Zusammenfassung
Bei den Opioiden handelt es sich um eine heterogene Gruppe von Wirkstoffen, deren gemeinsames Merkmal die Bindung an Opioidrezeptoren ist. Unterschiede bestehen insb. in der Affinität zu einzelnen Rezeptor-Subtypen sowie im Hinblick auf den klinischen Effekt der Rezeptorbindung.
Grundsätzlich werden körpereigene (=endogene) Opioidpeptide von künstlich hergestellten (=semi- bzw. vollsynthetischen) Opioiden unterschieden. Erstere spielen eine wichtige Rolle als Neurotransmitter, letztere können pharmakologisch genutzt oder als Rauschmittel missbraucht werden.
Hauptwirkung der meisten Opioide ist die Analgesie. Hauptnebenwirkungen sind Übelkeit und Erbrechen sowie eine v.a. bei relativer oder absoluter Überdosierung auftretende Atemdepression. Daneben kann es insb. bei längerfristiger Anwendung zu Obstipation und Toleranzentwicklung bzw. Abhängigkeit kommen (siehe auch: Opioide (Intoxikation und Abhängigkeit)).
Pharmakologisch werden Opioide typischerweise zur Behandlung akuter bzw. chronischer Schmerzen (gemäß dem WHO-Stufenschema) oder im Rahmen einer Allgemeinanästhesie bzw. Analgosedierung eingesetzt. Substanzspezifisch ist jedoch auch eine Anwendung als Peristaltikhemmer (Loperamid), Antitussivum (Codein) oder Antidot (Naloxon, Naltrexon) möglich.
Übersicht
Allgemeines
- Einteilung typischerweise nach der Wirkung an den Opioidrezeptoren
- Schwache vs. starke Agonisten
- Reine vs. partielle Agonisten
- Antagonisten
- Unterscheidung nach primärem Einsatzgebiet möglich
- Schmerztherapie
- Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin
- Überschneidungen und alternative Klassifikationen möglich
Die Einteilung, Unterscheidung und Klassifikation von Opioiden ist nicht einheitlich definiert!
Gebräuchliche Opioidanalgetika in der Schmerztherapie
Gebräuchliche Opioidanalgetika in der Schmerztherapie | |||
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Niedrigpotente Opioide (WHO Stufe II) | Hochpotente Opioide (WHO Stufe III) | Weitere Hinweise zu Wirkstoff und Präparaten | |
Reine Agonisten |
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Partielle Agonisten |
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Buprenorphin hat eine höhere Rezeptoraffinität als Opioide mit einer höheren Potenz (z.B. Fentanyl), sodass bei gleichzeitiger Gabe die Wirkung des höher-potenten Opioids ausbleiben würde!
- Begrifflichkeiten
- Maximal erreichbare Analgesie
- Analgetische Potenz
- Sufentanil > Fentanyl > Levomethadon > Oxycodon > Morphin > Dihydrocodein > Tramadol
- Siehe auch: Wirkstärke und Äquivalente von Opioiden
Opioidanalgetika in der Anästhesie
Opioidanalgetika in der Anästhesie | |||
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Opioid | Analgetische Potenz | Wirkdauer | Wichtige Fakten |
Fentanyl |
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Remifentanil |
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Sufentanil |
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Alfentanil |
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Nicht zentral wirksames Opioid
- Loperamid
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Pharmakokinetik
- Geringe Bioverfügbarkeit
- Nicht ZNS-gängig
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Pharmakodynamik
