Zusammenfassung
Die Endokrinologie (von griech. endo = "nach innen", "innerlich" und krinein = "entscheiden", "abscheiden") beschäftigt sich mit den Funktionen und Erkrankungen endokriner Körperdrüsen (z.B. Hypophyse, Schilddrüse, Nebennieren, Hoden und Ovar). Von besonderem Interesse sind dabei die Regelkreisläufe, durch die die Produktion und Ausschüttung von Hormonen gesteuert werden. Durch Fehlfunktionen innerhalb dieser Regelkreisläufe entstehen Über- oder Unterfunktionen von Drüsen (z.B. im Falle der Schilddrüse: Hyper- oder Hypothyreose), die mit typischen Krankheitsbildern assoziiert sind. Ein Verständnis der Regelkreisläufe ist insbesondere für die Diagnostik wichtig, um Veränderungen der Hormonspiegel und Einflüsse bei Suppressions- oder Stimulationstests deuten zu können.
Daneben fallen in den Bereich der Endokrinologie auch die Behandlung von Stoffwechselkrankheiten und die Ernährungsmedizin.
In diesem Kapitel findet sich eine Übersicht über die Hormone der unterschiedlichen Organe und die verschiedenen Hormonachsen.
Überblick endokrinologischer Erkrankungen
In diesem Kapitel werden vor allem die Hormone der Hypothalamus-Hypophysen-Achsen behandelt. Weitere wichtige Hormone werden, ebenso wie die Erkrankungen des Stoffwechsels, in eigenen Kapiteln behandelt.
- Stoffwechselkrankheiten
- Diabetes mellitus
- Osteoporose (siehe auch: Calciumhaushalt)
- Metabolisches Syndrom
- Erkrankungen endokriner Drüsen der Hypothalamus-Hypophysen-Achse
Grundlagen der Endokrinologie
Hormone
- Definition: Hormone sind körpereigene Stoffe, die von Drüsen oder einzelnen Zellen abgegeben werden und der Signalübertragung dienen. Sie beeinflussen die Funktion bzw. den Stoffwechsel anderer Zellen und Organe, ihre Sekretion unterliegt dabei i.d.R. komplexen Regelkreisen.
- Hormone können anhand ihrer Sekretionsweise eingeteilt werden:
Regelkreise
Die Regulation der Hormone erfolgt über unterschiedliche Regelkreise. Es folgt eine vereinfachte Darstellung eines Regelkreises anhand des antidiuretischen Hormons:
- Rezeptoren im Hypothalamus erfassen die Blutosmolarität (Messeinrichtung)
- Übersteigt die Osmolarität den Sollwert, kommt es über die Neurohypophyse zu einer Ausschüttung von ADH (Stellgröße)
- ADH führt zu einer vermehrten Rückresorption von Wasser in der Niere (Regelstrecke)
- Die Rezeptoren im Hypothalamus registrieren eine sinkende Blutosmolarität und die ADH-Ausschüttung wird verringert
Diagnostik endokrinologischer Erkrankungen
Folgende Methoden kommen im Rahmen der Diagnostik zum Einsatz:
- Direkte Messung der Hormonkonzentration (z.B. Prolaktin-Messung bei Verdacht auf Prolaktinom)
- Stimulation einer Drüse bei Verdacht auf Unterfunktion (z.B. ACTH-Kurztest bei Verdacht auf Nebennierenrindeninsuffizienz)
- Inhibierung einer Drüse bei Verdacht auf Überfunktion (z.B. Dexamethason-Hemmtest bei Verdacht auf Hypercortisolismus)
- Bildgebende Darstellung einer Drüse
- Morphologisch (z.B. Schilddrüsensonografie )
- Funktionell (z.B. Schilddrüsenszintigrafie bei Verdacht auf eine Schilddrüsenautonomie)
- Ggf. spezifische Abklärung der Krankheitsgenese (z.B. Bestimmung von Anti-TSH-Rezeptor-Antikörpern) und weiterführende Diagnostik der (vermuteten) Erkrankung (z.B. HbA1c-Messung bei Diabetes mellitus)
Hypothalamus und Hypophyse
Hypothalamus
- Teil des Diencephalon (Zwischenhirn)
- Besteht aus mehreren Kerngebieten
- Reguliert neben vielen Hormonachsen auch eine Reihe vegetativer Funktionen (z.B. Körpertemperatur und Nahrungszufuhr)
- Die Hormone des Hypothalamus wirken zum Großteil auf die Hormonausschüttung der Adenohypophyse
