Zusammenfassung
Kopfschmerzen gehören zu den häufigsten Schmerzsyndromen, mit denen Mediziner im klinischen Alltag konfrontiert werden. Unterschieden werden vor allem primäre (z.B. Spannungskopfschmerz, Migräne) und sekundäre (z.B. nach Schädel-Hirn-Trauma oder durch Infektionen hervorgerufene) Kopfschmerzen. Weltweit beträgt die Prävalenz von Kopfschmerzerkrankungen >60%, wobei bis zu 4% der Weltbevölkerung Kopfschmerzen an 15 oder mehr Tagen pro Monat haben. Laut WHO stellen Kopfschmerzen global eine der zehn häufigsten Erkrankungen dar, die mit funktionellen Behinderungen einhergehen.
Kopfschmerzen können anfallsartig, gelegentlich oder chronisch auftreten. Insbesondere chronische Verläufe bedeuten für den Patienten neben den Schmerzen häufig eine starke Beeinträchtigung der Lebensqualität und einen hohen Leidensdruck, verursachen gleichzeitig jedoch auch hohe sozioökonomische Kosten, sodass einer adäquaten Differenzialdiagnostik und Therapie zunehmend mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Obwohl Kopfschmerzen oft passager und harmlos sind, muss im klinischen Alltag zunächst immer an potenziell gefährliche Verläufe (z.B. Subarachnoidalblutung, Meningitis) gedacht werden. Die Erkennung der jeweiligen Kopfschmerzursache gestaltet sich häufig als schwierig und erfordert neben einer ausführlichen Anamnese die genaue körperliche Untersuchung. In den meisten Fällen ist eine weiterführende apparative Diagnostik nicht indiziert, kann jedoch bei auffälligen Befunden (sog. Red Flags) oder persistierenden Beschwerden notwendig werden.
Dieses Kapitel dient der Übersicht über die häufigsten Kopfschmerzformen.
Für das Notfallmanagement siehe: Kopfschmerzen - AMBOSS-SOP
Definition
- Laut der International Headache Society (IHS) erfolgt eine Unterscheidung folgender Kopfschmerzformen:
- Primäre Kopfschmerzen: Weisen den Schmerz als Hauptsymptom auf, ohne dass eine andere strukturelle Erkrankung vorliegt.
- Sekundäre Kopfschmerzen: Sind symptomatische Kopfschmerzen, d.h. sie werden durch andere Erkrankungen verursacht, wie z.B. durch ein Schädel-Hirn-Trauma oder eine intrakranielle Raumforderung. Sie werden kausal behandelt.
- Kraniale Neuralgien, zentraler und primärer Gesichtsschmerz und andere Kopfschmerzen: Kopf- und Gesichtsschmerzen, die aufgrund von Neuralgien im Gesicht-Hals-Bereich auftreten und im entsprechenden nervalen Versorgungsbereich wahrgenommen werden.
Epidemiologie
- Verteilung: Weltweit; unabhängig von Alter, ethnischer Herkunft, sozialen Strukturen und geografischen Aspekten
- Prävalenz von Kopfschmerzen weltweit: etwa 60%
- Lebenszeitprävalenz eines einmaligen Kopfschmerzereignisses: >90%
- Häufigste Kopfschmerzform: Spannungskopfschmerz und Migräne
- Spannungskopfschmerz: 60–80%
- Migräne: 12–14%
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Klassifikation
- Internationale Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen
- Primäre Kopfschmerzerkrankungen
- Migräne
- Spannungskopfschmerz
- Clusterkopfschmerz und andere trigemino-autonome Kopfschmerzerkrankungen (z.B. paroxysmale Hemikranie)
- Andere primäre Kopfschmerzen [2]
- Sekundäre Kopfschmerzerkrankungen
- Durch ein Schädel-Hirn-Trauma
- Durch eine Substanz oder deren Entzug (z.B. Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch)
- Durch Gefäßstörungen im Kopf-Hals-Bereich (z.B. Arteriitis temporalis)
- Durch Störungen der Homöostase (z.B. arterielle Hypertonie, Hypothyreose)
- Durch intrakranielle Erkrankungen (z.B. Hirntumor, erhöhter Liquordruck)
- Durch Infektionen (z.B. Meningitis)
- Psychiatrische Störungen (z.B. Somatisierungsstörungen)
- Durch Erkrankungen im Kopf-Hals-Bereich
- Kraniale Neuralgien, zentraler und primärer Gesichtsschmerz und andere Kopfschmerzen
- Kraniale Neuralgien (z.B. Trigeminusneuralgie)
- Andere nicht klassifizierbare Kopfschmerzen
- Primäre Kopfschmerzerkrankungen
Symptomatik
Red Flags bei Kopfschmerzen
Bei folgenden Warnsymptomen (Red Flags) sollte eine umgehende Diagnostik erfolgen, um abwendbar gefährliche Kopfschmerzverläufe schnellstmöglich behandeln zu können:
- Vernichtungskopfschmerz/noch nie dagewesener stärkster Kopfschmerz (z.B. bei Subarachnoidalblutung)
- Fieber (z.B. bei Meningitis)
- Fokale Ausfallsymptomatik (z.B. bei Schlaganfall)
- Vigilanzminderung (z.B. nach Trauma)
- Hirndruckzeichen (z.B. Bewusstseinsstörungen oder Übelkeit durch intrakranielle Raumforderung)
- Meningismus (z.B. bei Subarachnoidalblutung oder Meningitis)
- Augenschmerzen (z.B. bei Glaukomanfall)
Für das Notfallmanagement siehe: Kopfschmerzen - AMBOSS-SOP
Diagnostik
Ziele der Diagnostik
- Schnellstmögliche Identifikation von Patienten mit sekundären Kopfschmerzen
- Erkennen häufiger oder akut behandlungsbedürftiger primärer Kopfschmerzformen
Für das Notfallmanagement siehe: Kopfschmerzen - AMBOSS-SOP
Ausführliche Anamnese
- Zeit
- Dauer
- Häufigkeit pro Monat
- Verlauf (z.B. chronisch , gelegentlich, attackenartig)
- Schmerz
- Lokalisation (z.B. einseitig, beidseitig, orbital)
- Charakter (z.B. pulsierend, stechend)
- Intensität (Schmerzskala 0–10)
- Begleitsymptome, z.B.:
- Übelkeit
- Horner-Syndrom
- Aura
- Photopsien
- Auslöser oder Verstärker, z.B.:
- Schlaf-Wach-Rhythmus
- Körperliche Bewegung
- Nahrungsmittel
- Hormonschwankungen
- Allgemeinanamnese
- Familienanamnese (familiäre Kopfschmerzerkrankungen?)