- Potenter MOR-Agonist am Plexus myentericus des Darms
- Obstipierender Effekt durch
- Hemmung der propulsiven Peristaltik, Erhöhung des Analsphinktertonus
- Hemmung der Flüssigkeitssekretion ins Darmlumen
-
Pharmakokinetik
Opioidantagonist Naloxon
Opioidantagonist Naloxon | |||||
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Wirkmechanismus | Pharmakokinetik | Indikationen | Nebenwirkungen | Kontraindikationen | |
Reiner Antagonist |
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Wirkstärke und Äquivalente von Opioiden
Allgemeines [2]
- Analgetische Potenz: Einschätzung der relativen Wirkstärke einzelner Opioide im Vergleich zu Morphin
- Morphin (p.o.) hat Referenzwert 1
- Höhere analgetische Potenz erfordert eine niedrigere Dosis zum Erreichen derselben Analgesie
- Morphin-Äquivalenzdosierung: Dosis eines Opioids mit der gleichen analgetischen Wirkung wie eine vorgegebene Dosis Morphin
- Angaben zu Äquivalenzdosierungen variieren in der Literatur
- Äquivalenzdosierungen z.T. nicht streng linear [3]
- Umrechnungstabellen nur zur Orientierung gedacht
- Individuelle Begebenheiten beachten
- Opioidrotation: Umstellung einer Opioidmedikation auf ein anderes Opioid mit dem gleichen Wirkmechanismus [4]
- Indikationen
- Inadäquate Analgesie einer bestehenden Medikation
- Therapieresistente Nebenwirkungen
- Reaktionen auf die Anwendungsform (bspw. Hautirritation bei transdermaler Anwendung)
- Medikamenteninteraktionen
- Neu aufgetretene oder verstärkte Leber- oder Nierenfunktionsstörungen
- Durchführung: Umstellung der Darreichungsform und/oder Umstellung des Wirkstoffs
- Beachte [5]
- Individuelle Variabilität in der Wirkung einzelner Substanzen
- Gabe eines neuen Opioids in reduzierter Dosis
- Umstellung opioidgewöhnter Personen erfordert schmerz- bzw. suchttherapeutische Erfahrung
- Siehe auch: Äquivalenzdosierungen nicht-parenteral verabreichter Opioide
- Indikationen
In der Literatur gibt es teils sehr unterschiedliche Angaben zu den Äquivalenzdosierungen!
Bei opioidgewöhnten Personen sollte eine Umstellung möglichst durch schmerztherapeutisch bzw. suchtmedizinisch erfahrenes ärztliches Personal durchgeführt werden!
Analgetische Potenz gängiger Opioide
Orientierende analgetische Potenz gängiger Opioide | |||
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Wirkstoff | Potenz im Vergleich zu | ||
Morphin p.o. | Morphin i.v. [6] | ||
Sufentanil i.v. [6][7] | 1.000 | 333 | |
Remifentanil i.v. [6] | 100 | 33 | |
Fentanyl i.v. oder transdermal [4][8][9][10] | 100 | 33 | |
Buprenorphin transdermal [4][11] | 80 | 27 | |
Alfentanil i.v. [12] | 30–40 | 10 | |
Hydromorphon i.v. [13][14] | 15 | 5 | |
Hydromorphon p.o. [4][15] | 7,5 | 2,5 | |
Levomethadon p.o. [3][16][17] | 5–12 | 1,6–4 | |
Oxycodon i.v. [4][18] | 4 | 1,3 | |
Piritramid i.v. oder s.c. [6][19] | 2 | 0,7 | |
Oxycodon p.o. [4][20] | 2 | 0,7 | |
Tapentadol p.o. [4] | 0,4 | 0,13 | |
Dihydrocodein p.o. [21][22] | 0,166 | 0,06 | |
Pethidin rektal [10][22] | 0,125 | 0,04 | |
Tramadol p.o. [4][23] | 0,1 | 0,03 | |
Tilidin/Naloxon p.o. [4] | 0,1 | 0,03 |
Äquivalenzdosierungen nicht-parenteral verabreichter Opioide (Äquivalenzdosis)
Für die Umrechnung gängiger Substitutionsmittel bei Opioidabhängigkeit gelten teilweise andere Äquivalenzdosierungen!
