisen und Aufschluss zu einer Vielzahl an Krankheitsbildern liefern. Im ersten Schritt ist wie immer die exakte Beschreibung der Befunde notwendig, gefolgt von einer anatomisch-topischen Zuordnung. Dann erst sind Rückschlüsse auf potenzielle Ursachen möglich.

AMBOSS-Video-Tutorial zur Untersuchung von Koordination, Stand und Gang:

Standprüfung

Romberg-Stehversuch

  • Beschreibung
    • Klinischer Test zur Untersuchung einer (Stand‑)Ataxie
    • Kann helfen, zwischen sensibler und zerebellärer Ataxie zu unterscheiden
  • Durchführung
    • Patient:in bitten, mit dicht nebeneinander stehenden Füßen und vorgestreckten Armen zu stehen und dann die Augen zu schließen
    • Test kann in folgenden Durchgängen ggf. etwas erschwert werden, indem die zu untersuchende Person die Füße eng voreinander in eine Linie stellt („Tandem-Romberg“ oder Seiltänzerstand)
  • Interpretation
    • Begriffsdefinition im ursprünglichen Sinne des Romberg-Stehversuchs
      • Romberg negativ: Auch nach Augenschluss anhaltend sicherer und ruhiger Stand auf kleinstmöglicher Standfläche ohne Schwanken, Ausgleichsbewegungen der Arme oder Ausfallschritte
      • Romberg positiv: Nach Augenschluss beginnendes Schwanken, erkennbare Ausgleichsbewegungen der Arme oder Ausfallschritte
    • Normalbefund: Romberg negativ im ursprünglichen Sinne
    • Pathologische Befunde
      • Patient:in ist nicht in der Lage, stabil gerade zu stehen und schwankt ungerichtet hin und her
      • Patient:in zeigt eine Fallneigung in eine Richtung
        • Bereits bei geöffneten Augen: Hinweis auf lateralisierte Kleinhirnschädigung
        • Erst einsetzend oder eindeutig zunehmend nach Augenschluss („Romberg positiv“ im ursprünglichen Sinne): Hinweis auf zentral- oder peripher-vestibuläre Ursache

Der Ausdruck „Romberg positiv“ sollte nach Möglichkeit vermieden werden, weil die Auffälligkeit dadurch oft nicht umfassend benannt werden kann. Stattdessen alle auffälligen Befunde immer direkt benennen!

Monopedaler Stand und monopedales Hüpfen

  • Durchführung: Patient:in auffordern, sich auf ein Bein zu stellen und zu hüpfen
  • Normalbefund: Einbeinstand und -Hüpfen problemlos möglich
  • Pathologische Befunde: Fallneigung zu einer Seite, Einknicken des Standbeins oder Abstützen durch zweites Bein, Trendelenburg-Zeichen
  • Hinweis: Sehr sensitive, aber (abgesehen von wenigen spezifischen Befunden ) kaum spezifische Methode zur Aufdeckung leichtgradiger (zentraler oder peripherer) Paresen und Koordinationsstörungen

Retropulsionstest (Pull-Test)

  • Beschreibung: Klinischer Test zur Untersuchung der Halte- und Stellreflexe
  • Durchführung
    • Patient:in darüber aufklären, dass nun bewusst versucht wird, sie zu Fall zu bringen , und instruieren, dem so gut wie möglich entgegenzuwirken
    • Hinter Patient:in stellen und plötzlich und ruckartig an beiden Schultern ziehen
  • Normalbefund: Patient:in macht max. 1–2 (kleine) Auffangschritte und erlangt den sicheren Stand eigenständig ohne zu fallen
  • Pathologischer Befund: Posturale Instabilität
    • Patient:in macht keinen oder mehr als 2 Auffangschritte und würde ohne Hilfe stürzen
  • Störungsursache: Fehlende oder zu langsame Initiation der Auffangbewegungen im Rahmen von Parkinson-Syndromen

Unterberger-Tretversuch

  • Durchführung: Patient:in bitten, mit geschlossenen Augen ca. 50-mal auf der Stelle zu marschieren
  • Normalbefund: Patient:in dreht sich nicht oder höchstens um 45° (Unterberger unauffällig)
  • Pathologischer Befund: Bei wiederholter Durchführung reproduzierbare Drehung von >45° um die eigene Achse (Unterberger auffällig)
  • Störungsursache: Ipsilaterale peripher-vestibuläre oder lateralisierte zerebelläre Schädigung

Systematische Ganguntersuchung

Die Untersuchung des Gangs ist im Wesentlichen eine genaue Inspektion der Bewegungsabläufe, die einige Übung erfordert. Es ist leicht, ein Gangbild intuitiv als unnormal zu erkennen, jedoch vergleichsweise schwierig, dieses genau zu beschreiben, um aus einer Vielzahl von Einzelbefunden auf die Ursache einer Störung zu schließen. Es ist daher wichtig und hilfreich, die einzelnen Aspekte des Gangbilds systematisch und, wenn nötig, nacheinander zu erfassen und zu beschreiben.

