Zusammenfassung
Die Harnblase ist ein Teil der ableitenden Harnwege, welche für den Transport des Urins von der Niere bis zur äußeren Öffnung des Harntrakts zuständig sind. Außerdem kann sie etwa 500–1.000 mL Urin speichern und ihn kontrolliert abgeben (Miktion). Sie ist ein muskuläres, von einem speziellen Epithel (Urothel) ausgekleidetes Hohlorgan und liegt zwischen Harnleiter und Harnröhre im kleinen Becken. Übrigens findest du auch eine Histo-Trainer-Folge zu den ableitenden Harnwegen im Abschnitt zur mikroskopischen Anatomie der Harnblase.
Makroskopische Anatomie
Steckbrief: Harnblase
- Funktion: Harntransport und -speicherung
- Lage: Zentral im kleinen Becken
- Form: Kugelförmig
- Volumen: Je nach Füllungszustand 500–1.000 mL
Aufbau der Harnblase
Die Harnblase gliedert sich in vier Abschnitte und besitzt ein charakteristisches Innenrelief mit Schleimhautfalten.
- Abschnitte
- Apex vesicae (= Harnblasenspitze): Ventraler und kranialer Anteil der Harnblase
- Obliterierter Urachus (= Lig. umbilicale medianum): Setzt sich von der Harnblasenspitze fort und zieht bis zum Nabel
- Corpus vesicae (= Harnblasenkörper): Hauptanteil der Harnblase
- Fundus vesicae (= Blasengrund): Kaudaler Anteil der Harnblase mit Trigonum vesicae
- Cervix vesicae (= Blasenhals): Enger, kaudaler Übergang in die Harnröhre (= Urethra)
- Apex vesicae (= Harnblasenspitze): Ventraler und kranialer Anteil der Harnblase
- Innenrelief
- Schleimhautfalten: Verstreichen mit zunehmendem Füllungsvolumen der Harnblase
- Trigonum vesicae: Dreieckiges Schleimhautfeld am Blasengrund, das fest mit der Muskelschicht verwachsen ist und keine Schleimhautfalten bildet
- Begrenzung
- Ostium urethrae internum
- Plica interureterica: Falte, die vom M. interuretericus aufgeworfen wird
- Ostia ureteris: Einmündungen der beiden Harnleiter
- Begrenzung
- Uvula vesicae: Zäpfchenartige Erhebung der Blasenschleimhaut im Bereich der Cervix vesicae
- Funktion: Verschluss und Abdichtung der Harnblasenausflussbahn
Topografie der Harnblase
- Lage: Die Harnblase liegt extra- bzw. präperitoneal im kleinen Becken hinter den Schambeinbögen (= Rr. superiores ossis pubis) und der Symphyse, ihre kraniale Fläche ist allerdings vom Peritoneum überzogen.
- Unterer Pol der Harnblase: Höhe des Unterrandes der Symphyse
- Oberer Pol der Harnblase: Je nach Füllungszustand zwischen Symphysenoberrand bis Bauchnabelhöhe
- Lagebeziehungen
- Kranial: Peritoneum urogenitale (♂ und ♀), Gebärmutter (♀)
- Kaudal: Muskelplatte des Diaphragma pelvis (♂ und ♀) , Urethra (♂ und ♀), Prostata (♂)
- Ventral: Spatium retropubicum
- Lateral: Lockeres Bindegewebe mit Venenplexus (= Spatium extraperitoneale pelvis mit Plexus venosus vesicalis = Parazystium)
- Dorsal
- ♂: Rektum mit Excavatio rectovesicalis, Ampullen des Ductus deferens, Samenbläschen, Harnleiter
- ♀: Gebärmutter mit Excavatio vesicouterina (= Peritoneale Umschlagsfalte)
Blasenpunktion
Eine gefüllte Harnblase schiebt das Peritoneum urogenitale so weit nach kranial, dass ein bauchfellfreier Bereich an der Symphysenoberkante erscheint. Die Symphyse bietet einen guten Orientierungspunkt zur Durchführung einer kranialen Blasenpunktion, weil sie u.a. auch bei adipösen Patienten ohne Schwierigkeiten zu ertasten ist. Eine Blasenpunktion durch die Bauchwand wird in der Klinik für eine sterile Urindiagnostik oder therapeutisch bei einem akuten Harnverhalt genutzt.
