Zusammenfassung
Alle Anämieformen, bei denen es zu einer Zerstörung oder einem verfrühten Abbau von Erythrozyten kommt, werden als hämolytische Anämien bezeichnet. Dabei muss zwischen den korpuskulären und den extrakorpuskulären hämolytischen Anämien unterschieden werden.
Bei den korpuskulären hämolytischen Anämien führen veränderte Hämoglobinmoleküle, Membran- oder Enzymdefekte zu einem verfrühten Erythrozytenabbau und in hämolytischen Krisen zu einer Zerstörung der Erythrozyten.
Bei den extrakorpuskulären hämolytischen Anämien bewirken Mikroangiopathien, mechanische Schädigungen, Infektionen oder gegen Erythrozyten gerichtete Antikörper, die mit verschiedenen Krankheitsbildern assoziiert sein können, eine Hämolyse. Die Antikörper-vermittelten Hämolysen können mithilfe des Coombs-Tests nachgewiesen werden. Klinisch finden sich neben einer Anämiesymptomatik häufig ein Ikterus und eine Splenomegalie. Einige Formen verlaufen krisenhaft.
Korpuskuläre hämolytische Anämien
Membrandefekte der Erythrozyten
- Hereditäre Sphärozytose: Genetisch bedingter Defekt der Erythrozytenmembran mit Beeinträchtigung der Membranstabilität
- Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH)
- Kurzbeschreibung: Monoklonale Störung der hämatopoetischen Stammzellen aller Zellreihen mit Beeinträchtigung der Membranstabilität
- Ätiologie: Seltene erworbene Mutation auf dem X-Chromosom → Veränderter GPI-Anker → Weniger oder fehlende Oberflächenproteine → Vorzeitige Komplement-vermittelte Hämolyse der Erythrozyten
- Klinik: Die Klinik tritt bei ca. 30% der Patienten nachts und plötzlich auf; dieser Umstand war namensgebend für die Störung
- Hämolytische Krisen, ggf. mit braunem Urin
- Thromboembolien
- Vasokonstriktion: Kopfschmerzen, Hypertonie
- Panzytopenie: Infekte, Blutungen, Anämie
- Diagnostik
- Hämolysezeichen
- Coombs-Test: Negativ
- Durchflusszytometrie: Nachweis der gestörten Expression des GPI-Ankers
- Polychromasie
- Therapie
- Komplikationen
- Übergang in ein Myelodysplastisches Syndrom oder in eine aplastische Anämie
- Komplikationen der Vasokonstriktion und der Thrombembolien (Niereninsuffizienz, Infarkte, etc.)
Enzymdefekt der Erythrozyten
- Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel: X-chromosomal vererbter Defekt mit Prädisposition einer Schädigung der Erythrozytenmembran durch reaktive Sauerstoffspezies
- Pyruvatkinasemangel
- Kurzbeschreibung: Autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung mit einer Störung der Pyruvatkinaseaktivität der Erythrozyten, die zu einer chronischen hämolytischen Anämie führt
- Epidemiologie: Prävalenz 1–9/100.000
- Klinik: Im Gegensatz zum G6PD-Mangel zeigt sich bei der Mehrzahl der Patienten mit Pyruvatkinasemangel eine klinisch manifeste hämolytische Anämie mit typischen Symptomen
- Splenomegalie
- Ikterus
- Blässe
- Diagnose
- Hämolysezeichen
- Messung der Enzymaktivität
- Nachweis der PKLR-Genmutation
- Polychromasie
- Therapie
Störungen der Hämoglobine
- Hämoglobinopathien: Qualitative Störung der Globinketten-Synthese
- Thalassämien: Quantitative Störung der Globinketten-Synthese
Extrakorpuskuläre hämolytische Anämien
Alloimmunhämolytische (isoimmunhämolytische) Anämien
Autoimmunhämolytische Anämie
- Medikamenteninduzierte Antikörper: Bspw. durch NSAR, Penicillin oder α-Methyldopa
- Kälteantikörper (Kälteagglutinin-Syndrom)
- Definition: Kälteantikörper binden bei niedrigen Temperaturen an der Erythrozytenoberfläche und bewirken eine Hämolyse
- Ätiologie: Meist Antikörper vom IgM-Typ, die eine sowohl intra- als auch extravaskulär verlaufende Hämolyse verursachen
