Zusammenfassung
Durch Androgenresistenz kann es trotz Vorliegen eines männlichen Genotyps (XY) zur Ausprägung eines weiblichen Phänotyps kommen. Hierbei existieren Varianten mit abgeschwächter Testosteronwirkung (z.B. mit Hypospadie) bis hin zur vollständigen Resistenz („testikuläre Feminisierung“). Klinisch zeigen sich die äußeren Geschlechtsorgane weiblich mit blind endender Vagina und oft fehlender sekundärer Geschlechtsbehaarung. Die inneren Geschlechtsorgane sind dagegen männlich mit intraabdominellen Hoden. Der therapeutische Verlauf ist abhängig von der Geschlechtsidentität des betroffenen Kindes, dessen Selbstbestimmungsrecht in den Vordergrund gerückt werden soll. Zudem spielen die Ausprägung der Androgenresistenz (komplett vs. inkomplett), der Rezeptorstatus und ggf. Phänotyp eine Rolle.
Bei der medizinischen Betreuung von Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung steht das Selbstbestimmungsrecht im Vordergrund. Unnötige geschlechtsangleichende Eingriffe bei nicht-einwilligungsfähigen Personen sollen nicht durchgeführt werden. Nach der Geburt kann bei Neugeborenen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung der Geschlechtseintrag im Geburtenregister offen gelassen oder als „divers“ eingetragen werden. Diese Angabe kann später entsprechend der eigenen Geschlechtsidentität auch geändert oder gestrichen werden. Rechtliche Grundlagen sind das Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung und das Personenstandsgesetz! [1][2]
Androgenresistenz
- Genotyp: Männlich (XY)
- Phänotyp
- Je nach Ausprägung der Androgenresistenz (komplett vs. inkomplett)
- Weiblich (46,XY-DSD durch Störungen der Androgenwirkung) bis männlich
- Erbgang: X-chromosomal-rezessiv
- Ätiologie: Unterschiedlich ausgeprägte Endorganresistenz gegenüber Androgenen (Androgenrezeptordefekt oder postrezeptorische Störung)
- Klinik
- Bei kompletter Androgenresistenz: Äußere Geschlechtsorgane weiblich (testikuläre Feminisierung)
- Entwicklung von Mammae (Thelarche)
- Weibliche äußere Genitalien mit blind endender Vagina
- Uterusaplasie
- Fehlende sekundäre Geschlechtsbehaarung (Pubarche), „hairless woman“
- Keine Menarche: Primäre Amenorrhö, Sterilität
- Innere Geschlechtsorgane männlich (intraabdominelle Hoden, keine Ovarien)
- Je nach Ausprägung der Androgenresistenz Mischformen möglich
- Bei kompletter Androgenresistenz: Äußere Geschlechtsorgane weiblich (testikuläre Feminisierung)
- Diagnostik
- Präpubertär: Testosteron↑↑
- Postpubertär: Hohe LH-Spiegel und hochnormale/erhöhte Testosteronspiegel (bei fehlender Virilisierung)
- Direkte Genanalyse (Androgenrezeptordefekt)
- Therapie [3]
- Psychologische Begleitung der Familie sowie Peer-Beratung
- Therapieansatz insb. abhängig von Geschlechtsidentität des betroffenen Kindes, Rezeptorstatus und ggf. Phänotyp [3]
- Medikamentöse Therapie: Hormon(ersatz)therapie (individuell, keine allgemeinen Empfehlungen), bspw.
- Therapieoptionen bzgl. des Entartungsrisikos der Hoden
Differenzialdiagnosen
5α-Reduktase-Mangel
- Synonym: Perineoskrotale Hypospadie mit Pseudovagina (PHP)
- Ätiologie:
- Pathophysiologie
- Defekt der 5α-Reduktase: Testosteron wird nicht in Dihydrotestosteron (DHT) umgewandelt → Fehlende Virilisierung der Geschlechtsorgane, die DHT-abhängig sind (insb. äußeres Genitale)
- Klinik
- Bei Geburt meist weiblich erscheinendes äußeres Genitale, ggf. mit perineoskrotaler Hypospadie, Klitorishypertrophie und Pseudovagina; inneres Genitale hingegen männlich
- In der Pubertät durch zunehmende Testosteronsynthese Virilisierung (Peniswachstum, Descensus testis, Entwicklung einer männlichen Geschlechtsidentität)
- Diagnostik
- Hormonbestimmung: Testosteron↑, DHT↓ (erhöhter Testosteron-DHT-Quotient); kein Anstieg von DHT unter hCG-Gabe
- Genetische Untersuchung
- Therapie: In Abhängigkeit von der Geschlechtsidentität [3][7]
- Bei weiblicher Geschlechtsidentität: Ggf. Entfernung der Hoden, Substitution von Östrogen und Gestagen nach Abschluss des Längenwachstums
- Bei männlicher Geschlechtsidentität: Ggf. Testosteronsubstitution
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- E34.-: Sonstige endokrine Störungen
- E34.5-: Androgenresistenz-Syndrom
- Androgen-Insensitivität
- Periphere Hormonrezeptorstörung
- Pseudohermaphroditismus masculinus mit Androgenresistenz
- E34.50: Partielles Androgenresistenz-Syndrom
- E34.51: Komplettes Androgenresistenz-Syndrom
- Komplette Androgen-Insensitivität [CAIS]
- Testikuläre Feminisierung (Syndrom)
- E34.59: Androgenresistenz-Syndrom, nicht näher bezeichnet
- E34.5-: Androgenresistenz-Syndrom
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.