Zusammenfassung
Die Zystitis ist eine häufige Erkrankung und tritt in der Regel in Folge von Infektionen der Harnblase mit Keimen der Darmflora auf. Das weibliche Geschlecht ist durch die anatomische Nähe von Anal- und Genitalregion prädisponiert. Erkranken männliche Patienten, ist eine Ursachenklärung stets indiziert. Klinisch sind Schmerzen bei häufigem Harndrang ein wegweisender Befund. Zunächst kann eine symptomatische Therapie (u.a. erhöhte Trinkmenge) ausreichend sein, muss jedoch spätestens bei Beschwerdepersistenz um eine antibiotische Therapie ergänzt werden. In der Regel heilt eine Zystitis folgenlos ab, kann jedoch bei komplizierenden Faktoren eine systemische Infektion nach sich ziehen.
Definition
Einteilung der Harnwegsinfektionen (HWI)
- Nach Lokalisation bzw. Organbeteiligung
- Obere Harnwegsinfektion: Pyelonephritis
- Untere (oder ableitende) Harnwegsinfektion
- Urozystitis: Entzündliche Infektion der Harnblase
- Urethritis: Entzündungen der Harnröhre
- Nach Dringlichkeit einer diagnostisch-therapeutischen Zuwendung bzw. Häufigkeit
- Unkomplizierte Harnwegsinfektion: Infektion der Harnwege ohne relevante funktionelle oder anatomische Anomalien, Nierenfunktionsstörungen oder Begleiterkrankungen, die eine Harnwegsinfektion bzw. Komplikationen begünstigen
- Komplizierte Harnwegsinfektion: Alle Harnwegsinfektionen, die die Kriterien einer unkomplizierten Harnwegsinfektion nicht erfüllen
- Rezidivierende Harnwegsinfektion: ≥2 Infektionen/Halbjahr oder ≥3 Infektionen/Jahr
- Asymptomatische Bakteriurie: Vorliegen einer signifikanten Bakteriurie ohne Symptome
Bei Fieber, Flankenschmerzen bzw. Nierenklopfschmerz in Verbindung mit einer Zystitis muss eine Pyelonephritis angenommen werden!
Ätiologie
Erreger
- Meist Infektion durch Bakterien der Darmflora
-
Enterobacteriaceae (gramnegative Stäbchen)
- Escherichia coli (ca. 80% der Erreger)
- Proteus mirabilis
- Klebsiellen
- Weitere
-
Enterobacteriaceae (gramnegative Stäbchen)
- Abakterielle, interstitielle Zystitis (siehe Differenzialdiagnose)
Prädisponierende Faktoren
- Weibliches Geschlecht
- Zystitiden bei Männern sind immer suspekt und abklärungsbedürftig
- Geschlechtsverkehr
- Transurethraler Dauerkatheter : Häufigste Ursache für einen nosokomialen Harnwegsinfekt; hier sind Männer gleichermaßen betroffen
- Anomalien des Harntrakts (z.B. Harnblasendivertikel)
- Diabetes mellitus
Symptomatik
- Dysurie, Algurie, Strangurie
- Pollakisurie
- Hämaturie
- Ungewollter Urinverlust durch Drangsymptomatik möglich
- Suprapubische Schmerzen
Verlaufs- und Sonderformen
Chronische Zystitis
Interstitielle Zystitis
- Definition [1]: Chronisch-entzündliche, progrediente Harnblasenerkrankung (abakteriell und alle Wandschichten betreffend) mit Schmerzen, Nykturie, Pollakisurie und imperativem Harndrang ohne andere differenzialdiagnostische Erkrankungen [1]
- Hunner-Typ: Symptomkomplex plus Hunner-Läsionen in der Zystoskopie
- Nicht-Hunner-Typ: Symptomkomplex ohne Hunner-Läsionen
- Prävalenz [1]
- Ätiologie: Unklar, mit folgenden diskutierten Faktoren (Auswahl) [1]
- Urotheldysfunktion
- Entzündungen
- Neuronale Überaktivität
- Nahrungsmittelintoleranzen
- Histaminintoleranz
- Z.n. rezidivierenden Harnwegsinfektionen
- Endometriose
- Beckenbodendysfunktion
- Psychosomatische Störungen
- Klinisches Bild [1]
- Harnblasenschmerz
- Pollakisurie und imperativer Harndrang
- Nykturie
- (Druck‑)Schmerz von Beckenboden, Hüftgürtel, Bauchdecke
- Tröpfchenweise Miktion, z.T. mit Bauchpresse
- Depressive Symptomatik
- Verlauf [1]
- Chronisch-entzündlich progredient
- Frühstadium: Meist Bild einer rezidivierenden Harnblasenentzündung
- Spätstadium: Schrumpfblase, erhöhtes Risiko für Harnblasenkarzinome
- Diagnostik [1]
- Ausführliche Anamnese, inkl. Symptomatik, Vorbehandlungen, Vorerkrankungen, Medikamentenanamnese, Operationen, Suchtanamnese, körperliche oder psychische Misshandlungen
- Frage- und Dokumentationsbögen (siehe: Tipps & Links)
- Inspektion und körperliche Untersuchung der Anogenitalregion mit DRU
- Zystoskopie
- Hydrodistensionstest zur morphologischen Beurteilung: Typische Befunde sind u.a.
