Zusammenfassung
Gehirn und Rückenmark bilden das zentrale Nervensystem (ZNS). Sie liegen geschützt im knöchernen Schädel bzw. im Wirbelkanal und sind von einer weiteren Schutzschicht – dem Liquor cerebrospinalis – umgeben. Die Aufgaben des ZNS sind vielfältig: So integriert es Reize, die von außen oder innen auf den menschlichen Organismus wirken, koordiniert alle motorischen Abläufe und stimmt zudem alle Systeme aufeinander ab. Seine Funktionsweise ist bis heute aber noch nicht vollständig verstanden.
Gehirn und Rückenmark bestehen jeweils aus grauer und weißer Substanz. Die graue Substanz setzt sich größtenteils aus Nervenzellkörpern zusammen und ist in der Großhirnrinde bzw. im schmetterlingsförmigen inneren Anteil des Rückenmarks zu finden. Die weiße Substanz hingegen erhält ihre weiße Farbe hauptsächlich von markhaltigen Nervenfasern: Sie bildet im Gehirn das innen gelegene und im Rückenmark das außen gelegene Gewebe.
Das periphere Nervensystem (PNS) umfasst das Nervengewebe außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks. Die Unterscheidung zwischen PNS und ZNS ist allerdings rein topografisch, funktionell lassen sie sich nicht voneinander abgrenzen. Die Aufgabe des PNS ist es, Informationen zwischen dem Gehirn bzw. Rückenmark und dem restlichen Körper zu übermitteln.
Das Gehirn entwickelt sich ab der vierten bis fünften Woche aus drei primären Gehirnbläschen und reift bis zur Geburt heran. Es unterliegt im Laufe des Lebens jedoch ständigen Entwicklungs- und Umbauprozessen.
Zentrales Nervensystem
Das zentrale Nervensystem (ZNS) besteht aus Gehirn und Rückenmark.
Makroskopische Anatomie des ZNS
Gehirn
Steckbrief
- Funktion: Integration, Koordination und Regulation aller Organfunktionen, Bewegungen und Verhaltensweisen
- Lage: Im knöchernen Schädel
- Form: Zwei miteinander verbundene Hemisphären (ähnlich einer Walnuss)
- Gewicht: Bis zu 1,5 kg
Aufbau
- Abschnitte: Das Gehirn kann in drei große Abschnitte unterteilt werden
- Rhombencephalon (Rautenhirn) setzt sich zusammen aus:
- Mesencephalon (Mittelhirn)
- Prosencephalon (Vorderhirn) setzt sich zusammen aus:
- Schichten
- Rinde
- Bildet die äußere Schicht des Gehirns
- Besteht aus grauer Substanz
- Marklager
- Liegt unterhalb der Rinde und damit im Inneren des Gehirns
- Besteht aus weißer Substanz
- Rinde
- Bestandteile
Rückenmark
Siehe Artikel: Aufbau des Rückenmarks
Mikroskopische Anatomie des ZNS
Das ZNS besteht aus zwei Hauptgeweben: der grauen und der weißen Substanz. Detaillierte Informationen zum Aufbau des Nervengewebes siehe Artikel Nervengewebe, Synapsen und Transmitter
Graue Substanz | Weiße Substanz | |
---|---|---|
Bestandteile |
|
|
Vorkommen im Gehirn |
| |
Vorkommen im Rückenmark |
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|
Aufgabe |
|
|
Die Lage der grauen und weißen Substanz verhält sich in Gehirn und Rückenmark entgegengesetzt zueinander!
Peripheres Nervensystem
Zum peripheren Nervensystem zählt man die Spinalnerven und die Hirnnerven III–XII. Der Übergang zwischen dem ZNS und dem peripheren Nervensystem (PNS) ist fließend: Am Rückenmark spricht man ab dem Übergang zu den Spinalwurzeln vom PNS, die Hirnnerven zählen ab dem Verlassen des Hirnstamms zum PNS.
Spinalnerven
Spinalnerven sind paarig aus dem Rückenmark entspringende Nerven des PNS. Es gibt 31–33 Spinalnerven, die jeweils nach dem Rückenmarkssegment benannt sind, aus dem sie entspringen.
