Zusammenfassung
In der audiometrischen Diagnostik der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde können durch verschiedene Testverfahren Ort und Ausmaß einer Schwerhörigkeit bestimmt werden. Schwerhörigkeit kann durch Störungen im äußeren Gehörgang, Mittel- oder Innenohr sowie zentral im Bereich von Hörnerv, Hörbahn oder Hörrinde entstehen. Je nach Ursprungsort der Störung wird die Schwerhörigkeit in Schallempfindungsschwerhörigkeit (Störung im Innenohr oder retrokochleär) und Schallleitungsschwerhörigkeit (Störung im Mittelohr, Trommelfell oder äußeren Gehörgang) eingeteilt. Das Ausmaß der Hörstörung kann von einer leichten Hörminderung bis zur Gehörlosigkeit reichen.
Unterschieden werden in der Audiometrie subjektive Testverfahren (die auf eine aktive Mitarbeit der Patient:innen angewiesen sind) von objektiven Testverfahren. Die einfachsten subjektiven Verfahren sind die Stimmgabelprüfungen nach Rinne und Weber, die eine orientierende Unterscheidung zwischen Schallempfindungs- und Schallleitungsstörung zulassen. Die am häufigsten durchgeführte apparative Untersuchung ist die Tonschwellenaudiometrie (im Volksmund "Hörtest" genannt), ein subjektives Verfahren zur Messung der frequenzabhängigen Hörempfindlichkeit. Ein objektives Verfahren ist bspw. die Messung otoakustischer Emissionen, die als Screeningtest auf Hörschäden bei Neugeborenen Verwendung findet.
Im Folgenden erfolgt eine differenzierte Darstellung der einzelnen subjektiven und objektiven audiometrischen Verfahren.
Grundlagen
Schwerhörigkeit
- Wird unterteilt in Schallempfindungsstörung und Schallleitungsstörung, siehe auch: Hörminderung
Recruitment (Lautheitsausgleich) [1][2]
- Definition: Phänomen des Innenohrs bzw. der äußeren Haarzellen, das zur Unterscheidung zwischen kochleären und retrokochleären Schallempfindungsstörungen dient; bildet die Grundlage für die Lautheitsausgleichstests wie den SISI-Test, Lüscher-Test und Fowler-Test
- Prinzip beim Hörgesunden: Aufgrund der Wirkung der inneren und äußeren Haarzellen werden laute Töne (hohe Schalldruckpegel) gedämpft und leise Töne (geringe Schalldruckpegel) verstärkt
- Feinbau des Corti-Organs: Besteht aus inneren und äußeren Haarzellen
- Innere Haarzellen: Leiten 95% der Nervenimpulse an das Gehirn weiter, sind jedoch erst ab einem Schalldruckpegel von 60 dB ohne zusätzliche Verstärkung erregbar
- Äußere Haarzellen
- Wirken als Verstärker und unterstützen aktiv die Wanderwelle durch Bewegung ihrer Stereozilien
- Ab ca. 60 dB Lautstärke lässt Verstärkerfunktion nach, da innere Haarzellen ab diesem Pegel auch ohne Verstärkung ausreichend erregt werden
- Stattdessen dämpfen äußere Haarzellen bei hohem Schalldruckpegel die Auslenkung der Basilarmembran und dämpfen die Schallwahrnehmung
- Feinbau des Corti-Organs: Besteht aus inneren und äußeren Haarzellen
- Positives Recruitment
- Vorhanden bei kochleären Schallempfindungsstörungen (z.B. Lärmtrauma), da äußere Haarzellen zuerst geschädigt werden
- Geringe Lautstärken werden nicht oder schlecht wahrgenommen
- Ab 60 dB: Rascher Lautheitszuwachs, bis Empfindung auf dem schwerhörigen Ohr genauso ist wie auf dem gesunden Ohr (sog. „Lautheitsausgleich“)
- Negatives Recruitment
- Vorhanden bei retrokochleären Schallempfindungsstörungen (z.B. Akustikusneurinom)
- Auch sehr laute Töne werden im Vergleich zum gesunden Ohr als leise empfunden
- Metz-Recruitment: Liegt bei kochleärer Schallempfindungsschwerhörigkeit vor, wenn Unterschied von Hörschwelle und Stapediusreflexschwelle <60 dB beträgt
Übersicht: Audiometrische Verfahren
Einteilung
- Subjektive Testverfahren, bspw.
