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Blutgerinnung und hämorrhagische Diathesen

Letzte Aktualisierung: 6.2.2025

Zusammenfassungtoggle arrow icon

Hämorrhagische Diathesen entstehen aufgrund einer Störung der physiologischen Blutgerinnung und bezeichnen eine pathologisch gesteigerte Blutungsneigung. Um die Symptome und Befunde einem bestimmten Krankheitsbild zuordnen zu können, ist ein Grundverständnis der Pathophysiologie der Gerinnung sehr wichtig. Störungen der primären Blutstillung (Thrombozytenaggregation) müssen dabei von Störungen der sekundären Blutstillung (plasmatische Gerinnungskaskade) unterschieden werden. Störungen der primären Blutstillung können zu Schleimhautblutungen (bspw. verstärkte Menstruationsblutungen oder häufiges Nasenbluten), Petechien oder oberflächlichen Hämatomen führen und gehen in der Gerinnungsdiagnostik mit einer verlängerten Blutungszeit einher. Bei Störungen der sekundären Blutstillung kommt es eher zu ausgedehnten Blutungen, bspw. großflächigen Hämatomen oder Einblutungen in Muskeln oder Gelenke. In der Gerinnungsdiagnostik ist entweder mit einer Verlängerung der aPTT (intrinsisches System, z.B. bei Hämophilie) oder mit einer Erhöhung der INR (extrinsisches System, z.B. Cumarintherapie) zu rechnen. Bei kombinierten Störungen – wie dem Von-Willebrand-Syndrom – können die primäre und sekundäre Blutstillung gleichzeitig betroffen sein.

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Definitiontoggle arrow icon

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Physiologische Grundlagen der Hämostasetoggle arrow icon

Ablauf der Hämostase

Der Ablauf der Gerinnungskaskade ist nur im Beisein von Calcium-Ionen (Faktor IV) möglich!

Physiologische Inhibition der Gerinnungskaskade

Pathologien der Inhibitoren der Gerinnungskaskade führen zu einer verstärkten Gerinnungsneigung!

Für weitergehende Informationen zu Erkrankungen der Inhibitoren der Blutgerinnung siehe auch: Risikofaktoren der tiefen Beinvenenthrombose

Fibrinolyse

Blutgerinnung und Fibrinolyse laufen ständig parallel im Gefäßsystem ab. Durch das fibrinolytische System wird kontinuierlich Fibrin gespalten und abgebaut.

  • Physiologische Fibrinolyse
    1. Urokinase und tissue-type-plasminogen-activator (t-PA) spalten Plasminogen → Entstehung des aktiven Plasmins
    2. Plasmin spaltet Fibrin → Entstehung von D-Dimeren
  • Regulation: Bindung von t-PA an PA-Inhibitor (PA-I) vermindert die t-PA Aktivität und somit die Fibrinolyse

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Pharmakologische Beeinflussungtoggle arrow icon

Pharmakologische Beeinflussung der Hämostase

Pharmakologische Beeinflussung der Fibrinolyse

Medikamentös kann die Fibrinolyse durch Fibrinolytika verstärkt und durch Antifibrinolytika gehemmt werden. Fibrinolytika sind bspw. in der Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls von großer Bedeutung, während Antifibrinolytika u.a. bei schwerwiegenden Blutungen aufgrund einer Hyperfibrinolyse eingesetzt werden.

Fibrinolytika (therapeutisch eingesetzte Plasminogenaktivatoren)

Wirkstoffe

Herkunft Wirkmechanismus Indikationen Nebenwirkungen Kontraindikationen

Streptokinase

  • Aktivierung der Umwandlung von Plasminogen in Plasmin → Auflösung bestehender Thromben

Urokinase (u-PA = engl. für „urokinase-type plasminogen activator)

  • Aus menschlichem Urin gewonnenes Enzym

Alteplase (rt-PA = rekombinanter Gewebeplasminogenaktivator) [3]

  • Gentechnologisch hergestellter t-PA

Reteplase (r-PA)

Tenecteplase (TNK)

Es werden die wichtigsten Indikationen, Nebenwirkungen und Kontraindikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die häufigsten Komplikationen einer Fibrinolyse sind Blutungen verschiedenster Art, wobei intrakranielle Blutungen am gefürchtetsten sind. Die wichtigste therapeutische Maßnahme bei schwerwiegenden Blutungskomplikationen ist die sofortige Beendigung der Fibrinolytikagabe!