Segmentanzahl | |
---|---|
Zervikal (C1–C8) | 8 |
Thorakal (Th1–Th12) | 12 |
Lumbal (L1–L5) | 5 |
Sakral (S1–S5) | 5 |
Coccygeal (Co1–Co3) | 1(–3) |
Gesamt | 31(–33) |
Aufbau und Verlauf
- Ursprung: Spinalnerven entstehen aus der Vereinigung zweier Nervenwurzeln, die jeweils ventral und dorsal aus dem Rückenmark entspringen
- Vorderwurzel (Radix anterior): Enthält efferente Fasern, die aus dem Rückenmark in die Peripherie ziehen
- Hinterwurzel (Radix posterior): Enthält afferente Fasern, die aus der Peripherie zum Rückenmark ziehen
- Im Bereich der Hinterwurzeln liegen die Spinalganglien, die die Zellkörper der afferenten Neurone enthalten
- Verlauf
- Spinalnerven verlassen den Wirbelkanal seitlich über das Foramen intervertebrale, jeweils unterhalb des zugehörigen Wirbelkörpers
- Ausnahme: Zervikalnerven
- Jeder Spinalnerv gibt 4 Äste ab (siehe Tabelle)
- Spinalnerven verlassen den Wirbelkanal seitlich über das Foramen intervertebrale, jeweils unterhalb des zugehörigen Wirbelkörpers
Äste der Spinalnerven | Versorgungsgebiet/Endpunkt |
---|---|
Ramus anterior |
|
Ramus posterior |
|
Ramus meningeus | |
Ramus communicans albus |
|
Radikuläre Innervation
Die segmentale Gliederung des Rückenmarks spielt eine wichtige Rolle in der Organisation des peripheren Nervensystems, da jedes Segment ein ganz bestimmtes Hautareal (Dermatom) sensibel und bestimmte Muskeln (Kennmuskeln) motorisch innerviert. So kann ein motorischer Ausfall eines Muskels (insb. in Kombination mit einem sensiblen Ausfall eines bestimmten Hautareals) ein spezifischer Hinweis auf eine Läsion einer bestimmten Nervenwurzel/eines Spinalnerven sein.
- Sensible Innervation: Dermatome
- Definition: Hautgebiet, das von einem Spinalnerv sensibel innerviert wird
- Aufbau: Dermatome sind segmental angeordnet
- Motorische Innervation: Kennmuskeln
- Definition: Muskeln, die sich jeweils einem spezifischen Rückenmarkssegment zuordnen lassen
Hilfreiche Orientierungspunkte beim Lernen der Dermatome sind die Brustwarzen (Übergang Th4/Th5), der Thenar (C6), der Mittelfinger (C7), der Bauchnabel (Th10) sowie die Vorderseite des Knies (L4)!
Head'sche Zonen
Mitunter konvergieren die viszeroafferenten Fasern innerer Organe gemeinsam mit den somatoafferenten Fasern der Haut im Rückenmark auf Neuronen des Tractus spinothalamicus (Schmerzbahn). Dadurch werden Schmerzen eines Organs als Schmerzen eines bestimmten Hautbereiches wahrgenommen, der als Head'sche Zone bezeichnet wird. Diese Schmerzform wird als „übertragener Schmerz“ bezeichnet. Typische Beispiele sind die Übertragung von Schmerzen des Herzens auf den Bereich des linken Thorax (Dermatom Th3/Th4), die Übertragung von Schmerzempfindungen der Leber auf den Bereich unter dem rechten Rippenbogen (Dermatom Th8–L1) oder die Übertragung von Schmerzen der Nieren bzw. der Hoden in den Bereich der Leiste (Dermatom Th10–L1).
Kennmuskeln
Als Kennmuskeln werden solche Muskeln bezeichnet, die überwiegend durch ein oder mitunter auch mehrere Rückenmarkssegmente innerviert werden. Eine Parese dieser Muskeln oder ein Ausfall des entsprechenden Muskeleigenreflexes ist somit typisch für die Läsion des jeweiligen Segments. Dies ist klinisch von großer Bedeutung, da so oftmals bereits ohne eine bildgebende Diagnostik die Höhe einer Nervenwurzel- oder Rückenmarksläsion vermutet werden kann. Kennmuskel des Segments S1 ist bspw. der M. triceps surae, sodass die Unfähigkeit, sich auf die Zehenspitzen zu stellen und der Ausfall des Achillessehnenreflexes ein Hinweis auf eine Läsion dieses Segments sein können.
Plexusbildung
- Die Rami anteriores benachbarter Spinalnerven formen auf Höhe der Extremitäten mehrere Nervengeflechte (= Plexus)
- Plexus cervicalis (C1–C5)
- Plexus brachialis (C5–Th1)
- Plexus lumbalis (Th12–L5)
- Plexus sacralis (L4–S5)
- Die Nervenfasern der Plexus lagern sich zu peripheren Nerven zusammen, die spezifische Muskeln und Hautregionen innervieren
Die Innervationsgebiete der Spinalnerven sind nicht deckungsgleich mit denen der peripheren Nerven!
Geburtstraumatische Plexusschäden
Bei der Geburt kann eine übermäßige Lateralflexion des Kopfes oder starkes Ziehen am Arm eine Zerrung des Plexus brachialis auslösen (insb. infolge von Entbindungen mit der Zange). Dadurch kann es zu einer Nervenschädigung kommen, die je nach Lokalisation zu einer oberen Plexuslähmung mit Lähmung des Schultergürtels oder einer unteren Plexuslähmung mit Pfötchenstellung der Hand führt. Unter Ruhigstellung und Physiotherapie verschwinden die Lähmungen jedoch meist innerhalb weniger Monate.
