Zusammenfassung
Die Anemia of chronic Disease (ACD, Anämie bei chronischen Erkrankungen) ist weltweit die zweithäufigste Anämieform (nach der Eisenmangelanämie) und i.d.R. normochrom-normozytär. Sie tritt auf bei chronisch-entzündlichen und malignen Prozessen, die über eine gesteigerte Synthese des Akute-Phase-Proteins Hepcidin primär zu einem funktionellen Eisenmangel und dadurch zu einer Anämie führen. Typischerweise zeigen sich dementsprechend v.a. Symptome der Grunderkrankung und ggf. Anämiesymptome, bspw. Blässe oder Müdigkeit. Vor Diagnosestellung müssen andere infrage kommende Anämieformen ausgeschlossen werden. I.d.R. liefern schließlich sTfR, ZPP und ggf. Hepcidin ausreichende Hinweise für die Diagnose einer ACD. Therapeutisch steht die Behandlung der Grunderkrankung im Vordergrund und ggf. die symptomatische Therapie der Anämie.
Epidemiologie
- Zweithäufigste Anämieform insg.
- Häufigste Anämie bei älteren und hospitalisierten Personen
- Prävalenz bei soliden Tumoren (ohne Behandlung): Bis zu 50% [1]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Chronische Erkrankungen, >6–8 Wochen bestehend
- Chronische entzündliche, nicht-infektiöse Erkrankungen, bspw.
- CED
- Autoimmunerkrankungen
- Chronische infektiöse Erkrankungen, bspw.
- Tuberkulose
- Osteomyelitis
- Bakterielle Endokarditis
- Abszesse
- Bronchiektasen, bspw. aufgrund einer COPD
- Chronische Harnwegsinfektionen
- Tumorerkrankungen: Insb. metastasierende Prozesse
- Weitere Ursachen, bspw.
- Kongestive Herzinsuffizienz
- Koronare Herzerkrankung
- Diabetes mellitus
- Alter >85 Jahre
- Chronische entzündliche, nicht-infektiöse Erkrankungen, bspw.
Pathophysiologie
- Proinflammatorische Zytokine
- → Hepatische Hepcidin-Synthese↑
- → Funktioneller Eisenmangel
- Eisenabgabe aus den Enterozyten ins Blut↓
- Mobilisierung von Speichereisen aus dem mononukleären Phagozytensystem (MPS)↓
- → Enterale Eisenresorption↓
- → Eisenaufnahme in die erythropoetischen Vorläuferzellen↓
- → Funktioneller Eisenmangel
- → Produktion und Funktionalität von Erythropoetin↓
- → Erythrozytenüberlebenszeit↓
- → Proliferation und Differenzierung der erythropoetischen Vorläuferzellen↓
- → Hepatische Hepcidin-Synthese↑
Symptomatik
- Symptomatik der zugrunde liegenden Erkrankung
- Ggf. Anämiesymptome , siehe: Symptome bei Anämie
Diagnostik
Diagnostisches Prinzip
- Ausschlussdiagnostik
- Oftmals schwierige Diagnosestellung, eine umfangreiche Ausschlussdiagnostik anderer Anämieformen ist notwendig
- Andere parallel bestehende Anämieformen sind möglich
- Häufig ist kein eindeutiger Nachweis möglich
Vorgehen
- Anamnese und körperliche Untersuchung (siehe: Diagnostik bei Anämie)
- Labordiagnostik
- Differenzialblutbild
- Zumeist normochrom-normozytär, auch hypochrom-mikrozytär möglich
- Schweregrad der Anämie [6]
- Meist mild bis moderat
- Infektionen: Hb eher >9 g/dL (>5,59 mmol/L)
- Tumoren: Hb eher <9 g/dL (<5,59 mmol/L)
- Hyporegeneratorische Anämie
- Parameter zum Ausschluss anderer Anämieursachen (siehe: Diagnostik der normochromen normozytären Anämien, Diagnostik der hypochromen mikrozytären Anämien)
- Nachweis eisendefizitärer Erythropoese [3]
- Bedeutendste Parameter
- Weitere Parameter
- Ferritin, CRP, BSG, Fibrinogen, Haptoglobin: normal/↑
- Transferrin: Normal/↓
- Transferrinsättigung: ↓
- Retikulozyten, Retikulozyten-Hb (CHr): Normal/↓
- Erythropoetin: Noch normal/↑
- Differenzialblutbild
- Beweisend (jedoch keine obligatorische Untersuchung): Knochenmarkpunktion mit Eisenfärbung [3][8]
Bei Eisenmangelanämie mit akuter Entzündung wären Ferritin und CRP ebenfalls erhöht!
Auch bei bekannter chronischer Erkrankung können zusätzlich ein „echter“ Eisenmangel oder andere Anämieursachen vorliegen!
Zur Diagnosestellung liefern sTfR, Zinkprotoporphyrin sowie ggf. Hepcidin i.d.R. ausreichende Hinweise für eine ACD!
Differenzialdiagnosen
- Andere normochrom-normozytäre oder hypochrom-mikrozytäre Anämieformen
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Kausal
- Therapie der Grunderkrankung (falls möglich) → Besserung der Anämie
Symptomatisch
- Bei klinischen Beschwerden, individuelle Indikationsstellung nötig
-
Parenterale Eisensubstitution: Bei Eisenmangel
- Möglich bei ACD durch maligne oder chronische nicht-infektiöse inflammatorische Prozesse [2][9]
- Nicht effektiv: Orale Eisensubstitution
- Ggf. Transfusion von Erythrozytenkonzentraten (siehe: Indikationsstellung zur EK-Transfusion)
- Ggf. Gabe von Erythropoetin oder Erythropoese-stimulierenden Agenzien (ESA) [6][10]
-
Parenterale Eisensubstitution: Bei Eisenmangel
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.