Gefäßversorgung und Innervation der Harnblase
- Gefäßversorgung
- Arteriell
-
Aorta abdominalis → A. iliaca communis → A. iliaca interna
- A. umbilicalis → Aa. vesicales superiores (→ Rr. ureterici)
- A. vesicalis inferior (→ Rr. prostatici beim Mann)
-
Aorta abdominalis → A. iliaca communis → A. iliaca interna
- Venös
- Plexus venosus vesicalis → Vv. vesicales → V. iliaca interna → V. iliaca communis → V. cava inferior
- Plexus venosus vertebralis → Vv. lumbales ascendentes → V. azygos/hemiazygos → V. cava superior
- Beim Mann zusätzlich: Plexus venosus prostaticus → Plexus venosus vesicalis und Plexus venosus vertebralis
- Arteriell
- Lymphabfluss
- Nll. prevesicales/retrovesicales bzw. Nll. vesicales laterales → Nll. iliaci interni → Nll. iliaci communes → Nll. lumbales dextri/intermedii/sinistri → Truncus lumbales dexter/sinister → Cysterna chyli → Ductus thoracicus
- Innervation
- Efferenzen: Plexus vesicalis
- Sympathisch: Nn. splanchnici lumbales et sacrales → Umschaltung im Ganglion mesentericum inferius oder Plexus hypogastricus inferior
- Parasympathisch: Nn. splanchnici pelvici (S2–4) → Umschaltung im Plexus hypogastricus inferior oder in der Organwand
- Dient v.a. der Miktion: Kontraktion des M. detrusor vesicae
- Intrinsisch: Autonome Ganglienzellen in der Adventitia
- Afferenzen: Fasern verlaufen mit Nn. splanchnici pelvici
- Efferenzen: Plexus vesicalis
Querschnittsyndrom
Die Nn. splanchnici sind maßgeblich an der Steuerung der Miktion beteiligt. Sie erhalten ihre Signale hauptsächlich aus dem pontinen Miktionszentrum. Kommt es im Rahmen einer Querschnittslähmung zur Zerstörung dieser signalgebenden Nervenfasern, setzt zunächst der sog. spinale Schock ein, der durch eine atonische, schlaffe Harnblase gekennzeichnet ist. Nach etwa 6–8 Wochen kommt es zu einer Erholung der reflektorischen Kontraktion des M. detrusor vesicae (= viszero-viszeraler Reflex). Durch ein spezielles Training können betroffene Patienten lernen, diesen Reflex umzuwandeln, sodass sie durch Beklopfen der Bauchhaut eine Kontraktion des M. detrusor vesicae auslösen können (=kutan-viszeraler Reflex). Dadurch können sie ihre Blase trotz Querschnittslähmung kontrolliert entleeren.
Mikroskopische Anatomie
Wandaufbau
- Tunica mucosa
- Urothel (= Übergangsepithel)
- Epithelzellen: Höhe und Schichtzahl variiert je nach Füllungs- und Dehnungszustand der Harnblase
- Umbrella Cells: Einschichtig aufgelagerte besondere Epithelzellen (sog. Deckzellen)
- Tight Junctions: Deckzellen sind fest miteinander verbunden
- Uroplakine (= "Plaques"): Apikal eingelagerte, steife Plaques der Deckzellen
- "Scharniere": Membrananteile, die zwischen den Plaques liegen und sie flexibel miteinander verbinden
- Funktion
- Permeabilitätsschranke gegen den Durchtritt von Harn und wasserlöslichen Stoffen
- Schutzbarriere gegen reizende Bestandteile des Harns (z.B. gegen Harnsäure)
- Anpassung an den Füllungszustand der Blase
- Lamina propria: Bindegewebsschicht aus lockerem kollagenen Bindegewebe und einem dichten Kapillarplexus
- Urothel (= Übergangsepithel)
- Tunica muscularis
- M. detrusor vesicae ("Blasenentleerer"): Drei spiralartig verlaufende Schichten glatter Muskulatur
- M. sphincter vesicae internus ("Blasenschließmuskel", der sog. "Internus"): Glatte Muskulatur
- Tunica adventitia (Umgebendes Bindegewebe) bzw. Tunica serosa
Histo-Trainer Ableitende Harnwege
Funktion
Blasenverschluss (= Kontinenz)
Kontinenz bezeichnet die Fähigkeit, den Harn halten zu können, sofern nicht willentlich Wasser gelassen werden soll. Sie beruht auf einem koordinierten Zusammenspiel aus Kontraktion und Relaxation der beteiligten Muskulatur mit dem anatomischen Halteapparat.
