Einleitung
Studientelegramm meets DGIM
Zum Jahresende 2019 wurde erstmalig eine DGIM-Sonderausgabe des AMBOSS-Studientelegramms versendet. Quartalsweise werden weitere Ausgaben folgen, die in Zusammenarbeit mit dem Studientelegramm-Autoren-Team und der AG Junge Internisten der DGIM (Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin) zusammengestellt werden.
Alle Studienbeiträge werden in diesem fortlaufenden Archiv geführt.
Überversorgung
Überversorgung stellt eine zentrale Herausforderung für die Qualität der Inneren Medizin dar. Sie geht mit Folgen für Patienten einher, belastet die Arzt-Patienten-Beziehung und verknappt die Ressourcen des Gesundheitssystems in unnötiger Weise.
Ist all das, was wir im ärztlichen Alltag durchführen, auch immer gerechtfertigt? An welcher Stelle wäre weniger eigentlich mehr?
Mit den DGIM-Sonderausgaben unter der Federführung eines AutorInnen-Teams der AG Junge Internisten der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) möchten wir diese Fragen in den Blick nehmen und dazu anregen, alltägliche Indikationsstellungen kritisch zu reflektieren.
Herausgestellt werden neueste Arbeiten, für deren Auswahl wir uns an der Definition von Überversorgung (engl. “overuse” und “low-value care”) von Elshaug et al. [1] orientieren:
- Overuse: Eine Leistung, die nicht dazu beiträgt, die Lebensqualität und -dauer zu erhöhen, mehr Schäden als zu erwartende positive Effekte mit sich bringt oder in die Patienten bei voller Einsicht in die potentiellen Risiken und Nebenwirkungen nicht eingewilligt hätten.
- Low-value Care: Eine Intervention, deren Evidenz nahelegt, dass sie keine oder einen geringen Mehrwert für den Patienten hat, deren Risiken ihre potentiellen Vorteile überwiegen oder – weiter gefasst – deren Zusatzkosten im Vergleich zu ihrem Nutzen unverhältnismäßig sind.
Klug entscheiden
Eine verwandte Initiative, bei der AMBOSS mit der DGIM kooperiert sind die Klug-Entscheiden-Empfehlungen, die ebenfalls in AMBOSS hinterlegt und in vielen Kapiteln referenziert werden.
Anmeldung für das Studientelegramm
Die Beiträge des Studientelegramms sind ebenfalls in Archivkapiteln bei AMBOSS hinterlegt:
Die Anmeldung zum Studientelegramm kann unter dem Link am Kapitelende („Tipps & Links“) erfolgen. Zusätzlich findest Du dort den Link zum AMBOSS-Podcast, der neben den Beiträgen aus dem Studientelegramm Experteninterviews zu wechselnden Themen aus dem Bereich der Medizin bereitstellt.
Wissenschaftliche Schirmherrschaft
Die Auswahl und Zusammenfassung der Studien und Publikationen findet in enger Zusammenarbeit mit der AG Junge Internisten der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) statt.
Autorenteam: Dr. med. Anahita Fathi, Dr. med. Lukas Fricker, Dr. med. Moritz Hundertmark, Dr. med. Thierry Rolling, Dr. med. Anna Schappert, Dr. med. Thomas Gamstätter (Corresponding Author) – Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) – Irenenstr. 1, 65189 Wiesbaden – www.dgim.de, jungeinternisten@dgim.de
Ausgabenverzeichnis
- DGIM-Studientelegramm Q4-2020
- DGIM-Studientelegramm 4-2020-1/5: Paracetamol: Bereits eine Packung kann tödlich sein
- DGIM-Studientelegramm 4-2020-2/5: Keine halben Sachen: "Capping Trial" verlängert Weaning
- DGIM-Studientelegramm 4-2020-3/5: Kein Nutzen von Ciprofloxacin nach unvollständig erholter AECOPD
- DGIM-Studientelegramm Q3-2020
- DGIM-Studientelegramm 3-2020-1/7: Optimale Dauer der DAPT nach Akut-PCI: Der Standard wankt
- DGIM-Studientelegramm 3-2020-2/7: Nierenersatztherapie aus ITS: Gute Gründe für einen späteren Beginn
- DGIM-Studientelegramm 3-2020-3/7: OPTIMISE: Absetzen von Antihypertensiva im Alter
- DGIM-Studientelegramm 3-2020-4/7: Kein Vorteil von Low-Dose ASS für die Kognition
- DGIM-Studientelegramm 3-2020-5/7: Neue Routine zur Antibiotikaprophylaxe bei endoskopischer Feinnadelaspiration von Pankreaszysten erforderlich?
- DGIM-Studientelegramm 3-2020-6/7: SIADH: Wenn “pathophysiologisch korrekte” Therapien mehr schaden als nützen
- DGIM-Studientelegramm 3-2020-7/7: Kein verkürzter Krankenhausaufenthalt durch Antibiotika bei akuter unkomplizierter Divertikulitis
- DGIM-Studientelegramm Q2-2020
- DGIM-Studientelegramm 2-2020-1/4: BiCARB: Kein Benefit durch Natriumhydrogencarbonat bei Patienten mit fortgeschrittener chronischer Nierenerkrankung
- DGIM-Studientelegramm 2-2020-2/4: Slow MOTION: Methylnaltrexon unwirksam bei Obstipation auf Intensivstation
- DGIM-Studientelegramm 2-2020-3/4: Schleifendiuretika zur Behandlung Calciumkanalblocker-induzierter Unterschenkelödeme: Eine häufige und vermeidbare Verschreibungskaskade
- DGIM-Studientelegramm 2-2020-4/4: ISCHEMIA-CKD: Kein Vorteil einer frühen invasiven Strategie bei CKD, CCS und stressinduzierter myokardialer Ischämie
- DGIM-Studientelegramm Q1-2020
- DGIM-Studientelegramm 1-2020-1/5: Weniger R-CHOP ist mehr beim aggressiven B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom
- DGIM-Studientelegramm 1-2020-2/5: Indikation zur Antibiotika-Verordnung bei niedergelassenen Ärzten: häufig unangemessen oder nicht dokumentiert
- DGIM-Studientelegramm 1-2020-3/5: Spontanpneumothorax: konservatives Vorgehen der Thoraxdrainage nicht unterlegen
- DGIM-Studientelegramm 1-2020-4/5: Akute untere GI-Blutung: Frühe gegenüber elektiver Koloskopie im klinischen Outcome nicht überlegen
- DGIM-Studientelegramm 1-2020-5/5: Potentiell schädliche Medikamente für ältere Patienten: zu häufig und zu lang eingesetzt
- DGIM-Studientelegramm 01-2019
- DGIM-Studientelegramm 1-2019-1/8: Überversorgung in der Medizin: Ein aktueller Überblick
- DGIM-Studientelegramm 1-2019-2/8: Keine Evidenz für die Gabe von Antipsychotika zur Therapie oder Prävention des Delirs
- DGIM-Studientelegramm 1-2019-3/8: Kein Vorteil einer L-Thyroxin-Therapie bei älteren Patienten mit latenter Hypothyreose
- DGIM-Studientelegramm 1-2019-4/8: Therapie des hepatorenalen Syndroms bei dekompensierter Leberzirrhose: Keine Evidenz für Albumin/Terlipressin?
- DGIM-Studientelegramm 1-2019-5/8: Routinemäßiger Clip-Verschluss nach endoskopischer Resektion größerer Kolonpolypen möglicherweise ineffektiv zur Prophylaxe von Nachblutungen
- DGIM-Studientelegramm 1-2019-6/8: Intensivierung der antihypertensiven Therapie während des Krankenhausaufenthalts: Nebenwirkungen statt Benefits
- DGIM-Studientelegramm 1-2019-7/8: Vitamin D zur Verbesserung klinischer Endpunkte: Differenzierte Indikationsstellung nötig!
- DGIM-Studientelegramm 1-2019-8/8: Herzinsuffizienztherapie bei Frauen: Maximaler Benefit schon bei niedrigerer Dosierung
Ausgabe 05 - Q4-2020
Paracetamol: Bereits eine Packung kann tödlich sein
DGIM-Studientelegramm 4-2020-1/5 - Eine Paracetamol-Überdosierung ist eine vermeidbare Ursache von Leberschäden, einschließlich des akuten Leberversagens. Ein systematisches Review [2] zeigte außerdem Paracetamol-assoziierte kardiovaskuläre, gastrointestinale und renale Nebenwirkungen.
Für häufige Schmerzursachen wie Muskel-, Gelenk- oder nicht-spezifische Rückenschmerzen besitzt Paracetamol keine ausreichende Wirksamkeit. Wesentliche schmerztherapeutische Leitlinien (wie die deutsche NVL Kreuzschmerz von 2016 [3] oder die britische NICE Guideline on Chronic Pain von 2020 [4]) sprechen sich daher mittlerweile gegen den Einsatz von Paracetamol bei Kreuz- und chronischen Schmerzen aus.
In der Schweiz ist die erhöhte Einzeldosierung von 1.000 mg seit 2003 auf dem Markt und wird mittlerweile deutlich häufiger rezeptiert als die Einzeldosierung von 500 mg.
Die schweizerische Giftinformationsstelle Tox Info Suisse hat nun untersucht, wie sich die Verfügbarkeit der höheren Einzeldosierung seit 2003 auf Paracetamol-Vergiftungsnotfälle in der Schweiz ausgewirkt hat. Hierzu wurde eine Analyse aller 15.790 gemeldeten Paracetamol-Intoxikationen in der Schweiz im Zeitraum 2000–2018 durchgeführt.
Es zeigte sich, dass akzidentelle Vergiftungsfälle seit Einführung der höheren Einzeldosierung signifikant zugenommen hatten. Die Vergiftungsunfälle wurden mehrheitlich durch Ingestion von 1.000-mg-Tabletten verursacht. Es fand sich außerdem eine Verdopplung der Fälle mit schwerer Vergiftung (entsprechend einer eingenommenen Dosis >10 g; p <0,001), eine Zunahme von Intoxikationen bei Kindern <6 Jahren (11,3% vor Markteinführung vs. 14,0% danach; p <0,001), bei Älteren >65 Jahren (0,9% vs. 3,4%; p <0,001) und von Fällen mit schweren Folgen (5,7% vs. 7,1%; p <0,001).
Die unzureichende analgetische Wirksamkeit von Paracetamol für besonders häufige Schmerzsyndrome gepaart mit der einfachen Verfügbarkeit kann Fehlgebrauch und Überdosierung begünstigen, zumal Paracetamol hierzulande in Tablettenform in Einzeldosen zu sowohl 500 mg als auch 1.000 mg bis zu einer Packungsgröße von 10 g rezeptfrei verfügbar ist. Die Aufklärung von Patientinnen und Patienten über den korrekten Einsatz einer Selbstmedikation mit Paracetamol sowie ein reflektiertes Verschreibungsverhalten sollten daher wichtige ärztliche Grundsätze sein.
- Titel der Studie: National Poison Center Calls Before vs After Availability of High-Dose Acetaminophen (Paracetamol) Tablets in Switzerland [5]
- Autoren: Martinez-De la Torre et al.
