Zusammenfassung
Die Untersuchung der Hirnnerven ist essenzieller Bestandteil der neurologischen Untersuchung. Auffälligkeiten in der Prüfung lassen häufig schon eine gute Eingrenzung der Lokalisationshöhe zu. In diesem Kapitel sind die Störungen der Hirnnerven isoliert betrachtet – häufig kommen aber auch mehrere Störungen kombiniert vor (siehe → Syndrome der Schädelbasis).
Übersicht über die Hirnnerven
Ein Merksatz zur Erinnerung der Hirnnerven (von N. I–XII, wobei der Anfangsbuchstabe des einzelnen Wortes für den Anfangsbuchstaben des Hirnnerven steht):
„Onkel Otto operiert tag täglich, aber feiertags vertritt er gerne viele alte Hebammen.“
Hirnnerv | Hauptinnervationsgebiete | Leitbefunde bei Ausfall | |
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I | Nervus olfactorius |
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II | Nervus opticus |
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III | Nervus oculomotorius |
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IV | Nervus trochlearis |
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V | Nervus trigeminus |
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VI | Nervus abducens |
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VII | Nervus facialis |
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VIII | Nervus vestibulocochlearis |
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IX | Nervus glossopharyngeus |
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X | Nervus vagus |
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XI | Nervus accessorius |
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XII | Nervus hypoglossus |
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Nervus-oculomotorius-Läsion (III, Okulomotoriusparese)
Der N. oculomotorius versorgt: M. levator palpebrae superioris, M. rectus superior, M. rectus inferior, M. rectus medialis und M. obliquus inferior. Parasympathische Fasern innervieren den M. ciliaris und M. sphincter pupillae.
- Komplette Ophthalmoplegie
- Auge zeigt Deviation nach außen unten
- Ptosis und Mydriasis
- Nah-Akkommodation gestört
- Die Patienten beklagen i.d.R. keine Diplopie, weil das Auge durch die Ptosis okkludiert ist
- Bei inkompletter Parese treten jedoch häufig Doppelbilder auf
- Ophthalmoplegia interna
- Bei leichter Druckschädigung des N. oculomotorius werden zunächst die parasympathischen Fasern geschädigt, was zu einer weiten, lichtstarren Pupille und gestörter Nah-Akkommodation bei erhaltener Augenmotilität führt
- Ophthalmoplegia externa
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Erhaltene autonome Funktion bei gestörter Augenmotilität
- Häufige Ursache: Diabetes mellitus
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Erhaltene autonome Funktion bei gestörter Augenmotilität
Nervus-trochlearis-Läsion (IV, Trochlearisparese)
- Klinik: Ausfall des M. obliquus superior (Funktion: Innenrotation, Abduktion und Senkung des Augapfels bei Adduktion) → Übergewicht des antagonistischen M. obliquus inferior
- Fehlende Senkung des Augapfels bei Adduktion → Höherstand des Bulbus bei Adduktion
- Fehlende Abduktion → Leichte nasale Schielabweichung
- Fehlende Innenrotation → Verrollung des Auges nach außen
- Folgen
- Schräg stehende, vertikale Doppelbilder; stärkste Doppelbilder beim Blick nach nasal unten (z.B. beim Lesen)
- Zur größten Schielabweichung kommt es bei Kopfneigung zur Seite des paretischen Muskels, da der Bulbus nach oben innen abweicht. Kompensatorisch neigen die Patienten den Kopf zur Gegenseite (Bielschowsky-Phänomen )
- Ursachen: Gefäßveränderungen (Diabetes mellitus, Hypertonie, Arteriosklerose) oder Traumata
Nervus-trigeminus-Läsion (V, Trigeminusparese)
Komplette N. trigeminus-Läsionen sind selten. Läsionen betreffen häufiger einen der drei Hauptäste (N. ophthalmicus, N. maxillaris und/oder N. mandibularis)
- Periphere Trigeminusläsionen
- N. ophthalmicus betroffen → Ausfall des Kornealreflexes
- N. mandibularis betroffen → Ausfall der Kaumuskulatur
- Nukleäre Trigeminusläsion
- Motorische und sensible Kerne des N. trigeminus liegen gesondert im Hirnstamm
- Folge: Entweder Ausfall der Kaumuskulatur oder Sensibilitätsausfälle einer Gesichtshälfte
- Neuralgisches Kompressionssyndrom: Trigeminusneuralgie
Nervus-abducens-Läsion (VI, Abduzensparese)
- Ausfall des M. rectus lateralis → Auge weicht nach innen ab (Einwärtsschielen) und damit zunehmende Einschränkung des Gesichtsfeldes bei Blick in Richtung des paretischen Muskels. Kompensatorisch wird der Kopf in Richtung des paretischen Muskels gedreht, um so Doppelbilder zu vermeiden.
