Zusammenfassung
Eine Vielzahl von Pflanzen, Medikamenten, Haushalts- oder Industriechemikalien kann bei oraler oder inhalativer Aufnahme zur Vergiftung führen. Im Zweifel sollte der Erste-Hilfe-Leistende, aber auch die behandelnde Person eine Giftnotrufzentrale anrufen, um Handlungs- und Therapieempfehlungen zu bekommen. Bei verschiedenen Intoxikationen ergibt sich klinisch ein typisches Bild, so dass im Zusammenhang mit der Anamnese auf die ursächliche Substanz geschlossen werden kann. Je nach Giftstoff kann daraufhin mit einem Antidot reagiert werden. So lässt sich bspw. die durch Tollkirschen oder Atropin-Überdosierung ausgelöste Hemmung der Acetylcholinrezeptoren durch Physostigmin antagonisieren. Ein weiteres bekanntes Beispiel der stoffbezogenen Therapie ist die Verabreichung von Ethanol zur Behandlung einer Methanolintoxikation.
Ziel dieses Kapitels ist es, einen Überblick über besonders häufig auftretende Vergiftungen zu geben, soweit diese nicht bereits in einem spezifischeren Kontext behandelt werden. Für detailliertere Informationen siehe auch:
- Grundlagen der Akuttoxikologie (inkl. Häufige Gifte und ihre Antidote)
- Akute Intoxikationen - AMBOSS-SOP
- Primäre Giftelimination - AMBOSS-SOP
Für eine Liste der Giftnotrufzentralen und Giftinformationszentren in Deutschland, Österreich und Schweiz siehe „Tipps & Links“ am Ende dieses Kapitels!
Vergiftungen durch Pilze und Pflanzen
Grüner Knollenblätterpilz
- Wirkstoffe: Amatoxine (α-, β- und γ-Amanitin) und Phallotoxine
- Wirkung
- Blockade der RNA-Polymerase → Hemmung von Transkription und Proteinbiosynthese
- Irreversible Bindung an F-Aktin → Hemmung von zellulären Transportvorgängen
- Klinisches Bild
- Nach ca. 12 Std. gastrointestinale Symptome (Diarrhö, Erbrechen, Koliken)
-
Nach ca. 3–10 Tagen toxisches Nieren- und Leberversagen
- Toxische Dosis: 0,1 mg/kgKG
- Verzehr eines einzelnen Pilzes kann tödlich sein
- Letalität bei Erwachsenen: 10–20%
- Therapie
- Magenspülung
- Aktivkohle
- Antidot: Silibinin (Substanz des Stoffkomplexes Silymarin, das sich in Mariendistelfrüchten findet)
Fliegenpilz und Pantherpilz
- Wirkstoff: U.a. Ibotensäure und Muscimol
- Klinisches Bild: Pantherina-Syndrom
- Erbrechen und Durchfall
- Anticholinerge Symptomatik (Mydriasis, trockene Schleimhäute, Tachykardie)
- Rauschzustand mit Halluzinationen
- Therapie
- Aktivkohle oder eine Entleerung des Magens können in der ersten Stunde eine weitere Aufnahme des Giftes reduzieren
- Supportive Maßnahmen (z.B. Rehydrierung)
- Bei sehr ausgeprägter anticholinerger Symptomatik kann die intravenöse Gabe von 1–2 mg Physostigmin erwogen werden
Schwarze Tollkirsche
- Wirkung
- Atropin → Verdrängung von Acetylcholin
- Folge: Kompetitive Hemmung der muskarinergen Acetylcholinrezeptoren des parasympathischen Nervensystems
- Klinisches Bild: Anticholinerges Syndrom (Leitsymptome: trockene, gerötete Haut mit Fieber, Mydriasis, Tachykardie und Delir)
- Therapie
-
Physostigmin
- Mittel der Wahl zur reversiblen Hemmung der Acetylcholinesterase (Antidot)
- ZNS-gängiges, indirektes Parasympathomimetikum
- Supportive Maßnahmen (z.B. Rehydrierung)
-
Physostigmin
„Feuerrot, glühend heiß, strohtrocken und total verrückt“
Medikamentenvergiftungen
Trizyklische Antidepressiva
- Wirkung: Wiederaufnahmehemmung von Noradrenalin, Dopamin und Serotonin, sowie u.a. eine Hemmung kardialer Natriumkanäle
- Klinisches Bild: Anticholinerges Syndrom
- Diagnostik
- EKG: Zur Einschätzung der Herzrhythmusstörungen
- Vitalparameter
- Laborwerte
- Therapie
- Supportive Maßnahmen: Atemwege sichern, Oxygenierung, evtl. Volumengabe und Kreislaufstabilisierung
- Primäre Giftelimination
- Gabe von Aktivkohle
- Evtl. Magenspülung
- In seltenen Fällen: Endoskopische Dekontamination
- Medikamentöse Therapie
- Antidot: Natriumhydrogencarbonat
- Bei schwerem anticholinergem Syndrom und Ausschluss einer QRS-Verbreiterung: Physostigmin
- Bei Arrhythmien: Antiarrhythmika (ausgenommen Klasse IA) und Defibrillation möglich
- Bei QRS ≥100 ms: Natriumhydrogencarbonat
- Bei epileptischen Anfällen: Benzodiazepine
Physostigmin ist bei QRS-Verbreiterung kontraindiziert, da es die Herzrhythmusstörungen verschlimmern kann und im schlimmsten Fall zum Herzstillstand führt!
