Allgemeines
Diese AMBOSS-SOP beschreibt das grundsätzliche praktische Vorgehen bei akuten Intoxikationen.
- Zu den allgemeinen Grundlagen sowie einer Übersicht häufiger Gifte und Antidote siehe: Grundlagen der Akuttoxikologie
- Für spezielle Maßnahmen zur primären Giftelimination siehe: Primäre Giftelimination - AMBOSS-SOP
Jede akute Vergiftung (und auch bereits der Vergiftungsverdacht) stellt einen medizinischen Notfall dar!
Bei Bedarf sollten der Rettungsdienst/Notarzt sowie die zuständige Giftnotrufzentrale zeitnah kontaktiert werden!
Akutanamnese
Die folgenden Informationen sind zur gezielten Therapie bzw. ggf. bei Kontakt mit einer Giftnotrufzentrale/einem Giftinformationszentrum entscheidend. Sie müssen daher im Kontakt mit dem Patienten oder Angehörigen bzw. beteiligten Dritten möglichst vollständig und exakt erfasst werden .
- Wer ist der Patient?
- Wo ist der Patient?
- Welche Ursache hat die Vergiftung?
- Welche Substanz hat die Vergiftung ausgelöst?
- Welche Menge wurde aufgenommen?
- Wann erfolgte die Vergiftung?
- Wie erfolgte die Einwirkung (Expositionspfad)?
- Welche Symptome sind bereits aufgetreten?
- Welche Risikofaktoren und Begleiterkrankungen liegen vor?
- Welche Maßnahmen wurden bereits unternommen?
Die bei der Akutanamnese eingeholten Informationen sind stets kritisch zu prüfen, insb. wenn sie von Laien stammen!
Einschätzung der Gefährdung
Zur Objektivierung der Gefährdung und der Ableitung weiterer Maßnahmen sollte der Poisoning Severity Score (PSS) verwendet werden. Die Erhebung des Scores sollte allerdings keinesfalls akut gebotene Maßnahmen verzögern!
Maßnahmen
- Sicherung der Vitalfunktionen: Vorgehen nach dem cABCDE-Schema
- Beenden der Exposition
- Je nach Situation durch Entfernen/Deaktivieren der Giftquelle bzw. Entfernen des Patienten aus dem Einflussbereich
- Toxische Gefahrenzonen (bspw. bei Brand oder Chemieunfall) müssen zunächst von der Feuerwehr gesichert werden – der Selbstschutz ist stets zu beachten!
- Giftnotruf kontaktieren: Eine Liste der Giftnotrufzentralen/Giftinformationszentren für Deutschland, Österreich und die Schweiz findet sich unter Tipps & Links
- Je nach Situation durch Entfernen/Deaktivieren der Giftquelle bzw. Entfernen des Patienten aus dem Einflussbereich
- Basisdiagnostik
- Klinische Untersuchung
- Klinische Begleitumstände erfassen
- Bestimmung der Glasgow Coma Scale
- Toxidrom identifizieren, falls möglich
- Labordiagnostik
- Blutzuckermessung
- Blutgasanalyse mit Bestimmung des Sauerstoffsättigungsdefizits
- Bestimmung von Anionenlücke und osmolaler Lücke
- Toxikologisches Screening
- Bestimmung der Blutalkoholkonzentration
- EKG
- Klinische Untersuchung
- Gabe spezifischer Antidote (bei bekannter Noxe)
- Praxisorientierte Minimalausstattung an Antidoten zur präklinischen Versorgung: Die „Bremer Liste“
- Für eine umfassendere Übersicht siehe: Häufige Gifte und ihre Antidote
- Erwägen einer empirischen Therapie
- Indikation: Patienten mit möglicher oder gesicherter Vergiftung und eingeschränkter Bewusstseinslage, soweit keine wirksameren spezifischen Maßnahmen zur Verfügung stehen
- Ablauf: Gabe von
- Glucose: 25 g i.v. , außer eine Hypoglykämie konnte bereits ausgeschlossen werden
- Thiamin: Siehe Thiaminsubstitution (prophylaktisch)
- Naloxon: Bei Patienten mit Atemdepression
- Initial: 0,2–0,4 mg i.v.
- Falls nach 1–2 min keine Besserung eintritt: Gabe von weiteren 0,2 mg i.v.
- Falls weiterhin keine Besserung eintritt und ein starker Verdacht auf Opioid-Intoxikation besteht: Weitere Gaben bis zu einer Gesamtdosis von 10 mg i.v.