- Journal: JAMA Network Open
- AMBOSS-Inhalte: Akute Intoxikationen - AMBOSS-SOP | Paracetamol | Akutes Leberversagen
Keine halben Sachen: "Capping Trial" verlängert Weaning
DGIM-Studientelegramm 4-2020-2/5 - Die Tracheostomie gehört zum Atemwegsmanagement bei langfristiger invasiver Beatmung auf Intensivstation. Sobald tracheostomierte Patientinnen und Patienten nicht mehr auf eine maschinelle Atemunterstützung angewiesen sind, sollte die Entfernung der Trachealkanüle erwogen werden. Um zu testen, ob eine Dekanülierung möglich ist, kann die Kanüle für eine gewisse Zeit probeweise “abgestöpselt” werden (von engl. capping).
Die spanische Multicenter-Studie REDECAP randomisierte 330 Tracheostomierte zu einem 24-stündigen “Capping Trial” oder einem Protokoll, in welchem die Absaugehäufigkeit den Ausschlag zur Dekanülierung gab. Bei Letzterem wurde die Kanüle dann entfernt, wenn alle acht Stunden nicht mehr als zweimal abgesaugt werden musste. Beide Gruppen erhielten zusätzlich eine High-Flow-Sauerstofftherapie (60 L/min, Ziel-SO2 92–95%).
In der Gruppe ohne “Capping” betrug die Zeit zur Dekanülierung im Median 6 im Vergleich zu 13 Tagen in der Gruppe mit “Capping Trial” (primärer Studienendpunkt, absolute Differenz -7 Tage; 95% KI, 5–9). Ein Weaning-Versagen sowie Pneumonien traten in der Gruppe ohne “Capping” seltener auf (Weaning-Versagen bei 6,5% vs. 16,7%; 95% KI, 3,4–17,4 und Pneumonien bei 4,1% vs. 9,9%; 95% KI, 0,2–11,8). Auch die mediane Krankenhausverweildauer konnte in der Gruppe ohne “Capping” auf 48 gegenüber 62 Tage reduziert werden (absolute Differenz -14 Tage; 95% KI; 9–33). Die Rate an Rekanülierungen unterschied sich nicht signifikant zwischen den Gruppen.
Somit zeigte die Studie recht eindrucksvoll, dass “Capping Trials” die Dekanülierung verzögern, das Pneumonierisiko erhöhen und den Krankenhausaufenthalt verlängern können. Eine Beurteilung des Absaugebedarfs unter High-Flow-Sauerstofftherapie erwies sich als überlegene Strategie.
- Titel der Studie: High-Flow Oxygen with Capping or Suctioning for Tracheostomy Decannulation [6]
- Autoren: Martínez et al.
- Journal: NEJM
- AMBOSS-Inhalte: Plastisch-chirurgische Tracheotomie | Maschinelle Beatmung - Praxisleitfaden | Maschinelle Beatmung - Überwachung
Kein Nutzen von Ciprofloxacin nach unvollständig erholter AECOPD
DGIM-Studientelegramm 4-2020-3/5 - Bei einem Teil der akuten Exazerbationen im Rahmen einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (AECOPD) zeigt sich die Symptomatik trotz antibiotischer oder antiinflammatorischer Therapie nicht adäquat rückläufig. Eine multizentrische, randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie aus Großbritannien untersuchte nun, ob bei diesen Verläufen eine weitere Behandlung mit Ciprofloxacin eine erneute Exazerbation hinauszögern kann.
In der Studie wurde Ciprofloxacin 500 mg (n = 72) oder ein Placebo (n = 72) zweimal täglich über 7 Tage verabreicht, wenn eine zuvor mit Antibiotika und/oder systemischen Corticosteroiden behandelte AECOPD nach 14 Tagen immer noch persistierende respiratorische Symptome oder erhöhte CRP-Werte (≥8 mg/L) aufwies. Innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen erlebten 57% in der Ciprofloxacin- und 53% in der Placebo-Gruppe eine oder mehrere Exazerbationen, wobei sich kein signifikanter Unterschied in der medianen Zeit bis zur nächsten Exazerbation zeigte (34 vs. 32,5 Tage). Auch hinsichtlich der Lungenfunktion oder Quality-of-Life-Scores wurden keine signifikanten Unterschiede festgestellt.
Die Ergebnisse legen nahe, dass unvollständig erholte Exazerbationen wahrscheinlich nicht auf bakterielle Infektionen zurückzuführen sind und daher am ehesten mit einer antiinflammatorischen Therapie behandelt werden sollten.
- Titel der Studie: Targeted Retreatment of Incompletely Recovered Chronic Obstructive Pulmonary Disease Exacerbations with Ciprofloxacin [7]
- Autoren: Ritchie et al.
- Journal: American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine
- AMBOSS-Inhalte: Therapie der AECOPD | COPD - Checkliste stationäres Management | Patienteninformationen - COPD
Ausgabe 04 - Q3-2020
Optimale Dauer der DAPT nach Akut-PCI: Der Standard wankt
DGIM-Studientelegramm 3-2020-1/7 - Gute Argumente für den Einsatz von ASS in der kardiovaskulären Primärprävention sind nach den Studien ARRIVE [8], ASCEND [9] und ASPREE [10] rar. Zusätzlich wird auch die Indikation und Therapiedauer von ASS in der dualen Plättchenhemmung (DAPT) nach akutem Koronarsyndrom und Koronarintervention (PCI) infrage gestellt (siehe bspw. auch die TWILIGHT-Studie: Studientelegramm 97-2019-1/3).
Aktuell sind 12 Monate DAPT (ASS + P2Y12-Inhibitor) nach Akut-PCI der Standard (siehe: ESC-Leitlinien 2017 [11]). Jedoch wird bei hohem Blutungsrisiko auch eine kürzere Therapiedauer der DAPT und Deeskalation auf eine Monotherapie empfohlen. Die Beurteilung der optimalen DAPT-Dauer erfolgt unter Beachtung der Therapieeffektivität (Verhinderung koronarer Ereignisse nach PCI) und des Blutungsrisikos (Verhinderung von Blutungskomplikationen).
In der multizentrischen randomisiert-kontrollierten TICO-Studie aus Südkorea wurde geprüft, wie sich eine kürzere DAPT-Dauer im Vergleich mit der Standardtherapie über 12 Monate auf kardiovaskuläre und Blutungsereignisse auswirkt. Die Interventionsgruppe erhielt nach Randomisierung 3 Monate ASS + Ticagrelor, gefolgt von einer Ticagrelor-Monotherapie. Die Kontrollgruppe erhielt die Standardtherapie (12 Monate ASS + Ticagrelor). Eingeschlossen wurden 3.056 Personen nach PCI aufgrund von STEMI, NSTEMI oder instabiler Angina pectoris.
Der primäre kombinierte Endpunkt umfasste die folgenden unerwünschten klinischen Ereignisse: Schwere Blutungen, Myokardinfarkt, Schlaganfälle, Stent-Thrombosen, erneute Revaskularisierung und Tod. Der Endpunkt trat häufiger in der DAPT-Gruppe auf (5,9% vs. 3.9%; absolute Risikodifferenz -1,98%; 95% KI, -3,50 – -0,45). Zwischen Monat 3 und 12 ließen sich in der Kontrollgruppe (fortgeführte DAPT) signifikant häufiger schwere Blutungsereignisse nachweisen (0,2% vs. 1,6%; HR 0,13; 95% KI, 0,04–0,44; p = 0,001), die Rate kardialer und zerebrovaskulärer Ereignisse unterschied sich nicht signifikant.
Unterfüttert werden diese spannenden Daten durch eine aktuelle Metaanalyse (5 RCTs, insg. n = 32.145): Hier konnte für den Stopp von ASS 1–3 Monate nach PCI mit nachfolgender Monotherapie mit P2Y12-Inhibitor eine Reduktion des Blutungsrisikos um 50% gezeigt werden (1,78% vs. 3,58%; HR 0,5; 95% KI, 0,41–0,61), ohne dass es zu einer Erhöhung kardialer Ereignisse (sog. MACE = ”major adverse cardiac effects”) kam (2,51% vs. 2,98%; HR 0,85; 95% KI, 0,70–1,03).
Daher drängt sich mit vermehrt erhobenen Studiendaten die Frage immer weiter auf: Liegt der Sweetspot für die DAPT nach ACS und PCI also eher bei 3 als bei 12 Monaten?
- Studie
- Titel der Studie: Effect of Ticagrelor Monotherapy vs Ticagrelor With Aspirin on Major Bleeding and Cardiovascular Events in Patients With Acute Coronary Syndrome [12]
- Autoren: Kim et al.
- Journal: JAMA
- Metaanalyse
- Titel der Metaanalyse: The Safety and Efficacy of Aspirin Discontinuation on a Background of a P2Y12 Inhibitor in Patients after Percutaneous Coronary Intervention [13]
- Autoren: O’Donoghue et al.
- Journal: Circulation
- AMBOSS-Inhalte: Antithrombozytäre Therapie bei KHK | PCI | Linksherzkatheruntersuchung - Postinterventionelles Prozedere
Nierenersatztherapie aus ITS: Gute Gründe für einen späteren Beginn
DGIM-Studientelegramm 3-2020-2/7 - Wann sollte bei kritisch Kranken mit akuter Nierenschädigung eine Nierenersatztherapie begonnen werden? Bei fehlenden absoluten Indikationen (z.B. eine schwere metabolische Azidose) war diese Frage bislang basierend auf Studiendaten nicht eindeutig zu beantworten. Nun gibt es gleich zwei Antworten:
Eine aktuelle Metaanalyse verglich bei Nierenersatzverfahren eine frühe mit einer späteren Therapieeinleitung (2–8 h vs. 25–57 h nach Randomisierung) bei kritisch Kranken mit schwerer akuter Nierenschädigung (KDIGO-Stadium 2–3 oder ≥3 Punkte beim Nierenkriterium des SOFA-Scores). Die Daten umfassten insg. 2.143 Teilnehmende der entscheidenden 10 RCTs der letzten 10 Jahre (1 RCT in den USA, 4 in Asien und 5 in Europa; einschließlich der größeren Studien AKIKI [14], IDEAL-ICU [15] und ELAIN [16]). Ausschlusskriterium war die zwingende Notfallindikation zur Dialyse.
Zwischen früher und später Therapieeinleitung fand sich kein Unterschied bezüglich der Mortalität innerhalb von 28 Tagen (43% vs. 44%; Risk Ratio 1,01; 95% KI, 0,91–1,13; p = 0,8). Dieses Ergebnis blieb auch in Subgruppenanalysen stabil (z.B. vorbestehende chronische Nierenerkrankung oder Höhe des SOFA-Scores). Die Häufigkeit von Nebenwirkungen wie z.B. Hyperkaliämie oder Herzrhythmusstörungen unterschied sich ebenfalls nicht zwischen den Gruppen. Bei 42% in der Gruppe mit spätem Therapiebeginn erfolgte letztlich keinerlei Anwendung eines Nierenersatzverfahrens.
