Zusammenfassung
Die Untersuchung des Urins spielt im klinischen Alltag eine wichtige Rolle: Sie ermöglicht auf einfache Weise erste Rückschlüsse, insb. auf Erkrankungen der Harnwege und Stoffwechselstörungen. Zunächst wird i.d.R. ein Urinstatus durchgeführt. Dieser umfasst die makroskopische Beurteilung des Urins (Farbe, Transparenz), die Untersuchung mittels Urinteststreifen (semiquantitative Bestimmung u.a. von Leukozyten, Erythrozyten, Nitrit) und die mikroskopische Beurteilung des Harnsediments. Ergeben sich dabei pathologische Befunde wie bspw. eine Leukozyturie (möglicher Hinweis auf eine Infektion), sollten weitere diagnostische Verfahren wie eine Urinkultur zum Einsatz kommen.
Zur Gewinnung einer Urinprobe eignet sich am besten Mittelstrahlurin, der kurz nach dem Aufstehen gewonnen wurde. Alternativ kann eine Einmalkatheterisierung oder eine suprapubische Blasenpunktion erfolgen. Bei bereits katheterisierten Patient:innen kann Urin direkt aus dem Katheter (nicht aber aus dem Sammelbeutel) entnommen werden.
Indikation
Ein Urinstatus sollte durchgeführt werden bei:
- Verdacht auf Harnwegsinfekt
- Bei pathologischem Befund: Weiterführung der Diagnostik → Urinkultur
- Verdacht auf Erkrankungen der ableitenden Harnwege und assoziierter Organe (z.B. Prostata)
- Hämaturie
- Entzündungen im Urogenitaltrakt
- Screeningverfahren
- Nachweis einer Glucosurie bspw. bei Schwangeren
- V.a. Proteinurie bei renalen Erkrankungen (z.B. Glomerulonephritis)
- V.a. renale Beteiligung bei systemischen Erkrankungen wie bspw. Hypertonie, Diabetes mellitus und rheumatologischen Erkrankungen
- Beurteilung des metabolischen Status bei Patient:innen mit Risikofaktoren für eine Stoffwechselentgleisung
- Zur Therapiesteuerung bei Durchführung einer Harnsteinmetaphylaxe (pH-Wert-Ziele)
Ablauf/Durchführung
Uringewinnung für Urinstatus und Urinkultur
Kinder und Erwachsene mit Blasenkontrolle
- Vorbereitung
- Aufklärung über die Uringewinnung (falls möglich): Ziel, Zeitpunkt, Durchführung, Verhalten
- Material: I.d.R. verschließbarer Kunststoffbehälter mit ausreichend großer Öffnung
- Reinigung der Glans penis bzw. des Introitus urethrae mit Wasser vor der Untersuchung
- Ausnahme: Gründlichere Desinfektion bei V.a. auf Harnwegsinfekt, um anschließende Urinkultur zu ermöglichen (siehe: Gewinnung von Urin für eine Urinkultur)
- Optimale Uringewinnung: Mittelstrahlurin des Morgenurins
- Morgenurin
- In der Akutsituation: „Random Urin“/Spontanurin → Eingeschränkte Beurteilbarkeit, ggf. Wiederholung der Untersuchung im Verlauf notwendig
- Mittelstrahlurin: Erste Urinportion wird verworfen (hohe Kontamination mit Keimen aus der Harnröhre), anschließend 50–100 mL in ein Uringefäß urinieren
- Morgenurin
Bei kontinenten Kindern und Erwachsenen kann Mittelstrahlurin (auch für die Urinkultur) verwendet werden!
