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Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel

Letzte Aktualisierung: 18.3.2025

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Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel (BPLS) ist eine häufige Erkrankung des Innenohrs. Sie wird durch dislozierte Fragmente von Otolithen ausgelöst, die frei in der Endolymphe eines Bogengangs „schwimmen“ (Canalolithiasis) und dort bei Kopflageänderungen zur Übererregung des Gleichgewichtsorgans führen. Seltener ist eine Cupulolithiasis ursächlich, bei der sich Otolithenfragmente an der Cupula der Bogengangsorgane festsetzen. Der BPLS ist die häufigste periphere Schwindelursache, wobei der posteriore Bogengang am weitaus häufigsten betroffen ist. Das Leitsymptom des BPLS ist ein attackenartig auftretender Lagerungsschwindel mit kurzer Dauer (meist bis zu 60 s) bei Kopflageänderungen, der nach Ruhigstellung des Kopfs spontan sistiert. Die Diagnose wird klinisch anhand der typischen Anamnese und mittels Lagerungsmanöver gestellt, welche die Drehschwindelattacke auslösen und die Zuordnung zum betroffenen Bogengang ermöglichen. Zur Therapie erfolgen ebenfalls Lagerungsmanöver, die zum Abfließen der Otolithen aus dem jeweiligen Bogengang führen. Ein praktischer Leitfaden für die Akutsituation findet sich unter BPLS - Vorgehen in der Notaufnahme

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Epidemiologietoggle arrow icon

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

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Ätiologietoggle arrow icon

  • Häufig idiopathische, seltener traumatische Ablösung von Otolithenfragmenten
  • Typische auslösende Bewegungen
    • Nächtliches Drehen des Körpers im Bett, schnelles Hinlegen
    • Rasche Kopfdrehung, v.a. Kopfwendung nach oben (Kopfreklination)
  • Risikofaktoren [2]
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Pathophysiologietoggle arrow icon

Allgemeine Pathophysiologie bei BPLS

  • Ablösung von Otolithenfragmenten
    • Canalolithiasis: Otolithenfragmente schwimmen frei beweglich in der Endolymphe der Bogengänge (häufigerer Pathomechanismus)
    • Cupulolithiasis: Otolithenfragmente setzen sich an der nicht mit Otolithen besetzten Cupula der Bogengangsorgane fest (seltenerer Pathomechanismus)
  • Bewegungsabhängige Auslenkung der Cupula durch Einwirkung der Otolithen

Anatomische Grundlagen

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BPLS-Formentoggle arrow icon

Aus der Anatomie der Bogengänge ergeben sich theoretisch je Seite 6 BPLS-Formen, die sich aber in ihrer Häufigkeit stark unterscheiden:

Häufigkeit der BPLS-Formen [3][4]
BPLS-Form Epidemiologie Klinisches Hauptmerkmal
BPLS des posterioren Bogengangs
  • Häufigste Variante (bis zu 90% der Fälle)
  • Rechts > links [5]
  • Rarität

BPLS des horizontalen Bogengangs

  • Seltener (ca. 5–15%)
  • Selten (ca. 5%)
BPLS des anterioren Bogengangs [6][7]
  • Rarität
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Symptomatiktoggle arrow icon

Typische Anamnese

  • Lagerungsschwindel: Schwindelattacken mit jeweils typischer Charakteristik
    • Rezidivierend mit Bewegungsillusion der Umwelt
    • Rasch einsetzend mit an- und wieder abschwellender Intensität
    • Kurze Dauer von Sekunden bis Minuten (meist <60 s)
    • Ausgelöst durch bestimmte Kopflageänderungen
    • Spontane Remission bei Ruhigstellung des Kopfes
    • Beschwerdefreies Intervall nach Abschwellen, solange der Kopf in Ruhe bleibt
    • Keine kochleären Symptome (keine Hörminderung, kein Tinnitus)
    • Während der Attacken häufig Übelkeit/Erbrechen und Oszillopsien

Da Otolithen auch spontan aus dem Bogengangsorgan abfließen können, kommt der Anamnese eine besondere Bedeutung zu: Bei einer eindeutigen, typischen Anamnese kann von einem BPLS ausgegangen werden, auch wenn keine BPLS-typischen Untersuchungsbefunde (mehr) zu erkennen sind !