In dieselbe Kerbe schlägt die brandaktuelle STARRT-AKI-Studie (n = 3.019 Intensivpatient*innen mit KDIGO AKI 2–3): In der Interventionsgruppe, bei der eine frühere Nierenersatztherapie nach rund 6 Stunden erfolgte, kam es signifikant häufiger zu Nebenwirkungen und anhaltender Dialysepflichtigkeit, ohne dass die Mortalität innerhalb von 90 Tagen einen Vorteil gegenüber einem späteren Beginn (nach rund 30 Stunden) zeigte (43,9% vs. 43,7%; Relatives Risiko 1,00; 95% KI, 0,93–1,09; p = 0,92). Wie in der Metaanalyse konnte auch hier in der Gruppe mit späterem Beginn häufig gänzlich auf eine Nierenersatztherapie verzichtet werden, da sich die Nierenfunktion erholen konnte.
- Metaanalyse
- Titel der Metaanalyse: Delayed versus early initiation of renal replacement therapy for severe acute kidney injury: a systematic review and individual patient data meta-analysis of randomised clinical trials [17]
- Autoren: Gaudry et al.
- Journal: The Lancet
- Studie
- AMBOSS-Inhalte: Nierenersatzverfahren | KDIGO-Klassifikation des ANV | klinisches Management bei akutem Nierenversagen
OPTIMISE: Absetzen von Antihypertensiva im Alter
DGIM-Studientelegramm 3-2020-3/7 - Eine adäquate Blutdruckkontrolle ist auch im höheren Lebensalter empfohlen. Häufig wird dazu eine Kombination mehrerer Antihypertensiva eingesetzt. Die britische OPTIMISE-Studie (Optimising Treatment for Mild Systolic Hypertension in the Elderly) untersuchte nun, ob das Absetzen eines Blutdrucksenkers bei Älteren mit gut eingestellter arterieller Hypertonie und antihypertensiver Kombinationstherapie ohne erneute Erhöhung des systolischen Blutdrucks (SBP) möglich ist.
Eingeschlossen wurden 569 multimorbide ≥80-Jährige mit einem SBP <150 mmHg und einer Therapie mit ≥2 Blutdrucksenkern. In der Interventionsgruppe wurde nach hausärztlichem Ermessen mind. eines der Antihypertensiva abgesetzt. In der Kontrollgruppe wurde die antihypertensive Therapie wie bisher weitergeführt. Primärer Endpunkt war die Blutdruckkontrolle mit einem SBP <150 mmHg nach 12 Wochen. Diese fiel in der Interventionsgruppe nicht schlechter aus als in der Kontrollgruppe (86,4% vs. 87,7%; adjustiertes Risikoverhältnis 0,98) und erfüllte damit das Kriterium der Nichtunterlegenheit (Grenzwert: 0,9).
Allerdings konnte in der Interventionsgruppe nur bei zwei Drittel der Teilnehmenden auch wirklich durchgehend auf den abgesetzten Blutdrucksenker verzichtet werden. Die Interventionsgruppe hatte bei Studienende einen durchschnittlich höheren Blutdruck (SBP +3,4 mmHg; 95% KI, 1,1–5,8) und gab statistisch gesehen häufiger schwere Nebenwirkungen an (12 vs. 7 Fälle).
Wenngleich zunehmend Studiendaten zur Machbarkeit von “Deprescribing” im Alter vorliegen, bleiben Fragen zu relevanten Endpunkten für Betroffene sowie zur längerfristigen Sicherheit noch unbeantwortet.
- Titel der Studie: Effect of Antihypertensive Medication Reduction vs Usual Care on Short-term Blood Pressure Control in Patients With Hypertension Aged 80 Years and Older: The OPTIMISE Randomized Clinical Trial [19]
- Autoren: Sheppard et al.
- Journal: JAMA
- AMBOSS-Inhalte: Antihypertensiva | Medizin des Alterns | DGIM - Klug entscheiden in der Geriatrie
Kein Vorteil von Low-Dose ASS für die Kognition
DGIM-Studientelegramm 3-2020-4/7 - Die bedeutende Rolle von Acetylsalicylsäure (ASS) in der Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen und der Zusammenhang vaskulärer Degeneration bei der Demenzentstehung nährten die Hoffnung, dass eine primärpräventive ASS-Einnahme einen protektiven Effekt auf die Kognition haben könnte.
Die randomisiert-kontrollierte doppelt verblindete Studie ASPREE (Aspirin in Reducing Events in the Elderly) [10] untersuchte den Effekt von niedrigdosiertem ASS (100 mg/d) bei gesunden älteren Menschen. Der primäre kombinierte Endpunkt umfasste Demenz, körperliche Behinderung und Tod. Nachdem die ASS-Einnahme hier keinen Benefit zeigte (siehe: Studientelegramm 45-2018-1/3), wurde nun eine zweite Studie mit Fokus auf den sekundären Endpunkt Alzheimer-Demenz und Mild Cognitive Impairment veröffentlicht.
Insg. wurden 19.114 Studienteilnehmer aus über 2.000 allgemeinmedizinischen US-amerikanischen und australischen Praxen rekrutiert. Zu den Ausschlusskriterien zählten kardiovaskuläre Erkrankungen, körperliche Behinderung sowie eine vorbestehende Demenz. Die Daten wurden vierteljährlich telefonisch und jährlich mittels klinischer Untersuchung erhoben.
Im medianen Beobachtungszeitraum von 4,7 Jahren wurde kein Unterschied zwischen Therapie- und Kontrollgruppe bzgl. Prodromi oder auftretender Alzheimer-Demenzen festgestellt. Auch Subgruppenanalysen, die u.a. die Faktoren Alter, Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit betrachteten, erbrachten keinen Benefit für die ASS-Gabe.
Dies stellt nach den Studien ARRIVE und ASCEND einen weiteren Sargnagel für die primärprophylaktische ASS-Gabe dar. US-amerikanische Fachgesellschaften hatten infolge der drei großen Studien bereits 2019 in ihren ACC/AHA-Guidelines dezidiert von dieser Anwendung abgeraten (siehe: Studientelegramm 70-2019-2/3).
Sponsor der ASPREE-Studie war das National Institute on Aging (NIA).
- Titel der Studie: Randomized placebo-controlled trial of the effects of aspirin on dementia and cognitive decline [20]
- Autoren: Ryan et al.
- Journal: Neurology
- AMBOSS-Inhalte: Medizin des Alterns | DGIM - Klug entscheiden in der Geriatrie | Acetylsalicylsäure
Neue Routine zur Antibiotikaprophylaxe bei endoskopischer Feinnadelaspiration von Pankreaszysten erforderlich?
DGIM-Studientelegramm 3-2020-5/7 - Zur Prävention postinterventioneller Infektionen wird bei der endoskopischen ultraschallgesteuerten Feinnadelaspiration (EUS-FNA) von Pankreaszysten routinemäßig eine Antibiotikaprophylaxe durchgeführt.
Colán-Hernández et al. untersuchten nun in einer multizentrischen, randomisierten Studie in Spanien die Notwendigkeit dieser Maßnahme. Hierfür erhielt eine Probandengruppe eine Prophylaxe mit Ciprofloxacin (n = 112) und die andere ein Placebo (n = 114). Primärer Endpunkt der Studie war eine FNA-assoziierte Infektion. Zu den sekundären Endpunkten zählten das Auftreten von Fieber, interventioneller Komplikationen und unerwünschter Arzneimittelwirkungen. Nur ein Fall in der Placebogruppe, bei dem es zu einer akuten Pankreatitis mit Bakteriämie gekommen war, wurde als FNA-assoziierte Infektion gewertet. Somit war das Kriterium der Nichtunterlegenheit bei Verzicht auf eine Antibiotikaprophylaxe erfüllt (Differenz 0,87%; 95% KI, -0,84‒2,59%). Das Infektionsrisiko von Patienten nach einer EUS-FNA scheint demnach auch ohne präventive Antibiotikagabe gering zu sein.
Zu erwähnen sei, dass in insg. 21 Fällen die Studienmedikation nicht komplettiert wurde. In 3 dieser Fälle geschah dies aufgrund von Fieber oder einer mutmaßlichen Infektion, so dass protokollgerecht Antibiotika gegeben wurden.
Dennoch zeigen die Daten, dass das Risiko einer periinterventionellen Infektion bislang überschätzt wurde und Potential zur Reduktion des Antibiotikaeinsatzes besteht.
- Titel der Studie: Antibiotic Prophylaxis Is Not Required for Endoscopic Ultrasonography-Guided Fine-Needle Aspiration of Pancreatic Cystic Lesions, Based on a Randomized Trial [21]
- Autoren: Colán-Hernández et al.
- Journal: Gastroenterology
- AMBOSS-Inhalte: Antibiotika - Übersicht | Pankreaszyste | Fluorchinolone
SIADH: Wenn “pathophysiologisch korrekte” Therapien mehr schaden als nützen
DGIM-Studientelegramm 3-2020-6/7 - Eine Hyponatriämie ist in der Inneren Medizin ein häufiges Symptom, das mit einer erhöhten Mortalität einhergeht. Im stationären Setting ist das Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH) die häufigste Ursache. Aufgrund von pathophysiologischen Überlegungen zählen neben der Flüssigkeitsrestriktion auch die Kochsalzsubstitution und die Gabe von Schleifendiuretika zu den Therapieoptionen. Jetzt liegen erstmalig Daten aus einer randomisiert-kontrollierten Vergleichsstudie zur SIADH-Therapie vor.
Die EFFUSE-FLUID-Studie umfasste insg. 92 Teilnehmer:innen mit SIADH und einem Serum-Natriumspiegel <130 mmol/L. Unverblindet wurden drei Therapiestrategien miteinander verglichen: Die alleinige Flüssigkeitsrestriktion (FR; <1.000 mL/d bzw. <500 mL/d, gesteuert entlang der Urin-Serum-Elektrolyt-Ratio) vs. FR mit zusätzlicher Furosemid-Gabe (FM; 20 mg/d bzw. 40 mg/d mit Ziel einer täglichen negativen Flüssigkeitsbilanz >500 mL) vs. FR, FM und zusätzlich Kochsalztabletten (NaCl; 3 g/d). Primärer Endpunkt war die Änderung des Serum-Natriumspiegels über den Therapieverlauf von 28 Tagen.
In allen Gruppen stieg der Serum-Natriumspiegel an, ohne dass sich ein statistisch signifikanter Vorteil für einen der Therapieansätze fand. Auch die Dauer bis zum Erreichen eines Serum-Natriumspiegels ≥130 mmol/L und ≥135 mmol/L unterschied sich nicht zwischen den Gruppen. Allerdings wurde die Therapie aufgrund von Nebenwirkungen signifikant häufiger unter FR + FM + NaCl abgebrochen (p = 0,03).
Diese Daten unterstützen damit die Rolle der alleinigen, wenngleich oft herausfordernden Flüssigkeitsrestriktion als Therapie der 1. Wahl beim SIADH. Beim Einsatz von Schleifendiuretika sollte unbedingt das Serum-Kalium im Blick behalten und ggf. substituiert werden.