- Stimmgabelprüfungen nach Rinne und Weber
- Tonschwellenaudiometrie
- Sprachaudiometrie
- Tests zur Messung des Lautheitsausgleichs
- Fowler-Test
- SISI-Test
- Lüscher-Test
- Schwellenschwundtest nach Cahart (Threshold Tone Decay Test)
- Békésy-Audiometrie
- Objektive Testverfahren: Bestimmung der Hörschwelle ohne aktive Mitarbeit der Patient:innen
-
OAE: Messung otoakustischer Emissionen
- TEOAE
- DPOAE
- Elektrische Reaktionsaudiometrie (Electric Response Audiometry, ERA)
- Hirnstammaudiometrie (Brainstem evoked Response Audiometry, BERA)
- Hirnrindenaudiometrie (Cortical evoked Response Audiometry, CERA)
- Impedanzaudiometrie
-
OAE: Messung otoakustischer Emissionen
Übersicht der wichtigsten Verfahren
Hörtest | Schallempfindungsstörung | Schallleitungsstörung | |
---|---|---|---|
kochleär | retrokochleär | ||
Subjektive Verfahren. | |||
Positiv | Positiv | Negativ | |
Weber-Versuch | Im gesunden Ohr gehört | Im gesunden Ohr gehört | Im kranken Ohr gehört |
Sprachaudiometrie | Oft Diskriminationsverlust | Oft Diskriminationsverlust | Kein Diskriminationsverlust |
Fowler-Test | Positiv | Kann negativ sein | — |
SISI-Test | 60–100% | Kann 0–15% sein | — |
Tonschwellenaudiometrie | Hörverlust oft im hohen Tonbereich | Hörverlust oft im hohen Tonbereich | Differenz zwischen Luft- und Knochenleitung |
Threshold Tone Decay Test (Carhart-Test) | Schwellenschwund von 15–25 dB | Schwellenschwund >30 dB | — |
Objektive Verfahren | |||
Hirnstammaudiometrie (Brainstem evoked Response Audiometry, BERA) | Latenz normal | Verlängerung der Latenz | — |
Otoakustische Emissionen | Fehlen | Vorhanden | Nicht nachweisbar |
Stapediusreflexmessung | Metz-Recruitment vorhanden | Fehlt oft | Reflex nicht nachweisbar |
Tympanometrie | Keine Änderung des Kurvenverlaufs | Keine Änderung des Kurvenverlaufs | Änderung des Kurvenverlaufs |
Basisdiagnostik bei Schwerhörigkeit
- Otoskopie und Ohrmikroskopie
-
Otoskopisch einsehbares Trommelfell wird in Quadranten eingeteilt
- Vorne oben (I)
- Vorne unten (II) → Lokalisation des physiologischen dreieckigen Lichtreflexes
- Hinten unten (III)
- Hinten oben (IV)
- Strukturen, die außerdem in der Otoskopie dargestellt werden sollten
- Pars tensa: Straffer, großer Teil des Trommelfells
- Pars flaccida (Shrapnell-Membran): Schlaffer, kleiner Teil des Trommelfells
- Hammerfortsatz und Hammergriff inkl. Umbo
-
Otoskopisch einsehbares Trommelfell wird in Quadranten eingeteilt
- Stimmgabelprüfungen
- Tonschwellenaudiometrie
- Sprachaudiometrie
- Impedanzaudiometrie (Stapediusreflexmessung, Tympanometrie)
Stimmgabelprüfungen
Die Stimmgabelprüfungen nach Rinne und Weber ermöglichen eine Unterscheidung zwischen Schallempfindungs- und Schallleitungsstörung. Sie sind subjektive Verfahren, d.h. sie sind auf die aktive Mitarbeit der Patient:innen angewiesen.
