Zusammenfassung
Der Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch (auch medication-overuse headache, MOH) ist eine sekundäre Kopfschmerzform, bei der vorbestehende primäre Kopfschmerzen chronifizieren, weil Betroffene zu häufig Schmerzmittel einnehmen. Entgegen der Erwartung der Betroffenen verbessert sich die Symptomatik durch die eingenommenen Schmerzmittel nicht, sondern verschlechtert sich sogar, woraufhin wiederum weitere Schmerzmittel eingenommen werden. Am häufigsten sind Personen mit Migräne und Spannungskopfschmerz betroffen. Die Symptomatik ähnelt i.d.R. jener der Grunderkrankung, wobei die Beschwerden häufiger auftreten. Die Therapie besteht im Wesentlichen darin, die Medikamente zu pausieren und anschließend die zugrunde liegenden Kopfschmerzen leitliniengerecht zu behandeln. Es ist essenziell für Behandelnde, sich dieser unerwünschten Arzneimittelwirkung bei Kopfschmerzpatient:innen bewusst zu sein.
Epidemiologie
- Prävalenz: Bis zu 1% der Allgemeinbevölkerung [1]
- Innerhalb der Risikogruppen (Personen mit chronischen primären Kopfschmerzen) deutlich höher
- Geschlecht: ♀ > ♂
- Alter: Meist im Erwachsenenalter; bei Jugendlichen seltener
- Zugrunde liegende primäre Kopfschmerzerkrankung
- Migräne (etwa 80% der Betroffenen)
- Spannungskopfschmerz
- Posttraumatischer Kopfschmerz
- Clusterkopfschmerz (nur bei zusätzlicher Migränediagnose oder -familienanamnese)
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Übergebrauch von Analgetika
- Pathophysiologische Hintergründe unzureichend verstanden
- Alle Schmerzmittel, die gegen primäre Kopfschmerzerkrankungen eingesetzt werden, können zu Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch führen
- Risiko insb. bei Triptanen, Opioiden und Kombinationsanalgetika erhöht
- Weitere Risikofaktoren [1]
- Mehr als 10 Kopfschmerztage/Monat
- Weibliches Geschlecht
- Niedriger sozioökonomischer Status
- Psychiatrische Komorbiditäten (bspw. Suchterkrankung, Angststörung)
- Metabolisches Syndrom
- Körperliche Inaktivität
- Rauchen
- Stress
- Vorbestehende Schmerzerkrankung (bspw. Migräne, chronische Schmerzen)
Bei regelmäßiger Schmerzmitteleinnahme aus anderen Gründen als einer primären Kopfschmerzerkrankung kommt es nicht zu einem Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch!
Symptomatik
Die Symptomatik ähnelt der des primären Kopfschmerzes.
- Bei Migräne
- Migräne-ähnliche Symptomatik mit einseitigen, pulsierenden Schmerzen und Symptomen wie Photophobie, Übelkeit, Erbrechen
- Frequenz des Auftretens erhöht
- Begleitsymptomatik kann durch eingenommene Schmerzmittel teilweise unterdrückt werden und so Diagnostik erschweren
- Bei Spannungskopfschmerz
- Häufig beidseitige, dumpf drückende Schmerzen
- Frequenz des Auftretens erhöht
Diagnostik
Klinisch-neurologische Diagnostik [1]
- Kopfschmerz- und Medikamentenanamnese
- Zusatzdiagnostik: I.d.R. nicht notwendig
Diagnosekriterien nach ICHD-3 [1]
Diagnosekriterien des Kopfschmerzes bei Medikamentenübergebrauch gemäß International Classification of Headache Disorders (ICHD-3) | |
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Kriterien | Beschreibung |
A |
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B |
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C |
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- Die auslösende(n) Substanz(en) sollte(n) jeweils in der Diagnose angegeben werden
- Nicht mehr Bestandteil der o.g. Diagnosekriterien: Besserung der Symptomatik (Abklingen, Rückkehr zur ursprünglichen Kopfschmerzsymptomatik) zwei Monate nach Medikamentenpause!
Therapie
Ziel ist stets die Besserung der Symptomatik und Reduktion der Einnahmetage von Bedarfsanalgetika unter 10 bzw. 15 Tage/Monat .
Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch – gestuftes Therapieschema [1] | ||
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Übergebrauch von Nicht-Opioid-Analgetika | Übergebrauch von Opioiden, Tranquilizern | |
1. Schritt | ||
2. Schritt |
| — |
3. Schritt |
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4. Schritt |
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Prognose
- Rezidivquote: 25–35%
- Höchste Rezidivgefahr [1]
- Innerhalb von 12 Monaten nach Medikamentenentzug/-pause
- Bei Opioidübergebrauch
Prävention
- Leitliniengerechte prophylaktische Behandlung von Migräne und Spannungskopfschmerzen, siehe
- Führen eines Kopfschmerztagebuches
- Regelmäßige Vorstellung von Risikopatienten in der Praxis zur Therapieoptimierung und Patientenschulung [1]
- Schulung ärztlichen und pharmazeutischen Personals über Konsequenzen exzessiven Analgetikakonsums bei Kopfschmerzerkrankungen
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- G44.-: Sonstige Kopfschmerzsyndrome
- Exklusive: Atypischer Gesichtsschmerz (G50.1), Kopfschmerz o.n.A. (R51), Trigeminusneuralgie (G50.0)
- G44.4: Arzneimittelinduzierter Kopfschmerz, anderenorts nicht klassifiziert
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.