- Titel der Studie: Efficacy of Furosemide, Oral Sodium Chloride, and Fluid Restriction for Treatment of Syndrome of Inappropriate Antidiuresis (SIAD): An Open-label Randomized Controlled Study (The EFFUSE-FLUID Trial) [22]
- Autoren: Krisanapan et al.
- Journal: American Journal of Kidney Diseases
- AMBOSS-Inhalte: Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion | Therapie der Hyponatriämie | Hyponatriämie als Notfall
Kein verkürzter Krankenhausaufenthalt durch Antibiotika bei akuter unkomplizierter Divertikulitis
DGIM-Studientelegramm 3-2020-7/7 - Trotz schwacher Evidenzlage werden bei akuter unkomplizierter Divertikulitis i.d.R. Antibiotika verabreicht.
Jaung et al. untersuchten in einer doppelt verblindeten randomisierten Studie nun die Notwendigkeit der antibiotischen Behandlung für Betroffene. In Neuseeland und Australien wurden dazu 180 Patienten mit einer in der CT diagnostizierten unkomplizierten akuten Divertikulitis entweder 7 Tage mit Antibiotika (n = 85) oder Placebo (n = 95) behandelt. Die Diagnose eines SIRS (Systemic Inflammatory Response Syndrome) stellte ein Ausschlusskriterium dar.
Der primäre Endpunkt war die Dauer des Krankenhausaufenthalts; sekundäre Endpunkte umfassten unerwünschte Ereignisse, Wiederaufnahmen, Interventionen, Veränderungen entzündlicher Serummarker und Schmerz-Scores nach 12 und 24 Stunden. Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der medianen Dauer des Krankenhausaufenthalts zwischen der Antibiotika- (40,0 h; 95% KI, 24,4–57,6 h) und der Placebogruppe (45,8 h; 95% KI, 26,5–60,2 h). Auch konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen hinsichtlich der sekundären Endpunkte identifiziert werden.
Die Autoren der Studie sehen hier die Möglichkeit, in bestimmten Situation den Antibiotikagebrauch zu reduzieren.
Die deutsche Leitlinie [23] empfiehlt bereits einen selektiven Antibiotikaeinsatz. Unter engmaschiger klinischer Kontrolle kann bei akuter unkomplizierter linksseitiger Divertikulitis ohne Risikoindikatoren für einen komplizierten Verlauf (arterielle Hypertonie, chronische Nierenerkrankungen, Immunsuppression, allergische Disposition) auf eine Antibiotikatherapie verzichtet werden.
- Titel der Studie: Antibiotics Do Not Reduce Length of Hospital Stay for Uncomplicated Diverticulitis in a Pragmatic Double-Blind Randomized Trial [24]
- Autoren: Jaung et al.
- Journal: Clinical Gastroenterology and Hepatology
- AMBOSS-Inhalte: Divertikulose und Divertikulitis | Stadiengerechte Therapie der Divertikulitis und Divertikelkrankheit | Divertikulitis - Ambulantes und stationäres Management
Ausgabe 03 - Q2-2020
BiCARB: Kein Benefit durch Natriumhydrogencarbonat bei Patienten mit fortgeschrittener chronischer Nierenerkrankung
DGIM-Studientelegramm 2-2020-1/4 - Eine metabolische Azidose tritt bei mehr als 20% aller Patienten mit chronischer Nierenerkrankung (CKD) auf und ist laut Beobachtungsstudien mit einem schlechteren Krankheitsverlauf assoziiert. Ihre Prävalenz steigt mit zunehmender Nierenfunktionseinschränkung. Aktuelle Leitlinien zur Therapie der CKD empfehlen daher die Behandlung mit oralem Natriumhydrogencarbonat ab einem Serum-Bicarbonat-Spiegel <22 mmol/L.
Nun untersuchte die doppelt verblindete, multizentrische, randomisiert-kontrollierte BiCARB-Studie im Auftrag des britischen National Institute for Health Research (NIHR) bei insg. 300 Patienten ≥60 Jahre mit fortgeschrittener CKD (eGFR <30 mL/min/1,73m2) die Therapie mit Natriumhydrogencarbonat vs. Placebo. Patienten an der Hämodialyse waren ausgeschlossen. Primärer Endpunkt war die körperliche Funktion nach 12 Monaten, gemessen mit der Short Physical Performance Battery (SPPB). Sekundäre Endpunkte umfassten u.a. Lebensqualität, Nierenfunktion, Biomarker sowie therapieassoziierte Nebenwirkungen.
Für Natriumhydrogencarbonat zeigte sich bei keinem dieser Punkte ein Benefit. In der Interventionsgruppe traten sogar signifikant häufiger insb. gastrointestinale sowie kardiovaskuläre Nebenwirkungen auf (akute Koronarsyndrome/Myokardinfarkte; 10 vs. 2). Die Lebensqualität war verschlechtert, die Therapiekosten waren erhöht. Die Ergebnisse blieben auch nach Subgruppen-Analysen stabil.
Es fand sich eine hohe Dropout-Rate von 38% nach 12 Monaten, begründet durch Tod, Krankheitsprogress oder Rückzug der Bereitschaft zur Studienteilnahme nach Beginn einer Hämodialyse. Der Anstieg des Serum-Bicarbonat-Spiegels in der Interventionsgruppe fiel insg. moderat aus (+1,7 mmol/L nach 3 Monaten; 95% KI 1,0‒2,4; p <0,001; nicht weiter signifikant nach 24 Monaten). Dies mag im pragmatischen Studiendesign begründet sein, welches das reale Dosierungsverhalten britischer Nephrologen widerspiegeln sollte: Hierbei wurde in der Interventionsgruppe nur bis zu einem Maximum von 3 g Natriumhydrogencarbonat aufdosiert. Die Autoren diskutierten, dass ein “treat-to-target”-Ansatz das Risiko für Nebenwirkungen sowie die Belastung durch Polypharmazie bei älteren Patienten nur weiter erhöhen könne.
- Titel der Studie: Clinical and cost-effectiveness of oral sodium bicarbonate therapy for older patients with chronic kidney disease and low-grade acidosis (BiCARB): a pragmatic randomised, double-blind, placebo-controlled trial [25]
- Autoren: The BiCARB study group
- Journal: BMC Medicine
- AMBOSS-Inhalte: Metabolische Azidose | Chronische Nierenerkrankung | Studientelegramme zu CKD
Slow MOTION: Methylnaltrexon unwirksam bei Obstipation auf Intensivstation
DGIM-Studientelegramm 2-2020-2/4 - Obstipation tritt bei bis zu 70% der intensivmedizinisch behandelten Patienten auf und ist u.a. mit erhöhter Mortalität assoziiert. Opioide im Rahmen der Analgosedierung sind eine Ursache dieses multifaktoriellen Geschehens. Ob der präventive Einsatz von Laxantien zu einer Verbesserung führt, ist immer noch unklar (siehe die systematischen Reviews von Hay et al. [26] und Oczkowski et al. [27]).
Methylnaltrexon ist ein peripher wirksamer μ-Rezeptor-Antagonist, zugelassen in der Therapie Laxanzien-refraktärer, opioidinduzierter Obstipation, der Wirksamkeit im palliativen Setting [28] gezeigt hat.
In der britischen, nicht industriegeförderten, doppelt verblindeten, multizentrischen, randomisiert-kontrollierten MOTION-Studie wurde nun die Wirksamkeit von Methylnaltrexon vs. Placebo in der Behandlung einer Obstipation auf Intensivstation untersucht. Eingeschlossen wurden 84 maschinell-beatmete, analgosedierte Patienten, die für mind. 48 Stunden trotz Einsatz von Laxantien nicht abgeführt hatten. Patienten, die 72 Stunden nach Beginn der Studienmedikation noch nicht abgeführt hatten, erhielten eine Rescue-Therapie mit Laxantien.
Für den primären Endpunkt, definiert als Abgang einer signifikanten Stuhlmenge (>100 mL), fand sich zwischen Methylnaltrexon und Placebo kein signifikanter Unterschied (HR 1,42; 95% KI 0,82‒2,46; p = 0,22).
In den Tagen 4–28 der Nachbeobachtungszeit fanden sich in der Methylnaltrexon-Gruppe nicht nur eine signifikant geringere Anzahl täglicher Stuhlgänge (p = 0,01), sondern auch signifikant mehr Todesfälle (10 vs. 2; p = 0,007). Eine Untersuchung der Todesfälle unter Einbeziehung der Behörden ergab keinen Hinweis auf einen Zusammenhang mit der Verabreichung der Studienmedikation, konnte jedoch in post-hoc-Analysen nicht durch Unterschiede in den Baseline-Charakteristika zwischen den Behandlungsgruppen erklärt werden.
Die Weite des Konfidenzintervalls zum primären Endpunkt sowie die unklare Diskrepanz in der Mortalität zwischen den Gruppen deuten auf eine zu geringe Power der Studie hin. Die Entwicklung hin zu differenzierteren, weniger intensiven Sedierungsprotokollen sowie ein früherer Beginn einer enteralen Ernährung bei kritisch Kranken könnte in Zukunft jedoch generell den Stellenwert von Opioidantagonisten in der Behandlung der Obstipation bei Intensivpatienten weiter reduzieren.
- Titel der Studie: Methylnaltrexone for the Treatment of Opioid-Induced Constipation and Gastrointestinal Stasis in Intensive Care Patients. Results From the MOTION Trial [29]
- Autoren: Patel et al.
- Journal: Intensive Care Medicine
- AMBOSS-Inhalte: Methylnaltrexon | Obstipation - Therapie | Laxantien
Schleifendiuretika zur Behandlung Calciumkanalblocker-induzierter Unterschenkelödeme: Eine häufige und vermeidbare Verschreibungskaskade
DGIM-Studientelegramm 2-2020-3/4 - Eine Verschreibungskaskade [30] beginnt immer dann, wenn eine unerwünschte Arzneimittelwirkung nicht identifiziert und als Symptom einer Erkrankung fehlgedeutet wird. Zur “Behandlung” dieser vermeintlichen Erkrankung werden dann häufig weitere Arzneimittel eingesetzt, statt das ursächliche Medikament abzusetzen oder umzustellen. Calciumkanalblocker (CKB) vom Dihydropyridin-Typ gehören zu den Mitteln der 1. Wahl in der Therapie der arteriellen Hypertonie. Eine typische Nebenwirkung von CKB (insb. Amlodipin) sind Unterschenkelödeme, die bei bis zu einem Viertel aller behandelten Patienten [31] auftreten können. Diese Ödeme basieren pathophysiologisch auf einer arteriolären Dilatation mit konsekutiver Extravasation von Flüssigkeit. Eine Hypervolämie liegt explizit nicht vor. Werden nun zum Volumenentzug durch eine gesteigerte Diurese Schleifendiuretika eingesetzt, ist dies ein typisches Beispiel für eine Verschreibungskaskade und gilt als Fehlindikation [32].
