Zusammenfassung
Dieses Kapitel gibt eine Übersicht über die grundlegenden Prinzipien der Akutversorgung bei medizinischen Notfällen im Schockraum bzw. in der zentralen Notaufnahme.
Die mündliche Übergabe vor Beginn der Behandlung dient der fokussierten und strukturierten Informationsweitergabe an das gesamte (ärztliche und pflegerische) Team. Gebräuchliche Merkhilfen zur Verbesserung der Übergabequalität sind bspw. das SAMPLE-Schema oder das OPQRST-Schema.
Die Akutversorgung kann prinzipiell in Primary Survey (Erstuntersuchung und Grundversorgung) und Secondary Survey (Zweituntersuchung und erweiterte Versorgung) unterteilt werden. Ziel des Primary Survey ist es, unmittelbar lebensbedrohliche Verletzungen oder Störungen der Vitalfunktion zu entdecken und nach Möglichkeit zu behandeln. Als standardisierte Herangehensweise hat sich in dieser Hinsicht das cABCDE-Schema bewährt. Art und Umfang des anschließenden Secondary Survey richten sich nach der klinischen Gesamtsituation.
Patientenübergabe
Grundprinzipien der Patientenübergabe [1][2][3][4]
- Fokussierte und strukturierte Informationsweitergabe an das gesamte (ärztliche und pflegerische) Team
- Name und Alter (falls bekannt)
- Art des Notfalls, ggf. Unfallmechanismus
- Beeinträchtigungen gemäß cABCDE-Schema
- Bereits durchgeführte Maßnahmen/Medikation
- Verlauf der Vitalparameter und der Vigilanz
- Vorerkrankungen, Vormedikation, Allergien (falls bekannt)
- Zeitpunkt der letzten Nahrungsaufnahme
- Zusatzinformationen (bspw. hinsichtlich Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung, Angehörige)
- Vermeidung von Informationsverlust
Bei kardiopulmonal instabilen Patienten (bspw. laufende Reanimation, akute respiratorische Insuffizienz) kann sofort mit Umlagerung und Diagnostik bzw. Therapie begonnen werden. Die Übergabe sollte dann zum nächstmöglichen Zeitpunkt nachgeholt werden!
Merkhilfen (Akronym-Schemata) [5]
Die Qualität der Patientenübergabe (bzw. Notfallanamnese) kann durch die Verwendung von Merkhilfen (Akronym-Schemata) verbessert werden. Im Rahmen der Versorgung kritisch kranker bzw. polytraumatisierter Personen ist das SAMPLE-Schema gebräuchlich, welches bei Bedarf durch das OPQRST-Schema ergänzt werden kann .
Weitere gebräuchliche Merkhilfen sind bspw. das SBAR-Konzept oder das I-PASS-Konzept!
SAMPLE-Schema
SAMPLE-Schema | ||
---|---|---|
Akronym | Bedeutung | Relevante Information |
S | „Signs/Symptoms“ |
|
A | „Allergies“ |
|
M | „Medications“ |
|
P | „Past medical history“ |
|
L | „Last oral intake“ |
|
E | „Events preceding“ |
|
(R) | „Risk factors“ |
|
OPQRST-Schema
OPQRST-Schema | ||
---|---|---|
Akronym | Bedeutung | Relevante Information |
O | „Onset/Origin“ |
|
P | „Provocation/Palliation“ |
|
Q | „Quality“ |
|
R | „Radiated or referred pain/Region“ |
|
S | „Severity“ |
|
T | „Time/Duration“ |
|
Primary Survey (Erstuntersuchung und Grundversorgung)
Im Rahmen des sog. Primary Survey sollen unmittelbar lebensbedrohliche Verletzungen oder Störungen der Vitalfunktion entdeckt und nach Möglichkeit behandelt werden Als standardisierte Herangehensweise hat sich das cABCDE-Schema bewährt, welches bei gegebener Indikation durch bildgebende Verfahren unterstützt werden kann.
cABCDE-Schema [1][2][6]
- Grundidee: Vitale Bedrohungen erkennen und behandeln („treat first what kills first“)
- Vorgehen
- Strukturiertes Abarbeiten der einzelnen Punkte
- Erneuter Beginn nach Korrektur eines Problems sowie bei Verschlechterung des Patientenzustands im Verlauf
- Eigenschutz beachten
- Tragen einer persönlichen Schutzausrüstung [7]
- Mögliches fremdaggressives Verhalten bedenken
- Siehe auch: Fremdaggressives Verhalten - AMBOSS-SOP
- Bei Herz-Kreislauf-Stillstand: Unmittelbarer Beginn der kardiopulmonalen Reanimation
cABCDE-Schema | ||
---|---|---|
Akronym | Bedeutung | Wesentliche Beeinträchtigungen (umgehende Behandlung erforderlich) |
c | „Critical Bleeding“ [8] |
|
A | „Airway“ |
|
B | „Breathing“ | |
C | „Circulation“ |
|
D | „Disability“ |
|
E | „Exposure“ |
|
Integrierte Basismaßnahmen
- Anlage des Basismonitorings
- Sauerstoffgabe
- Anlage eines peripheren Venenzugangs
- Temperaturmessung
Bildgebung
Wesentliche Elemente der Bildgebung in der Akutversorgung sind die Notfallsonografie und die Computertomografie. Wann und in welcher Art sie zum Einsatz kommen, hängt stark vom Zustand der behandelten Person sowie den lokalen Gegebenheiten ab.
Notfallsonografie [9][10]
- Standardisierte, fokussierte Untersuchung anhand eines Protokolls empfohlen , bspw.