Hirnnerven
Siehe Artikel: Hirnnerven
Entwicklung des Nervensystems
Embryonale Entwicklung des Gehirns
Das Gehirn entwickelt sich ab der vierten und fünften Woche der Embryonalperiode.
- Primäre Gehirnbläschen: Das Gehirn entsteht aus 3 primären Gehirnbläschen, die sich aus dem Neuralrohr entwickeln.
- Prosencephalonbläschen
- Rhombencephalonbläschen
- Mesencephalonbläschen
- Längenwachstum der Bläschen → Krümmungen/Abknickungen
- Nackenbeuge (zwischen Rhombencephalon und Rückenmark)
- Scheitelbeuge (im Bereich des Mesencephalons)
- Brückenbeuge (zwischen Metencephalon und Myelencephalon)
- Dickenwachstum der Bläschen → Bildung der inneren Liquorräume (Ventrikel)
- Sekundäre Gehirnbläschen: 2 der 3 Gehirnbläschen teilen sich, sodass nun insgesamt 5 sekundäre Bläschen (=5-Bläschenstadium) vorliegen
- Neuromere
- Schmale Verdickungen von Nervengewebe an den Gehirnbläschen
- Gliedern das Neuralrohr von Wirbeltieren funktionell in verschiedene Segmente
- Man unterscheidet Prosomere (ca. 6), Mesomere (ca. 2) und Rhombomere (ca. 8)
- Prosomere: Segmente des Prosencephalons
- Mesomere: Segmente des Mesencephalons
- Rhombomere: Segmente des Rhombencephalons
Entwicklungsstadien des Gehirns | ||
---|---|---|
Primärbläschen | Sekundärbläschen | Reifes Gehirn |
Prosencephalon (Vorderhirn) |
| |
Mesencephalon (Mittelhirn) |
| |
Rhombencephalon (Rautenhirn) | ||
Embryonale Entwicklung des Rückenmarks
Das Rückenmark entwickelt sich aus dem kaudalen Abschnitt des Neuralrohrs. Die sensiblen Hinterhörner entwickeln sich dabei aus der dorsolateral gelegenen Flügelplatte des Neuralrohrs, die motorischen Vorderhörner aus der ventrolateral gelegenen Grundplatte . Während sich bis zum 4. Monat Rückenmark und Wirbelkanal parallel entwickeln, kommt es im Anschluss zu einem vermehrten Wachstum der Wirbelsäule, dessen Größe die des Rückenmarks schließlich überschreitet.
Histogenese des ZNS
Die Bildung und Entwicklung von Gewebe im ZNS dauert länger als alle anderen Entwicklungsschritte. Diese Prozesse finden teilweise gleichzeitig oder nacheinander statt.
- Zellproliferation: Zellteilung, Zellwachstum
- Migration: Die unreifen Neurone (Neuroblasten) und Gliazellen wandern zu ihrem Zielgebiet
- Besonderheit im ZNS: Entstehungs- und Zielort der Neurone können sehr weit auseinander liegen
- Die Neuroblasten wandern entlang spezieller Gliafasern, die im Gehirn gespannt sind
- Axonwachstum: Zielgerichtet mithilfe des Wachstumskolbens
- Neuronale Differenzierung: Im Zielgebiet werden Neurotransmitter und Rezeptoren exprimiert
- Synaptogenese: Bildung von neuronalen Kontakten, die bei neuronaler Inaktivität auch wieder aufgelöst werden können
- Apoptose: Zelltod
- Zweck: Regulierung der Neuronenzahl
- Auslöser: Mangel an neurotrophen Faktoren im Zielgebiet → Mangelnde Stimulation der Neurone → Absterben
- Gliazellentwicklung: Entwickeln sich aus dem Neuralrohr
- Myelinisierung: Bildung der Markscheiden
Wiederholungsfragen zum Kapitel Einführung in die Neuroanatomie
Welche Fasertypen befinden sich in Vorder- und Hinterwurzel des Rückenmarks und zu welcher Struktur vereinigen sie sich?
Was ist ein Dermatom? Welchen Dermatomen werden die Brustwarzen, der Thenar und der Bauchnabel zugeordnet?
Was ist eine Head'sche Zone? Wo liegt die Head’sche Zone der Leber?
Was sind Neuromere und Rhombomere?
Aus welchen embryonalen Strukturen gehen Vorder- und Hinterhorn des Rückenmarks hervor?
Eine Sammlung von allgemeineren und offeneren Fragen zu den verschiedenen prüfungsrelevanten Themen findest du im Artikel Beispielfragen aus dem mündlichen Physikum.