Rinne- und Weber-Versuch
Rinne-Versuch
- Kurzbeschreibung: Test der Schallleitung beider Ohren durch Vergleich der Hörschwelle für Luft- und Knochenleitung
- Durchführung
- Stimmgabel durch Anschlagen zum Schwingen bringen und an einem Ohr auf den Proc. mastoideus setzen: Test der Knochenleitung
- Ist der Ton soweit abgeklungen, dass die untersuchte Person ihn nicht mehr hört, Stimmgabel ohne neuen Anschlag direkt vor das gleiche Ohr halten: Test der Luftleitung
- Interpretation
- Positiver Rinne-Versuch: Patient:in hört die Stimmgabel wieder, sobald sie vor das Ohr gehalten wird
- Ton wird besser über Luftleitung wahrgenommen → Physiologisch und bei Schallempfindungsstörung des getesteten Ohrs
- Negativer Rinne-Versuch: Patient:in hört die Stimmgabel nicht, wenn sie vor das Ohr gehalten wird
- Ton wird besser über Knochenleitung wahrgenommen → Hinweis auf eine Schallleitungsstörung des getesteten Ohrs
- Positiver Rinne-Versuch: Patient:in hört die Stimmgabel wieder, sobald sie vor das Ohr gehalten wird
Bei einer hochgradigen einseitigen Schallempfindungsstörung kann der Rinne-Versuch auch negativ ausfallen, wenn die Stimmgabel beim Anlegen auf das Mastoid über die Knochenleitung vom gesunden Ohr der Gegenseite gehört wird. Um diese Fehlinterpretation zu vermeiden, sollte immer zusätzlich der Weber-Versuch durchgeführt werden!
Weber-Versuch
- Kurzbeschreibung: Test der Knochenleitung zur Unterscheidung von Schallleitungs- und Schallempfindungsstörung bei einseitiger Schwerhörigkeit
- Durchführung
- Stimmgabel durch Anschlagen zum Schwingen bringen und auf die Schädelmitte setzen
- Untersuchte Person fragen, ob sie den Ton in einem Ohr besser hört
- Interpretation
- Ton wird auf einer Seite lauter wahrgenommen: Sog. Lateralisation
- Differenzierung von Schallleitungs- und Schallempfindungsstörungen in Kombination mit Ergebnis des Rinne-Versuchs
- Keine Lateralisation → Physiologisch oder bei seitengleicher Schwerhörigkeit
- Lateralisation in das hörgeschädigte (= Rinne-negativ getestete) Ohr → Hinweis auf eine Schallleitungsstörung dieser Seite
- Lateralisation in das normal hörende (= Rinne-positiv getestete) Ohr → Hinweis auf eine Schallempfindungsstörung der Gegenseite
Übersicht über mögliche Befunde
Rinne links | Rinne rechts | Weber | Möglicher Befund |
---|---|---|---|
Positiv | Positiv | Median | Normales Gehör |
Beidseits symmetrische Schallempfindungsstörung | |||
Positiv | Positiv | Lateralisiert nach links | Schallempfindungsstörung rechts |
Positiv | Positiv | Lateralisiert nach rechts | Schallempfindungsstörung links |
Negativ | Positiv | Lateralisiert nach links | Schallleitungsstörung links |
Positiv | Negativ | Lateralisiert nach rechts | Schallleitungsstörung rechts |
Negativ | Positiv | Lateralisiert nach rechts | Kombinierte Schwerhörigkeit links |
Taubheit links | |||
Negativ | Negativ | Median | Beidseits symmetrische Schallleitungsstörung |
Weber- und Rinne-Test sind orientierende Hörprüfungen zur Unterscheidung von Schallleitungs- und Schallempfindungsstörung!