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Diagnostiktoggle arrow icon

Für das Notfallmanagement bei Schwindel unklarer Ursache siehe: Schwindel - AMBOSS-SOP

Charakteristische Befunde des Nystagmus beim BPLS [2][3][4][8]

Provokation durch Lagerungsproben [3][4][8]

Ergibt sich durch die typische Anamnese der V.a. einen BPLS, kann mit einer gezielten Lagerungsprobe die Schwindelattacke und mit ihr der charakteristische Nystagmus-Befund provoziert werden. Bei wiederholter Provokation ist eine Intensitätsabnahme möglich, weil die Lagerungsproben nicht nur diagnostische Bedeutung, sondern auch einen therapeutischen Effekt haben.

  • Grundprinzip
    • Rascher und kontrollierter Positionswechsel des Kopfs erregt immer jeweils 2 Bogengänge
      • Entweder linken oder rechten posterioren und gleichzeitig kontralateralen anterioren Bogengang oder das horizontale Bogengangspaar
    • Zuordnung des betroffenen Bogengangs anhand typischer Nystagmus-Befunde in den jeweiligen Lagerungsproben
  • Vorbereitung
    • Patient:in auffordern, die Augen während des Manövers offen zu halten
    • Darauf hinweisen, dass es zu Schwindel, Übelkeit und Erbrechen kommen kann
    • Während der Umlagerung den Kopf mit den Händen führen

Die Zeit bis zum Abklingen der Attacke kann unerwartet lang sein und dadurch zur Verunsicherung der untersuchenden Person beitragen; ebenso eine fehlende oder sehr kurze Latenz, die bei der Cupulolithiasis zur Verwechslung mit einem zentralen, ggf. lageabhängigen Problem führen kann. Daher sollte unbedingt lang genug untersucht und bei vorhandenem Nystagmus immer erst nach mind. 80 s beurteilt werden, ob ein Nystagmus spontan persistiert (oder nicht)!

Für die posterioren und anterioren Bogengänge

Dix-Hallpike-Manöver

  • Getestete Bogengänge
  • Durchführung
    • Patient:in sitzt aufrecht, dreht Kopf um 45° zur betroffenen/zu testenden Seite
    • Dabei wird der Kopf um etwa 30° überstreckt
    • Unter Beibehaltung dieser Kopfposition rasche Umlagerung in Rückenlage
  • Typischer pathologischer Befund: Upbeat-/torsionaler Nystagmus
    • D.h. zur Stirn hochschlagend mit torsionaler Komponente zum betroffenen Ohr
  • Zahlreiche weitere Varianten vorhanden [9]

Für die horizontalen Bogengänge

Kopfdrehung im Liegen (Supine-Roll-Manöver)

  • Getestete Bogengänge
  • Durchführung
    • Patient:in in Rückenlage, Kinn leicht inkliniert
    • Ruckartige Drehung des Kopfes um jeweils 90° nach links/rechts
    • Beachte: Häufig längere Nystagmus-Dauer → Längere Beobachtungszeit einhalten, um pathognomonisches spontanes Abklingen sicher zu beurteilen
  • Typischer pathologischer Befund: Horizontaler Nystagmus nach beiden Drehungen
    • Entweder beide Male zur Erde hin (geotrop) oder von der Erde weg (apogeotrop)
    • Die erkrankte Seite lässt sich aus der Kombination von Schlagrichtung und seitenunterschiedlicher Stärke des Nystagmus erkennen:
      • Bei Canalolithiasis: Kopfdrehung führt auf der betroffenen Seite zu einem stärker ausgeprägten geotropen Nystagmus als bei Kopfdrehung auf die gesunde Seite
      • Bei Cupulolithiasis: Kopfdrehung führt auf der gesunden Seite zu einem stärker ausgeprägten apogeotropen Nystagmus als auf der betroffenen Seite

Beim BPLS der horizontalen Bogengänge zeigt sich bei Kopfdrehung in beide Richtungen ein horizontaler Nystagmus zum jeweils unten (Canalolithiasis) oder oben liegenden Ohr (Cupulolithiasis). Dies sollte nicht mit einem zentralen alternierenden Nystagmus verwechselt werden!