In einer retrospektiven Kohortenstudie wurde nun basierend auf Daten der gesetzlichen Krankenversicherung in der kanadischen Provinz Ontario die klinische Bedeutung dieser Verschreibungskaskade untersucht. Betrachtet wurden 41.086 Patienten mit arterieller Hypertonie im Alter von >65 Jahren, denen im Zeitraum von 2011‒2016 erstmals CKB verordnet wurden. Als Vergleichsgruppen dienten Hypertonie-Patienten, denen im Untersuchungszeitraum erstmals ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptor-Blocker verordnet wurden (ACEH/ARB-Vergleichsgruppe, N = 64.494), sowie Patienten mit jeglicher Arzneimittelneuverordnung abgesehen von Antihypertensiva (allgemeine Vergleichsgruppe, N = 231.439). Antihypertensiv oder diuretisch vorbehandelte Patienten sowie Patienten mit Herzinsuffizienz oder terminaler Nierenerkrankung wurden ausgeschlossen.
Primärer Endpunkt der Studie war die Neuverordnung von Schleifendiuretika innerhalb von 90 Tagen nach Erstverordnung von CKB. Dieser trat in der Gruppe der CKB-Patienten gegenüber den Vergleichsgruppen signifikant häufiger auf (1,4% vs. 0,7% in der ACEH/ARB-Vergleichsgruppe bzw. 0,5% in der allgemeinen Vergleichsgruppe). Das Risiko für eine Diuretika-Verordnung war in der CKB-Gruppe auch nach 12 Monaten im Vergleich noch signifikant erhöht (adjustierte HR 1,19; 95% KI 1,06‒1,32 für die ACEH/ARB-Vergleichsgruppe bzw. adjustierte HR 2,23; 95% KI 2,02‒2,48 für die allgemeine Vergleichsgruppe).
Zukünftige Untersuchungen müssen zeigen, welche weiteren Folgen – wie bspw. diuretikainduzierte Nebenwirkungen, unnötige kardiale Anschlussuntersuchungen oder Mehrkosten – mit einer solchen Verschreibungskaskade einhergehen.
Fazit für die klinische Praxis: Insb. bei älteren Patienten mit neu aufgetretenen Symptomen sollte vor Verordnung neuer Medikamente zunächst geprüft werden, ob es sich um Nebenwirkungen einer bestehenden Arzneimitteltherapie handeln könnte!
- Titel der Studie: Evaluation of a Common Prescribing Cascade of Calcium Channel Blockers and Diuretics in Older Adults With Hypertension [33]
- Autoren: Savage et al.
- Journal: JAMA Internal Medicine
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ISCHEMIA-CKD: Kein Vorteil einer frühen invasiven Strategie bei CKD, CCS und stressinduzierter myokardialer Ischämie
DGIM-Studientelegramm 2-2020-4/4 - Für Patienten mit fortgeschrittener chronischer Nierenerkrankung (CKD) gab es aufgrund gängiger Ausschlusskriterien wenig Daten zum Effekt der kardialen Revaskularisation bei chronischem Koronarsyndrom (CCS).
In der vorliegenden Studie wurden 777 Patienten mit fortgeschrittener CKD, CCS und moderater bis schwerer Myokardischämie unter Stress-Test in zwei Gruppen randomisiert. Die eine Gruppe verfolgte eine initial invasive Strategie (Koronarangiographie und ggf. Revaskularisation) einschließlich medikamentöser Therapie, die andere eine konservative Strategie mit ausschließlich medikamentöser Therapie. Patienten in der konservativen Gruppe erhielten nur bei nicht erfolgreicher medikamentöser Therapie eine Koronarangiographie.
Der primäre, kombinierte Endpunkt war definiert als Tod oder nicht-tödlicher Herzinfarkt. Der sekundäre, kombinierte Endpunkt umfasste zusätzlich Krankenhausaufenthalte aufgrund von instabiler Angina pectoris, Herzinsuffizienz oder Herzstillstand.
Nach 2,2 Jahren medianer Beobachtungszeit trat der primäre Endpunkt bei 123 Patienten in der invasiven gegenüber 129 Patienten in der konservativen Gruppe ein. Dies entspricht einer geschätzten 3-Jahres-Ereignisrate von 36,4% vs. 36,7% (adjustierte HR 1,01; 95% KI, 0,79‒1,29; p = 0,95). Ähnlich verhielt sich die Ereignisrate für den sekundären Endpunkt mit 38,5% vs. 39,7% (HR 1,01; 95% KI, 0,79‒1,29). Die invasive Strategie wies höhere Raten an Schlaganfällen (HR 3,76; 95% KI, 1,52‒9,32; p = 0,004) und Todesfällen sowie Dialysepflichtigkeit auf (HR 1,48; 95% KI, 1,04‒2,11; p = 0,03).
Zusammenfassend zeigte sich bei Patienten mit fortgeschrittener CKD, CCS und moderater bis schwerer Ischämie unter Stress-Test kein Vorteil einer frühen invasiven Therapiestrategie. Eine alleinige konservative medikamentöse Therapie war nicht mit einem erhöhten Risiko für Tod oder nicht-tödlichen Myokardinfarkt assoziiert.
- Titel der Studie: Management of Coronary Disease in Patients with Advanced Kidney Disease [34]
- Autoren: Bangalore et al.
- Journal: The New England Journal of Medicine (NEJM)
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Ausgabe 02 - Q1-2020
Weniger R-CHOP ist mehr beim aggressiven B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom
DGIM-Studientelegramm 1-2020-1/5 - Die Standardtherapie aggressiver Non-Hodgkin-Lymphome besteht aus einer Immunchemotherapie mit 6 Zyklen R-CHOP (Rituximab, Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin, Predniso(lo)n). Diese Therapie zeigte bei jungen Niedrigrisikopatienten in der MInT-Studie [35] so exzellente Ergebnisse, dass möglicherweise auch weniger aggressive Therapieprotokolle ausreichen könnten.
In der nun durchgeführten open-label, internationalen, prospektiven, randomisierten FLYER-Studie wurde die Nichtunterlegenheit einer Reduktion auf 4 Zyklen R-CHOP plus 2 Zyklen Rituximab gegenüber dem Standard in diesem Kollektiv (Alter 18–60 Jahre, Stadium I–II, normales LDH, ECOG 0–1, kein Bulk) untersucht.
Zwischen Dezember 2005 und Oktober 2016 wurden 592 Patienten rekrutiert. 295 davon wurden der Standardtherapie-Gruppe zugeordnet, 297 der Gruppe mit reduzierter R-CHOP Dauer plus Rituximab.
Nach einem medianen Follow-up von 66 Monaten lag das progressionsfreie Überleben nach 3 Jahren (primärer Endpunkt) in der Gruppe mit 4 Zyklen R-CHOP plus Rituximab bei 96% (95% KI, 94–99%) ‒ 3% besser als nach Standardtherapie (untere Grenze des einseitigen 95%-igen KI der Differenz: 0%), womit eine Nichtunterlegenheit gezeigt ist.
Ferner kam es in der Gruppe mit reduzierter Zyklenanzahl der Polychemotherapie zu 294 hämatologischen und 1.036 nicht-hämatologischen Nebenwirkungen gegenüber 426 bzw. 1.280 in der Standardtherapie-Gruppe. 2 Patienten verstarben in der Standardtherapie-Gruppe.
Somit kann bei jungen Niedrigrisikopatienten mit aggressivem B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom die Zyklushäufigkeit der Polychemotherapie verringert werden. Die Therapie mit nur 4 Zyklen R-CHOP plus 2 Zyklen Rituximab reduzierte die Nebenwirkungen und zeigte keine Unterlegenheit des progressionsfreien Überlebens nach den ersten 3 Jahren.
- Titel der Studie: Four versus six cycles of CHOP chemotherapy in combination with six applications of rituximab in patients with aggressive B-cell lymphoma with favourable prognosis (FLYER): a randomised, phase 3, non-inferiority trial [36]
- Autoren: Poeschel et al.
- Journal: The Lancet
- AMBOSS-Inhalte: Non-Hodgkin-Lymphome | Rituximab | ECOG
Indikation zur Antibiotika-Verordnung bei niedergelassenen Ärzten: häufig unangemessen oder nicht dokumentiert
DGIM-Studientelegramm 1-2020-2/5 - Der inadäquate Einsatz von Antibiotika trägt zur zunehmenden Resistenzentwicklung bakterieller Erreger bei und stellt einen unnötigen Verbrauch begrenzter medizinischer Ressourcen dar. Entscheidend für eine qualitativ hochwertige und nachhaltige Antibiotika-Therapie ist eine korrekte Indikationsstellung sowie die Dokumentation, weshalb die Therapie eingeleitet wurde. Gerade im ambulanten Rahmen findet ein großer Teil der Antibiotika-Verordnungen statt (für die USA z.B. bis zu 90% des Verordnungsvolumens).
Eine repräsentative Analyse niedergelassener Ärzte in den USA untersuchte nun basierend auf Daten des National Ambulatory Medical Care Survey (NAMCS) die Qualität ärztlicher Antibiotika-Verordnungen. Diese wurden hinsichtlich ihrer Indikationsstellung in 3 Gruppen aufgeteilt:
1. Adäquat (bei Dokumentation einer bakteriellen Infektion)
2. Inadäquat (bei Dokumentation einer Erkrankung ohne Indikation zur antibiotischen Therapie, bspw. obere Atemwegsinfektion)
3. Undokumentiert (bei fehlender Indikationsangabe)
Von hochgerechnet rund 990 Millionen ambulanten Fällen im Jahr 2015 wurde in jedem achten Fall (13,2%; 95% KI, 11,6–13,7%) ein Antibiotikum verordnet. Von diesen rund 130 Millionen Fällen wurde in 57% (95% KI, 52–62%) eine adäquate Indikation zur antibiotischen Therapie dokumentiert. In 25% der Fälle (95% KI, 21–29%) lag eine inadäquate Verordnung vor. In 18% (95% KI, 15–22%) der Fälle fehlte die Dokumentation einer eindeutigen Indikation. Demnach waren also insg. bis zu 43% aller Antibiotika-Verordnungen (ca. 53 Millionen) als potentiell inadäquat einzustufen.
Fachärzte verordneten Antibiotika im Vergleich zu Hausärzten häufiger inadäquat. Erwachsene männliche Patienten erhielten gegenüber minderjährigen männlichen Patienten signifikant häufiger Antibiotika ohne Angabe einer Indikation (adjustierte Odds Ratio 2,3; 95% KI, 1,0–5,3). Für Sulfonamide und für Antibiotika mit primärem Einsatz bei Harnwegsinfektionen (“urinary antiinfectives”) fehlte im Vergleich zu Penicillinen signifikant häufiger die Angabe einer Indikation. Für letztere wurden in 9% der Fälle (entsprechend 0,6% aller Verordnungen ohne Dokumentation einer Indikation) allein unspezifische Symptome wie Dysurie oder Harninkontinenz ausgewiesen. Die Entnahme einer mikrobiologischen Kultur wirkte sich günstig auf das Verordnungsverhalten aus.
Die Autoren diskutieren u.a., dass es sich bei 60% der undokumentierten Indikationen um Folgeverschreibungen gehandelt habe. Ohne überprüfbare Dokumentation der Indikation könnten jedoch auch diese Fortführungen potentiell unangemessen gewesen sein.
