Zusammenfassung
Mangelernährung ist ein Zustand, der entsteht, wenn über einen längeren Zeitraum hinweg nicht ausreichend Energie, Flüssigkeit und lebenswichtige Nährstoffe aufgenommen werden, um den Bedarf des Körpers zu decken. Dies führt zu negativen Auswirkungen auf den Ernährungs- und Gesundheitszustand sowie auf die physiologischen Funktionen. I.d.R. ist eine orale Ernährung der künstlichen Ernährung vorzuziehen. Ist eine orale Ernährung jedoch nicht (ausreichend) möglich, sollte nach ärztlicher Anordnung eine (ergänzende oder vollständige) enterale oder parenterale Ernährung durchgeführt werden.
Bei Patient:innen, die Nahrung ganz oder teilweise ablehnen, können ethische Fragen entstehen, etwa zur Einleitung oder Beendigung einer künstlichen Ernährung. Diese sollten ggf. in einer ethischen Fallbesprechung mit Fokus auf den (mutmaßlichen) Patientenwillen erörtert werden.
Dieses Kapitel orientiert sich am aktuellen Expertenstandard „Ernährungsmanagement zur Sicherung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege“ des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) und bezieht sich ausschließlich auf erwachsene Patient:innen.
- Zu pflegerischen Maßnahmen bei künstlicher Ernährung siehe: AMBOSS-Pflegewissen: Gastrointestinale Sonden
- Zu Komplikationen bei Mangelernährung siehe auch:
- Zu pflegerischen Maßnahmen bei Demenz siehe: AMBOSS-Pflegewissen: Demenz
Screening
Assessments
- Keine explizite Empfehlung von Assessments möglich
- Beispiele möglicher Assessments
- Im Krankenhaus
- Bei geriatrischen Patient:innen: Mini Nutritional Assessment (MNA)
- Insb. im ambulanten Setting: Malnutrition Universal Screening Tool (MUST)
- In der stationären Langzeitpflege: Pflegerische Erfassung von Mangelernährung und deren Ursachen (PEMU)
Ersteinschätzung
- Bei pflegerischer Aufnahme
- Immer kurze Ersteinschätzung des Ernährungszustands und entsprechende Dokumentation durchführen
- Bei V.a. Mangelernährung: Intensivierte Einschätzung durchführen, mögliche Ursachen erkennen
- Keine Auffälligkeiten bei Ersteinschätzung: Erneute Beurteilung
- In regelmäßigen hausinternen Abständen (mind. alle 3 Monate)
- Bei Verschlechterung des Zustands mit möglichen Auswirkungen auf die Ernährung
Aspekte zur Ersteinschätzung des Ernährungszustands | |
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Hinweise auf eine unzureichende Nahrungs- oder Flüssigkeitszufuhr |
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Ungewöhnlich niedrige Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme |
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Hinweise auf einen gesteigerten Energie-, Nährstoff- und Flüssigkeitsverbrauch |
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Intensivierte Einschätzung
- In Langzeiteinrichtungen: Regelmäßig nach hausinternen Standards
- Durchführung
- Ess- und Trinkprotokolle für max. 3–5 d
- Ursachen abklären, Ressourcen der Betroffenen erkennen
- Bei Auffälligkeiten
- Ärztliches Personal informieren und weiteres Vorgehen festlegen
- Übliche pflegerische Maßnahmen weiter durchführen
- Bei Unsicherheiten bzgl. ausreichender Nährstoffversorgung: Ernährungsberatung hinzuziehen
Nicht jedes auffällige Screening bedeutet zwingend, dass eine Mangelernährung vorliegt!
Bei V.a. Nährstoffmangel, Dysphagie oder abklärungsbedürftige Ursachen sollten qualifizierte Personen hinzugezogen werden, bspw. (zahn‑)ärztliches Personal, Ernährungsberater:innen oder Logopäd:innen!
Risikofaktoren und Ursachen
- Körperliche Faktoren, bspw.