Gellé-Versuch
- Kurzbeschreibung: Test zur Feststellung der Gehörknöchelchen-Beweglichkeit, z.B. in der Otosklerose-Diagnostik
- Durchführung
- Angeschlagene Stimmgabel auf den Schädel setzen
- Gehörgang mit einem Gummiballon abdichten und so einen Überdruck im äußeren Gehörgang erzeugen
- Interpretation
- Gellé positiv: Normalbefund; Überdruck stört sowohl Knochen- als auch Luftleitung; Patient:in hört den Ton nach Kompression leiser, nach Dekompression wieder lauter → Beweglichkeit der Gehörknöchelchen intakt (oder ein etwaiger Prozess im Mittelohr schränkt die Beweglichkeit der Gehörknöchelchen nicht ein)
- Gellé negativ: Patient:in hört Stimmgabel trotz Überdruck unverändert laut → Stapesfixation verschlechtert Luftleitung, Knochenleitung jedoch mit unveränderter Hörschwelle → Hinweis auf Otosklerose
Hörweitenprüfung
Hörweitenprüfung mit Flüstersprache (und Umgangssprache)
- Kurzbeschreibung: Seitengetrennter, orientierender Test für das Ausmaß einer Hörstörung
- Durchführung
- Abgewandtes Ohr abdichten (z.B. Gehörgang mit einem Zeigefinger verschließen)
- Aus verschiedenen Entfernungen viersilbige Wörter mit Reserveluft (meist Zahlen) sprechen
- Ergebnis/Interpretation
- ≥6 m: Normalhörigkeit (physiologische Hörweite 6–8 Meter)
- 4–6 m: Geringgradige Schwerhörigkeit
- 1–4 m: Mittelgradige Schwerhörigkeit
- 25 cm bis 1 m: Hochgradige Schwerhörigkeit
- ≤25 cm: An Taubheit grenzend
- Keine Hörwahrnehmung: Taubheit
Tonschwellenaudiometrie
- Kurzbeschreibung: Subjektiver Test zur Ermittlung der frequenzabhängigen Hörschwelle durch Messung der Luft- und Knochenleitung, ermöglicht Aussagen über Ausmaß sowie Ursache (Schallempfindungs- oder Schallleitungsstörung) der Hörstörung
- Durchführung
- Patient:in über einen Kopfhörer (Luftleitung) und einen Knochenleitungshörer (Knochenleitung) Töne verschiedener Frequenzen vorspielen und die Lautstärke dabei für jede einzelne Frequenz in 5-dB-Schritten erhöhen
- Patient:in gibt verabredetes Signal (z.B. Finger heben oder Knopf drücken), sobald Ton gehört wird
- Hörschwellen der einzelnen Frequenzen werden auf Audiogrammformular markiert (hohe bis tiefe Töne)
- Interpretation: Verbindung der einzelnen Hörschwellenpunkte ergibt Hörschwellenkurve für Luft- und Knochenleitung → Hörverlust für die einzelnen Frequenzen ablesbar
- Bei Schallleitungsstörung (Mittelohrschädigung): Erhöhte Hörschwelle für Luftleitung, aber normale Hörschwelle für Knochenleitung (Ausnahme: Carhart-Senke bei Otosklerose )
- Bei Schallempfindungsstörung (kochleäre oder retrokochleäre Schädigung): Hörschwelle für Luft- und Knochenleitung gleichermaßen erhöht
Sprachaudiometrie
Freiburger Sprachverständlichkeitstest [1]
- Kurzbeschreibung: Test zur Messung des Sprachverständnisses
- Ermittlung des Hörverlusts für Zahlen sowie des Diskriminationsverlusts für Sprache bzw. Einsilber-Sprachverständlichkeit
- Indikation: Im Rahmen einer Routinediagnostik, zur Begutachtung eines Hörschadens oder für die Anpassung von Hörhilfen
- Durchführung
- Patient:in mehrsilbige Zahlen und einsilbige Wörter für beide Ohren getrennt und in verschiedenen Lautstärken anbieten
- Zahlen bzw. Worte sollen nachgesprochen werden
- Diskrepanz zwischen Original und Wiedergabe ermöglicht Rückschlüsse auf das Gehörte