- Hunner-Läsionen (rote Schleimhautläsionen mit fehlender normaler Kapillarstruktur, Fibrinablagerungen, Narben)
- Glomerulationen
- Rhagaden
- Blutungen
- Harnblasenwand- und Detrusorbiopsie erwägen: Wegweisende Befunde
- Mastzellinfiltration
- Hunner-Läsionen (bspw. Epithelabtragungen, entzündliche Infiltrate)
- Fibrotische Veränderungen
- Erhöhte Immunreaktivität von Neurotransmitterrezeptoren
- Hydrodistensionstest zur morphologischen Beurteilung: Typische Befunde sind u.a.
- Urinuntersuchung mit U-Stix und Urinkultur
- Urosonografie
- Uroflowmetrie und Restharnsonografie (nur ♂)
- Kaliumchlorid-(KCl)-Test erwägen
- Stuhldiagnostik
- Ausschluss von Differenzialdiagnosen der interstitiellen Zystitis
- Ausführliche Anamnese, inkl. Symptomatik, Vorbehandlungen, Vorerkrankungen, Medikamentenanamnese, Operationen, Suchtanamnese, körperliche oder psychische Misshandlungen
- Differenzialdiagnosen der interstitiellen Zystitis [1]
- Muskuloskelettal
- Gastrointestinal
- Gynäkologisch
- Neuronal
- Psychisch
- Urologisch
- Therapie: Interdisziplinäre, multimodale Therapie mit Behandlung der chronischen Schmerzerkrankung
Multimodale Stufentherapie der interstitiellen Zystitis [1] | |||
---|---|---|---|
Stufe | Konservative Therapie | Transurethrale Therapie | Operative Therapie |
1 |
| — | — |
2 |
|
| — |
3 |
| ||
4 | — |
|
|
5 |
| — |
|
Diagnostik
Klinische Chemie
- Urinteststreifen: Leukozyturie (bzw. hohe Aktivität der Leukozytenesterase) , Hämaturie, Nitrit positiv
- Urin-Mikroskopie
- Urinkultur: Keimnachweis, signifikante Bakteriurie ab 105 KBE/mL → Suprapubisch gewonnener Katheterurin ist bei jeder Bakteriurie auffällig!
- Indikation: Jeder Verdacht einer Harnwegsinfektion (außer Frauen mit unkomplizierter Zystitis)
- Siehe auch: Urindiagnostik
Apparativ
- Indikation: Vor allem komplizierte Zystitis
- Sonografie
- Zystoskopie
Jeder Verdacht auf eine komplizierte Zystitis bedarf einer ambulant-urologischen Abklärung des gesamten Urogenitaltraktes!