Barbiturate
- Wirkung
- Klinisches Bild
- Bewusstseinsstörungen, Koma
- Atemlähmung
- Therapie
- Antidot: Natriumhydrogencarbonat
- Forensik: Holzer-Blasen (Blasen mit Barbiturat-Inhalt an Körperstellen mit Druckbelastung)
Lithium
- Klinisches Bild
- Ataxie
- Krämpfe
- Dysarthrie
- Therapie
- Sofortiges Absetzen von Lithium
- Magenspülung ohne anschließende Aktivkohlebehandlung
- Intravenöse Gabe isotoner Flüssigkeit zum Erhalt der renalen Clearance
- Hämodialyse
- Siehe auch: Lithiumintoxikation
Lokalanästhetika
- Klinisches Bild
- Übelkeit, Schwindel
- Metallischer Geschmack
- Benommenheit, Verwirrung, Koma
- Krämpfe, Herzrhythmusstörungen
- Therapie
- Lipidinfusion
- Adrenalin (bei malignen Herzrhythmusstörungen)
- Diazepam (zur Behandlung der ZNS-Störungen)
- Siehe auch: Systemische Lokalanästhetika-Intoxikation (LAST)
Paracetamol
- Klinisches Bild: Leberzellnekrose
- Antidot: N-Acetylcystein
- Siehe auch: Paracetamolintoxikation
Vergiftungen durch Genussmittel und Drogen
Zigaretten (Nikotinvergiftung)
- Klinisches Bild
- Erbrechen, Blässe, Tachykardie, Schwitzen
- Hohe Mengen: Kreislaufdepression (Hypotension, Herzfrequenz↓), Atemlähmung
- Therapie: Aktivkohle bis 60 min nach Ingestion
Alkohol
Siehe: Akute Alkoholintoxikation und Pathologischer Rausch
Opioide
Siehe: Opioid-Intoxikation
Sedativa
Siehe: Benzodiazepin-Intoxikation bzw. Knockout-Tropfen
Psychostimulanzien
Siehe: Psychostimulanzien (Intoxikation und Abhängigkeit)
Halluzinogene
Vergiftungen durch Haushalts- und Industriechemikalien
Phosphorsäureester (Alkylphosphate) wie Parathion (E 605)
- Vorkommen: Insektizide, Malariabekämpfung, Fungizide, iatrogen als Miotika (Glaukomtherapie), Nervenkampfstoffe
- Aufnahme: Über Haut oder Schleimhäute, bspw. von Respirations- bzw. Gastrointestinaltrakt (sog. Kontaktgift)
- Wirkung
- Irreversible Hemmung der Acetylcholinesterase mit konsekutiver Erhöhung der Acetylcholinkonzentration und Wirkung an muskarinergen und nikotinischen Acetylcholinrezeptoren
- Folge: Lebensbedrohliche Parasympathikusaktivierung
- Klinisches Bild: Cholinerges Syndrom
- Bradykardie, Miosis
- Gastrointestinale Symptomatik (Speichelfluss↑, Diarrhö, abdominelle Schmerzen, Stuhl- und Urinabgänge)
- Muskelzuckungen und -schwäche (Gefahr der peripheren neuromuskulären Atemlähmung)
- ZNS-Symptomatik (Ruhelosigkeit, Angst, Ataxie, Tremor bis hin zum Koma)
- Charakteristika
- Knoblauch- oder Lauchgeruch der Ausatemluft
- Blaufärbung von Speichel und Schleimhäuten
- Diagnostik: Bestimmung der Acetylcholinesterase-Aktivität in den Erythrozyten
- Acetylcholinesterase-Aktivität↓
- Antidot
- Atropin
- Oxime (Obidoxim)
Bei der Behandlung unbedingt auf Selbstschutz (Handschuhe, Atemschutz) achten, kontaminierte Kleidung des Patienten entfernen und dessen kontaminierte Haut großzügig mit Wasser und Seife waschen!
