Indikation
Eine Massivtransfusion (Massentransfusion) ist mit zahlreichen, potenziell schwerwiegenden Nebenwirkungen behaftet und sollte daher nur erfolgen, wenn die u.g. Eingangskriterien für eine Massivtransfusion erfüllt sind.
- Bzgl. der Indikationen zur Transfusion einzelner Blutprodukte siehe:
- Zur Abschätzung der Notwendigkeit einer Massivtransfusion sollte der TASH-Score (Rechner: [1]) verwendet werden.
Eingangskriterien für eine Massivtransfusion
- Schwerste akute Blutung mit hämorrhagischem Schock (unabhängig von der Genese) und
- Mind. eines der folgenden Kriterien
- Hämodynamische Instabilität trotz Gabe großer Volumina kolloidaler Infusionslösungen
- Bedarf von >1 mg/h Noradrenalin zur Kreislaufunterstützung
- Schockbedingte metabolische Azidose
- Blutung aktuell operativ oder interventionell nicht kontrollierbar
- Zu erwartender Blutverlust >1 Gesamtblutvolumen in den nächsten 3–4 h
Falls die Eingangskriterien nicht erfüllt sind, sollte ein individualisiertes Therapieschema unter Berücksichtigung der klinischen Umstände und Laborbefunde durchgeführt werden!
Massivtransfusionen sind nur beim hämorrhagischen Schock indiziert, nicht aber bei anderen Schockformen!
Zielwerte und Mengenberechnung
Ziel- und Grenzwerte im Rahmen einer Massivtransfusion
- Für Erythrozytenkonzentrate (EK): Transfusionstrigger Hb <10 g/dL bei massiven klinisch-aktiven Blutungen
- Für Thrombozytenkonzentrate (TK): Thrombozytenzahl ≥100.000/μL als Zielwert
- Für Plasmakonzentrate (PK): Kein Zielwert, Gabe im Verhältnis 1:1 mit EK
Berechnung der zu transfundierenden Mengen
Allgemein
Massivtransfusionen werden normalerweise nur in speziellen Notfallsituationen erforderlich. Eine exakte, individuelle Berechnung erfolgt daher oft (zunächst) nicht. Zudem liegen in der Akutsituation ggf. auch nicht alle relevanten Information (bspw. verlässliche Laborwerte) unmittelbar vor, sodass zumindest initial (unter Berücksichtigung der klinischen Situation) nach einem standardisierten Protokoll vorgegangen werden muss (siehe: Massivtransfusion - Protokoll).
Orientierende Angaben
- 1 EK bewirkt einen Anstieg des Hämoglobinwertes um etwa 1 g/dL
- 1 mL Plasma/kgKG bewirkt einen Anstieg des Quick-Werts um einen Prozentpunkt und einen Anstieg der Gerinnungsfaktoren um 1 IE/dL
- 1 TK bewirkt einen Anstieg der Thrombozytenkonzentration um etwa 20.000–40.000/μL
Das Gesamtblutvolumen eines Erwachsenen beträgt ca. 60–80 mL/kgKG. Ein Blutverlust über 30% ist auch von jungen, gesunden Patienten nicht mehr durch Anpassungsmechanismen komplett kompensierbar!
Vorbereitung
Aufklärung und Einwilligung
- Gemäß den allgemeinen Grundsätzen siehe: Aufklärungspflicht
- Im lebensbedrohlichen Notfall: Verzicht auf Aufklärung unter Beachtung des mutmaßlichen Patientenwillens → Pflicht zur nachträglichen Aufklärung!
Not kennt kein Gebot! Ist eine Transfusion lebensrettend erforderlich, tritt die Aufklärungspflicht in den Hintergrund!
Anforderung, Prüfung und Vorbereitung der Blutprodukte
- Grundsätzlich entsprechend der jeweiligen Blutprodukte
- Für Details siehe: Anforderung von Transfusionspräparaten
Ablauf/Durchführung
Allgemeine Abläufe und Techniken
Die grundsätzliche Vorgehensweise entspricht den Abläufen bei der Transfusion der jeweiligen Konzentrate :
- Transfusion von Erythrozytenkonzentraten - AMBOSS-SOP
- Transfusion von Plasmakonzentraten - AMBOSS-SOP
- Transfusion von Thrombozytenkonzentraten - AMBOSS-SOP
Ablauf der Massivtransfusion
Vorbereitung
- Anlage von Zugängen
- Anlage von mind. 2 großvolumigen peripheren Zugängen zur Transfusion (vorzugsweise 1 Zugang pro Arm)
- Transfusion über ZVK: Nur als Notlösung (dann separaten ZVK-Schenkel verwenden und sowohl vor als auch nach der Transfusion großzügig mit isotonischer Kochsalzlösung spülen)
- Anlage von mind. 2 großvolumigen peripheren Zugängen zur Transfusion (vorzugsweise 1 Zugang pro Arm)
- Patientenlagerung
- Patient sitzend oder liegend (ggf. Trendelenburg-Lagerung bei ZVK-Anlage)
- Möglichst bequeme und horizontale Lage der verwendeten Arme
- Notfalltransfusion bei unbekannter Blutgruppe: Vor Transfusion Entnahme von 40 mL Nativblut für nachträgliche Blutgruppenbestimmung/Verträglichkeitstest
- Serologische Verträglichkeitsprobe und Bedside-Test
- Kompatibilitätsanforderungen: Im Rahmen einer Massivtransfusion stehen initial oft keine AB0-gleichen Blutprodukte zur Verfügung; in diesen Fällen kann (bzw. muss) zunächst eine AB0-ungleiche Transfusion vorgenommen werden
- EK: Mind. major-kompatibel, Rhesus-negativ
- PK: Mind. minor-kompatibel
- TK: Mind. minor-kompatibel
- Sobald die Ergebnisse einer serologischen Verträglichkeitsprobe vorliegen, müssen die verabreichten Blutprodukte ggf. schnellstmöglich angepasst werden
- Kompatibilitätsanforderungen: Im Rahmen einer Massivtransfusion stehen initial oft keine AB0-gleichen Blutprodukte zur Verfügung; in diesen Fällen kann (bzw. muss) zunächst eine AB0-ungleiche Transfusion vorgenommen werden
- Erwärmung auf 37 °C
- Zur Erwärmung existieren speziell dafür vorgesehene Geräte; die Temperatur darf 42 °C nicht überschreiten
Durchführung
- Bei Notfalltransfusion und initial unbekannter Blutgruppe: Baldmöglich Umstellung auf blutgruppenkompatible Konzentrate
- Als Druckinfusion
- Substitution gerinnungsaktiver Faktoren: Bedarfsgerechte Gabe von Fibrinogen, PPSB und Tranexamsäure
Massivtransfusionsprotokoll bei Erwachsenen
Massivtransfusionsprotokoll (Erwachsene)
Vor Aktivierung des Massivtransfusionsprotokolls sind immer die Eingangskriterien zu überprüfen!