Wenngleich die Daten möglicherweise nur mit Einschränkungen auf den deutschen Kontext übertragbar sind, so unterstreichen sie dennoch, dass die sorgfältige Dokumentation der Indikation eine entscheidende, aber unzureichend beachtete Säule für eine rationale Antibiotika-Therapie darstellt.
- Titel der Studie: Antibiotic prescribing without documented indication in ambulatory care clinics: national cross sectional study [37]
- Autoren: Ray et al.
- Journal: The BMJ
- AMBOSS-Inhalte: Kalkulierte Antibiotika-Therapie | Antibiotische Therapie der unkomplizierten Urozystitis | Multiresistente Erreger
Spontanpneumothorax: konservatives Vorgehen der Thoraxdrainage nicht unterlegen
DGIM-Studientelegramm 1-2020-3/5 - Beim primären Spontanpneumothorax (PSP) empfiehlt die deutsche S3-Leitlinie von 2018 [38], die Behandlungsstrategie gemäß der Anamnese, der klinischen Symptomatik und des Ausmaßes des Pneumothorax festzulegen. Therapiestandard beim großen PSP ist das interventionelle Vorgehen mit Anlage einer Thoraxdrainage (TD) bzw. Nadelaspiration.
Nun liegt erstmalig eine prospektive, multizentrische Nicht-Unterlegenheitsstudie (randomisiert-kontrollierte Studie, durchgeführt an 39 Kliniken in Australien und Neuseeland) zum direkten Vergleich zwischen TD-Anlage und einem primär beobachtenden Vorgehen beim PSP vor.
Eingeschlossen wurden 316 Patienten im Alter von 14–50 Jahren mit erstmalig aufgetretenem großem und einseitigem PSP (>6 cm nach der Collins-Formel im Röntgen-Thorax, entsprechend >32% des Hemithoraxvolumens; Grenzwert für die Definition großer Pneumothoraces gemäß der dt. S3-Leitlinie ≥4 cm, entsprechend 20%). 154 Patienten wurden interventionell mittels kleinlumiger Punktionsdrainage in Seldinger-Technik (≤12 French, Wasserschloss ohne Sog) behandelt. 162 Patienten wurden der Beobachtungsgruppe zugeteilt und bei unauffälligem klinischem und radiologischem Verlauf nach 4 Stunden zur Verlaufsbeobachtung entlassen.
Der primäre Endpunkt der vollständigen radiologischen Rückbildung mit vollständiger Lungen-Reexpansion nach 8 Wochen wurde bei 98,5% der Patienten in der interventionell behandelten Gruppe gegenüber 94,4% in der Beobachtungsgruppe erzielt (p = 0,02 für Nicht-Unterlegenheit des konservativen Vorgehens).
Es fand sich zwischen den Gruppen kein statistisch signifikanter Unterschied in der Zeit bis zur vollständigen Rückbildung der Symptome. In der interventionell behandelten Gruppe kam es häufiger zu einem Wiederauftreten des ipsilateralen Pneumothorax binnen der ersten 12 Monate (absolutes Risiko +8,0%; 95% KI, 0,5–15,4). 15,4% der Patienten in der Beobachtungsgruppe konvertierten z.B. aufgrund intolerabler Symptome zweizeitig zu einem interventionellen Vorgehen. Bei 41 Patienten in der Interventions- und 13 Patienten in der Beobachtungsgruppe kam es zu unerwünschten Ereignissen (relatives Risiko 3,32; 95% KI, 1,85–5,95), die in beiden Gruppen mehrheitlich durch Drainageanlagen verursacht waren.
Diese Studie hinterfragt das Vorgehen, beim großen einseitigen primären Spontanpneumothorax stets eine Thoraxdrainage anzulegen. Eine konservativ-beobachtende Therapiestrategie konnte 85% der Patienten die TD ersparen und ging dabei mit weniger Nebenwirkungen, kürzerer Krankenhausverweildauer und geringerer Rezidivrate einher.
- Titel der Studie: Conservative versus Interventional Treatment for Spontaneous Pneumothorax [39]
- Autoren: Brown et al.
- Journal: New England Journal of Medicine (NEJM)
- AMBOSS-Inhalte: Thoraxdrainage - Klinische Anwendung | Therapie des Pneumothorax | Primärer Spontanpneumothorax
Akute untere GI-Blutung: Frühe gegenüber elektiver Koloskopie im klinischen Outcome nicht überlegen
DGIM-Studientelegramm 1-2020-4/5 - Um die Frage des optimalen Zeitpunktes einer endoskopischen Untersuchung bei unterer gastrointestinaler Blutung (uGIB) zu klären, wurden in einer japanischen multizentrischen, randomisierten, kontrollierten Studie Patienten mit akuter uGIB entweder einer frühen (<24 Stunden) oder einer elektiven Koloskopie (binnen 24‒96 Stunden) unterzogen.
Untersucht wurden 159 ambulante Patienten im Alter von ≥20 Jahren, die innerhalb von 24 Stunden nach ihrer Vorstellung eine mäßige bis schwere Hämatochezie oder Meläna aufwiesen. Zu den wichtigsten Einschlusskriterien zählten ≥3 Episoden einer Hämatochezie innerhalb von 8 Stunden sowie hämorrhagischer Schock bzw. Transfusionsbedarf.
Die endoskopische Identifizierung von (akuten) Blutungsstigmata (“stigmata of recent hemorrhage”, SRH) stellte den primären Endpunkt dar. Der wichtigste sekundäre Endpunkt war eine erneute Blutung innerhalb von 30 Tagen.
SRH wurden bei 21,5% der Patienten in der Gruppe der frühen Koloskopie bzw. bei 21,3% in der Gruppe der elektiven Koloskopie identifiziert (Differenz 0,3; 95% KI, -12,5‒13,0; p = 0,967) und fanden sich nur selten nach mehr als 36 Stunden. In beiden Gruppen wurde bei jeweils 15 Patienten (∼19%) eine endoskopische Blutstillung durchgeführt. Sowohl der Erfolg der endoskopischen Therapie als auch die Notwendigkeit zusätzlicher endoskopischer Untersuchungen, einer radiologischen Intervention oder einer Operation waren ebenso wie die Krankenhausverweildauer in beiden Studienarmen ähnlich.
Erneute Blutungen innerhalb von 30 Tagen wurden bei 15,3% der Patienten nach früher Koloskopie und 6,7% nach elektiver Koloskopie beobachtet (Differenz 8,6; 95% KI, -1,4‒18,7). Nach erfolgreicher endoskopischer Therapie traten diese bei 14,3% (2/14) in der Früh- und bei 16,7% (2/12) in der Elektivgruppe auf.
Die Häufigkeit der koloskopieassoziierten, unerwünschten Ereignisse war insg. gering mit Ausnahme von Blutungsverstärkungen während der Koloskopievorbereitung bei 39,2% der Patienten in der Früh- vs. 27,5% in der Elektivgruppe.
Die Autoren postulieren, dass eine frühe Koloskopie bei Patienten mit akuter uGIB die Rate der SRH-Identifizierung im Vergleich zur elektiven Koloskopie nicht verbessert. Darüber hinaus unterschied sich die 30-Tage-Re-Blutungsrate nicht zwischen den beiden Gruppen. Die Autoren stellen somit die in Leitlinien und früheren Studien aufgestellte Empfehlung infrage, eine frühe Koloskopie durchzuführen, um die diagnostische Aussagekraft zu erhöhen.
Zu beachten ist jedoch, dass Patienten mit akuter uGIB und hämorrhagischem Schock in der Studie unterrepräsentiert waren bzw. bei Nicht-Ansprechen auf Bluttransfusionen von der Studie ausgeschlossen wurden. Zudem empfiehlt die deutsche S2k-Leitlinie bei Hämatochezie (und/oder peranalem Abgang von Blutkoageln) mit hämorrhagischem Schock zunächst eine Gastroskopie, da bei diesen Patienten auch eine obere gastrointestinale Blutung vorliegen kann.
- Titel der Studie: Efficacy and Safety of Early vs Elective Colonoscopy for Acute Lower Gastrointestinal Bleeding [40]
- Autoren: Niikura et al.
- Journal: Gastroenterology
- AMBOSS-Inhalte: Untere GI-Blutung | Gastrointestinale Blutung - Kausale Therapie | DGVS-GI-Blutung Empfehlung 9
Potentiell schädliche Medikamente für ältere Patienten: zu häufig und zu lang eingesetzt
DGIM-Studientelegramm 1-2020-5/5 - Zahlreiche Arzneimittel bergen besondere Risiken und Nebenwirkungen für Patienten im höheren Lebensalter. Zur Orientierung über solche “potentiell inadäquaten Medikamente” (PIM) existieren Hilfestellungen wie die besonders im amerikanischen Raum verbreiteten Beers-Kriterien oder die hierzulande verwendeten PRISCUS- und FORTA-Listen (“Fit fOR The Aged”).
Ein französisches Studienteam beschäftigte sich nun mit der Frage, wie häufig PIM dauerhaft (>1 Jahr) bei älteren Patienten eingesetzt werden. Hierzu werteten die Untersucher in einer retrospektiven Kohortenstudie Daten einer nationalen Datenbank für chronische Erkrankungen aus (Quebec Integrated Chronic Disease Surveillance System (QICDSS).
Für den Zeitraum April 2014 bis März 2015 wurden alle >65-jährigen Patienten, denen in diesem Zeitraum ein PIM gemäß der 2015er Beers-Kriterien verordnet wurde, dahingehend untersucht, ob ihnen das betreffende Arzneimittel länger als ein Jahr verschrieben wurde.
Die Gesamtzahl der Neu-Verordnungen von PIM war mit 7% (75.844 von 1.057.024 Patienten) häufig. Hiervon waren 25% Dauermedikationen (19.051 der 75.844 Fälle; 95% KI, 24,8–25,4), während die Verordnung bei 50% der Patienten nur über einen kurzen Zeitraum (≤69 Tage) erfolgte.
Antipsychotika, lang wirkende Sulfonylharnstoffe, Antiarrhythmika und Protonenpumpeninhibitoren wurden am häufigsten langfristig verordnet. Risikofaktoren für den persistierenden Gebrauch von PIM waren ein hohes Alter, männliches Geschlecht, Komorbidität mehrerer chronischer Erkrankungen (insb. Demenz, Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen) sowie die Einnahme mehrerer Medikamente.
Auch wenn die Daten aus Quebec sich nicht uneingeschränkt auf Deutschland übertragen lassen, zeigt die Studie eindrücklich zwei Dinge: 1. Das Verschreiben von PIM bei älteren Patienten ist kein Einzelphänomen. 2. Einmal verschriebene PIM mutieren oft zur Dauermedikation. Daher sollte eine neue Verordnung eines Arzneimittels sowie die Fortführung bereits verschriebener Medikamente bei Patienten im höheren Lebensalter besonders kritisch überprüft werden.
- Titel der Studie: One-year persistence of potentially inappropriate medication use in older adults: a population-based study [41]
- Autoren: Roux et al.