- Erkrankungen, bspw.
- Demenz
- Psychische Erkrankungen, insb. Anorexia nervosa
- Erkrankungen des Mundraums bzw. des Kauapparats, schlechter Zahnstatus
- Gastrointestinale Erkrankungen
- Onkologische Erkrankungen
- Akute und chronische Erkrankungen (und deren Symptome), die mit einem erhöhten Energie-, Nährstoff- und Flüssigkeitsverbrauch einhergehen
- Umgebungsfaktoren, bspw.
- Fehlende Unterstützung
- Störungen während des Essens
- Lebensumstände
- Soziale Isolation, Einsamkeit
- Unpassende Zeiten
- Ungeeignete oder fehlende Hilfsmittel
- Zusammensetzung des Essens, bspw.
- Abneigung gegen angebotenes Essen
- (Vermeintlich) unpassende Konsistenz
- (Angst vor) allergischen Reaktionen und Unverträglichkeit
- Nichtbeachtung von Bedürfnissen, Ritualen und Gewohnheiten, insb. in Bezug auf bestimmte Nahrungsmittel
- Fehlende Informationen
- Restriktive Diäten
- Weitere Faktoren, bspw.
- Postoperativer Zustand , intensivmedizinische Behandlung, länger notwendige Nahrungskarenz bei geriatrischen Patient:innen
- (Unerwünschte) Wirkung von Medikamenten
Das Risiko für eine Mangelernährung ist bei Beschwerden aufgrund von Zahnprothesen erhöht, da Patient:innen oft nur noch weiche Speisen und ggf. auch weniger essen!
Auch bei adipösen Patient:innen kann eine Mangelernährung vorliegen!
Pflege bei Mangelernährung und Prophylaxe
Allgemeine Maßnahmen
- Hilfsmittel und Unterstützung
- Hilfsmittel bereitstellen
- Zur eigenständigen Nahrungsaufnahme ermutigen und auffordern, ggf. Impulse geben
- Essen entsprechend den individuellen Bedürfnissen anrichten
- Beim Essen anreichen
- Patient:innen Reihenfolge und Tempo vorgeben lassen
- Ausreichend Zeit zum Schlucken lassen , ggf. Pausen einlegen
- Ggf. Unterstützung anbieten, bspw. beim Öffnen von Verpackungen
- Bei kognitiv eingeschränkten Patient:innen Bezugspflege einführen
- Umgebungsbedingungen
- I.d.R. Patient:innen an den Tisch mobilisieren
- Angenehme Atmosphäre am Esstisch schaffen
- Gemeinsame Mahlzeiten in entspannter Umgebung ermöglichen
- Geeignete Sitzgelegenheiten zur Verfügung stellen
- Geeignete Tischhöhe sicherstellen
- Benötigte Hilfsmittel und Essen gut greifbar im Sichtfeld der Patient:innen positionieren
- Bei vermindertem Sehvermögen: Tisch immer gleich decken
- Festen Platz für Gehhilfen einrichten
- Überforderung und Ablenkung vermeiden
- Ggf. Privatsphäre schützen
- Zeitmanagement
- Genügend Zeit für Mahlzeiten einplanen
- Warmhalteteller einsetzen
- Störungen während Essenszeiten vermeiden
- Individualität
- Persönliche Vorlieben und Gewohnheiten berücksichtigen
- Getränke sowie Zwischen- und Spätmahlzeiten anbieten
- Kreative Optionen wie bspw. Fingerfood oder Zwischenmahlzeiten ausprobieren
- Auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten
- (Zusätzliche) Trinknahrung anbieten
- Bei vorbereiteter Mahlzeit auf einzelnen Tabletts: Abdeckung entfernen, Tablett so attraktiv wie möglich anrichten
- I.d.R. eine normal große Portion nicht durch mehrere kleine Mahlzeiten ersetzen
- Ggf. Kostform anpassen
- Ggf. Mahlzeiten mit gehaltvollen Lebensmitteln ergänzen