Differenzialdiagnosen
- Tuberkulöse Zystitis (→ siehe Urogenitale Tuberkulose)
- Medikamentös induzierte Zystitis (z.B. durch NSAR, Cyclophosphamid)
- Andere Erkrankungen der Blase (z.B. Urolithiasis, Harnblasenkarzinom, Fremdkörper)
- Adnexitis
- Prostatitis
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
- Symptomatische Therapie (insb. erhöhte Trinkmenge) zunächst als alleinige Maßnahme möglich; eine antibiotische Therapie wird jedoch i.d.R. empfohlen
Antibiotische Therapie der unkomplizierten Urozystitis
- Indikationen
- Symptomatische Urozystitis
- Eine asymptomatische Bakteriurie ist keine Behandlungsindikation: Insb. geriatrische Patienten und Patienten mit externer Harnableitung müssen bei einer asymptomatischen Bakteriurie nicht antibiotisch behandelt werden! (Vgl. Asymptomatische Bakteriurie)
Eine unkritische antibiotische Behandlung jeglicher Bakteriurien, insb. bei geriatrischen Patienten, fördert die Entwicklung von Resistenzen und begünstigt durch die Eradikation einer asymptomatischen Kolonisationsflora die Infektion durch weitaus virulentere Bakterienstämme!
Patienten mit asymptomatischer Bakteriurie sollen nicht mit Antibiotika behandelt werden (DGIM - Klug entscheiden in der Infektiologie)
Unkomplizierte Urozystitis - Therapie der 1. Wahl bei nicht-schwangeren Frauen [2][3][4]
- Fosfomycin-Granulat (einmalig)
- oder Pivmecillinam (Penicillin-Derivat)
- oder Nitroxolin
Bei deutl. Zeichen einer Harnwegsinfektion (z.B. ausgeprägte Leukozyturie und Bakteriurie) kann ein Nitrit-negativer Befund auf eine Infektion mit Enterokokken oder Pseudomonaden hindeuten – in diesen Fällen ist mit Antibiotikaresistenz gegenüber Cephalosporinen zu rechnen!
Unkomplizierte Urozystitis - Therapie der 2. Wahl oder nach frustraner Ersttherapie bei nicht-schwangeren Frauen [2][3][4]
- Nitrofurantoin [3]
- oder Cephalosporine der 2. und 3. Generation
- oder Trimethoprim (+ Sulfamethoxazol): Nur bei Kenntnis der lokalen Resistenzlage
- oder Fluorchinolone
- Ciprofloxacin
- oder Levofloxacin
- oder Ofloxacin
- Siehe auch: Rote-Hand-Briefe zu Fluorchinolonen
Aufgrund der hohen Resistenzraten bei E. coli werden Aminopenicilline den aktuellen Leitlinien zufolge nicht mehr empfohlen!
Aufgrund schwerwiegender Nebenwirkungen und erhöhter Resistenzlage von Fluorchinolonen wird deren Einsatz bei der unkomplizierten Harnwegsinfektion nicht als Erstlinientherapie empfohlen!
Therapie komplizierter Verlaufsformen und besonderer Patientengruppen
- Die Therapie der komplizierten Urozystitis und die der Pyelonephritis ist nicht streng voneinander zu trennen und wird gemeinsam behandelt
- Siehe: Empirische Therapie komplizierter Infektionen der Harnwege
- Urozystitiden des Mannes gelten bis zum Ausschluss komplizierender Faktoren als kompliziert; ihre Therapie ist dementsprechend ebenfalls dort aufgeführt
- Für die Therapie der Urosepsis siehe: Sepsis - Initialtherapie bei Fokus Harnwege (Urosepsis)
- Für die Therapie in der Schwangerschaft siehe: Behandlung der unkomplizierten Urozystitis in der Schwangerschaft
- Für das Vorgehen bei kindlichen Harnwegsinfektionen siehe: Harnwegsinfektionen im Kindesalter
Komplikationen
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prävention
Besondere Patientengruppen
Urozystitis - Antibiotische Therapie in der Schwangerschaft
- Kontraindikationen und Risiken: Eine Vielzahl der Antibiotika ist während der Schwangerschaft streng kontraindiziert bzw. mit Anwendungsrisiken verbunden (siehe: Antibiotika in der Schwangerschaft), im Folgenden ist eine Auswahl möglicher Therapien angegeben (Therapievorschläge und Hinweise zum Einsatz in der Schwangerschaft sind zu beachten)
- Indikationserweiterung: In der Schwangerschaft wird die Behandlung asymptomatischer Bakteriurien empfohlen!