Nervus-facialis-Läsion (VII)
- Siehe: Fazialisparese
Erkrankungen des N. vestibulocochlearis (VIII)
- N. vestibularis , siehe z.B.
- N. cochlearis , siehe z.B.
Nervus-glossopharyngeus-Läsion (IX)
- Schlaffes Gaumensegel → Deviation der Rachenhinterwand zur gesunden Seite (sog. Kulissenphänomen – ähnlich der Nervus-vagus-Läsion)
- Hypästhesie des hinteren Zungendrittels, des weichen Gaumens mit Tonsillen und des oberen Rachens
- Geschmacksstörungen im hinteren Zungendrittel
- Geringe Dysphagie (bei intaktem N. vagus)
- Der intakte N. glossopharyngeus ist mit seinem sensiblen Ast (N. tympanicus) durch die sensible Versorgung von Mittelohr und Ohrtrompete für Ohrenschmerzen verantwortlich
- Der N. glossopharyngeus tritt kranial des N. vagus seitlich aus der Medulla oblongata aus
Nervus-vagus-Läsion (X)
- Innervationsgebiet
- Motorisch: Kehlkopfmuskeln, die obere Speisewegsmuskulatur und Gaumensegel
- Sensibel: Äußerer Gehörgang, Trachea, Larynx, Speiseröhre, Magen
- Parasympathisch: Herz, bestimmte Gefäße und Bauch-Organe bis zum Cannon-Böhm-Punkt in der linken Kolonflexur
- Klinik bei Ausfall
- Schlaffes Gaumensegel → Nasale Sprache → Deviation der Rachenhinterwand zur gesunden Seite (sog. Kulissenphänomen)
- Epiglottisparese → Verschlucken
- Glottisparese: Heiserkeit und Paramedianstellung der kranken Stimmlippe durch Ausfall des Vagusastes Nervus laryngeus recurrens (siehe: Kehlkopflähmung)
Nervus-accessorius-Läsion (XI)
- Ausfall des M. sternocleidomastoideus → Kopfdrehung nach kontralateral nicht möglich/erschwert
- Ausfall des M. trapezius → Heben der Schultern ipsilateral nicht möglich/erschwert (→ ipsilateraler Schultertiefstand) und Scapula alata mit Lateralstellung
- Ursache: Operationen im seitlichen Halsdreieck (bzw. am Hinterrand des M. sternocleidomastoideus) insbesondere bei der Entfernung verbackener Lymphknoten
Nervus-hypoglossus-Läsion (XII)
- Inaktivitätsatrophie und Faszikulieren der Zunge auf der kranken Seite
- Durch Überwiegen des Muskeltonus auf der gesunden Seite weicht die Zunge beim Herausstrecken zur kranken Seite ab
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3D-Modell
Exkurse
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
G50.-: Krankheiten des N. trigeminus [V. Hirnnerv]
- G50.0: Trigeminusneuralgie
- Syndrom des paroxysmalen Gesichtsschmerzes
- Tic douloureux
- G50.1: Atypischer Gesichtsschmerz
- G50.8: Sonstige Krankheiten des N. trigeminus
- G50.9: Krankheit des N. trigeminus, nicht näher bezeichnet
G51.-: Krankheiten des N. facialis [VII. Hirnnerv]
- G51.0: Fazialisparese
- Bell-Lähmung
- G51.1: Entzündung des Ganglion geniculi
- Exklusive: Entzündung des Ganglion geniculi nach Zoster (B02.2)
- G51.2: Melkersson-Rosenthal-Syndrom
- G51.3: Spasmus (hemi)facialis
- G51.4: Faziale Myokymie
- G51.8: Sonstige Krankheiten des N. facialis
- G51.9: Krankheit des N. facialis, nicht näher bezeichnet