- Extended Focused Assessment with Sonography for Trauma (eFAST)
- Rapid Ultrasound in Shock and Hypotension (RUSH)
- Bedside Lung Ultrasound in Emergency (BLUE)
- Focused Echocardiographic Evaluation in Life Support (FEEL)
- Traumatologischer Bereich: eFAST im Rahmen des Primary Survey empfohlen [9]
- Untersuchte Regionen: Abdomen, Perikard und Pleura
- Als primäre Untersuchung (unabhängig von der Verfügbarkeit einer CT) zur
- Diagnostik freier abdomineller Flüssigkeit nach stumpfem oder penetrierendem Abdominaltrauma
- Diagnostik eines Pneumo- oder Hämatothorax bzw. einer Herzbeuteltamponade nach Thoraxtrauma
- Als Kontrolluntersuchung, wenn zeitnah keine CT des Körperstamms durchgeführt werden kann
- Als primäre Untersuchung (unabhängig von der Verfügbarkeit einer CT) zur
- Durchführung siehe: Notfallsonografie
- Untersuchte Regionen: Abdomen, Perikard und Pleura
- Nicht-traumatologischer Bereich: Insg. hoher Stellenwert in der Akutversorgung [10]
- Anwendbar sowohl beim Primary als auch beim Secondary Survey
- Keine Überlegenheit für ein spezifisches Untersuchungsprotokoll
Eine Ultraschalluntersuchung des Abdomens, des Perikards und der Pleura sollte bei Traumapatienten zur Aufrechterhaltung der Routine auch bei Verfügbarkeit einer CT im Rahmen der Erstuntersuchung („Primary Survey“) durchgeführt werden!
Computertomografie
- Keine allgemeingültigen Empfehlungen vorhanden: Individuelle Indikationsstellung erforderlich (klinikinterne Standards beachten)
- Generell hoher Stellenwert der CT in der Schockraumdiagnostik
- Zeitpunkt, Art und Umfang richten sich i.d.R. nach der klinischen Gesamtsituation [10][11]
- Verwendung von Scores als Entscheidungshilfe möglich [12][13]
- Goldstandard im traumatologischen Bereich: Ganzkörper-CT (siehe auch: Polytrauma-CT) [9][14]
- Nachgewiesener Überlebensvorteil bei schwerem Trauma
- Schnelle und detaillierte Erfassung des Verletzungsmusters
- Untersuchung prinzipiell auch unter Reanimationsbedingungen möglich [15]
- (Relativer) Nachteil: Hohe Strahlenbelastung
- Mögliche Maßnahmen zur Reduktion der Strahlenbelastung: Verwendung dosisreduzierter Untersuchungsprotokolle, Auslagerung der Arme über den Kopf [15]
- Nicht-traumatologischer Bereich: Kein Goldstandard vorhanden
- Frühzeitige CT-Diagnostik insb. bei kritisch kranken bzw. instabilen Personen anstreben [10]
- Isolierte CT einer bestimmten Körperregion als Alternative zur Ganzkörper-CT (Strahlenbelastung↓)
Bei polytraumatisierten Personen sollte eine Ganzkörper-CT auch bei unauffälligem Notfallsonografiebefund durchgeführt werden!
Eine Ganzkörper-CT kann prinzipiell auch unter Reanimationsbedingungen durchgeführt werden!
Secondary Survey (Zweituntersuchung und erweiterte Versorgung)
- Voraussetzungen
- Erstuntersuchung und Grundversorgung abgeschlossen
- Stabile Vitalparameter vorhanden (keine unmittelbare Lebensbedrohung)
- Inhalt und Ziele
- Vervollständigen der (Fremd‑)Anamnese
- Durchführung einer kompletten körperlichen Untersuchung
- Identifikation bisher unentdeckter Verletzungen bzw. Organdysfunktionen (sog. „missed injuries“ bzw. „missed diagnoses“)
- Bestätigung bzw. Widerlegung der Verdachtsdiagnose
- Beurteilung bzw. Kontrolle der bisher erfolgten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen
- Entscheidung über weitere Maßnahmen
- Mögliche weitere Maßnahmen
- Erweiterung des Schockraumteams (siehe auch: Schockraummanagement)
- Notwendigkeit prüfen
- Frühzeitige Anforderung sinnvoll
- Alternativ: Verlegung in ein Krankenhaus mit höherer Versorgungsstufe
- Durchführung radiologischer bzw. laborchemischer Differenzialdiagnostik
- Abklärung des Impfstatus (ggf. Tetanusprophylaxe verabreichen)
- Bei OP-Indikation: Anmeldung im OP
- Bei Überwachungsbedarf nach Schockraumbehandlung: Anmeldung auf Intensiv- bzw. Überwachungsstation
- Erweiterung des Schockraumteams (siehe auch: Schockraummanagement)
Bei einer Verschlechterung des Allgemeinzustands muss eine erneute Untersuchung gemäß cABCDE-Schema durchgeführt werden!
AMBOSS-Podcast zum Thema
AMBOSS-Award 2024: Region der Lebensretter e.V. (Dezember 2024)
Emergency Critical Care (ECC): Notaufnahme neu gedacht (Juli 2024)
Die Übergabe: Im Notfall nichts vergessen (April 2023)
Notfallmanagement: Konzepte für einen souveränen Umgang – Teil 1 (März 2021)
Notfallmanagement: Konzepte für einen souveränen Umgang – Teil 2 (April 2021)
Interesse an noch mehr Medizinwissen zum Hören? Abonniere jetzt den AMBOSS-Podcast über deinen Podcast-Anbieter oder den Link am Seitenende unter „Tipps & Links.“