Säuglinge, Kinder und Erwachsene ohne Blasenkontrolle [1][2][3]
- Beutelurin
- Indikation: Ausschluss eines Harnwegsinfektes bei Säuglingen und Kleinkindern mittels Urinteststreifen
- Zeitpunkt: Möglichst langes Intervall zwischen letzter Miktion und Uringewinnung
- Ablauf
- Gründliche Reinigung mit Wasser und Abtrocknen des Genitals
- Aufkleben eines Urinbeutels um den Harnröhrenausgang
- Verabreichung einer größeren Trinkmenge
- Abwarten der Miktion
- Vorteil: Nicht-invasives Verfahren, einfache Anwendung
- Nachteil: Hohe Kontaminationsrate, daher nur zum Ausschluss einer Harnwegsinfektion geeignet
- Auswertung: Urinteststreifen
- Nitrit und Leukozyten negativ: Ausschluss einer Harnwegsinfektion
- Nitrit und Leukozyten positiv: Erneute Urindiagnostik aus Katheterurin, Blasenpunktion oder Clean-Catch-Urin
- Clean-Catch-Urin
- Indikation: Uringewinnung zur (mikrobiologischen) Diagnostik bei Säuglingen und Kindern in gutem Allgemeinzustand
- Ablauf
- Gründliche Reinigung mit Wasser und Abtrocknen des Genitals
- Verabreichung einer größeren Trinkmenge
- Anschließend Halten des entkleideten Kindes durch die Eltern auf dem Schoß und Abwarten der spontanen Miktion
- Auffangen des Urins in einem sterilen Gefäß
- Vorteile
- Kein invasives Verfahren
- Kontaminationsrate erheblich geringer als bei Beutelurin
- Nachteile
- Zeitaufwändig, gute Instruktion der Eltern notwendig
- Kontaminationsrate höher als bei der suprapubischen Blasenpunktion [2]
- Transurethraler Einmalkatheter
- Indikation: Uringewinnung zur (mikrobiologischen) Diagnostik bei Säuglingen, Kindern und Erwachsenen
- Insb. bei deutlich reduziertem Allgemeinzustand mit dringendem Therapiebedarf und/oder V.a. Pyelonephritis
- Im Kindesalter nur bei Mädchen, da bei Jungen ein erhöhtes Verletzungsrisiko der Harnröhre besteht!
- Siehe auch: Indikationen zur Anlage eines transurethralen Einmalkatheters und Kontraindikationen für die Anlage eines transurethralen Blasenkatheters
- Ablauf
- Gründliche Reinigung des Genitalbereichs mit Schleimhautantiseptikum und sterilem Wasser
- Uringewinnung mittels Einmalkatheter
- Vorteil: Etwas geringere Invasivität als suprapubische Blasenpunktion
- Nachteile
- Bei Jungen erhöhtes Verletzungsrisiko der Harnröhre
- Kontaminationsrate höher als bei der suprapubischen Blasenpunktion
- Indikation: Uringewinnung zur (mikrobiologischen) Diagnostik bei Säuglingen, Kindern und Erwachsenen
- Suprapubische Blasenpunktion
- Indikation: Uringewinnung zur (mikrobiologischen) Diagnostik bei Säuglingen, Kindern und Erwachsenen, insb. bei
- Deutlich reduziertem Allgemeinzustand mit dringendem Therapiebedarf und/oder V.a. Pyelonephritis
- Entzündetem Genitale
- Phimose
- Ablauf
- Applikation von EMLA-Creme zur topischen Hautanästhesie
- Überprüfen der Blasenfüllung mittels Ultraschall
- Hautdesinfektion
- Punktion der Blase 1–1,5 cm oberhalb der Symphyse mittig und senkrecht zur Hautoberfläche
- Siehe auch: Ablauf der suprapubischen Katheteranlage
- Vorteile:
- Sensitivste Methode
- Sehr geringe Kontaminationsrate
- Komplikationen: Extrem selten, aber schwerwiegend
- Indikation: Uringewinnung zur (mikrobiologischen) Diagnostik bei Säuglingen, Kindern und Erwachsenen, insb. bei
Bei Säuglingen und Kleinkindern eignet sich der Beutelurin NUR zum Ausschluss einer Harnwegsinfektion! Vor Beginn einer antibiotischen Therapie sollte in diesem Alter IMMER eine mikrobiologische Untersuchung mittels Katheterurin, Blasenpunktion oder Clean-Catch-Urin erfolgen!
Säuglinge, Kinder und Erwachsene mit Dauerkatheter
- Entnahme von Urin aus dem Katheter, nicht jedoch aus dem Sammelbeutel!