Hauptgefahr bei Alkylphosphatvergiftung ist die periphere und zentrale Atemlähmung!
Tenside (Haarshampoo, Allzweckreiniger)
- Klinisches Bild: Erbrechen durch Schaumbildung
- Therapie: Simeticon (bspw. Sab Simplex®) [1]
Lampenöl (Petroleum)
- Klinisches Bild
- Bei Verschlucken: Häufig Spontanerbrechen mit Gefahr einer sekundären Aspiration
- Bei Aspiration: Nach wenigen Minuten Husten und Erbrechen
- Nach Aufnahme hoher Dosen zusätzlich kardiale und/oder zentralnervöse Symptomatik
- Therapie: Symptomatisch
Organische Lösungsmittel, Insektizide, Halogenkohlenwasserstoffe, Benzol und Homologe
Organische und anorganische Stäube
Siehe: Lungenerkrankungen durch Inhalation organischer Stäube bzw. Lungenerkrankungen durch Inhalation anorganischer Stäube
Weitere Vergiftungen
Blausäure, Cyanide (HCN, KCN , CN−)
- Vorkommen
- Metallindustrie
- Rauchgas (insb. bei Verbrennung stickstoffhaltiger Stoffe oder polyurethanhaltiger Schaumstoffe)
- Falsche Zubereitung von Maniokknollen
- Bei Kindern: Verzehr von Bittermandeln (5–10 Stück)
- Wirkung
- Blockierung der Atmungskette durch Bindung an das dreiwertige Eisen der Cytochromoxidase
- Hemmung der Zellatmung
- Inneres Ersticken
- Klinisches Bild
- Charakteristika
- Bittermandelgeruch der Ausatemluft
- Hellrote Totenflecken bei der Leichenschau
- Therapie
- Allgemein: Gabe von 100%igem Sauerstoff
- Bei inhalativer Vergiftung: Hydroxocobalamin i.v. (Vitamin B12b) [2]
- Bei oraler Vergiftung : Methämoglobinbildner
- 4-Dimethylaminophenol i.v. (4-DMAP) [3]
- Alternativ: Nitrit
- Im Anschluss an 4-DMAP oder Nitrit: Natriumthiosulfat i.v. (Na2S2O3)
Eisen
- Epidemiologie: Eher selten, betroffen sind meist Kleinkinder (Ingestion von Eisentabletten)
- Symptome
- Zunächst hämorrhagische Gastroenteritis, Schocksymptomatik
- Falls Patient überlebt: Nach ca. 6 h beschwerdearmes Intervall
- Im Verlauf: Gefahr des toxischen Leber- und Nierenversagens, Bewusstlosigkeit, Atemdepression
- Antidot: Deferoxamin
Kohlenstoffmonoxid oder -dioxid
Siehe: Intoxikation mit Kohlenstoffmonoxid oder -dioxid
Reizende Gase
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Amphetamine: Speed & Crystal Meth
Alkohol
Anticholinerges Syndrom
Inhaltliches Feedback zu den Meditricks-Videos bitte über den zugehörigen Feedback-Button einreichen (dieser erscheint beim Öffnen der Meditricks).