Äquivalenzdosierungen nicht-parenteral verabreichter Opioide [4] | ||||||||
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Wirkstoff | Beispieldosierungen | |||||||
Morphin p.o. [22][24] | 10 mg | 15 mg | 20 mg | 30 mg | 60 mg | 90 mg | 120 mg | |
Fentanyl TTS [9] | — | 12,5 μg/h | 25 μg/h | 37,5 μg/h | 50 μg/h | |||
Buprenorphin TTS [11] | 5 μg/h | — | 10 μg/h | 15 μg/h | 35 μg/h | 52,5 μg/h | 70 μg/h | |
Buprenorphin sublingual [25] | — | 0,2 mg | — | 0,4 mg | 0,8 mg | 1,2 mg | 1,6 mg | |
Hydromorphon p.o. [15] | — | 2 mg | — | 4 mg | 8 mg | 12 mg | 16 mg | |
Oxycodon p.o. [20] | 5 mg | — | 10 mg | 15 mg | 30 mg | 45 mg | 60 mg | |
Tapentadol p.o. [26] | 25 mg | — | 50 mg | 75 mg | 150 mg | 225 mg | 300 mg | |
Dihydrocodein p.o. [21][22] | 60 mg | 90 mg | 120 mg | 180 mg | — | |||
Pethidin rektal [22][27] | — | 100 mg | — | 200 mg | 400 mg | — | ||
Tramadol p.o. [23] | 100 mg | 150 mg | 200 mg | 300 mg | — | |||
Tilidin/Naloxon p.o. [28] | 100 mg | 150 mg | 200 mg | 300 mg | 600 mg | — |
Die angegebenen Äquivalenzdosierungen dienen lediglich der Orientierung und unterliegen inter- und intraindividuellen Unterschieden!
Wirkung
- Agonistische oder partialagonistische Wirkung an den Opioidrezeptoren des antinozizeptiven Systems im ZNS
- 3 Arten von Opioidrezeptoren mit unterschiedlicher Bindungsaffinität für Opioide
- MOR (M-Opioidrezeptor)
- KOR (κ-Opioidrezeptor)
- DOR (δ-Opioidrezeptor)
- Affinität zum M-Opioidrezeptor am höchsten, weshalb Opioide auch als MOR-Agonisten bezeichnet werden
- 3 Arten von Opioidrezeptoren mit unterschiedlicher Bindungsaffinität für Opioide
- Hauptwirkung [29]: Hemmung der Weiterleitung von Schmerzreizen durch
- Präsynaptische Inhibition spannungsabhängiger Calciumkanäle → Ausschüttung exzitatorischer Transmitter↓
- Postsynaptische Öffnung von Kaliumkanälen → Leitfähigkeit des exzitatorischen NMDA-Rezeptors↓
- Wirkungen (und Nebenwirkungen) unterscheiden sich je nach Rezeptorbindung
Wirkung der Opioide an den Opioidrezeptoren | |||
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Opioidrezeptoren | Endogener Ligand | Wirkung | |
Neue Bezeichnung | Alte Bezeichnung | ||
MOR (M-Opioidrezeptor) | μ-Rezeptor |
| |
KOR (κ-Opioidrezeptor) | κ-Rezeptor | ||
DOR (δ-Opioidrezeptor) | δ-Rezeptor |
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Nebenwirkung
Nebenwirkungen in therapeutischer Dosierung
- Atemdepression → CO2↑ → respiratorische Azidose, Hirndruckanstieg
- Sedierung
- Opioid-Toleranz-Entwicklung und Opioidabhängigkeit
- Orthostatische Dysregulation: RR↓
- Miosis
- Übelkeit und Erbrechen (emetisch)
- Vermehrtes Schwitzen
-
Juckreiz
- Therapie: Naloxon oder H1-Antihistaminika
-
Tonuszunahme der glatten Muskulatur
- Obstipation
- Miktionsstörungen, Harnverhalt
- Gallengangsspasmen
- Thoraxrigidität (insb. bei schneller intravenöser Injektion hoher Dosen)
In der Therapie des chronischen Schmerzsyndroms ist nicht mit einer klinisch-relevanten Atemdepression zu rechnen!
Während sich im Verlauf der Opioidtherapie die Nebenwirkungen Sedierung, orthostatische Dysregulation, Übelkeit und Erbrechen bessern, ist dies bei der Obstipation nicht der Fall!
Für Informationen zu Opioidintoxikation und -abhängigkeit siehe: Opioide (Intoxikation und Abhängigkeit).