Antifibrinolytika

Wirkstoff Wirkmechanismus Indikationen Nebenwirkungen Kontraindikationen
Tranexamsäure [4]
  • Synthetischer Plasminogenaktivator-Inhibitor: Komplexbildung mit Plasminogen → Hemmung der Plasminogenaktivierung durch Plasminogenaktivatoren (bspw. t-PA) → Hemmung der Umwandlung von Plasminogen in Plasmin
    • Ggf. verzögerter Wirkeintritt

Es werden die wichtigsten Indikationen, Nebenwirkungen und Kontraindikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.

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Ätiologietoggle arrow icon

Störungen der primären Hämostase

Bei Störungen der primären Hämostase ist die Thrombozytenaggregation beeinträchtigt!

Störungen der sekundären Hämostase

Bei Störungen der sekundären Hämostase ist die plasmatische Gerinnung (Gerinnungskaskade) beeinträchtigt!

Störungen der Fibrinolyse

Kombinierte Gerinnungsstörungen

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Symptomatiktoggle arrow icon

Vergleich von Gerinnungsstörungen
Form Blutungszeitpunkt Blutungstyp
Störung der primären Hämostase Meist direkt nach der Verletzung
  • Thrombozytärer Blutungstyp [5]
    • Leitsymptom: Schleimhautblutungen, insb.
      • Verstärkte oder verlängerte Menstruationsblutungen
      • Häufiges Nasenbluten
    • Neigung zu oberflächlichen Hämatomen
    • Petechiale Blutungen
    • Starke Blutungen bei Verletzungen, Entbindungen oder invasiven Eingriffen
Störung der sekundären Hämostase Meist etwas verzögert (Minuten bis Stunden nach der Verletzung)
  • Plasmatischer Blutungstyp: Großflächige Blutungen, insb.
Kombinierte Gerinnungsstörung Unterschiedlich

Schleimhautblutungen und Petechien sprechen für eine Störung der primären Hämostase, großflächige Blutungen für eine Störung der sekundären Hämostase!

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Diagnostiktoggle arrow icon

Gerinnungslabor

Die verschiedenen laborchemischen Untersuchungen erfassen jeweils Abschnitte des komplexen Gerinnungssystems. Zusammengenommen geben sie meist Aufschluss über den Ort einer Störung.

Diagnostik von Störungen der primären Blutstillung

  • Thrombozytenzahl
  • Blutungszeit
    • Maß für die Dauer zwischen Lanzettenstich und Stillstand der Blutung
    • Erfasst quantitative und qualitative Pathologien der Thrombozyten
    • Norm: Je nach Testverfahren 2–5 min

Diagnostik von Störungen der sekundären Blutstillung

Laborparameter zur Diagnostik von Störungen der sekundären Blutstillung
Parameter Referenzbereich Beschreibung Beurteilung Klinische Relevanz

Thromboplastinzeit (TPZ, Prothrombinzeit)

  • 10–13 s [6]
  • Dauer von Aktivierung des extrinsischen Systems durch Thromboplastin und Calcium bis zur Bildung von Fibrinpolymeren
  • Extrinsisches System und gemeinsame Endstrecke
  • Keine

Quick-Wert

  • 70–130%

International Normalized Ratio (INR)

  • 0,85–1,15
  • International standardisierter Umrechnungswert für den Quick-Wert bzw. die Thromboplastinzeit
    • Standardisierung mittels Normalplasma und dem sog. International Sensitivity Index (ISI) für Thromboplastinreagenzien
(aktivierte) partielle Thromboplastinzeit (aPTT, PTT)
  • 26–36 s
  • Dauer von Aktivierung des intrinsischen Systems durch Zugabe von Phospholipiden bis zur Bildung von Fibrinpolymeren
  • Intrinsisches System und gemeinsame Endstrecke

(Plasma‑)Thrombinzeit (PTZ, TZ)