- Angabe der richtigen Antworten erfolgt in Prozent
- Interpretation
- Anhand der Ergebnisse lassen sich der Hörverlust für Zahlen und die Sprachverständlichkeit einsilbiger Worte bestimmen
- Wortverständnisverlust wird als Diskriminationsverlust bezeichnet
- Hat die untersuchte Person bei 65 dB auf dem besser hörenden Ohr nicht mehr als 80% der Wörter richtig nachgesprochen, kann dies zusammen mit einem pathologischen Audiogramm als Indikation für eine Hörgeräteversorgung herangezogen werden
Elektrische Reaktionsaudiometrie
Elektrische Reaktionsaudiometrie (Electric Response Audiometry, ERA)
- Definition: Oberbegriff für Verfahren zur Messung akustisch evozierter Potenziale, die im EEG registriert werden können
- Unterscheidung je nach Latenz ihres Auftretens nach dem Schallreiz
- FAEP = Frühe akustisch evozierte Potenziale, bilden den Bereich zwischen Cochlea und Hirnstamm ab und treten in den ersten 10 ms nach Reizbeginn auf, bspw. Hirnstammaudiometrie (BERA) und EcochG
- MLR = Middle Latency Response, keine klinische Relevanz
- SAEP = Späte akustisch evozierte Potenziale, ab 100 ms nach Reizbeginn, bspw. Hirnrindenaudiometrie (CERA)
- Unterscheidung je nach Latenz ihres Auftretens nach dem Schallreiz
- Indikation
- Verdacht auf retrokochleäre Störungen
- Objektive Hörschwellenbestimmung bei Kindern oder nicht kooperativen Patient:innen (auch zum Neugeborenen-Screening geeignet)
- Durchführung
- Akustische Reize über einen Kopfhörer vermitteln
- Über eine Ableitelektrode an Mastoid und Vertex (Scheitel) je nach Verfahren frühe, mittlere und späte Potenziale generieren
- Laufzeitvergleich mit Normtabellen ermöglichen topografische Angaben über Läsionsort der Hörstörung (Topodiagnostik)
Hirnstammaudiometrie (Brainstem evoked Response Audiometry, BERA)
- Prinzip
- Ableitung der frühen akustisch evozierten Potenziale (FAEP): 1,5–10 ms nach Schallreiz
- Darstellung der Potenziale in Form von 5 Wellen
- Wellen 1 und 2: Proximaler Teil des N. cochlearis
- Wellen 3 bis 5: Verlauf der Hörbahn im Hirnstamm
- Aussage über Mittelohr, Innenohr und Hörnerv möglich
- Indikation
- Erwachsene: Früherkennung eines Vestibularisschwannoms
- Neugeborene mit auffälligem OAE-Hörscreening oder Risikofaktoren für eine Hörstörung
- Umfelddiagnostik bei Tinnitus, Neuropathia vestibularis und asymmetrischer Hörminderung
- Durchführung
Hirnrindenaudiometrie (Cortical evoked Response Audiometry, CERA)
- Prinzip
- Ableitung der späten und sehr späten akustisch evozierten Potenziale (SAEP): Ab 100 ms nach Schallreiz
- Erfassung der gesamten Hörbahn
- Ermöglicht die objektive Bestimmung der frequenzabhängigen Hörschwelle
- Indikation: Bei Erwachsenen zur Abklärung einer Aggravation oder psychogenen Schwerhörigkeit
- Durchführung: Abhängig von Vigilanz und Lebensalter, kann nicht in Narkose oder unter Sedierung erfolgen
Elektrocochleografie
- Prinzip: Messung von Potenzialen der Cochlea, die durch einen akustischen oder elektrischen Reiz ausgelöst werden
- Indikation
- Insb. bei V.a. Morbus Menière (nur in Spezialzentren verwendet)
- Ausschluss einer retrokochleären Ertaubung vor möglicher Cochlea-Implantat-Versorgung
- Aufgrund der Invasivität seltener bei folgenden Indikationen
- Objektive Bestimmung der Hörschwelle
- Intraoperative Überwachung der Hörfunktion