- Ggf. Wunschkost anbieten oder Angehörige geeignete Nahrungsmittel mitbringen lassen
- Rücksprache/Support
Spezielle Maßnahmen
- Bei Problemen mit dem Kauapparat und beim Schluckvorgang
- Mundpflege intensivieren (insb. auch zur Aspirationsprophylaxe), siehe auch: AMBOSS-Pflegewissen: Mundpflege
- Kostform anpassen (lassen)
- Ggf. (zahn‑)ärztliche und/oder logopädische Diagnostik und Behandlung einleiten
- Für weitere Informationen siehe auch: AMBOSS-Pflegewissen: Aspirationsprophylaxe
- Bei beeinträchtigter Mobilität (der Arme)
- Individuell angepasst beim Essen unterstützen
- Geeignete Hilfsmittel bereitstellen
- Mobilität fördern
- Physiotherapeutische Begleitung
- Im häuslichen Bereich: Ggf. Unterstützung beim Kochen und Einkaufen organisieren, Essen liefern lassen
- Bei kognitiv beeinträchtigten Menschen
- Nahrungsaufnahme überwachen
- Individuell angepasst beim Essen unterstützen
- Im häuslichen Bereich: Ggf. Unterstützung beim Kochen und Einkaufen organisieren, Essen liefern lassen
- Bei depressiven und/oder einsamen Menschen
- Umgebung angenehm gestalten
- Gruppenaktivitäten und gemeinsames Essen fördern
- Bei (V.a.) Behandlungsbedarf
- Ärztliches Personal informieren (zur Diagnostik und Behandlung)
- Ggf. psychotherapeutische Unterstützung oder andere Therapieformen
- Bei V.a. oder vorliegenden Nebenwirkungen von Medikamenten: Rücksprache mit ärztlichem Personal halten und ggf. angepassten Medikamentenplan umsetzen
- Bei Erkrankungen mit Auswirkungen auf die Ernährung: Ärztliches Personal informieren und ggf. Behandlung nach ärztlicher Anordnung durchführen
- Bei Risikokonstellationen : Zu schnelle Erhöhung der Energiezufuhr vermeiden (Gefahr eines Refeeding-Syndroms)
Wenn die Maßnahmen nicht zum Erfolg führen oder Unsicherheiten bestehen, sollte Rücksprache mit dem zuständigen ärztlichen Personal gehalten werden, insb. bzgl. einer zusätzlichen enteralen oder parenteralen künstlichen Ernährung!
Bei schneller Erhöhung der Energiezufuhr (insb. bei starkem Untergewicht, raschem Gewichtsverlust, längerer Nahrungskarenz oder Elektrolytmangel) kann es zum lebensbedrohlichen Refeeding-Syndrom kommen!
Weitere präventive Maßnahmen
- Zusammensetzung der Nahrung optimieren
- Ausreichend Kalorien und Proteine
- Mediterrane Kost
- Reichlich Obst und Gemüse
- Fisch, Meeresfrüchte
- Vollkornprodukte
- Wenig rotes Fleisch und Milchprodukte
- Zucker in Form von Honig oder getrockneten Früchten
- Olivenöl
- Regelmäßig Screenings auf Mangelernährung durchführen
- Erhöhten Energiebedarf beachten
- Auf regelmäßigen Stuhlgang achten, Obstipationsprophylaxe
- Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen sicherstellen
- Restriktive Diäten vermeiden
Beratung
- Bspw. zu
- Individuellem Energie- und Nährstoffbedarf
- Risikofaktoren bzw. Ursachen einer Mangelernährung
- Komplikationen der Mangelernährung
- Prophylaktischen Maßnahmen, Umgang mit Trinknahrung
- Hilfsmitteln und deren Nutzung
- Unterstützenden Angeboten
- Ggf. Kontakt zu anderen Professionen vermitteln
- Ggf. Angehörige einbeziehen