Zusammenfassung
Bei einem Ventrikelseptumdefekt (VSD) besteht eine Verbindung zwischen dem linken und rechten Ventrikel. Als häufigster angeborener Herzfehler kann der VSD entweder isoliert oder in Kombination mit weiteren (extra‑)kardialen Fehlbildungen auftreten. Durch die intraventrikuläre Verbindung kommt es nach dem physiologischen Absinken des pulmonalen Widerstands in den ersten Lebenswochen zu einem Links-rechts-Shunt, der i.d.R. als Holosystolikum auskultierbar ist. Weitere Symptome bestehen initial selten.
Abhängig von der Defektgröße und den Druckverhältnissen entsteht ein vermehrter pulmonaler Blutfluss mit Volumenbelastung des linken Herzens. Bei großen Defekten kommt es im Verlauf zum Druckangleich zwischen beiden Ventrikeln und einer flussbedingten pulmonalen Hypertonie, woraus langfristig ein fibröser Umbau der kleineren Lungengefäße und eine Druckbelastung des rechten Ventrikels resultieren. Als Komplikation kann es im Rahmen der Eisenmenger-Reaktion zu einer Shuntumkehr mit Zyanose kommen. Nach echokardiografischer Sicherung der Diagnose erfolgt bei größeren, hämodynamisch relevanten Defekten i.d.R. ein operativer Patch-Verschluss. Kleine Defekte verschließen sich dagegen häufig spontan.
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Dieses Kapitel ist im Rahmen unserer Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler e.V. (DGPK) unter Mit-Autorenschaft von Prof. Dr. med. Robert Dalla Pozza entstanden.
Definition
- Defekt des interventrikulären Septums mit resultierendem Shunt zwischen den Ventrikeln
Epidemiologie
- Prävalenz (isolierter VSD ) [1]
- Häufigster angeborener Herzfehler (49%)
- Ca. 5/1.000 Lebendgeburten
- Geschlecht: ♀ > ♂ (Verhältnis 1,3:1)
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Klassifikation
- Einteilung nach Auftreten
- Isolierter VSD
- In Kombination mit
- Weiteren kardialen Fehlbildungen (ca. 20%)
- Assoziierten Syndromen (<5%) [2][3]
- Einteilung nach anatomischer Lokalisation [2]
- Perimembranöser VSD (Syn.: subaortaler VSD, ca. 80%)
- Outlet-VSD (ca. 5–7%)
- Inlet-VSD (ca. 5–8%)
- Muskulärer VSD (ca. 5–20%)
- Einteilung nach Defektgröße und hämodynamischen Auswirkungen [2]
- Restriktiver VSD: Kein Druckangleich zwischen den Ventrikeln
- Kleiner VSD: Defekt <50% des Aortenwurzeldurchmessers
- Nicht-restriktiver VSD (druckangleichender VSD) [4]
- Mittelgroßer VSD: Defekt 50–100% des Aortenwurzeldurchmessers
- Großer VSD: Defekt >100% des Aortenwurzeldurchmessers
- Restriktiver VSD: Kein Druckangleich zwischen den Ventrikeln
- Einteilung nach Ätiologie [2]
- Primär: Angeborener Herzfehler
- Sekundär: Bspw. nach Trauma, Myokardinfarkt (sehr selten)
Pathophysiologie
- Links-rechts-Shunt auf Ventrikelebene
- Ausprägung: Shuntvolumen abhängig von Defektgröße und Druckverhältnissen
- Akutfolgen: Blutfluss in den Pulmonalgefäßen↑ → Volumenbelastung des Lungenkreislaufs, linken Vorhofs und Ventrikels → Dilatation des linken Ventrikels
- Spätfolgen: Pulmonale Hypertonie → Kontraktion und fibröser Umbau der kleineren Lungengefäße → Irreversibel erhöhter Lungengefäßwiderstand → Druckbelastung des rechten Ventrikels