- Überprüfung der Funktion der äußeren Haarzellen
- Durchführung
- Elektrode möglichst nah an der Cochlea platzieren
- Nicht-invasive Ableitung über eine im Gehörgang liegende Elektrode (die möglichst nah am Trommelfell liegen sollte) oder
- Invasive Ableitung über eine durch das Trommelfell hindurch gestochene Nadelelektrode, die möglichst nah am Promontorium liegen sollte
- Messung von 3 unterschiedlichen Potenzialen
- Mikrofonpotenzial (Antwort der äußeren Haarzellen)
- Summationspotenzial (Schwingungen der Basilarmembran)
- Summenaktionspotenzial (Reaktion des Hörnerven)
Otoakustische Emissionen
- Kurzbeschreibung: Physiologische Schallaussendungen der äußeren Haarzellen der Cochlea, die spontan oder bei akustischer Reizung entstehen und im äußeren Gehörgang mit einem hochsensitiven Mikrofon gemessen werden können
- Spontane OAE (SOAE): Physiologische akustische Schallaussendungen, die ohne vorausgegangenen akustischen Reiz von den äußeren Haarzellen des Ohres ausgesendet werden und retrograd in den Gehörgang gelangen
- Transitorisch evozierte OAE (TEOAE): Otoakustische Emissionen, die durch einen kurzen Reiz (Klick) ausgelöst werden
- Distorsionsprodukte otoakustisch evozierter Emissionen (DPOAE): Otoakustische Emissionen, die durch zwei kurz aufeinanderfolgende Töne ausgelöst werden
- Indikation
- Methode der Wahl beim Neugeborenen-Hörscreening (TEOAE)
- Frequenzspezifische Erfassung einer kochleären Hörstörung (DPOAE)
- Durchführung: Messung der otoakustischen Emissionen im äußeren Gehörgang durch Aufnahme mit sehr empfindlichen Mikrofonen, Nebengeräusche während der Untersuchung vermeiden, Dauer der Messung ca. 1 min
- Interpretation
- Otoakustische Emissionen messbar: Funktion der äußeren Haarzellen normal
- Bei Schallempfindungsschwerhörigkeit von >30 dB keine TEOAE mehr nachweisbar
- Bei Schallempfindungsschwerhörigkeit von >50 dB keine DPOAE mehr nachweisbar
- Abschwächung der OAE um den Betrag der Schallleitungskomponente
Impedanzmessung
Impedanzaudiometrie
- Kurzbeschreibung: Funktionsdiagnostik des Schallleitungsapparats durch Messung des akustischen Widerstands des Trommelfells, zur Impedanzaudiometrie werden gezählt
- Prinzip: Bei intaktem Mittelohr
- Größter Teil der Schallenergie wird über Trommelfell von den Gehörknöchelchen aufgenommen und an Innenohr weitergeleitet
- Kleinerer Teil der Schallenergie wird von Mittelohr und Trommelfell reflektiert: Ergibt sich aus Kontraktion der Mittelohrmuskeln oder durch Änderung des Luftdrucks im äußeren Gehörgang (Impedanz)
- Voraussetzung: Intaktes Trommelfell und luftdichter Verschluss des Gehörgangs durch die jeweilige Gehörgangssonde
Stapediusreflexmessung
- Kurzbeschreibung: Messung des Stapediusreflexes zur Beurteilung der Beweglichkeit der Gehörknöchelchen; Untersuchung, ob und wann bei welchem Lautstärkepegel der Stapediusreflex ausgelöst wird
- Prinzip: Schutz des Innenohrs vor lauten Geräuschen
- Stapediusreflex: Kontraktion des M. stapedius (vom N. facialis innerviert) auf einen akustischen Reiz → Schwingungsfähigkeit des Steigbügels ↓ → Plötzliche Erhöhung des Widerstands (Impedanz) am Trommelfell → Trommelfell reflektiert mehr Schall → Abschwächung der Schallintensität, die an das Innenohr weitergeleitet wird
- Durchführung