- Unterschieden werden Releasing-Hormone (steigern die Freisetzung von Hormonen in der Hypophyse) und Inhibiting-Hormone (senken die Freisetzung von Hormonen in der Hypophyse)
Hypophyse
- Über den Hypophysenstiel mit dem Hypothalamus verbunden, liegt in einer knöchernen Vertiefung (Sella turcica) der mittleren Schädelgrube
- Besteht aus zwei Anteilen
- Adenohypophyse (= Hypophysenvorderlappen, HVL)
- Neurohypophyse (= Hypophysenhinterlappen, HHL)
Übersicht der Hormonachsen von Hypothalamus und Hypophysenvorderlappen
- Die Adenohypophyse (= Hypophysenvorderlappen) produziert zwei Arten von Hormonen
- Glandotrope Hormone → Steuern andere endokrine Drüsen
- Nicht-glandotrope Hormone → Haben einen direkten Effekt auf den Organismus
Glandotrope Hormone
Hypothalamus | Adenohypophyse | Endokrines Zielorgan* |
---|---|---|
CRH (Corticotropin-releasing-Hormon, Corticoliberin) | ||
TRH (Thyreotropin-releasing-Hormon, Thyreoliberin) | ||
GnRH (Gonadotropin-releasing-Hormon, Gonadoliberin) | ||
* Weitere Hormone und Wirkungen siehe unten |
Nicht-Glandotrope Hormone
Hypothalamus | Adenohypophyse | Hauptsächliche Wirkung |
---|---|---|
|
| |
Somatostatin | ||
| ||
Melanozyten inhibierendes Hormon | ||
| ||
Prolaktin inhibierendes Hormon (PIH) |
Hormone des Hypothalamus-Hypophysenhinterlappen-Systems
- Die Neurohypophyse (= Hypophysenhinterlappen) ist Ort der Speicherung und Sezernierung zweier Peptidhormone, die im Hypothalamus produziert werden
- Antidiuretisches Hormon (ADH, Adiuretin, Vasopressin): Regulation des Wasserhaushalts (und Blutdrucks)
- Oxytocin : Kontraktion des Uterus
Wichtige Erkrankungen
Nebennierenrinde
Regelkreislauf
- Hypothalamus: CRH (Corticotropin-releasing-Hormon) → Stimuliert die Hypophyse zur Ausschüttung von ACTH (Adrenokortikotropes Hormon) → stimuliert die Nebennierenrinde zur Ausschüttung von Glucocorticoiden und Androgenen
- Stimuli
- Schmerzen, Stress (psychisch/physisch)
- Pyrogene, Adrenalin, Histamin
- Hypoglykämie, Hypotonie
- Hemmung
- Glucocorticoide wirken über eine negative Feedback-Regulation hemmend auf die Ausschüttung CRH und ACTH
- Stimuli
Physiologische Wirkung der Nebennierenrindenhormone
- Glucocorticoide: Hauptvertreter Cortisol (siehe auch Wirkung und Nebenwirkung im Kapitel Glucocorticoide)
- Stoffwechsel
- Blutzucker↑
- Proteinkatabolismus
- Lipolyse
- Knochenabbau
- Immunsuppressiv
- Antiphlogistisch
- Permissiver Effekt für Katecholamine
- Stoffwechsel
- Androgene: In der NNR hauptsächlich Dehydroepiandrosteron (schwach wirksames männliches Sexualsteroid )
- Stoffwechsel, anabole Wirkung auf:
- Einfluss auf Verhalten/ZNS-Prozesse
- Beim Mann
- Geschlechtsdifferenzierung
- Stimulierung der Spermatogenese
- Mineralocorticoide: Hauptvertreter Aldosteron → Regulierung hauptsächlich über das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS)
- Renale Minderperfusion z.B. durch Blutdruckabfall → Freisetzung von Renin in den Nieren → Renin wandelt Angiotensinogen (in der Leber gebildet) zu Angiotensin I um → Umwandlung von Angiotensin I zu Angiotensin II durch das Angiotensin-konvertierende Enzym (ACE, v.a. in der Lunge lokalisiert) → Angiotensin II wirkt stark vasokonstriktorisch und bewirkt in der Nebennierenrinde die Freisetzung von Aldosteron → Aldosteron fördert in der Niere die Rückresorption von Natrium (und Wasser) und führt gleichzeitig zu einer verstärkten Kalium- und Protonenausscheidung →Extrazellulärvolumen↑, Blutdruck↑, K+↓, pH↑
Die Freisetzung der Mineralocorticoide wird durch das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System gesteuert!