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Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

Zentral-vestibuläre Differenzialdiagnosen

Insb. der BPLS des horizontalen Bogengangs kann mit zwei zentralen Schwindelformen verwechselt werden, denen meist lakunäre Infarkte zugrunde liegen. Der BPLS des horizontalen Bogengangs ist daher ein häufiges Stroke Mimic.

Peripher-vestibuläre Differenzialdiagnosen

Der BPLS ist mit seinem Lagerungsschwindel recht klassisch und schwer mit anderen peripheren Schwindelursachen zu verwechseln. Selten kann sich eine Ähnlichkeit zu ebenfalls paroxysmal auftretenden peripheren Schwindelerkrankungen ergeben.

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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Therapietoggle arrow icon

Befreiungsmanöver [2][3][4][10]

  • Ziel: Otolithen durch koordinierte Bewegungen und mit Hilfe der Schwerkraft aus den Bogengängen entfernen
  • Hinweise zur Durchführung
    • Bei starker Übelkeit Spucknapf bereitstellen und vorab Antiemetikum geben
    • Ggf. mehrfache Durchführung notwendig
    • Bei Beschwerdepersistenz Patient:innen zur Selbsttherapie anleiten

Für die posterioren Bogengänge

  • Epley-Manöver [11][12]
    1. Patient:in sitzt auf einer Liege und dreht Kopf um 45° zur betroffenen Seite
    2. Rasches Umlagern auf den Rücken (unter Beibehaltung der Kopfposition), wobei der Kopf leicht über den Rand der Untersuchungsliege hängt → Schwindelsymptomatik sollte ausgelöst werden
    3. Abklingen der Schwindelsymptomatik abwarten (ca. 30 s), dann Kopf um 90° zur anderen (nicht-betroffenen) Seite drehen
    4. 30 s warten und Patient:in dann um weitere 90° auf die nicht-betroffene Seite drehen
    5. Weitere 30 s warten und Patient:in dann aufsetzen
  • Semont-Manöver [11][12]
    1. Patient:in sitzt auf Liege und dreht Kopf um ca. 45° zur nicht betroffenen Seite
    2. Unter Beibehaltung der Kopfposition für mind. 60 s Lagerung auf die kranke Seite
    3. Ohne Veränderung der Kopfposition: Lagerung um 180° auf die gesunde Seite
    4. Nach mind. 60 s in dieser Position Patient:in in Ausgangsposition aufsetzen
  • Semont-Plus-Manöver: Modifikation des Semont-Manövers [13]
    • In den Schritten 2 und 3 des Semont-Manövers wird in Seitenlage der Kopf noch über die Horizontale hinaus nach unten geführt, sodass er unterhalb der Auflagefläche der Liege gehalten wird (leicht nach unten hängend)

Für die horizontalen Bogengänge

  • Gufoni-Manöver [14][15]
    1. Patient:in wird in einer schnellen Bewegung aus dem Sitzen auf die nicht-betroffene Körperseite gelegt, wobei der Kopf geradeaus gehalten wird. Position für ca. 45 s halten
    2. Der Kopf wird in einer schnellen Bewegung um 45° in Richtung der Liege gedreht und ca. 3 min in dieser Position gehalten
    3. Schnelles Aufrichten ins Sitzen
  • Barbecue-Manöver [14][15]
    1. Patient:in liegt, idealerweise mit leicht inkliniertem Kinn, auf Liege und dreht Kopf ruckartig um 90° auf das gesunde Ohr
    2. Nach Verharren für mind. 30 s wird der Kopf ruckartig um 90° in dieselbe Richtung weitergedreht und kommt nun frontal auf der Stirn zu liegen (dieser Schritt sollte durch eine Körperdrehung unter Beibehaltung der Kopfposition nach Schritt 1 vorbereitet werden)
    3. Nach Verharren für mind. 30 s wird der Kopf ruckartig um 90° in dieselbe Richtung weitergedreht und liegt nun auf dem erkrankten Ohr
    4. Nach mind. 30 s in dieser Position Drehen in Ausgangsposition

Bei starker Übelkeit sollte Patient:innen vor Durchführung des Lagerungsmanövers ein Antiemetikum (z.B. Dimenhydrinat) verabreicht werden. Der Schwindel selbst lässt sich nur durch geeignete Lagerungsmanöver beheben!