- Händedesinfektion, Anziehen von Handschuhen
- Abklemmen des Ableitungsschlauchs distal der Entnahmestelle
- Sprüh-Wisch-Desinfektion der Entnahmestelle
- Urinentnahme mittels Spritze in Abhängigkeit vom Kathetersystem mit oder ohne Kanüle
Uringewinnung für eine Urinkultur
Mit Ausnahme des Beutelurins stehen grundsätzlich alle o.g. Verfahren zur Verfügung. Dabei sollte jedoch streng auf die Vermeidung von Kontaminationen geachtet werden. Bei Personen, die spontan Wasserlassen können, sollte insb. Folgendes beachtet werden:
- Gründliche Reinigung und Desinfektion der Glans penis bzw. des Meatus urethrae
- Bei Frauen: Spreizen der Labien
- Gewinnung von Mittelstrahlurin in einem Urinbehälter
- Lagerung bis zum Transport im Kühlschrank
- Meist wird der Urin erst gelagert, später transportiert und somit verzögert untersucht, weshalb für die Kultur ca. 10 mL Urin aus dem Becher in ein gelbes Urinröhrchen aufgezogen werden sollten.
Bei V.a. einen Harnwegsinfekt sollte ein Verfahren zur Uringewinnung gewählt werden, bei dem das Risiko einer Kontamination so gering wie möglich ist (mit steigendem Risiko: Blasenkatheterurin (suprapubisch) → Einmalkatheterurin → Mittelstrahlurin → Spontanurin)!
Interpretation/Befund
Ein Urinstatus wird i.d.R. mit Spontanurinproben durchgeführt und umfasst
- Makroskopische Beurteilung
- Urinteststreifen (U-Stix)
- Mikroskopische Untersuchung
Anschließend kann je nach Befund ggf. eine mikrobiologische Urindiagnostik oder weitere Untersuchungen erfolgen.
Makroskopische Beurteilung
Urintransparenz
Frisch gewonnener Urin ist physiologischerweise immer klar!
Ursachen für Trübungen von frischem Urin | |
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Aspekt | Mögliche Ursachen |
Trüb-hell |
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Trüb-rotbraun |
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Milchig-trüb |
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Weitere Ursachen einer Trübung, wenn Urin länger stehen gelassen wurde
- Ablagerung von ausfallenden Phosphaten, Uraten und Harnsäure
- Zelluläre Bestandteile wie Bakterien und/oder Epithelien der Harnwege
Farbe des Urins
Je nach Ernährung und Flüssigkeitsstatus kann physiologischer Urin bereits sehr unterschiedlich gefärbt sein!
Farben des Urins und mögliche Ursachen | |
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Urinfarbe | Mögliche Ursachen |
Farblos/klar |
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Gelb-orange |
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Tief gelb |
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Gelb-Braun |
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Rot |
→ Siehe auch: Rotfärbung des Urins |
Braun-schwarz |
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Nachdunkeln beim Stehenlassen |
Geruch
- Bedeutung
- Charakteristischer Uringeruch bei bestimmten Erkrankungen
- Geruch jedoch unspezifisch
- Bei auffälligem Geruch → Weitere Diagnostik (Urinstreifentest, Screening auf Stoffwechselerkrankungen)
- Mögliche Veränderungen
- Süßlich-fruchtiger Geruch (auch als Nagellackentferner-ähnlich beschrieben) bei Ketonurie
- Bitterer, laugenartiger Geruch (Ammoniak-artig) bei Harnwegsinfekt mit Urease-bildenden Erregern
- Zahlreiche Geruchsveränderungen durch Medikamenteneinnahme oder Nahrungsmittel möglich (bspw. Spargel, Zwiebeln)
Urin-Teststreifen („U-Stix“)
Praktische Durchführung
- Durchführung nach Möglichkeit direkt im Anschluss an die Uringewinnung, mind. aber innerhalb der nächsten 4 h
- Teststreifen aus dem Behälter entnehmen und diesen sofort wieder verschließen
- Urin durch Schwenken des Behälters homogenisieren
- Streifen max. 1 s lang in den Urin eintauchen, überschüssigen Urin abstreifen
- Nach der auf der Packung angegebenen Zeit ablesen (i.d.R. nach 1–2 min)
Befundung
Der Urinstatus ist eine sehr verbreitete, einfache und kostengünstige Methode zur Basisdiagnostik des Urins. Die Befundung erlaubt wegweisende Rückschlüsse auf Erkrankungen und ggf. notwendige weiterführende Diagnostik. Da es sich bei den Nachweismethoden des Urinteststreifens um semiquantitative Verfahren mit begrenzter Genauigkeit handelt, ist die Kenntnis und Beachtung der wichtigsten Störfaktoren von großer Bedeutung.