Blasenverschluss und Kontinenzerhaltung | ||
---|---|---|
Beteiligte Strukturen | Beschreibung | Kontinenzerhaltende Funktion |
M. sphincter vesicae internus ("Internus") |
|
|
M. sphincter urethrae externus ("Externus") |
|
|
M. detrusor vesicae |
|
|
Anteile des Beckenbodens |
|
|
Ventraler vesikourethraler Suspensionsapparat |
|
|
Hinterer vesikourethraler Winkel |
|
|
Ablauf der Blasenentleerung (= Miktion)
- Aktivierung von Dehnungsrezeptoren durch die Füllung der Harnblase
- Afferenzen ziehen in das sakrale Miktionszentrum (S2-3) und in das pontine Miktionszentrum
- Efferenzen ziehen zur Harnblase und bewirken eine
- Kontraktion des M. detrusor vesicae → Erhöhung des Blaseninnendrucks
- Kontraktion der Muskulatur des Trigonum vesicae → Verschluss der Harnleiteröffnungen
- Erschlaffung des M. sphincter vesicae internus sowie Kontraktion des M. dilatator urethrae und M. pubovesicalis → Erweiterung der Harnröhrenöffnung
- Willkürlich: Erschlaffung des M. sphincter urethrae externus
- Miktion
Harninkontinenz
Die Harninkontinenz ist ein häufiges Krankheitsbild, das durch unkontrollierten Harnverlust gekennzeichnet ist. Die häufigsten Formen sind die Belastungsinkontinenz (auch: Stressinkontinenz) und die Dranginkontinenz. Bei der Belastungsinkontinenz kommt es zu Urinverlust bei intraabdominellen Druckerhöhungen (z.B. Husten oder Lachen), Ursache hierfür ist meist eine Schädigung der kontinenzerhaltenden Muskulatur oder eine Überdehnung des Halteapparates. Die Dranginkontinenz hingegen ist eine Blasenspeicherstörung, die meist durch eine Überaktivität des M. detrusor vesicae bedingt ist und häufig mit einem imperativen Harndrang einhergeht.
Entwicklung der Harnblase
Die Harnblase entwickelt sich ab der 5.–10. Woche aus der Kloake, dem gemeinsamen Ausscheidungsorgan, aus dem sich der Urogenitaltrakt und die distalen Teile des Gastrointestinaltraktes entwickeln.
Bestandteile der Kloake
- Sinus urogenitalis
- Kranialer Anteil differenziert sich zur Harnblase und steht mit der Allantois (später Urachus bzw. Lig. umbilicale medianum) in Verbindung
- Kaudaler Anteil differenziert sich zur Harnröhre
- Bildet zusätzlich Anteile der Genitalorgane (siehe "Geschlechtsentwicklung")
- Septum urorectale
- Das Septum urorectale wächst von kranial zwischen dem Sinus urogenitalis und dem Anorektalkanal, bis es die Kloakenmembran erreicht
- Ventral bildet das Septum die Urogenitalmembran
- Dorsal bildet das Septum die Analmembran
- Das Septum urorectale wächst von kranial zwischen dem Sinus urogenitalis und dem Anorektalkanal, bis es die Kloakenmembran erreicht
- Kloakenmembran: Die Kloakenmembran verschließt ventral die Kloake
- Anorektalkanal: Endabschnitt des Verdauungsapparates
Urachusfistel
In der Frühentwicklung besitzt die Harnblasenanlage über die Allantois eine offene Verbindung zur Nabelschnur. Im weiteren Verlauf bildet sich daraus der Urachus, ein fibröser Strang an der vorderen Bauchwand zwischen Harnblasenspitze und Nabel, dessen Lumen obliteriert. Bei ausbleibendem oder unvollständigem Verschluss kann ein Gang von der Harnblase zum Bauchnabel zurückbleiben. Beim Neugeborenen fällt diese sog. Urachusfistel durch Urinaustritt aus dem Nabel auf und sollte chirurgisch entfernt werden.
Wiederholungsfragen zum Kapitel Harnblase
Welchen Einfluss hat das vegetative Nervensystem auf die Mm. sphincter vesicae internus und detrusor vesicae?
Schildere den Verlauf der für die Miktion relevanten parasympathischen Nervenfasern von den Rückenmarkssegmenten bis zur Harnblase!
Beschreibe die Lage der Harnblase und ihre Beziehung zum Peritoneum parietale!
Eine Sammlung von allgemeineren und offeneren Fragen zu den verschiedenen prüfungsrelevanten Themen findest du im Kapitel Beispielfragen aus dem mündlichen Physikum.