- Journal: British Journal of Clinical Pharmacology (BJCP)
- AMBOSS-Inhalte: Prinzipien der Medikamenten‐Verordnung im Alter | DGIM - Klug entscheiden in der Geriatrie | PIM
Recherche-Statistik
- Gescreente Journals: 26
- Suchtreffer: 827 Artikel, additive Handsuche: 9 Artikel, gesamt: 836
- Duplikate: 35
- Titel/Abstract-Screening: 751 Ausschlüsse, 55 Einschlüsse
- Davon 8 Artikel abschließend eingeschlossen (Konsens 100%)
Ausgabe 01 - 2019
Überversorgung in der Medizin: Ein aktueller Überblick
DGIM-Studientelegramm 1-2019-1/8 - Überversorgung spielt sich auf zahlreichen Ebenen der Medizin ab. Seit 2015 bietet das "Update on Medical Overuse" der Autoren um Morgan und Dhruva eine systematisierte Übersicht. Nun liegt das Update für 2019 vor.
Aus 1.499 relevanten, im Jahr 2018 erschienenen Publikationen wählten die Autoren die 10 wichtigsten Studien und Reviews aus. Die eingeschlossenen Arbeiten adressierten dabei unterschiedliche Facetten des Themas Überversorgung: overdiagnosis (übermäßiges Screening), overtesting (übermäßige Labordiagnostik), overtreatment (Übertherapie), services to question (zu hinterfragende Maßnahmen) und methods to reduce overuse (Ansätze zur Reduktion von Überversorgung).
Einige Highlights des Updates:
- Die randomisiert kontrollierte Studie (RCT) von Huang et al. [42], die zeigte, dass eine engmaschige Bestimmung von Procalcitonin im Rahmen unterer Atemwegsinfektionen nicht zu einer Verbesserung des antibiotischen Verschreibungsverhaltens und des klinischen Verlaufs führt (siehe auch: Studientelegramm 40-2018-1/3).
- Das systematische Review von Feller et al. [43], das zeigte, dass die Therapie einer subklinischen Hypothyreose mit Levothyroxin nicht mit positiven Endpunkten wie einer Verbesserung der Lebensqualität oder der kognitiven Funktion einhergeht.
- Die Multicenter-RCT von Krag et al. [44], die zeigte, dass eine routinemäßige Stressulkusprophylaxe mit PPI bei Intensivpatienten nicht zu einer Verbesserung der Rate an Gastrointestinalblutungen führte (siehe auch: Studientelegramm 50-2018-3/3).
- Titel der Studie: 2019 Update on Medical Overuse [45]
- Autoren: Morgan et al.
- Journal: JAMA Internal Medicine
- AMBOSS-Inhalte: Pneumonie - Kriterien und Kontrolle des Therapieversagens | Therapie der Hypothyreose | Stressulkusprophylaxe
Keine Evidenz für die Gabe von Antipsychotika zur Therapie oder Prävention des Delirs
DGIM-Studientelegramm 1-2019-2/8 - Das delirante Syndrom ist eine häufige Komplikation in der Inneren Medizin, insb. bei intensivstationären Patienten. Es geht mit vorübergehenden und langanhaltenden Folgen sowie einer erhöhten Mortalität einher.
Ob beim deliranten Syndrom häufig eingesetzte Antipsychotika wie Haloperidol, Risperidon oder Quetiapin patientenrelevante Endpunkte verbessern, hat nun ein systematisches Review im Auftrag der US-amerikanischen Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ) und der American Geriatrics Society (AGS) untersucht.
Über die betrachtete Evidenz von insg. 16 randomisierten kontrollierten Studien (RCT) und 10 Beobachtungsstudien zeigte sich in den als wesentlich (“critical”) definierten Endpunkten Mortalität, Delirdauer und Krankenhausverweildauer keine Überlegenheit einer Antipsychotika-Therapie gegenüber einer Placebo-Gabe. Durch den Einsatz von Antipsychotika trat eine potentiell gefährliche QT-Zeit-Verlängerung häufiger auf, insb. in der Gruppe der atypischen Antipsychotika.
In einer ergänzenden Metaanalyse (14 RCTs) ergab sich auch für die Delirprävention keine Evidenz für den routinemäßigen Einsatz von Antipsychotika. Ausgenommen hiervon ist die Gruppe postoperativer Patienten, die möglicherweise von der Gabe atypischer Antipsychotika profitieren könnte.
Die Ergebnisse stehen damit in Einklang mit den Empfehlungen aktueller Leitlinien, die sich gegen den routinemäßigen Einsatz von Antipsychotika zur Behandlung des deliranten Syndroms aussprechen.
- Titel des 1. Reviews: Antipsychotics for Treating Delirium in Hospitalized Adults: A Systematic Review [46]
- Autoren: Nikooie et al.
- Journal: Annals of Internal Medicine
- Titel des 2. Reviews: Antipsychotics for Preventing Delirium in Hospitalized Adults: A Systematic Review [47]
- Autoren: Oh et al.
- Journal: Annals of Internal Medicine
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Kein Vorteil einer L-Thyroxin-Therapie bei älteren Patienten mit latenter Hypothyreose
DGIM-Studientelegramm 1-2019-3/8 - Die Auswertung von Versorgungsdaten aus Deutschland weist darauf hin, dass Levothyroxin häufig zur Behandlung einer latenten (=subklinischen) Hypothyreose eingesetzt wird. Mittlerweile konnte jedoch mit hoher Evidenz gezeigt werden, dass die Behandlung einer latenten Hypothyreose mit Levothyroxin für viele Patienten keinen klinischen Nutzen erbringt und die langfristige Einnahme möglicherweise mit Nebenwirkungen einhergeht. Patienten jenseits des 80. Lebensjahres waren in den entsprechenden Studien jedoch unterrepräsentiert.
Mooijaart et al. untersuchten nun in einer kombinierten Datenanalyse der beiden randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudien TRUST [48] und IEMO [49] bei insg. 251 Patienten ≥80 Jahre, ob die Therapie einer latenten Hypothyreose mit Levothyroxin zu einer Verbesserung der Lebensqualität führt. Eine latente Hypothyreose lag definitionsgemäß vor, wenn an mind. 2 Zeitpunkten im Abstand von 3–36 Monaten TSH-Spiegel von 4,6‒19,9 mIU/L bei gleichzeitig normwertigen fT4-Spiegeln gemessen worden waren.
Zwischen der Levothyroxin- und der Placebo-Gruppe konnte kein statistisch signifikanter Unterschied für den kombinierten primären Endpunkt "schilddrüsenbezogene Lebensqualität", der die Bereiche hypothyreosebezogene körperliche Symptome und Müdigkeit umfasst, festgestellt werden. Ermittelt wurde die schilddrüsenbezogene Lebensqualität dabei anhand des ThyPRO-(Thyroid-related Quality of Life Patient-reported Outcome‑)Fragebogens. Für die weiteren Endpunkte Lebensqualität, Handgriffstärke, Alltagsaktivitäten und kognitive Funktion fand sich ebenfalls kein signifikanter Unterschied. Unter Levothyroxin nahmen Hüftumfang (adjustierter Unterschied 1,52 cm; 95% KI, 0,09‒2,95) und BMI (adjustierter Unterschied 0,38; 95% KI, 0,08‒0,68) geringfügig, aber statistisch signifikant zu.
Nebenwirkungen traten unter Levothyroxin gegenüber Placebo nicht gehäuft auf. Interessanterweise entwickelte kein Patient der beiden Gruppen im Studienverlauf von 12 Monaten eine manifeste Hypothyreose.
Die Studienergebnisse bekräftigen damit im Wesentlichen eine aktuelle klinische Praxisleitlinie des British Medical Journals, die eine starke Empfehlung gegen den Einsatz von Levothyroxin bei Patienten mit latenter Hypothyreose ausspricht. [50]
- Titel der Studie: Association Between Levothyroxine Treatment and Thyroid-Related Symptoms Among Adults Aged 80 Years and Older With Subclinical Hypothyroidism [51]
- Autoren: Mooijaart et al.
- Journal: JAMA
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Therapie des hepatorenalen Syndroms bei dekompensierter Leberzirrhose: Keine Evidenz für Albumin/Terlipressin?
DGIM-Studientelegramm 1-2019-4/8 - Die Kombinationsbehandlung aus Albumin und einem Vasokonstriktor (vorzugsweise Terlipressin) ist gemäß aktueller Leitlinien die Therapie der 1. Wahl beim hepatorenalen Syndrom (HRS) Typ I. Nun liegt erstmals eine Netzwerk-Metaanalyse von 25 randomisierten, kontrollierten Studien mit insg. 1.263 Patienten zu 12 unterschiedlichen Therapiestrategien beim HRS vor.
Die Autoren fanden keine Evidenz, die einen Vorteil für eine der untersuchten Therapiestrategien bzgl. Gesamtmortalität, schwerwiegender Nebenwirkungen, Lebertransplantationsrate oder erneuter Dekompensationsfälle beim HRS belegen würde. Für keine Therapiestrategie liegen Daten zur Lebensqualität der behandelten Patienten vor. Eine Bewertung der Wirksamkeit der unterschiedlichen Interventionen gegenüber Placebo war mangels verfügbarer Daten nicht möglich. Ferner schlossen die betrachteten Studien teilweise auch Patienten mit HRS Typ II ein.
In Bezug auf eine Rückbildung des HRS zeigten die Daten für die Kombination von Albumin/Terlipressin und Albumin/Noradrenalin gegenüber einer Monotherapie mit Albumin eine Überlegenheit (Albumin vs. Albumin/Terlipressin HR 0,28; 95% KI, 0,14‒0,53 bzw. Albumin vs. Albumin/Noradrenalin HR 0,33; 95% KI, 0,14‒0,69). Die Kombination von Albumin/Noradrenalin ging gegenüber Albumin/Terlipressin mit weniger Nebenwirkungen (Rate Ratio 0,51; 95% KI, 0,28‒0,87) und geringeren Kosten pro Patient (-1.066 US-Dollar; 95% KI, -1.093 ‒ -1.039) einher.
Für alle bis auf 2 Studien wurde jedoch ein hohes Verzerrungsrisiko (“high risk of bias”) festgestellt und das Vertrauen in die Aussagekraft der Daten (“certainty of evidence”) über alle untersuchten Endpunkte (einschließlich der Rückbildung des HRS) als gering bis sehr gering eingestuft.
Den Autoren zufolge bestehen daher erhebliche Zweifel, ob die berichteten Ergebnisse tatsächlich die klinische Effektivität der verfügbaren Therapien abbilden.
- Titel des Reviews: Treatment for hepatorenal syndrome in people with decompensated liver cirrhosis: a network meta-analysis [52]
- Autoren: Best et al.
- Journal: Cochrane Database of Systematic Reviews
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Routinemäßiger Clip-Verschluss nach endoskopischer Resektion größerer Kolonpolypen möglicherweise ineffektiv zur Prophylaxe von Nachblutungen
DGIM-Studientelegramm 1-2019-5/8 - Nachblutungen sind eine häufige Komplikation nach endoskopischer Resektion großer Kolonpolypen. In der deutschen S2k-Leitlinie der DGVS [53] wird im Einzelfall ein prophylaktisches Hämostaseverfahren nach Polypektomie je nach individueller Risikokonstellation empfohlen. Ob ein routinemäßiger Verschluss der Abtragungsstellen durch endoskopisch platzierte Clips das Risiko für eine Postpolypektomieblutung (PPB) effektiv senken kann, ist allerdings nicht abschließend geklärt.