- Idiopathisch
- Sekundär
- Nach Mykoplasmen- oder EBV-Infektion
- Im Rahmen eines malignen Geschehens (z.B. Non-Hodgkin-Lymphome)
- Klinik: Kälte-induzierte Akrozyanose im Rahmen eines sekundären Raynaud-Syndroms
- Diagnostik
- Direkter Coombs-Test: Positiv
- Hämolysezeichen
- BSG bei Raumtemperatur massiv erhöht, bei Körpertemperatur normal
- Erythrozytenaggregate, Sphärozyten, Polychromasie
- Kälte-induzierte Hämoglobinurie
- Evtl. Nachweis einer Infektion (EBV, Mykoplasmen)
- Prognose: Eine Spontanremission innerhalb weniger Wochen ist üblich
- Therapie
- Bei ausgeprägter Anämie: Erythrozytenkonzentrate
- Spezifische Therapie
- Vermeidung von Kälteexposition
- Ggf. Immunsuppressiva oder Chemotherapeutika: 1. Wahl Rituximab, bei fehlender Wirkung bspw. Cyclophosphamid oder Fludarabin
- Ggf. Plasmapherese
- Ggf. Eculizumab
- Wärmeantikörper
- Definition: Wärmeantikörper binden bei Körpertemperatur (Temperaturoptimum: 37°C) an der Erythrozytenoberfläche und bewirken eine Hämolyse
- Ätiologie: Meist Antikörper vom IgG-Typ, die zu einer extravasalen Hämolyse durch das retikuloendotheliale System in Milz und Leber führen
- Idiopathisch
- Sekundär: Infolge eines malignen Lymphoms, eines systemischen Lupus erythematodes oder einer Medikamentenreaktion
- Diagnostik
- Direkter Coombs-Test: Positiv
- Hämolysezeichen
- BSG erhöht
- Polychromasie
- Therapie
- Bei ausgeprägter Anämie: Erythrozytenkonzentrate
- Spezifische Therapie
- 1. Wahl: Prednisolon
- Immunsuppressiva, z.B. Rituximab, Azathioprin, Mycophenolatmofetil oder Cyclophosphamid
- Ultima Ratio: Splenektomie, Stammzelltransplantation, i.v. Immunglobuline
Mikroangiopathische hämolytische Anämien
Evans-Syndrom
- Gleichzeitiges Vorliegen einer autoimmunhämolytischen Anämie und einer Immunthrombozytopenie
Mechanische Schädigung
- Herzklappenersatz
- Extrakorporale Hämodynamik (z.B. bei Dialyse)
Infektiös bedingte Hämolyse
Diagnostik
Hämolysezeichen
- Haptoglobin↓: Es wird nur das freie ungebundene Haptoglobin gemessen; dieser empfindliche Parameter ist bei Hämolyse erniedrigt, weil Haptoglobin frei gewordenes Hämoglobin bindet
- Die Erniedrigung tritt i.d.R. nur bei intravasaler Hämolyse auf!
- Erkrankungen, bei denen die Anämie auf einem Abbau der Erythrozyten in der Milz beruht (extravasale Hämolyse), gehen nur bei hämolytischen Krisen mit einer Erniedrigung des Haptoglobins einher
- Extravasale Hämolyse: Überwiegend immunhämolytische Anämien, einige korpuskuläre Anämien
- Intravasale Hämolyse: Mikroangiopathische hämolytische Anämien, einige korpuskuläre Anämien
- CAVE! Erhöhte bzw. "falsch-normale" Haptoglobinwerte bei Vorliegen einer Entzündungsreaktion
- LDH↑: Unspezifischer Parameter, der einen erhöhten Zelluntergang (wie z.B. bei der Hämolyse) widerspiegelt
- Indirektes Bilirubin↑: Das bei der Hämolyse frei werdende Hämoglobin wird zu (indirektem) Bilirubin abgebaut, welches in der Leber (zu direktem Bilirubin) konjugiert werden muss
- Durch die erhöhten Spiegel kann es zum hämolytischen Ikterus kommen
- Urobilinogenurie
- Retikulozyten↑: Unreife Erythrozyten, die aufgrund einer kompensatorischen Erythropoese reaktiv vermehrt im Blut zu finden sind
- Ggf. freies Hämoglobin↑
- Brauner Urin aufgrund einer Hämoglobinurie
Coombs-Test
Der Coombs-Test dient bei extrakorpuskulären Anämien dem Nachweis von Antikörpern (IgG und IgM) und/oder Komplementfaktoren gegen Erythrozyten. Dabei werden Antikörper gegen Humanglobuline und/oder Komplement genutzt (Coombs-Serum).