Wichtige Erkrankungen
Schilddrüse
Regelkreislauf
- Hypothalamus: TRH (Thyreotropin-releasing-Hormon, Thyreoliberin) → Stimuliert die Hypophyse zur Ausschüttung von TSH (Thyreoidea-stimulierendes-Hormon, Thyreotropin), auch Prolaktinsynthese durch TRH gesteigert → Stimuliert die Schilddrüse zur Ausschüttung von T3 (Triiodthyronin) und T4 (Thyroxin, Tetraiodthyronin)
- Stimuli
- Starke Kälteexposition
- Stress
- Hemmung
- Negative Rückkopplung von T3/T4 auf TRH und TSH
- Zusätzliche Hemmung der Bildung von TSH und TRH durch
- Somatostatin, Dopamin
- Glucocorticoide
- Fasten
- Systemische Infektionen
- Stimuli
Schilddrüsenhormone
Die Schilddrüse schüttet die beiden Schilddrüsenhormone T3 (Triiodthyronin) und T4 (Thyroxin, Tetraiodthyronin) aus . T4 ist selbst nur geringgradig aktiv, wird aber in deutlich höheren Mengen gebildet (Verhältnis T4:T3 etwa 20:1). Es wird im Blut durch eine Deiodase zu dem biologisch aktiveren T3 umgewandelt und ist somit ein Prohormon. Die Halbwertszeit von T3 beträgt etwa 1 Tag (ca. 20h), die von T4 beträgt etwa 1 Woche (ca. 190h). T4 stellt also eine Art "wirkungsarme Depotform" von Schilddrüsenhormonen dar und wird daher auch in der Substitutionstherapie eingesetzt.
Physiologische Wirkung der Schilddrüsenhormone
- Grundumsatz↑ (Sauerstoffverbrauch↑ und Körpertemperatur↑)
- Stimulation des Kohlenhydratstoffwechsels
- Proteinanabolismus (in hohen Dosen: Proteinkatabolismus)
- Je nach Stoffwechsellage Förderung der Lipolyse oder Liponeogenese
- Permissiver Effekt für Katecholamine (v.a. über β-Rezeptoren)
- Bei Kindern: Stimulation des Knochenwachstums und der Reifung des Nervensystems
Wichtige Erkrankungen
Gonaden
Regelkreislauf
- Hypothalamus: GnRH (Gonadotropin Releasing-Hormon, Gonadoliberin) → stimuliert die Hypophyse zur Ausschüttung von FSH (Follikelstimulierendes Hormon) und LH (Luteinisierendes Hormon) → LH und FSH entfalten ihre Wirkung an den Gonaden mit unterschiedlichen Effekten bei Mann und Frau
Physiologische Wirkung von LH, FSH und der Sexualhormone
- Ovarien
- FSH: Follikelreifung → Östrogene↑ (siehe: Östrogenwirkung und assoziierte Erkrankungen)
- LH: Östrogene↑, Eisprung und Progesteron↑ (Progesteron hat seine Hauptfunktion im Menstruationszyklus und bei der Aufrechterhaltung der Schwangerschaft)
- Hoden
- FSH: Spermienproduktion, Inhibin↑
-
LH: Stimulation der Leydig-Zellen → Testosteronproduktion↑
- Wirkungen von Testosteron
- Ausbildung männlicher Geschlechtsmerkmale in der Pubertät
- Spermatogenese
- Libidosteigerung
-
Anabole Wirkung
- Knochenaufbau, Wachstum
- Muskelaufbauende Wirkung
- Wirkungen von Testosteron