- Flumazenil: Initial 0,2 mg (über 30 s), falls eine reine Benzodiazepin-Vergiftung vorliegt oder der Verdacht darauf besteht
- Weiteres Vorgehen: Je nach Expositionspfad
Nach äußerlicher Exposition
Erstmaßnahmen am Ereignisort
- Allgemein
- Spülen mit lauwarmem, fließendem Wasser oder isotonischer Kochsalzlösung
- Patienten vor Auskühlung schützen (insb. bei Entfernung kontaminierter Kleidung bzw. Durchnässung)
- Spezifisches Vorgehen siehe: Maßnahmen der primären Giftelimination nach äußerer Exposition
Es sollte, abgesehen vom Einsatz spezifischer medizinischer Spülflüssigkeiten, kein Versuch unternommen werden, ätzende Substanzen zu neutralisieren!
Weiterbehandlung
- Fortführung begonnener bzw. Nachholen noch nicht erfolgter Maßnahmen (bspw. erweiterte Wundversorgung)
- Kontrolle von Sekundärfolgen (bspw. Schock und/oder Elektrolytverschiebungen bei großflächigen Hautdefekten)
Nach Ingestion
Erstmaßnahmen am Ereignisort
- Ggf. orale Gabe von Aktivkohle
- Details siehe: Gabe von Aktivkohle bzw. Adsorptionsverhalten an Aktivkohle
- Ggf. Gabe spezifischer Antidote nach Bremer Liste
Induktion von Erbrechen und Magenspülungen sollten am Ereignisort nicht erfolgen!
Versorgung in der Notaufnahme
Aufgrund der Vielzahl möglicher Gifte und klinischer Konstellationen gibt es kein routinemäßiges Vorgehen. Risiko-Nutzen-Abwägungen müssen individuell erfolgen.
- Methoden der primären Giftelimination evaluieren und ggf. anwenden
- Für Details zur Durchführung siehe: Methoden der primären Giftelimination - AMBOSS-SOP
- Bei bekanntem oder vermutetem Toxin: Ggf. Gabe spezifischer Antidote
- Siehe auch: Häufige Gifte und ihre Antidote
- Erkennen von Toxidromen, ggf. entsprechende Therapie
- Siehe auch: Notfallmedizinisch bedeutsame Toxidrome
Primäre Giftelimination nach Ingestion | ||
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Methode | Indikation | Kontraindikationen |
Gabe von Aktivkohle |
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Induziertes Erbrechen |
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Magenspülung |
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Anterograde Darmspülung |
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Intensivmedizinische Weiterbehandlung
- Fortführung begonnener bzw. Nachholen noch nicht erfolgter Maßnahmen (bspw. Einleitung einer Hämodialyse)
- Kontrolle von Sekundärfolgen (bspw. Korrektur des Säure-Basen-Haushalts)
Nach Inhalation
Erstmaßnahmen am Ereignisort
- Allgemein
- Gabe von Sauerstoff wenn möglich per Maske mit Reservoir (erreichbare FiO2 0,9) oder nach Intubation (erreichbare FiO2 1,0)
- Vor allem in schweren Fällen bzw. bei rascher klinischer Verschlechterung: Intubation und Beatmung frühzeitig einleiten
- Ggf. zusätzlich Inhalation von isotonischer NaCl- und 3-4%iger NaHCO3-Lösung, Hydroxocobalamin i.v. (bei Vergiftung mit Blausäure/Zyaniden, sowie bei Inhalation von Rauch- und Brandgasen) und supportive Medikation (Bronchospasmolytika, Antitussiva)
- Spezifische Maßnahmen siehe: Methoden der primären Giftelimination nach Inhalation
Weiterbehandlung
- Fortführung begonnener bzw. Nachholen noch nicht erfolgter Maßnahmen (bspw. Entfernung verbliebener Fremdkörper)
- Bei Inhalation von Stoffen, die überwiegend unverändert pulmonal eliminiert werden: Therapeutische Hyperventilation erwägen
- Bei schweren CO-Vergiftungen: Hyperbare Sauerstofftherapie erwägen
- Kontrolle von Sekundärfolgen (bspw. Behandlung eines Pneumothorax)
Weitere Maßnahmen
Asservierung und Analytik
- Ziel: Sicherstellung von Untersuchungsmaterial zur toxikologischen Analyse, daraus ggf. Ableitung spezifischer therapeutischer Maßnahmen sowie forensischer Hinweise
- Geeignetes Untersuchungsmaterial
- Falls möglich: Durchführung eines toxikologischen Screenings, bei Erwachsenen auch Bestimmung der Blutalkoholkonzentration
Transport
- Auf Möglichkeit eines adäquaten Monitorings während des Transportes vom Ereignisort in die Klinik (bzw. innerhalb der Klinik) achten
- Ausstattung und Kapazität der aufnehmenden Klinik beachten
- Bei Bedarf (instabile Patienten, große Entfernung) frühzeitig Transport per Luftrettungsmittel veranlassen