- Durchführung
- Direkter Coombs-Test: Nachweis von an Erythrozyten gebundenen Antikörpern und/oder Komplementfaktoren
- Dem Patienten wird eine Blutprobe entnommen; diese wird gereinigt, so dass nur noch die ggf. mit Antikörpern und/oder Komplement beladenen Erythrozyten vorhanden sind
- Dieser Blutprobe wird Coombs-Serum hinzugefügt, das Antikörper gegen Humanglobuline und/oder Komplementfaktoren beinhaltet
- Kommt es zur Agglutination der Erythrozyten, gilt der Test als positiv
- Indirekter Coombs-Test: Nachweis von frei zirkulierenden Antikörpern und/oder Komplementfaktoren gegen Erythrozyten
- Dem Patienten wird eine Serumprobe entnommen, die seine Antikörper und/oder Komplementfaktoren enthält
- Serumprobe des Patienten wird zu einer Spenderblutprobe mit Erythrozyten gegeben
- Antikörper aus der Serumprobe binden an die Oberfläche der Spendererythrozyten
- Zu der Blutprobe wird Coombs-Serum gegeben, das Antikörper gegen Humanglobuline und/oder Komplementfaktoren beinhaltet
- Kommt es zur Agglutination der Erythrozyten, gilt der Test als positiv
- Direkter Coombs-Test: Nachweis von an Erythrozyten gebundenen Antikörpern und/oder Komplementfaktoren
Allgemeine Komplikationen chronisch hämolytischer Anämien
- Hämolytische Krise
- Aplastische Krise
- Megaloblastäre Krise
- Eisenüberladung
- Gallensteine
Meditricks
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Hämolytische Anämie
Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH)
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- D55.-: Anämie durch Enzymdefekte
- Exklusive: Arzneimittelinduzierte Enzymmangelanämie (D59.2)
- D55.0: Anämie durch Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase[G6PD]-Mangel
- D55.1: Anämie durch sonstige Störungen des Glutathionstoffwechsels
-
Anämie (durch):
- Enzymmangel mit Bezug zum Hexosemonophosphat[HMP]-Shunt, ausgenommen G6PD-Mangel
- Hämolytisch, nicht-sphärozytär (hereditär), Typ I
-
Anämie (durch):
- D55.2: Anämie durch Störungen glykolytischer Enzyme
-
Anämie (durch):
- Hämolytisch, nicht-sphärozytär (hereditär), Typ II
- Hexokinasemangel
- Pyruvatkinase[PK]-Mangel
- Triosephosphat-Isomerase-Mangel
-
Anämie (durch):
- D55.3: Anämie durch Störungen des Nukleotidstoffwechsels
- D55.8: Sonstige Anämien durch Enzymdefekte
- D55.9: Anämie durch Enzymdefekte, nicht näher bezeichnet
- D58.-: Sonstige hereditäre hämolytische Anämien
- D58.2: Sonstige Hämoglobinopathien
- Anomales Hämoglobin o.n.A.
- Hämoglobinopathie o.n.A.
- Hämolytische Anämie durch instabile Hämoglobine
- Krankheit:
- Kongenitale Heinz-Körper-Anämie
- Exklusive: Familiäre Polyglobulie [Polyzythämie] (D75.0), Hb-M-Krankheit (D74.0), Hereditäre Persistenz fetalen Hämoglobins [HPFH] (D56.4), Höhenpolyglobulie (D75.1), Methämoglobinämie (D74.‑)
- D58.8: Sonstige näher bezeichnete hereditäre hämolytische Anämien
- D58.9: Hereditäre hämolytische Anämie, nicht näher bezeichnet
- D58.2: Sonstige Hämoglobinopathien
- D59.-: Erworbene hämolytische Anämien
- D59.0: Arzneimittelinduzierte autoimmunhämolytische Anämie
- D59.1: Sonstige autoimmunhämolytische Anämien
- Autoimmunhämolytische Krankheit (Kälteautoantikörper-Typ) (Wärmeautoantikörper-Typ)
- Chronische Kälteagglutininkrankheit
- Hämolytische Anämie:
- Kälteautoantikörper-Typ (sekundär) (symptomatisch)
- Wärmeautoantikörper-Typ (sekundär) (symptomatisch)
-
Kälteagglutinin-:
- Hämoglobinurie
- Krankheit
- Exklusive: Evans-Syndrom (D69.3), Hämolytische Krankheit beim Fetus und Neugeborenen (P55.‑), Paroxysmale Kältehämoglobinurie (D59.6)
- D59.2: Arzneimittelinduzierte nicht-autoimmunhämolytische Anämie
- Arzneimittelinduzierte Enzymmangelanämie
- D59.3: Hämolytisch-urämisches Syndrom
- D59.4: Sonstige nicht-autoimmunhämolytische Anämien
- Hämolytische Anämie:
- mechanisch
- mikroangiopathisch
- toxisch
- Hämolytische Anämie:
- D59.5: Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie [Marchiafava-Micheli]
- Exklusive: Hämoglobinurie o.n.A. (R82.3)
- D59.6: Hämoglobinurie durch Hämolyse infolge sonstiger äußerer Ursachen
-
Hämoglobinurie:
- Belastungs-
- Marsch-
- paroxysmale Kälte-
- Exklusive: Hämoglobinurie o.n.A. (R82.3)
-
Hämoglobinurie:
- D59.8: Sonstige erworbene hämolytische Anämien
- D59.9: Erworbene hämolytische Anämie, nicht näher bezeichnet
- Idiopathische hämolytische Anämie, chronisch
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.