- Medikamente
- Alkohol
- Nikotin
- Allergien
Allgemeine Untersuchung
- Neurologischer Status und detaillierter Hirnnervenstatus
- Trigeminale Nervenaustrittspunkte
- Bulbusdruck- und Bewegungsschmerz
- Beweglichkeit der HWS, Druckschmerzhaftigkeit der perikraniellen Muskulatur
- Klopf- und Druckschmerz der Kalotte
- Schmerzen bei Kieferöffnung
- Beurteilung der Schleimhäute, Zahnstatus
- Ertasten der A. temporalis superficialis
- Messung des Blutdrucks
Zusatzdiagnostik
- Laborscreening
- Entzündungsparameter (z.B. Arteriitis temporalis)
- Weitere Labordiagnostik nach vermuteter Genese (z.B. Schilddrüsenparameter)
- Bildgebung
- cCT (z.B. zum Nachweis einer Subarachnoidalblutung)
- cMRT (z.B. zum Nachweis von parenchymatösen Läsionen) [3]
- Digitale Subtraktionsangiografie (z.B. zum Nachweis von kleineren Aneurysmen)
- Sonografie (z.B. zur Darstellung von Dissektionen)
- Röntgen HWS (z.B. Nachweis von knöchernen Destruktionen)
- Weitere Diagnostik
- EEG (z.B. zur Darstellung von Veränderungen der zerebralen kortikalen Aktivität)
- Liquorpunktion (z.B. zum Ausschluss einer Meningitis)
Liegen Red Flags bei Kopfschmerzen vor, muss immer Zusatzdiagnostik erfolgen! Lediglich bei anamnestisch eindeutigen primären Kopfschmerzsyndromen in Verbindung mit einer sorgfältigen unauffälligen neurologischen Untersuchung kann die Diagnose klinisch gestellt werden.
Differenzialdiagnosen
Für das Notfallmanagement siehe: Kopfschmerzen - AMBOSS-SOP
Sekundäre Kopfschmerzen (Auszug)
In folgender Tabelle wird v.a. auf sekundäre Kopfschmerzen eingegangen, die angesichts von abwendbar gefährlichen Verläufen möglichst schnell erkannt und therapiert werden sollten. Zum leichteren Erinnern können die Kopfschmerzformen anhand ihrer Genese grob in verschiedene Gruppen zusammengefasst werden.
Bei Kopfschmerzen immer abwendbar gefährliche Verläufe bedenken!
Genese | Diagnose | Art der Kopfschmerzen | Begleitsymptomatik/Charakteristika |
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Infektiöse Genese |
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Vaskuläre Genese |
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Tumoröse Genese |
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Traumatische Genese |
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Sonstige Genese |
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Primäre Kopfschmerzen
Spannungskopfschmerzen | Migräne | Clusterkopfschmerz | |
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Dauer |
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Häufigkeit |
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Lokalisation |
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Charakter |
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Intensität |
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Begleitsymptome |
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Auslöser/Verstärker |
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AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- R51: Kopfschmerz
- Inklusive: Gesichtsschmerz o.n.A.
- Exklusive: Atypischer Gesichtsschmerz (G50.1), Migräne und sonstige Kopfschmerzsyndrome (G43–G44), Trigeminusneuralgie (G50.0)
- G43.-: Migräne
- Exklusive: Kopfschmerz o.n.A. (R51)
- G43.0: Migräne ohne Aura [Gewöhnliche Migräne]
- G43.1: Migräne mit Aura [Klassische Migräne]
-
Migräne:
- Äquivalente
- Aura ohne Kopfschmerz
- basilär
- familiär-hemiplegisch
- mit:
-
Migräne:
- G43.2: Status migraenosus
- G43.3: Komplizierte Migräne
- G43.8: Sonstige Migräne
- Retinale Migräne
- G43.9: Migräne, nicht näher bezeichnet
- G44.-: Sonstige Kopfschmerzsyndrome
- Exklusive: Atypischer Gesichtsschmerz (G50.1), Kopfschmerz o.n.A. (R51), Trigeminusneuralgie (G50.0)
- G44.0: Cluster-Kopfschmerz
- Chronische paroxysmale Hemikranie
-
Cluster-Kopfschmerz:
-
Bing-Horton-Syndrom
- chronisch
- episodisch
-
Bing-Horton-Syndrom
- G44.1: Vasomotorischer Kopfschmerz, anderenorts nicht klassifiziert
- Vasomotorischer Kopfschmerz o.n.A.
- G44.2: Spannungskopfschmerz
- G44.3: Chronischer posttraumatischer Kopfschmerz
- G44.4: Arzneimittelinduzierter Kopfschmerz, anderenorts nicht klassifiziert
- G44.8: Sonstige näher bezeichnete Kopfschmerzsyndrome
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.