  • 17–24 s
  • Dauer ab Zugabe von Thrombin bis zur Entstehung von Fibrinpolymeren
  • Nur terminale Endstrecke
  • Test auf Fibrinogenmangel
  • Überwachung einer Heparintherapie
  • Überwachung einer Fibrinolysetherapie
Reptilasezeit (Batroxobinzeit)
  • 18–22 s [7]
  • Dauer ab Zugabe von Reptilase bis zur Entstehung von Fibrin
  • Test auf Fibrinogenmangel

Differenzialdiagnosen

Differenzialdiagnosen von Gerinnungsstörungen in Abhängigkeit von der Lokalisation
Lokalisation der Störung Vorkommen bei

Thrombo-

zyten

Blutungs-

zeit

INR Quick aPTT
Störungen der primären Hämostase = = =
↓/ = = = =

Störungen der sekundären Hämostase

= = =
= = = =
Störungen der Fibrinolyse =
Kombinierte Gerinnungsstörungen = = = =/↑
  • Manifeste DIC

Weitere Diagnostik

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Therapietoggle arrow icon

Die Therapie richtet sich nach der jeweiligen Primärerkrankung!

Störungen der primären Hämostase

Störungen der sekundären Hämostase

Störungen der Fibrinolyse

Kombinierte Gerinnungsstörungen

Von-Willebrand-Syndrom

Verbrauchskoagulopathie

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AMBOSS-Pflegewissen: Pflege und Beratung bei Blutungsneigungtoggle arrow icon

  • Verzicht auf Tätigkeiten oder Sportarten mit erhöhtem Verletzungsrisiko: Insb. Kampfsportarten sowie weitere Sportarten mit hoher Belastung und hohen Geschwindigkeiten, potenziell gefährliche Arbeiten in Haus und Garten (bspw. in der Höhe, auf Leitern)
  • Sturzprophylaxe: Entfernen von Stolperfallen und Gegenständen mit erhöhtem Verletzungsrisiko
  • Nagelpflege: Durch geschultes Personal
  • Atraumatische Zahnpflege: Weiche Zahnbürsten verwenden, ggf. Schwammzahnbürsten, Mundduschen und Mundspülungen mit nicht-alkoholischen Lösungen, keine Zahnseide, Zahnfleisch nicht mitputzen
  • Nasen-, Mund- und Lippenpflege: Insb. bei trockener Haut
  • Rasur: Trocken- statt Nassrasur
  • Ernährung: Sehr harte und scharfkantige Nahrungsmittel vermeiden
  • Obstipationsprophylaxe: Auf weichen Stuhlgang achten
  • Auf Blutungen achten: Insb. an Haut und Schleimhäuten sowie in den Ausscheidungen
  • Temperaturmessung: Nicht rektal
  • Keine Klysmen, Suppositorien oder Einläufe
  • Keine i.m. Injektionen: Ggf. auch keine s.c. Injektionen
  • Bei akuten Blutungen: Engmaschige Blutdruck- und Pulskontrolle
    • Genaue Beobachtung der Blutung und Ausscheidungen auf Blut kontrollieren
  • Lokale Maßnahmen zur Blutstillung: Ggf. Druckverband
    • Ruhigstellung der betroffenen Extremität
    • Extremität höher positionieren
    • Kälteanwendungen
    • Tamponaden

Spezielle Beratungshinweise

  • Keine Einnahme von Medikamenten, die die Blutgerinnung weiter einschränken
  • Einnahme weiterer Medikamente ärztlich abklären lassen, um Wechselwirkungen zu vermeiden
  • Antikoagulanz-Ausweis immer mitführen
  • Hinweis auf gerinnungshemmende Medikation an alle behandelnden Ärzt:innen
  • Regelmäßige Gesundheitschecks und Blutkontrollen wahrnehmen
  • Ggf. Unterdrückung der Menstruation durch die Pille, Verhütung beim Geschlechtsverkehr
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Meditrickstoggle arrow icon

In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.

Primäre Hämostase

Sekundäre Hämostase

Hemmung der Blutgerinnung und Fibrinolyse

Inhaltliches Feedback zu den Meditricks-Videos bitte über den zugehörigen Feedback-Button einreichen (dieser erscheint beim Öffnen der Meditricks).

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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025toggle arrow icon

D68.-: Sonstige Koagulopathien

D69.-: Purpura und sonstige hämorrhagische Diathesen

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.

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