Für die anterioren Bogengänge

  • Rahko-Manöver (tiefe Kopfhängelage)
    1. Patient:in sitzt auf einer Liege und dreht den Kopf um ca. 45° zur gesunden Seite
    2. Patient:in wird aus dieser Position rasch in die Kopfhängelage gelagert; Kopf dabei um mind. 30° rekliniert
    3. Nach Verharren für mind. 30 s wird der Kopf ruckartig inkliniert, sodass das Kinn den Brustkorb berührt
    4. Nach Verharren für mind. 30 s rasche Wiederaufrichtung zurück in die sitzende Position

Weitere Therapieansätze

  • BPLS-Selbsttherapie: Anleitung von Patient:innen zur selbständigen Durchführung des passenden Befreiungsmanövers mehrmals täglich bis zur anhaltenden Beschwerdefreiheit über mind. 24 h
    • Druckvorlagen für die Anleitung zur Selbsttherapie siehe Referenz sowie am Seitenende unter "Tipps & Links" [11][12][14][15]
  • Chirurgische Obliteration des betroffenen Bogengangs: Nur in sehr seltenen Fällen, wenn keine Besserung durch Repositionsmanöver zu erreichen ist
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Vorgehen in der Notaufnahme (AMBOSS-SOP)toggle arrow icon

Anamnese und körperliche Untersuchung

Praxistipps: Immer Frenzel-Brille benutzen und Nystagmen nach folgenden 3 Kriterien beurteilen: 1. Latenz bis zum Auftreten, 2. Dauer bis zum Abklingen, 3. Richtung(en) der schnellen Phase. Nach jeder einzelnen der drei Lagerungsproben jeweils direkt die erhobenen Befunde dokumentieren!

Auswertung

Aus den drei durchgeführten Lagerungsproben ergeben sich bei >95% aller BPLS-Patient:innen diese möglichen Befundkonstellationen. Daraus lassen sich der betroffene Bogengang und das durchzuführende Therapiemanöver ableiten.

BPLS - Auswertung der Lagerungsproben
Auffällige Lagerungsprobe(n) Nystagmus-Befund Betroffener Bogengang Therapiemanöver

Dix-Hallpike-Manöver rechts

  • Upbeat/torsional nach rechts
  • Downbeat/gering torsional nach links
  • Mit kurzer Latenz
  • Dauer <40 s

Dix-Hallpike-Manöver links

  • Upbeat/torsional nach links
  • Downbeat/gering torsional nach rechts
  • Mit kurzer Latenz
  • Dauer <40 s
  • Tiefe Kopfhängelagerung mit Kopfdrehung zur linken Seite

Kopfdrehung im Liegen bds.

  • Nystagmus nach links stärker als nach rechts
  • Geotrop
  • Kurze Latenz
  • Dauer <80 s
  • Apogeotrop
  • Ohne Latenz
  • Dauer >60 s
  • Nystagmus nach rechts stärker als nach links
  • Geotrop
  • Kurze Latenz
  • Dauer <80 s
  • Apogeotrop
  • Ohne Latenz
  • Dauer >60 s

Der BPLS der horizontalen Bogengänge ist oft schwer von einem zentralen, lageabhängigen Schwindel zu unterscheiden, weil die Episoden länger andauern können, bevor es in unveränderter Lage zur spontanen Beruhigung kommt!

Beim BPLS der anterioren Bogengänge besteht wegen des Downbeat-Nystagmus starke Verwechslungsgefahr mit einer zentralen Ursache, insb. wenn keine typische BPLS-Dynamik erkennbar ist! In diesen Fällen sollte von einer zentralen Ursache ausgegangen und eine MRT-Bildgebung veranlasst werden!

Beim BPLS eines horizontalen Bogengangs kann es während der Lagerungsproben zu einer Umkehr der Nystagmusrichtung kommen, wenn sich ein Otolith im Bogengangskanal an der Cupula verfängt (Konversion einer Canalo- in eine Cupulolithiasis mit Nystagmusumkehr). Die Dynamik der Attacken bleibt dabei jedoch BPLS-typisch!

Die Cupulolithiasis der anterioren Bogengänge kommt praktisch nicht vor!

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Prognosetoggle arrow icon

  • Befreiungsmanöver meist erfolgreich, aber Rezidive relativ häufig (ca. 15%) [2]
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Patienteninformationentoggle arrow icon

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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025toggle arrow icon

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.

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