  • Durchführung: Inspektion des Gangbilds von hinten, von vorne und von der Seite
    • Patient:in bitten, möglichst barfuß und mit entkleideten Beinen auf einer Strecke von mind. 10–15 Schritten, idealerweise 10–15 m vorwärts hin und her zu gehen
    • Auffordern, auf der Stelle an den Endpunkten der Strecke zu wenden
    • Wiederholt auffordern, abrupt anzuhalten und auf Kommando wieder zu starten
    • Auffordern, ein Teilstück der Gehstrecke mit geschlossenen Augen zurückzulegen
    • Ggf. Auffordern, während des Gehens zu rechnen oder Sätze nachzusprechen (Dual-Task-Anforderung)

Bei Sturzgefahr immer in der Nähe der zu untersuchenden Person bleiben und im Zweifel eine dritte Person zur Sicherung hinzuziehen!

Systematische Ganguntersuchung
Beispielhafte pathologische Befunde Beispielhafte Erkrankungen oder Syndrome
Haltung des Körpers und der Beine
  • Kamptokormie: Unwillkürlich nach vorne gebeugter Rumpf durch dystone Anspannung der Rumpfbeugemuskulatur
Schrittlänge und Schrittform
  • Kleinschrittiger Gang: Schrittlänge ist mehr oder weniger stark verkürzt
  • Haftender Gang („Magnetgang“): Füße werden kaum angehoben und wirken wie am Boden „klebend“
Beinführung
  • Breitbasiger Gang: Beine werden breiter als normal (in >15 cm Abstand) geführt, um die Stand- und Gangsicherheit zu erhöhen
  • Zirkumduktion eines Beins (Wernicke-Mann-Gangbild ): Durch (spastische) Hyperextension des Beins muss das betroffene Schwungbein beim Gehen in einem seitlichen Bogen nach vorne gebracht werden
  • Zirkumduktion beider Beine: Bei Paraspastik, ergibt ein unsichereres, mühevolles und breitbasiges Gangbild
  • Steppergang: Durch Lähmung der Fußheber hängt der betroffene Fuß beim Anheben herab, das Bein wird kompensatorisch höher angehoben um ein Schleifen des paretischen Fußes am Boden zu verhindern
  • Myopathischer Gang (watschelnder Gang): Bei beidseitiger proximaler Muskelschwäche (des Hüftgürtels)
  • Trendelenburg-Hinken: Abkippen des Beckens zur gesunden (Schwungbein‑)Seite durch einseitigen Ausfall des M. gluteus medius und minimus auf der Standbeinseite
    • Wird bei Untersuchung im Stehen Trendelenburg-Zeichen genannt
  • Ggf. in Kombination mit dem Duchenne-Zeichen: Bei Parese der Hüftabduktion kompensatorische Neigung des Oberkörpers zur betroffenen Standbeinseite , um durch Massenverschiebung das Abkippen des Beckens zu vermeiden

Dokumentation der Befunde Die Begriffe „positives Trendelenburg- oder Duchenne-Zeichen bzw. -Hinken“ sollten vermieden und stattdessen explizit die Störung der Hüftabduktion links bzw. rechts dokumentiert werden