- Diagnostik: Immer Erregernachweis mit Urinkultur vor antibiotischer Therapie anstreben, Urin-Stix alleine nicht ausreichend!
- Wirkstoffe [2][3][4]
- Orale Cephalosporine, z.B. Cefuroxim
- oder Penicilline und -derivate, z.B. Amoxicillin oder Pivmecillinam
- oder Fosfomycin-Granulat (einmalig) [5]
- Bei Patientinnen mit asymptomatischer Bakteriurie in der Schwangerschaft müssen nach der antibiotischen Therapie Kontrollen mittels U-Stix oder Urinkulturen durchgeführt werden
Jede asymptomatische Bakteriurie im Rahmen einer Schwangerschaft muss behandelt werden (einschließlich Urinkultur und testgerechter Anpassung der Medikation)!
Kinder
- Unterscheidung von Pyelonephritis und Urozystitis bei kleineren Kindern und Säuglingen nicht sicher möglich
- Verlauf bei Schulkindern und Jugendlichen ähnlich wie bei Erwachsenen
- Reinfektionsprophylaxe : Nitrofurantoin
- Für Details zum Vorgehen siehe: Harnwegsinfektionen im Kindesalter
Studientelegramme zum Thema
- HOMe Studientelegramme Innere Medizin
- Studientelegramm 49-2018-1/3: Prävention rezidivierender Harnwegsinfekte: Viel trinken!
- Studientelegramm 25-2018-3/3: Nitrofurantoin oder Fosfomycin für unkomplizierte Harnwegsinfekte?
- Studientelegramm 10-2017-1/3: Können wir bei unkomplizierten Zystitiden auf Antibiotika verzichten?
- One-Minute Telegram (aus unserer englischsprachigen Redaktion)
- One-Minute Telegram 43-2022-3/3: Is fosfomycin effective in treating multidrug-resistant E. coli?
- One-Minute Telegram 32-2021-3/3: Are seven days of antibiotics sufficient to treat UTI in men?
Interesse an wöchentlichen Updates zur aktuellen Studienlage im Bereich der Inneren Medizin? Abonniere jetzt das Studientelegramm (Beiträge zur Inneren Medizin in Kooperation mit HOMe sowie zur Überversorgung in der Inneren Medizin mit der DGIM). Zusätzlich haben wir auch das englische One-Minute-Telegram und den AMBOSS-Podcast im Angebot. Alle Links zur Anmeldung findest du am Seitenende unter "Tipps & Links".
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- N30.-: Zystitis
- Soll der Infektionserreger (B95–B98) oder das verursachende exogene Agens (Kapitel XX) angegeben werden, ist eine zusätzliche Schlüsselnummer zu benutzen.
- Exklusive: Prostatazystitis (N41.3)
- N30.0: Akute Zystitis
- N30.1: Interstitielle Zystitis (chronisch)
- N30.2: Sonstige chronische Zystitis
- N30.3: Trigonumzystitis
- Urethrotrigonumzystitis
- N30.4: Strahlenzystitis
- N30.8: Sonstige Zystitis
- Harnblasenabszess
- N30.9: Zystitis, nicht näher bezeichnet
- A54.-: Gonokokkeninfektion
- A54.0: Gonokokkeninfektion des unteren Urogenitaltraktes ohne periurethralen Abszess oder Abszess der Glandulae urethrales
- Urethritis
- Vulvovaginitis
- Zervizitis
- Zystitis
- Exklusive: Mit Abszess:
- Glandulae urethrales (A54.1)
- periurethral (A54.1)
- A54.0: Gonokokkeninfektion des unteren Urogenitaltraktes ohne periurethralen Abszess oder Abszess der Glandulae urethrales
- A56.-: Sonstige durch Geschlechtsverkehr übertragene Chlamydienkrankheiten
- A56.0: Chlamydieninfektion des unteren Urogenitaltraktes
- Urethritis
- Vulvovaginitis
- Zervizitis
- Zystitis
- A56.0: Chlamydieninfektion des unteren Urogenitaltraktes
- N33.-:* Krankheiten der Harnblase bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- N33.0*: Tuberkulöse Zystitis
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.