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
T51.-: Toxische Wirkung von Alkohol
- T51.0: Äthanol
- Äthylalkohol
- Exklusive: Akuter Alkoholrausch oder Alkoholnachwirkungen, „Kater“ (F10.0), Pathologischer Rausch (F10.0), Trunkenheit (F10.0)
- T51.1: Methanol
- Methylalkohol
- T51.2: 2-Propanol
- Isopropylalkohol
- T51.3: Fuselöl
-
Alkohol:
- Amyl-
- Butyl- [1-Butanol]
- Propyl- [1-Propanol]
-
Alkohol:
- T51.8: Sonstige Alkohole
- T51.9: Alkohol, nicht näher bezeichnet
T61.-: Toxische Wirkung schädlicher Substanzen, die mit essbaren Meerestieren aufgenommen wurden
- Exklusive:
- Allergische Reaktion auf Lebensmittel, wie z.B.:anaphylaktischer Schock durch Nahrungsmittelunverträglichkeit (T78.0), Dermatitis (L23.6, L25.4, L27.2), Gastroenteritis (nichtinfektiös) (K52.‑)
- Bakteriell bedingte Lebensmittelvergiftungen (A05.‑)
- Toxische Wirkung infolge Lebensmittel-Kontamination, wie z.B.: Aflatoxin und sonstige Mykotoxine (T64), Blausäure (T57.3), Quecksilber (T56.1), Zyanide (T65.0)
- T61.0: Ciguatera-Fischvergiftung
- T61.1: Scombroid-Fischvergiftung
- T61.2: Sonstige Vergiftung durch Fische und Schalentiere
- T61.8: Toxische Wirkung sonstiger essbarer Meerestiere
- T61.9: Toxische Wirkung eines nicht näher bezeichneten essbaren Meerestieres
T62.-: Toxische Wirkung sonstiger schädlicher Substanzen, die mit der Nahrung aufgenommen wurden
- Exklusive:
- Allergische Reaktion auf Lebensmittel, wie z.B.:anaphylaktischer Schock durch Nahrungsmittelunverträglichkeit (T78.0), Dermatitis (L23.6, L25.4, L27.2), Gastroenteritis (nichtinfektiös) (K52.‑)
- Bakteriell bedingte Lebensmittelvergiftungen (A05.‑)
- Toxische Wirkung infolge Lebensmittel-Kontamination, wie z.B.: Aflatoxin und sonstige Mykotoxine (T64), Blausäure (T57.3), Quecksilber (T56.1), Zyanide (T65.0)
- T62.0: Verzehrte Pilze
- T62.1: Verzehrte Beeren
- T62.2: Sonstige verzehrte Pflanze(n) oder Teil(e) davon
- T62.8: Sonstige näher bezeichnete schädliche Substanzen, die mit der Nahrung aufgenommen wurden
- T62.9: Schädliche Substanz, die mit der Nahrung aufgenommen wurde, nicht näher bezeichnet
T63.-: Toxische Wirkung durch Kontakt mit giftigen Tieren
- T63.0: Schlangengift
- Gift von Seeschlangen
- T63.1: Gift anderer Reptilien
- Gift von Echsen
- T63.2: Skorpiongift
- T63.3: Spinnengift
- T63.4: Gift sonstiger Arthropoden
- Insektenbiss oder -stich, giftig
- T63.5: Toxische Wirkung durch Kontakt mit Fischen
- T63.6: Toxische Wirkung durch Kontakt mit sonstigen Meerestieren
- T63.8: Toxische Wirkung durch Kontakt mit sonstigen giftigen Tieren
- Amphibiengift
- T63.9: Toxische Wirkung durch Kontakt mit einem nicht näher bezeichneten giftigen Tier
T64: Toxische Wirkung von Aflatoxin und sonstigem Mykotoxin in kontaminierten Lebensmitteln
T65.-: Toxische Wirkung sonstiger und nicht näher bezeichneter Substanzen
- T65.0: Zyanide
- Exklusive: Blausäure (T57.3)
- T65.1: Strychnin und dessen Salze
- T65.2: Tabak und Nikotin
- T65.3: Nitro- und Aminoderivate von Benzol und dessen Homologen
- Anilin [Aminobenzol]
- Nitrobenzol
- Trinitrotoluol
- T65.4: Schwefelkohlenstoff
- T65.5: Glyzeroltrinitrat, Sauerstoffsäuren des Stickstoffs und deren Ester
- 1,2,3-Propantriol, Trinitrat
- T65.6: Farben und Farbstoffe, anderenorts nicht klassifiziert
- T65.8: Toxische Wirkung sonstiger näher bezeichneter Substanzen
- T65.9: Toxische Wirkung einer nicht näher bezeichneten Substanz
- Vergiftung o.n.A.
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.