U-Stix-Übersicht: Parameter und Normwerte
Parameter | Normwert | Mögliche pathologische Befunde |
---|---|---|
(bzw. Hämoglobin/ Myoglobin) | <5/μl (negativ) | + / ++ / +++ |
Leukozyten | <10/μl (negativ) | + / ++ / +++ |
Nitrit | ∅ (negativ) | positiv |
Protein | <10 mg/dL (negativ) | + / ++ / +++ / ++++ |
pH-Wert | 5–6 | >6 |
Ketone | <5 mg/dL (negativ) | + / ++ / +++ / ++++ |
Glucose | <30 mg/dL (negativ) | 50 / 100 / 200 / 500 / >1.000 |
Bilirubin | <0,2 mg/dL (negativ) | + / ++ / +++ |
Urobilinogen | <1 mg/dL (negativ) | + / ++ / +++ |
Spezifisches Gewicht | 1,016–1,022 | 1,00–1,016 / 1,022–1,060 |
Hämoglobin/Erythrozyten/Myoglobin
- Methodik
- Pseudoenzymatischer Test
- Interpretation
- Nachweis von Hämoglobin, Erythrozyten und/oder Myoglobin - jedoch keine Differenzierung mittels Teststreifen möglich!
- Physiologisch: Max. 3–5 Erythrozyten/μl
- Auch Mikrohämaturie mittels Teststreifen nachweisbar
- Positiver Nachweis ist ein Hinweis auf renale oder postrenale Erkrankungen (z.B. Harnsteine, Tumoren, Nephritis, hämorrhagische Zystitis)
- Fehlerquellen
- Falsch-positive Befunde: Myoglobin löst ebenfalls Reaktion aus → Fälschliche Interpretation als Hämaturie möglich
- Falsch-negative Befunde: Durch Kontamination mit Reinigungsmitteln (z.B. Hypochlorit) und Konservierungsmitteln (z.B. Formalin)
- Vorgehen bei positivem Nachweis: Zur weiteren Ursachenklärung der Hämaturie (insb. ob renale oder postrenale Genese) → Mikroskopische Untersuchung (Urinsediment)
Leukozyten im Urin
- Methodik: Enzymatischer Test
- Interpretation
- Physiologisch: Max. 10 Leukozyten/μl
- Höhere Zellzahlen bei Entzündungen im Bereich der Nieren und der ableitenden Harnwege
- Fehlerquellen
- Falsch-hohe Werte bei: Körperliche Belastung, Fieber, Medikamenteneinnahme (z.B. ASS) und bei Probengefäßkontamination mit Desinfektionsmitteln (z.B. Formaldehyd)
- Vorgehen bei positivem Nachweis: I.d.R. Urinkultur
Nitrit im Urin
- Methodik: Chemische Reaktion mit Bildung eines Farbstoffes
- Interpretation
- Physiologisch: Urin Nitrit-frei
- Positiver Nachweis: Hinweis auf einen bakteriellen Harnwegsinfekt mit Nitrit-bildenden Bakterien
- Fehlerquellen
- Falsch-negative Befunde bei: Fehlender Nitrat-Ausscheidung (z.B. Neugeborene, Gemüse-arme Ernährung), sehr kurzer Verweildauer des Urins in der Blase, hoher Konzentration von Vitamin C im Urin, antibiotischer Behandlung, sehr geringer Bakterienzahl im Urin
- Falsch-positive Befunde bei: Verzehr von Roter Bete und bestimmten Lebensmittelfarbstoffen
- Vorgehen bei positivem Nachweis: Je nach Patient:in i.d.R. Urinkultur und Antibiotikatherapie (siehe auch: Therapie der Urozystitis)
Bei deutlichen Zeichen einer Harnwegsinfektion (z.B. ausgeprägte Leukozyturie und Bakteriurie) kann ein Nitrit-negativer Befund auf eine Infektion mit Enterokokken oder Pseudomonaden hindeuten – in diesen Fällen ist mit Antibiotikaresistenz gegenüber Cephalosporinen zu rechnen!