  • Schmerzbedingtes Hinken: Gesundes Schwungbein schwingt schneller als das betroffene Bein, damit die Belastung des schmerzhaften Standbeins möglichst kurz ausfällt
Gleichgewicht
  • Abweichung der Ganglinie: Reproduzierbare, gerichtete Abweichung von der geraden Ganglinie nach links oder rechts
  • Lateropulsion: Reproduzierbare, gerichtete Fallneigung nach links oder rechts, ggf. nur bei geschlossenen Augen auftretend oder deutlich verstärkt
  • Ungerichtetes Schwanken : Hin-und-her-Schwanken in verschiedene Richtungen
Mitschwingen der Arme
  • Vermindertes Mitschwingen der Arme: Durch Bradykinese und erhöhten Muskeltonus verarmte (unbewusste, die Massenverschiebungen beim Gehen ausgleichende) Mitbewegung eines oder beider Arme
  • Überschießende Bewegungen der Arme: Durch mangelnde Koordination, als Ausgleichsbewegung oder durch eine Hyperkinese über das Normalmaß hinausgehende Bewegung eines oder beider Arme beim Gehen
  • Hyperflexionshaltung des Arms: Durch spastisch erhöhten Muskeltonus in Beugestellung gehaltener Arm
Bewegungsfluss, Bewegungsinitiation und Bewegungsstopp
  • Starthemmung
    • Durch gestörte Bewegungsinitiation entstehende Schwierigkeit, den Gang zu beginnen
    • Geht oft mit Trippeln auf der Stelle einher
  • Freezing
    • Plötzlich auftretende, Sekunden andauernde und der bewussten Kontrolle entzogene Immobilität bzw. „eingefrorene“ Bewegung
    • Besonders bei punktuell veränderter motorischer Anforderung (vor „Hindernissen“ wie z.B. einer Tür oder einer Schwelle)
  • Festination: Unfähigkeit, aus dem Gehen heraus rasch anzuhalten; Gang kann dabei mit trippelnden Schritten immer schneller werden
  • Posturale Instabilität: Instabilität beim aufrechten Stehen und Gehen durch eine Beeinträchtigung haltungsregulierender Stellreflexe, was eine Sturzneigung zur Folge hat
Wendeschrittzahl
Reaktion auf Dual-Task-Anforderung
  • Normalisierung des Gangbilds: Zuvor bestehende Auffälligkeiten wie unsicherer, verlangsamter Gang oder auffällige Körperhaltungen verschwinden bei Ablenkung
  • Psychogene Gangstörung
  • Verschlechterung des Gangbilds: Durch gerichtete Aufmerksamkeit können manche Störungen teilkompensiert werden und verschlechtern sich daher durch Ablenkung
  • Keine spezifische Zuordnung möglich

Erweiterte Gangprüfungen

  • Durchführung
    • Seiltänzergang: Patient:in soll auf einer gedachten Linie einen Fuß unmittelbar vor den anderen setzen („Hacke-Spitze“)
    • Zehenspitzengang: Patient:in soll auf den Zehenspitzen gehen
    • Fersengang: Patient:in soll auf den Fersen gehen
  • Normalbefund: Aufgaben werden problemlos erfüllt
  • Pathologische Befunde
    • Auffälliger Seiltänzergang: Patient:in setzt Ausfallschritte neben die Ideallinie oder ist nicht in der Lage, auf einer Linie zu gehen
    • Auffälliger, seitenungleicher Zehenspitzengang: Patient:in kann auf der betroffenen Seite die Ferse nur kurz vom Boden abheben oder bleibt auf der ganzen Fußsohle stehen
      • Deckt eine leichtgradige Parese der Plantarflexion auf
    • Auffälliger, seitenungleicher Fersengang: Patient:in kann auf der betroffenen Seite den Vorfuß nur wenige Zentimeter vom Boden abheben oder bleibt auf der ganzen Fußsohle stehen
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Orientierende neurologische Untersuchungtoggle arrow icon

Der Befund "Patient ist neurologisch orientierend unauffällig" wird insb. auch außerhalb der Neurologie sehr häufig dokumentiert. In diesem Abschnitt werden in Form einer Checkliste diejenigen Untersuchungsschritte aufgelistet, die in einer orientierenden neurologischen Untersuchung eines wachen Patienten mind. enthalten sein sollten, um die neurologische Unauffälligkeit hinreichend sicher feststellen zu können. Im klinischen Alltag, insb. der nicht-neurologischen Fächer, ist das Ziel einer in Umfang und Abfolge pragmatischen neurologischen Untersuchung, alle Funktionssysteme übersichtsartig zu überprüfen und dabei wichtige Warnsignale zu erkennen. Falls in der orientierenden Untersuchung pathologische Befunde auffallen, müssen die entsprechenden Funktionssysteme genauer untersucht werden.

AMBOSS-Video-Tutorial zur orientierenden neurologischen Untersuchung:

Für den AMBOSS-Anamnese- und Untersuchungsbogen siehe: Link in Zitation [1]

Orientierung, Sprache und Sprechen

Kopf und Hirnnerven

Motorik und Koordination

Sensibilität, Reflexe und Dehnungszeichen

Stand und Gang

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