Es werden die wichtigsten Nebenwirkungen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Indikation
- Schwere Schmerzzustände
- Intravenös: Bspw. Piritramid bei akuten postoperativen Schmerzen
- Oral: Bspw. Fentanyl-Sublingualtablette bei Tumordurchbruchschmerzen
- Transdermal (Pflaster): Bspw. bei chronischem Schmerzsyndrom oder Tumorschmerz, enthaltener Wirkstoff ist meist Fentanyl
- Stabile Plasmakonzentration wegen Hautdepot
- Verzögerung der maximalen Analgesie (ca. 12 h)
- Konstante Wirkstoffabgabe bis zu 72 h
- Notfallmedizin
- Allgemeinanästhesie bzw. Analgosedierung
- Fentanyl, Sufentanil und Remifentanil i.v.
- Typischerweise in Kombination mit einem intravenösen Hypnotikum (bspw. Propofol, Midazolam)
- Langzeitanalgesie bei Intensivpatienten
- Fentanyl oder Sufentanil i.v.
- Insb. bei Patienten mit assistierter Beatmung
- (Trockener) Husten
- Dihydrocodein bzw. Codein
- Aufgrund des starken antitussiven Effektes in bestimmten Hustensäften enthalten
- Diarrhö: Loperamid (wirkt obstipierend)
- Dyspnoe: Symptomkontrolle in der Palliativmedizin
Aufgrund einer schnellen Toleranzentwicklung sollte bei schweren Schmerzzuständen keine dauerhafte intravenöse Gabe von Opioiden erfolgen!
Implikationen für die Verschreibungspraxis von Opioidanalgetika
Zur Prävention einer Opioidabhängigkeit und zur Vermeidung von Überdosierungen sollten folgende Punkte beachtet werden [30][31]
- Indikation
- Strenge Indikationsprüfung [32], insb. bei
- Vorbestehenden Abhängigkeitserkrankungen
- Positiver Familienanamnese für Suchterkrankungen
- Komorbider psychischer Erkrankung
- Männern im jüngeren Lebensalter (20–40 Jahre)
- Zeitgleicher Einnahme von Tranquilizern
- Hochdosisbehandlung (>120 mg/d Morphinäquivalent)
- Beachtung des WHO-Stufenschemas
- Reevaluation der Indikation bei längerer Gabe
- Strenge Indikationsprüfung [32], insb. bei
- Patientenaufklärung über
- Suchtpotenzial
- Gefahr der Übersedierung bei zusätzlicher Einnahme psychogener Medikamente oder Suchtmittel
- Verordnung
- Zeitliche Begrenzung
- Verschreibung einer effektiven, aber möglichst niedrigen Dosis
- Feste Einnahmeschemata statt Einnahme bei Bedarf
- Wenn notwendig Ausschleichschema beim Absetzen
Die gleichzeitige Gabe von Benzodiazepinen und Opioidanalgetika sollte vermieden werden (Gefahr der Überdosierung!)
4Ks: Klare Indikation, Korrekte Dosierung, Kurze Anwendung, Kein abruptes Absetzen!
Studientelegramme zum Thema
- HOMe Studientelegramme Innere Medizin
- Studientelegramm 08-2017-2/3: Ibuprofen versus Opioidanalgetika bei akutem Extremitätenschmerz
- Studientelegramm 04-2017-2/3: Opioidabhängigkeit nach einer Tumor-OP
- One-Minute Telegram (aus unserer englischsprachigen Redaktion)
- One-Minute Telegram 75-2023-3/3: Eat, sleep, console, repeat
- One-Minute Telegram 61-2022-2/3: Pain control after arthroscopy: Just say no to (more) narcotics!
- One-Minute Telegram 35-2021-2/3: Long-acting buprenorphine vs. buprenorphine-naloxone for opioid addiction
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Opioide
Opioide – Teil 1: Wirkmechanismus, Nebenwirkungen und Kontraindikation
Opioide – Teil 2a: Klinische Aspekte
Opioide – Teil 2b: Partialagonist Buprenorphin
Opioide – Teil 3: Schwache Agonisten
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Opioide – Teil 7: Suchttherapie
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