Zusammenfassung
Die Milz ist der primäre Ort des Erythrozytenabbaus, kann in bestimmten Situationen auch Erythropoese betreiben und spielt v.a. im Immunsystem eine wichtige Rolle. Insb. für eine adäquate immunologische Reaktion gegen bekapselte Bakterien sowie Parasiten ist dieses Organ essenziell. Verschiedene Ursachen wie die traumatische Milzruptur (mit möglicherweise starker Blutung) oder die symptomatische Splenomegalie können eine notfallmäßige operative Entfernung des Organs notwendig machen. Bei fehlender Milz bzw. eingeschränkter Milzfunktion kann es aufgrund der immunologischen Funktion des Organs zum lebensgefährlichen Syndrom der „overwhelming postsplenectomy infection“ (OPSI) kommen, weshalb durch entsprechende Impfungen und Vorsichtsmaßnahmen entgegenzuwirken ist. Zudem besteht im ersten Halbjahr nach einer Milzentfernung ein erhöhtes Risiko für eine Pfortaderthrombose.
Ursachen einer Asplenie
Zustand nach Splenektomie
- Häufigste Ursache einer Asplenie (>90%)
- Indikationen bzw. mögliche Ursachen
- Notfallmäßige Splenektomie: Milzruptur (traumatisch, iatrogen im Rahmen eines intraabdominellen Eingriffs)
- Elektive Splenektomie
- Schwere hämolytische Anämien, bspw. hereditäre Sphärozytose, β-Thalassämie, autoimmunhämolytische Anämie
- Therapierefraktäre Thrombozytopenien, v.a. Immunthrombozytopenie (ITP)
- Hypersplenie-Syndrom und chronisch symptomatische Splenomegalie
- Myelo- und lymphoproliferative Neoplasien
- Solide Tumoren des Abdomens mit Beteiligung der Milz, bzw. der milzversorgenden Gefäße [2]
Funktionelle Asplenie bzw. Milzatrophie
- Sichelzellanämie
- Autoimmunerkrankungen
- Infektionen
-
Gastrointestinale Erkrankungen
- Zöliakie (Dermatitis herpetiformis)
- Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
- Morbus Whipple
- Idiopathisch chronisch ulcerative Enteritis
- Intestinale Lymphangiektasie
- Lebererkrankungen
- Chronisch aktive Hepatitis
- Primär biliäre Zirrhose
- Leberzirrhose und portale Hypertension
- Alkoholtoxischer Leberschaden
- Hämatoonkologische Erkrankungen
- Iatrogen
- Vaskuläre Ursachen
- Kongenitale Asplenie (sehr selten)
Folgen einer Asplenie
Erhöhte Infektanfälligkeit
- Ätiologie
- Ausfall der Milz als sekundäres lymphatisches Organ
- Verlust spezialisierter Makrophagen und B-Zellen aus der Marginalzone der Milz, Folgen sind bspw.
- Komplement-Aktivierungskaskade eingeschränkt → Abgeschwächte Opsonierung
- Schwach-opsonierte Antigene werden schlechter eliminiert
- Polysaccharid-Antigene lösen eine schwache Immunantwort aus
- Verminderte humorale Immunantwort auf Neoantigene (durch eingeschränkte Produktion von Antikörpern)
- Partikuläre Antigene und ältere Blutbestandteile werden schlechter gefiltert
- Epidemiologie: Lebenslang erhöhtes Infektrisiko, wobei Säuglinge und Kleinkinder ein etwa 10-fach erhöhtes Infektionsrisiko haben verglichen mit Erwachsenen
- Therapie: Frühe antibiotische Therapie bei Fieber bzw. Infektverdacht , bspw. mit Amoxicillin-Clavulansäure [1]
Laborveränderungen
- Passagere Thrombozytose: Postoperativ erhöhtes Risiko für thromboembolische Komplikationen
- Siehe auch: Prävention von Thrombosen nach Splenektomie
- Lymphozytose
- Verminderte Bildung von Immunglobulinen (IgG, IgM)
- Howell-Jolly-Körperchen: DNA-Reste in jungen Erythrozyten
- Pitted red Blood Cells (Pitted Erythrocytes): Proteinkonglomerate in der Membran von Erythrozyten
Ein Fehlen von Howell-Jolly-Körperchen nach Splenektomie spricht für das Vorliegen einer Nebenmilz!