Feagins et al. führten nun eine randomisierte kontrollierte Multicenter-Studie (RCT) an insg. 1.098 Patienten mit elektiver Koloskopie und Resektion mind. eines großen Polypen (≥1 cm) durch, die das prophylaktische Clipping mit einem Vorgehen ohne Clip-Platzierung verglich.
Die Zuteilung zu den Behandlungsarmen erfolgte hierbei interessanterweise erst unmittelbar nach Polypektomie. Hierdurch sollte eine Voreingenommenheit des behandelnden Arztes minimiert werden.
Für den primären Endpunkt einer verzögerten PPB innerhalb von 30 Tagen nach Polypektomie zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen Interventions- und Kontrollgruppe. Die Ergebnisse blieben auch nach Kontrolle möglicher Confounder wie Antikoagulantiengebrauch, Polypenlokalisation (proximal vs. distal), Polypengröße (≥2 cm), Polypenmorphologie (gestielt vs. sessil) sowie Resektionstechnik konstant.
Im Kontrast hierzu steht die ebenfalls aktuell in Gastroenterology publizierte RCT von Pohl et al., die an 919 Patienten mit Polypen ≥2 cm das Clipping mit einem Vorgehen ohne Clip-Platzierung verglich. Hierbei konnte die Gesamtrate an PPB durch das Clipping von 7,1% auf 3,5% gesenkt werden. Dieser Effekt zeigte sich jedoch hauptsächlich bei rechtskolonischer Lokalisation des Polypen. Weiterhin wurde nicht auf ein Confounding durch die Einnahme von Antikoagulantien oder Thrombozytenaggregationshemmern getestet, die von den Patienten der Kontrollgruppe häufiger eingenommen wurden. Ein kompletter Verschluss der Resektionsstelle per Clip war nur in rund 2/3 der Fälle möglich. Die mittlere Anzahl verbrauchter Clips pro Polyp betrug 4 (IQR 3–6).
- Titel der 1. Studie: Efficacy of Prophylactic Hemoclips in Prevention of Delayed Post-Polypectomy Bleeding in Patients With Large Colonic Polyps [54]
- Autoren: Feagins et al.
- Journal: Gastroenterology
- Titel der 2. Studie: Clip Closure Prevents Bleeding After Endoscopic Resection of Large Colon Polyps in a Randomized Trial [55]
- Autoren: Pohl et al.
- Journal: Gastroenterology
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Intensivierung der antihypertensiven Therapie während des Krankenhausaufenthalts: Nebenwirkungen statt Benefits
DGIM-Studientelegramm 1-2019-6/8 - Im Rahmen eines stationären Aufenthalts wird häufig eine Intensivierung der antihypertensiven Therapie vorgenommen. Oft geschieht dies ohne Rücksprache mit dem Hausarzt und ohne Rücksicht darauf, ob die Blutdruckeinstellung des Patienten im ambulanten Rahmen adäquat war. Gehen solche stationär veranlassten Therapieanpassungen oder Neueinstellungen mit verbesserten klinischen Endpunkten einher?
Diese Frage untersuchte nun eine retrospektive US-amerikanische Kohortenstudie an 4.056 älteren Hypertonie-Patienten (“propensity-matched cohort”), die aufgrund häufiger nicht-kardialer Erkrankungen ohne primäre Indikation zur Intensivierung der antihypertensiven Therapie stationär aufgenommen worden waren.
Hierbei zeigten Patienten mit stationär intensivierter antihypertensiver Therapie eine erhöhte Rate von Wiederaufnahmen binnen 30 Tagen (21,4% vs. 17,7%; HR 1,23; 95% KI, 1,07–1,42; NNH [Number-needed-to-harm] 27). Außerdem kam es vermehrt zu schweren Nebenwirkungen wie Sturz mit Verletzungsfolge, Hypotension, Elektrolytverschiebung und akutem Nierenversagen (4,5% vs. 3,1%; HR 1,41; 95% KI, 1,06–1,88; NNH 63).
Innerhalb eines Jahres nach Entlassung fand sich zwischen den Gruppen mit bzw. ohne Therapieanpassung jedoch weder ein Unterschied in der Rate kardiovaskulärer Ereignisse (13,8% vs. 11,9%; HR 1,18; 95% KI, 0,99–1,40) noch im systolischen Blutdruck (Durchschnittlich 134,7 mmHg vs. 134,4 mmHg; Difference-in-Differences Estimate 0,6 mmHg; 95% KI, -2,4–3,7 mmHg).
Mehr als die Hälfte der untersuchten Patienten, die eine Anpassung der antihypertensiven Therapie erhielten, hatte zuvor eine gute ambulante Blutdruckeinstellung gezeigt. Gerade für diese Patientengruppe stellte sich das Risiko für schwere Nebenwirkungen bzw. eine stationäre Wiederaufnahme am größten dar.
Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass die Behandlung der arteriellen Hypertonie besser erst im Intervall und nach Stabilisierung der Akutsituation im hausärztlichen Rahmen erfolgen sollte. So können unnötige Multimedikation, Incompliance, Missverständnisse zwischen behandelnden Ärzten und hiermit assoziierte Folgen vermieden werden.
- Titel der Studie: Clinical Outcomes After Intensifying Antihypertensive Medication Regimens Among Older Adults at Hospital Discharge [56]
- Autoren: Anderson et al.
- Journal: JAMA Internal Medicine
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Vitamin D zur Verbesserung klinischer Endpunkte: Differenzierte Indikationsstellung nötig!
DGIM-Studientelegramm 1-2019-7/8 - In Beobachtungsstudien ist ein erniedrigter Vitamin-D-Spiegel mit einer erhöhten Mortalität assoziiert. Doch lässt dies umgekehrt auch darauf schließen, dass eine Therapie mit Vitamin D klinische Endpunkte verbessern kann?
Zur Untersuchung des Effekts einer Vitamin-D-Gabe auf das Überleben liegt nun eine neue Metaanalyse vor, die Daten zu 75.454 Patienten aus 52 randomisiert-kontrollierten Studien einschließt – inkl. der aktuellen VITAL-Studie, die wir bereits im Studientelegramm 53-2018-3/3 diskutiert haben.
Die Metaanalyse betrachtete neben dem primären Endpunkt der Gesamtmortalität auch sekundäre Endpunkte wie die kardiovaskuläre oder krebsbedingte Mortalität und berücksichtigte dabei ein mögliches Confounding durch eine begleitende Calcium-Supplementation.
Die Autoren fanden keinen statistisch signifikanten Effekt einer Vitamin-D-Therapie auf die Gesamtmortalität. Damit widerlegten sie die Ergebnisse zweier mittlerweile als veraltet anzusehender systematischer Reviews. [57][58] Sie gaben jedoch zu bedenken, dass sich der gemessene Effekt einer Vitamin-D-Therapie mit einem längeren Follow-up (>3 Jahre) verändern könnte. Auch hatten mehr als die Hälfte der beobachteten Patienten einen oberhalb der unteren Norm liegenden Baseline-Spiegel für 25-OH-Vitamin D (>50 nmol/L, entsprechend >20 ng/mL). Für den sekundären Endpunkt der krebsbedingten Mortalität fanden die Autoren eine Reduktion von 16% unter Therapie mit Vitamin D3.
Anstelle einer ungezielten Vitamin-D-Gabe, die zumeist wohl eine Übertherapie darstellt und mit dem Risiko für Nebenwirkungen wie Hyperkalzämie und Hyperkalzurie einhergeht, sollten sich zukünftig eher differenziertere Indikationen (z.B. im onkologischen Kontext) entwickeln.
Für die nächsten Jahre werden nun die Ergebnisse der noch laufenden Studien D-Health [59], VIDAL [60] und DO-HEALTH [61] erwartet.
- Titel der Studie: Association between vitamin D supplementation and mortality: systematic review and meta-analysis [62]
- Autoren: Zhang et al.
- Journal: BMJ
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Herzinsuffizienztherapie bei Frauen: Maximaler Benefit schon bei niedrigerer Dosierung
DGIM-Studientelegramm 8-2019-8/8 - Beim Einsatz von ACE-Hemmern, Sartanen und Betablockern zur Behandlung einer Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Funktion (HFrEF) empfehlen Leitlinien eine geschlechtsunabhängige Zieldosis. Jedoch ist bekannt, dass bei diesen Wirkstoffen in Abhängigkeit vom biologischen Geschlecht große pharmakokinetische Unterschiede bestehen. Diese können dazu führen, dass die Gabe der gleichen Wirkstoffmenge bei Frauen in bis zu 2,5-fach höheren Plasmaspiegeln resultieren als bei Männern. Ist es an der Zeit, über geschlechtsspezifische Arzneimitteldosierungen nachzudenken?
Hierzu wurden in einer Post-hoc-Analyse der prospektiven BIOSTAT-CHF-Studie Daten aus 11 europäischen Ländern ausgewertet. Betrachtet wurden Patienten mit einer EF <40%, die nicht innerhalb der ersten 3 Monate nach Studieneinschluss verstorben waren. Primärer Endpunkt war eine Kombination aus Gesamtmortalität und Krankenhausaufnahme aufgrund einer kardialen Dekompensation. Das mediane Follow-up betrug 21 Monate (Interquartilsabstand 15–27).
Die eingeschlossenen Probanden (1.308 Männer vs. 402 Frauen) zeigten Unterschiede im durchschnittlichen Alter (70 vs. 74 Jahre), Körpergewicht (85 vs. 72 kg) und der Körpergröße (174 vs. 162 cm). Ein Unterschied im Body-Mass-Index (BMI) bestand nicht. Die in Leitlinien empfohlene Dosierung der Arzneimittel wurde in beiden Gruppen zu einem ähnlichen Prozentsatz erreicht (ACE-Hemmer oder Sartane: 23 vs. 25%; Betablocker: 13 vs. 14%).
Männer profitierten bei empfohlener Dosis am meisten. Frauen erreichten hingegen bereits bei 50% der empfohlenen Dosierung eine maximale Risikoreduktion hinsichtlich Tod oder Hospitalisierung aufgrund einer kardialen Dekompensation, ohne dass eine weitere Steigerung einen zusätzlichen Effekt zeigte. Dieser geschlechtsspezifische Zusammenhang blieb auch nach Korrektur bezüglich Alter und Körperoberfläche bestehen.
Die Ergebnisse spiegeln im Wesentlichen die der ASIAN-HF-Studie [63] wider. Diese große prospektive Beobachtungsstudie untersuchte 5.276 Patienten (3.539 Männer und 961 Frauen) aus 11 verschiedenen asiatischen Regionen mit einer symptomatischen Herzinsuffizienz und LVEF <40%. Die finalen Ergebnisse werden im Februar 2020 erwartet.
- Titel der Studie: Identifying optimal doses of heart failure medications in men compared with women: a prospective, observational, cohort study [64]
- Autoren: Santema et al.
- Journal: The Lancet
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