- Endstadium: Ggf. Eisenmenger-Reaktion (Shuntumkehr mit Rechts-links-Shunt und Zyanose)
Symptomatik
- Kleiner VSD
- I.d.R. asymptomatisch
- Häufig Zufallsbefund aufgrund auffälliger Herzauskultation (siehe: VSD - Diagnostik)
- Mittelgroßer/großer VSD
- Ggf. Symptome einer chronischen Herzinsuffizienz im Kindesalter
- Ggf. Zyanose bei Rechts-links-Shunt
- Auskultationsbefunde siehe: VSD - Diagnostik
Diagnostik
Körperliche Untersuchung
- Herzauskultation
- Kleiner VSD: Lautes Holosystolikum mit p.m. über dem Erb-Punkt (3./4. ICR links parasternal)
- Mittelgroßer/großer VSD
- Postnatal: I.d.R. unauffälliger Befund
- In den ersten Lebenstagen
- Pressstrahlgeräusch: 2/6–4/6 Holosystolikum mit p.m. über dem Erb-Punkt (3./4. ICR links parasternal)
- Ggf. funktionelles Mitralstenosegeräusch
- Im Verlauf (nicht-restriktiver VSD)
- Holosystolikum leiser werdend
- Ggf. gespaltener 2. Herzton
- Palpation: Ggf. systolisches Schwirren am linken Sternumrand
Ein kleiner VSD verursacht zwar ein lautes Herzgeräusch, ist jedoch i.d.R. hämodynamisch nicht relevant und daher asymptomatisch („Viel Lärm um nichts“)! [1]][2]
Bei großen, druckangleichenden Defekten und/oder bestehender pulmonaler Hypertonie lässt sich i.d.R. kein typisches Herzgeräusch auskultieren!
Apparative Diagnostik
- Pulsoxymetrie: Meist unauffällig
- Echokardiografie: Mittel der 1. Wahl zur Diagnosesicherung und Quantifizierung des VSD
- Durchführung: TTE, ab Adoleszenz ggf. TEE
- Fragestellungen
- Größe: Defekt und Defektränder
- Lokalisation: Lagebeziehung zu benachbarten Strukturen
- Hämodynamische Auswirkungen
- Shuntvolumen/-richtung
- Rechtsventrikulärer systolischer Druck
- Mittlerer transventrikulärer Druckgradient
- Erhöhung des pulmonalen Blutflusses / Lungengefäßwiderstands
- Volumen des linken Ventrikels bzw. Atriums
- Biventrikuläre Pumpfunktion
- Ausschluss begleitender Fehlbildungen
- EKG: Basisdiagnostik
- Kleiner VSD: Unauffälliges EKG
- Mittelgroßes Shuntvolumen: Linksventrikuläre Dilatation
- Großer, nicht-restriktiver VSD: Biventrikuläre Hypertrophie
- Eisenmenger-Reaktion: Rechtsventrikuläre Hypertrophie
- Herzkatheteruntersuchung: Im Regelfall nicht indiziert
- Diagnostisch: Bei V.a. fixierte pulmonal-arterielle Hypertonie
- Therapeutisch: Zum interventionellen VSD-Verschluss
- Kardio-MRT: Selten indiziert
- Röntgen-Thorax: Im Regelfall nicht indiziert
- Präoperativ: Zur Beurteilung von Herzgröße (Kardiomegalie) und Lungengefäßzeichnung (vermehrt)
- Postoperativ: Ggf. zur Verlaufsbeobachtung
Differenzialdiagnosen
- Siehe auch: Differenzialdiagnosen bei V.a. azyanotische Herzfehler
- Pulmonale Hypertonie (anderer Genese)
- AVSD
- Double Outlet right Ventricle (DORV) [5]
- Double-chambered right Ventricle (selten)
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Beobachtung des Spontanverlaufs
-
Kleiner VSD: Hohe Spontanverschlussraten [2]
- Perimembranös: ≤50% im Alter ≤2 Jahre
- Muskulär: 80–90% im Alter ≤2 Jahre
- Mittelgroßer/großer VSD: Spontanverschluss möglich (aber selten) [4]