Prophylaxe bei elektiver Splenektomie [3]
Prävention von Infektionen
- Allgemein
- Ausreichende Aufklärung der Patienten
- Betroffene sollten einen Notfallausweis mit sich tragen (mit dokumentiertem Impfstatus)
- Strengere Vorsichtsmaßnahmen bei Aufenthalt in Malaria-Risikogebieten
- Antibiotikaprophylaxe
- Indikation: Falls Impfung nicht möglich ist
- Durchführung siehe: Antibiotikaprophylaxe bei notfallmäßiger Splenektomie
- Frühzeitige Antibiotika-Therapie bei fieberhaften Infekten [4]
- Immunisierung
- Zeitpunkt
- Möglichst bis 14 Tage vor dem Eingriff
- Postoperativ nach ausreichender AZ-Stabilisierung [1]
- Grundsätzlich können alle Impfungen am selben Tag erfolgen
- Impfungen bei (funktioneller) Asplenie: Pneumokokken, Haemophilus influenzae Typ b, Meningokokken, jährliche Influenza-Impfung
- Zeitpunkt
Impfplan bei Asplenie oder Hyposplenie [1][5] | ||||
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Erreger | Alter | Grundimmunisierung | Erste Auffrischungsimpfung | Weitere Auffrischungsimpfungen |
Pneumokokken | <2 Jahre | PCV13 oder PCV15, siehe: STIKO-Impfkalender | — | |
2–17 Jahre | Nur bei fehlender Grundimmunisierung: PCV13 oder PCV15 | PPSV23 (Abstand 6–12 Monate) | Alle 6 Jahre, ab einem Alter von 18 Jahren mit PCV20 | |
≥18 Jahre | PCV20 | Datenlage noch nicht ausreichend | ||
Haemophilus influenzae Typ b | >2 Monate | Nur bei fehlender Grundimmunisierung: Act-Hib oder Hiberix | Datenlage noch nicht ausreichend | |
Meningokokken Serogruppen ACWY | ≥2 Monate | Grundsätzliche Empfehlung: Impfung mit 4-valentem Konjugatimpfstoff | Datenlage noch nicht ausreichend | |
>12 Monate | Impfung mit 4-valentem Konjugatimpfstoff | |||
Meningokokken Serogruppe B | — | Immunisierung mit Totimpfstoff | Datenlage noch nicht ausreichend | |
Influenza | ≥6 Monate | Saisonal zugelassener tetravalenter Totimpfstoff | Jährlich | |
2–17 Jahre | Inaktivierter Totimpfstoff oder nasal applizierter attenuierter Lebendimpfstoff | |||
≥18 Jahre | Saisonal zugelassener tetravalenter Totimpfstoff | |||
Malariaprophylaxe | — | Bei Reisen in Malaria-Endemiegebiete sollte eine reisemedizinische Beratung erfolgen |
Patienten mit (funktioneller) Asplenie sollten gegen Pneumokokken, Meningokokken und Haemophilus influenzae Typ b geimpft werden sowie die jährliche Influenza-Impfung erhalten!
Splenektomierte Patienten müssen über das erhöhte Infektrisiko aufgeklärt werden!
Prävention von Thrombosen
Komplikation: OPSI (overwhelming postsplenectomy infection)
- Definition des OPSI-Syndroms: Fulminant verlaufende Sepsis (meist ohne Fokus) als Komplikation einer Postsplenektomieinfektion
- Epidemiologie [1]
- Inzidenz nach Splenektomie: Ca. 1–5% [2]
- Meist innerhalb der ersten 3 Jahre nach Splenektomie [6]
- Risikofaktoren
- Milzverlust im frühen Kindesalter
- Milzverlust im Lebensalter >60 Jahre
- Bei Grunderkrankungen mit erhöhter Infektanfälligkeit
- Z.n. vorangegangenen schweren Infektionen
- Ätiologie
- Häufige Erreger: Kapseltragende Bakterien wie Streptococcus pneumoniae
- Seltenere Erreger: Haemophilus influenzae , gramnegative Erreger (insb. Escherichia coli, Neisseria meningitidis)
- Symptome [4]
- Kurzes Prodromalstadium mit unspezifischen Symptomen: Krankheitsgefühl, Schüttelfrost, Halsschmerzen, Übelkeit, Durchfälle
- Rasche Verschlechterung des Allgemeinzustandes (meist innerhalb weniger Stunden)
- Ggf. Zeichen einer Pneumonie oder Meningitis
- Septischer Schock
- Disseminierte intravasale Gerinnung (DIC)
- Diagnostik
- Vitalparameter
- Mikrobiologische Diagnostik zur Sicherung eines Erregers
- Blutkulturen
- Ggf. weitere Materialien
- Labordiagnostik
- Erfassung des Status von Organfunktionen
- Entzündungszeichen
- Fokussuche, ggf. spezifische bildgebende Diagnostik (siehe: Fokussuche bei Sepsis)
- Therapie
- Cephalosporin der Gruppe 3a (Ceftriaxon oder Cefotaxim )
- + initial Gentamicin
- Falls die i.v. Antibiotikatherapie nicht innerhalb von 2 Stunden begonnen werden kann: Initial orale Therapie mit Amoxicillin oder Levofloxacin bzw. Moxifloxacin [4]
- Intensivmedizinische Therapie, ggf. mit Beatmung und Nierenersatzverfahren
- Cephalosporin der Gruppe 3a (Ceftriaxon oder Cefotaxim )
- Prognose
- Letalität: Bis zu 50%
- Mortalität: Am höchsten innerhalb der ersten 24 Stunden nach Auftreten von Symptomen
Der Schlüssel zur Vermeidung einer OPSI bzw. Senkung der damit verbundenen Letalität ist das Erkennen der Asplenie oder Hyposplenie und der sofortige Einsatz von Antibiotika!
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- D73.-: Krankheiten der Milz
- D73.0: Hyposplenismus
- Asplenie nach Splenektomie
- Atrophie der Milz
- Exklusive: Asplenie (angeboren) (Q89.01)
- D73.0: Hyposplenismus
- Q89.-: Sonstige angeborene Fehlbildungen, anderenorts nicht klassifiziert
- Q89.0-: Angeborene Fehlbildungen der Milz
- Exklusive: Vorhofisomerismus (mit Asplenie oder Polysplenie) (Q20.6)
- Q89.00: Angeborene Splenomegalie
- Q89.01: Asplenie (angeboren)
- Q89.08: Sonstige angeborene Fehlbildungen der Milz
- Q89.0-: Angeborene Fehlbildungen der Milz
- Q20.-: Angeborene Fehlbildungen der Herzhöhlen und verbindender Strukturen
- Q20.6: Vorhofisomerismus
- Vorhofisomerismus mit Asplenie oder Polysplenie
- Q20.6: Vorhofisomerismus
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.