G52.-: Krankheiten sonstiger Hirnnerven
- Exklusive: Krankheit: N. opticus [II. Hirnnerv] (H46, H47.0); N. vestibulocochlearis [VIII. Hirnnerv] (H93.3); Strabismus paralyticus durch Nervenlähmung (H49.0-H49.2)
- G52.0: Krankheiten der Nn. olfactorii [I. Hirnnerv]
- G52.1: Krankheiten des N. glossopharyngeus [IX. Hirnnerv]
- G52.2: Krankheiten des N. vagus [X. Hirnnerv]
- G52.3: Krankheiten des N. hypoglossus [XII. Hirnnerv]
- G52.7: Krankheiten mehrerer Hirnnerven
- Polyneuritis cranialis
- G52.8: Krankheiten sonstiger näher bezeichneter Hirnnerven
- G52.9: Krankheit eines Hirnnerven, nicht näher bezeichnet
G53.-:* Krankheiten der Hirnnerven bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- G53.0*: Neuralgie nach Zoster (B02.2†)
- Entzündung des Ganglion geniculi nach Zoster Trigeminusneuralgie nach Zoster
- G53.1*: Multiple Hirnnervenlähmungen bei anderenorts klassifizierten infektiösen und parasitären Krankheiten (A00-B99†)
- G53.2*: Multiple Hirnnervenlähmungen bei Sarkoidose (D86.8†)
- G53.3*: Multiple Hirnnervenlähmungen bei Neubildungen (C00-D48†)
- G53.8*: Sonstige Krankheiten der Hirnnerven bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten
Sonstige Hirnnervenaffektionen
- H47.-: Sonstige Affektionen des N. opticus [II. Hirnnerv] und der Sehbahn
- H47.0: Affektionen des N. opticus, anderenorts nicht klassifiziert
- Blutung in die Sehnervenscheide
- Ischämische Neuropathie des N. opticus
- Kompression des N. opticus
- H47.0: Affektionen des N. opticus, anderenorts nicht klassifiziert
- H49.-: Strabismus paralyticus
- Exklusive: Ophthalmoplegia: interna (H52.5), internuclearis (H51.2), progressiva supranuclearis (G23.1)
- H49.0: Lähmung des N. oculomotorius [III. Hirnnerv]
- H49.1: Lähmung des N. trochlearis [IV. Hirnnerv]
- H49.2: Lähmung des N. abducens [VI. Hirnnerv]
- H49.3: Ophthalmoplegia totalis externa
- H49.4: Ophthalmoplegia progressiva externa
- H49.8: Sonstiger Strabismus paralyticus
- H49.9: Strabismus paralyticus, nicht näher bezeichnet
- H93.-: Sonstige Krankheiten des Ohres, anderenorts nicht klassifiziert
- H93.3: Krankheiten des N. vestibulocochlearis [VIII. Hirnnerv]
S04.-: Verletzung von Hirnnerven
- S04.0: Sehnerv- und Sehbahnenverletzung
- S04.1: Verletzung des N. oculomotorius
- S04.2: Verletzung des N. trochlearis
- S04.3: Verletzung des N. trigeminus
- S04.4: Verletzung des N. abducens
- S04.5: Verletzung des N. facialis
- S04.6: Verletzung des N. vestibulocochlearis
- VIII. Hirnnerv
- Hörnerv
- N. acusticus [N. statoacusticus]
- S04.7: Verletzung des N. accessorius
- S04.8: Verletzung sonstiger Hirnnerven
- N. glossopharyngeus [IX. Hirnnerv] N. hypoglossus [XII. Hirnnerv]
- N. vagus [X. Hirnnerv]
- Nn. olfactorii [I. Hirnnerv]
- S04.9: Verletzung eines nicht näher bezeichneten Hirnnervs
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.