VSD-Verschluss [1]
- Indikationen
- Kleiner VSD: Aortenklappeninsuffizienz (selten)
- Mittelgroßer VSD: (Persistierende) Volumenbelastung des linken Herzens mit
- Fehlender Verkleinerungstendenz
- Zeichen einer Herzinsuffizienz
- Großer VSD
- Pulmonale Hypertonie
- Volumenbelastung des linken Herzens
- Hämodynamisch relevanter Links-rechts-Shunt ohne Verkleinerungstendenz
- Unabhängig von Defektgröße: Nach Endokarditis
- Kontraindikation: Fixierte pulmonal-arterielle Hypertonie
- Zeitpunkt
- Mittelgroßer VSD: I.d.R. ≥1. Lebensjahr
- Großer VSD: Insb. bei pulmonaler Hypertonie <6 Lebensmonaten
- Methoden
- Chirurgisch: Operativer Verschluss mit einem Patch (Standardmethode) [2]
- Interventionell: Verschluss, z.B. mit selbstexpandierenden Schirmchen oder Coils
- Hybridverfahren: Platzierung eines Okkluders über einen operativen Zugang
- Komplikationen (selten) [2]
- Herzrhythmus-/Erregungsleitungsstörungen (AV-Block III° , Rechtsschenkelblock)
- Trikuspidalinsuffizienz
- Restdefekt [1]
- Obstruktion des rechtsventrikulären Ausflusstraktes
- Zusätzlich nach interventionellem Verschluss: Thrombose am Verschlusssystem oder Hämolyse [1]
Komplikationen
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Nachsorge
- Endokarditisprophylaxe [6]
- Nach Implantation von Fremdmaterial: Für 6 Monate
- Bei Restdefekt: Dauerhaft
- Kardiologische Kontrollen: Lebenslang notwendig [1][2]
- Körperliche Aktivität [1][2]
- Nach komplikationslosem VSD-Verschluss normale Belastbarkeit
- Bei Restshunt: Anwendung von Atemschutzgeräten und Gerätetauchen kontraindiziert
Auch initial kleine VSDs können im Langzeitverlauf zu Komplikationen führen und erfordern daher lebenslange Kontrollen!
Prognose
- Hämodynamisch nicht-relevanter VSD : Gute Langzeitprognose
- Hämodynamisch relevanter VSD
- Untherapiert : Eingeschränkte Lebenserwartung
- Nach adäquater Therapie: I.d.R. normale Lebenserwartung
Besondere Patientengruppen
- Schwangere [7]
- Hämodynamisch nicht-relevanter VSD : Keine Besonderheiten
- Hämodynamisch relevanter VSD: Engmaschige Betreuung durch EMAH-zertifiziertes ärztliches Personal
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
Q21.-: Angeborene Fehlbildungen der Herzsepten
- Exklusive: Erworbener Herzseptumdefekt (I51.0)
- Q21.0: Ventrikelseptumdefekt
- Q21.1: Vorhofseptumdefekt
- Offen oder persistierend:
- Ostium-secundum-Defekt (ASD II)
- Sinus-coronarius-Defekt
- Sinus-venosus-Defekt
- Q21.2: Defekt des Vorhof- und Kammerseptums
- Canalis atrioventricularis communis
- Endokardkissendefekt
- Ostium-primum-Defekt (ASD I)
- Q21.3: Fallot-Tetralogie
- Ventrikelseptumdefekt mit Pulmonalstenose oder -atresie, Dextroposition der Aorta und Hypertrophie des rechten Ventrikels
- Q21.4: Aortopulmonaler Septumdefekt
- Aortopulmonales Fenster
- Defekt des Septum aorticopulmonale
- Q21.8-: Sonstige angeborene Fehlbildungen der Herzsepten
- Q21.9: Angeborene Fehlbildung des Herzseptums, nicht näher bezeichnet
- (Herz‑) Septumdefekt o.n.A.
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.