- Ein Ohr über Kopfhörer mit anfangs 70 dB beschallen, Schall in 5-dB-Einheiten erhöhen
- Über eine Gehörgangssonde mit einem Messmikrofon auf jeder Seite ipsi- und kontralateralen Reflex bestimmen
- Interpretation
- Komplett fehlender Reflex auf der erkrankten Seite und Reflexantwort auf der kontralateralen, gesunden Seite erst bei gesteigerten Schalldruckpegeln: Typisch für Mittelohrschwerhörigkeit (bspw. bei Otosklerose, Mittelohrerguss, Trommelfelldefekt, Fazialisparese, Aplasie des M. stapedius)
- Komplett fehlender Reflex auf der erkrankten Seite und nicht nachweisbare Reflexe auf der kontralateralen, gesunden Seite: Hinweis auf Kettenunterbrechung
- Verkleinerung der Differenz zwischen Hörschwelle und Reflexschwelle: Hinweis auf eine Innenohrschädigung
Tympanometrie
- Kurzbeschreibung: Messung des vom Trommelfell reflektierten Schalls bei unterschiedlichen Druckverhältnissen im äußeren Gehörgang; erlaubt Rückschlüsse auf die Beweglichkeit des Trommelfells und die Belüftungssituation im Mittelohr, die z.B. Hinweise auf eine Tubenfunktionsstörung oder einen Paukenerguss sein können
- Durchführung
- Über eine Sonde den Gehörgangseingang luftdicht abschließen (kann den Druck im äußeren Gehörgang manipulieren und verschiedene Schallfrequenzen abgeben)
- Vom Trommelfell reflektierter Schall gibt Auskunft über Nachgiebigkeit bzw. Steifigkeit des Trommelfells (Compliance) und wird in Abhängigkeit vom erzeugten Über- und Unterdruck (zwischen +300 und -300 Pa) gemessen
- Ergebnis in Form eines Tympanogramms festhalten
- Interpretation
- Unauffällige Mittelohrfunktion: Maximum der Compliance etwa 0 Pa
- Tubenfunktionsstörung: Verschiebung der normalen Compliance in den Unterdruckbereich
- Sero- oder Mukotympanon (Paukenerguss): Flache Tympanometriekurve ohne erkennbares Maximum
Historische Hörtests
Die folgenden Hörtest werden im klinischen Alltag nicht mehr bzw. sehr selten (bspw. für Gutachten) verwendet und haben eher historischen Wert.
Überschwellige Audiometrie
- Beschreibung: Testverfahren zur Differenzierung kochleärer und retrokochleärer Hörstörungen durch Bestimmung des Recruitments (Lautheitsempfinden), hierbei Überprüfung der akustischen Wahrnehmungen im überschwelligen Intensitätsbereich
- Verfahren
- Fowler-Test
- Kurzbeschreibung: Vergleich des Lautheitsausgleichs (Recruitment) beider Ohren
- Voraussetzung: Einseitige Schwerhörigkeit
- Durchführung: Beide Ohren mit Tönen unterschiedlicher Lautstärke beschallen, bis die untersuchte Person auf beiden Ohren den gleichen Lautheitseindruck hat; Vorgang mit zunehmend höheren Lautstärkepegeln wiederholen
- Interpretation
- Bei Patient:innen mit Schallleitungsstörung oder retrokochleärer Schallempfindungsstörung: Verhältnis des Lautheitsempfindens von gesundem und krankem Ohr bleibt bei jedem Lautstärkepegel gleich → Negatives Recruitment
- Bei Patient:innen mit kochleärer Schallempfindungsstörung: Lautheitsempfindung ändert sich mit steigendem Lautstärkepegel → Positives Recruitment
- SISI-Test
- Kurzbeschreibung: Testet die Fähigkeit, kleinste Lautstärkeerhöhungen feststellen zu können
- Durchführung: Dauerton von 20 dB über der individuellen Hörschwelle alle 5 Sekunden für einen Impuls von 0,2 s um 1 dB erhöhen; Patient:in soll versuchen, möglichst viele Impulse zu erkennen