- Organisatorische und supportive Maßnahmen
- 4 EKs anfordern (Blutgruppe 0, Rhesus-negativ)
- Schlüssel zur MTP-Box anfordern
- Blutabnahmen
- Venös
- Blutgruppenbestimmung
- Bestimmung der initialen Thrombozytenkonzentration und der Gerinnungsparameter
- Arteriell: Arterielle Blutgasanalyse
- Venös
- Sicherung der Vitalparameter und der sonstigen Homöostase , auch im weiteren Verlauf
- Transfusion
- Initialtherapie: Gabe des 1. Packages
- 4 EKs (Blutgruppe 0, Rhesus-negativ)
- 4 PKs (Blutgruppe AB), rasch hintereinander (30–50 mL/min)
- Bei anhaltender Blutung: Gabe des 2. Packages
- 4 EKs + 4 PKs (AB0-kompatibel); zusätzlich Gabe von 1 TK erwägen
- Nach Gabe des 2. Packages
- Kontrolle des Ca2+-Spiegels
- Bei Ca2+ <0,7 mmol/L: Gabe von 10 mL 10%igem Calciumgluconat i.v. (langsam, über separaten Zugang)
- Bei anhaltender Blutung: Gabe des 3. Packages
- 1–2 TKs
- 4 EKs + 4 PKs (AB0-kompatibel)
- Bei anhaltender Blutung: Individualisierte Planung und Durchführung der weiteren Transfusion
- I.d.R. Gabe von EKs und PKs weiterhin je als 4+4-Package (AB0-kompatibel)
- Beachtung des klinischen Zustandes und (ggf. aktualisierter) Laborwerte (hämatologische Parameter, Ca2+)
- Möglichst zeitnahe Analyse der hämostatischen Parameter (per Rotationsthrombelastometrie) und ggf. entsprechende Therapie
- Bedarfsgerechte Gabe von TK, Tranexamsäure, Fibrinogenkonzentrat und ggf. PPSB
- Beachtung organisatorischer und logistischer Aspekte
- Rechtzeitige Anforderung der benötigten Blutprodukte
- Einberechnung von Auftau-, Vorbereitungs- und Lieferzeiten
- Dokumentation der eingeleiteten Maßnahmen
- Initialtherapie: Gabe des 1. Packages
- Verlaufsdiagnostik: Alle 30–60 min
- BGA
- Bestimmung von Ca2+, Hb, Thrombozytenzahl, INR, PTT und Fibrinogen
Therapie einer initial bestehenden Störung der Hämostase
Gabe von Antifibrinolytika
- Indikation
- Bei Hyperfibrinolyse
- Grenzwert (per Rotationsthrombelastometrie): MCF FIBTEM <8 mm
- Initial: Bolus-Gabe von Tranexamsäure 25 mg/kgKG
- Im Verlauf: Ggf. kontinuierliche Infusion von Tranexamsäure 1–5 mg/kgKG/h
Substitution von Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten
- Indikation
- Bei Verlust- und/oder Verdünnungskoagulopathie
- Grenzwert (per Rotationsthrombelastometrie): MCF INTEM <40 mm
- Initial: Gabe von Fibrinogenkonzentrat 50mg/kgKG i.v. und ggf. PPSB 25 IE/kgKG i.v.
- Ultima Ratio: „Thrombin-Burst“
- 90 μg/kgKG rekombinanter Faktor VIIa (rFVIIa)
- Off-Label Use (Ultima Ratio bei anderweitig nicht zu beherrschenden schweren Blutungen)!
- Substitution von Thrombozyten: TK-Gabe mit Zielwerten von ≥100.000/μL
Notfall-Schema bei unbekannter Blutgruppe
- Initial
- 4–6 EKs (Blutgruppe 0)
- 4–6 PKs (Blutgruppe AB)
- 3–4 g Fibrinogen
- Bei initialer Koagulopathie: zusätzlich 2 TKs
- Im Verlauf: Schnellstmöglich Blutgruppe bestimmen und Transfusionsprodukte ggf. entsprechend anpassen!
Komplikationen
Bei Massivtransfusionen ergeben sich zusätzliche, besondere Risiken und Problemstellungen (siehe: Massivtransfusionen - Spezielle Komplikationen).
Gefürchtet ist insb. die Kombination von Azidose, Hypothermie und Koagulopathie („lethal triad“). Um das entsprechende Risiko zu minimieren, sollten nach Möglichkeit keine EKs gegeben werden, die älter sind als ca. 2 Monate! Eine Ausnahme bilden Cryo-Konserven!
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.