- Interpretation
- Patient:innen mit einer kochleären Schallempfindungsstörung von über 40 dB: Sicheres Erkennen der Impulse (60–100% Test positiv: Wird als positives Recruitment gewertet)
- Patient:innen mit retrokochleärer Schallempfindungsstörung: Nur seltenes Erkennen der Impulse (0–15% Test negativ: Wird als negatives Recruitment gewertet)
- Normalhörende erkennen diese kleinen Intensitätsänderungen von 1 dB nicht
- Fowler-Test
Threshold Tone Decay Test (Carhart-Test)
- Kurzbeschreibung: Sog. Hörschwellenschwundtest zur Untersuchung einer Hörermüdung bei V.a. neuronale Schädigung (bei negativem Fowler- oder negativem SISI-Test)
- Durchführung
- Einen Dauerton mit einem Schallpegel von 5 dB über der vorher ermittelten Hörschwelle dem erkrankten Ohr anbieten
- Wenn der Ton durch die untersuchte Person nicht mehr gehört werden kann (Hörermüdung): Schallpegel um weitere 5 dB erhöhen und somit wieder hörbar machen
- Prozedere wiederholen, bis ein Schwellenschwund von 30 dB erreicht ist oder der Dauerton 1 min lang gehört wurde
- Interpretation
- Normalhörende: Schwellenschwund bis 10 dB (physiologische Adaptation)
- Kochleäre Schädigung: Schwellenschwund von 15–25 dB (pathologische Adaptation) → Positives Recruitment
- Neuronale Schädigung (retrokochleäre Störung): Schwellenschwund >30 dB
Békésy-Audiometrie
- Kurzbeschreibung
- Test zur Differenzierung einer Hörminderung im kochleären oder retrokochleären Bereich
- Patient:in zeichnet eigene Hörschwelle für leise und laute Impuls- und anschließend Dauertöne mittels Audiometer selbstständig auf
- Darstellung des Unterschieds (Separation) einer Impuls- und einer Dauertonschwelle anhand von zwei verschiedenen Schwellenkurven
- Durchführung
- Untersuchte Person bekommt Dauerton über automatisches Tonaudiometer zugespielt und drückt einen Knopf, sobald sie den Ton hört → Ton wird bei gedrücktem Knopf kontinuierlich leiser
- Untersuchte Person lässt den Knopf los, sobald sie den Ton nicht mehr hört → Ton wird kontinuierlich wieder lauter (Ton kann so leicht über und unter der Tonhörschwelle fluktuieren)
- Amplitude wird aufgezeichnet (Zick-Zack-Kurve)
- Anschließend wird Prozedere mit einem Impulston (unterbrochener Ton) wiederholt
- Zwei Schwellenkurven ergeben sich: Eine für Impuls- und eine für Dauertöne
- Interpretation
- Nutzung nur der Luftleitung → Lediglich Aussagen hinsichtlich kochleärer und retrokochleärer Schallempfindungsstörungen möglich
- Normalhörende
- Zacken von etwa 10–15 dB, annähernde Überlagerung der Kurven für Dauerton und Impulston
- Für Hören des Dauertons sind um wenige dB größere Lautstärken nötig als für das Hören des Impulstons (durch physiologische Adaptation)
- Kochleäre Schädigung
- Zacken werden zunehmend kleiner (<5–1 dB) (Hinweis auf gestörte Lautheitsempfindung → Recruitment)
- Separation der Dauertonkurve von der Impulstonkurve bis max. 30 dB (danach gleichbleibender Abstand)
- Retrokochleäre Schädigung
- Keine Amplitudenverkleinerung
- Zunehmend starke Separation (Abweichung) der Dauertonkurve von der Impulstonkurve um 50 dB und mehr (bis zur Audiometergrenze)
- Normalhörende
- Nutzung nur der Luftleitung → Lediglich Aussagen hinsichtlich kochleärer und retrokochleärer Schallempfindungsstörungen möglich