Proteine im Urin
- Methodik: Farbumschlag eines pH-Indikators (Proteinfehler)
- Interpretation
- Physiologisch: Keine Proteinurie; leichte Proteinurie nach körperlicher Betätigung, Stress, langem Stehen
- Nachweis größerer Mengen Protein (insb. Albumin), nicht jedoch einer Albuminurie Grad A2!
- Zur frühen Erkennung einer Albuminurie Grad A2 bei Diabetes mellitus ist der Test nicht geeignet!
- Positiver Nachweis bei fortgeschrittenen glomerulären oder tubulären Erkrankungen
- Fehlerquellen
- Falsch-negative Befunde bei: Erhöhtem Vorkommen von Bence-Jones-Proteinen , Kontamination mit Farbstoffen
- Falsch-positive Befunde bei: Ausgeprägt alkalischem Urin bspw. im Rahmen eines Harnwegsinfekts, Therapie mit Trimethoprim
- Vorgehen bei positivem Nachweis: I.d.R. Folgeuntersuchungen aus Sammelurin
pH-Wert
- Methodik: Farbstoffbindungstest
- Interpretation
- Physiologisch: Große Schwankungsbreite (5–9), abhängig von Ernährung und Tageszeit
- Hauptaussagen
- Stark alkalischer Urin: Hinweis auf Infektion mit Harnstoff-spaltenden Erregern oder auf eine lange Latenz zwischen Uringewinnung und -untersuchung
- Therapiesteuerung bei der Harnsteinmetaphylaxe, ggf. durch Teststreifen die nur den pH-Wert anzeigen
- Fehlerquellen: Teststreifen kann nur pH-Werte über 5 nachweisen
Ketone im Urin
- Methodik: Komplexreaktion
- Interpretation
- Physiologisch: Keine Ketonkörper im Urin
- Positiver Nachweis bei verminderter Nahrungsaufnahme , schlechter Stoffwechsellage beim Diabetiker, seltene Stoffwechselerkrankungen, Schwangerschaftserbrechen
- Fehlerquellen
- Vorgehen bei positivem Befund: Bei V.a. Stoffwechselstörung weitere Abklärung (insb. Blutzuckerbestimmung), bei Kindern und azetonämischem Erbrechen Volumenersatz mit glucosehaltiger Infusionslösung
Glucose im Urin
- Methodik: Reaktionsfolge aus enzymatischer und Redox-Reaktion
- Bedeutung
- Physiologisch: <0,8 mmol/L (<15 mg/dL) Glucose im Urin
- Erhöhung der Konzentration (Glucosurie )
- Normoglykämische Glucosurie: Bei herabgesetzter Nierenschwelle (bspw. in der Schwangerschaft, bei Tubulo-interstitieller Nephritis)
- Hyperglykämische Glucosurie: Wenn Nierenschwelle durch Serumglucosekonzentration überschritten (bspw. bei manifestem Diabetes mellitus)
- Fehlerquellen
- Falsch-positive oder falsch-negative Befunde bei hohen Konzentrationen reduzierender Substanzen im Urin (bspw. Ascorbinsäure) sowie Oxidantien (bspw. als Bestandteil von Desinfektionsmitteln zur Reinigung des Genitales)
- Herabgesetzte Nachweisschwelle bei stark alkalischem oder stark saurem Urin
- Vorgehen bei positivem Befund: Weitere Abklärung; siehe auch: Diagnosesicherung Diabetes mellitus
Bilirubin im Urin
- Methodik: Kopplungsreaktion
- Interpretation
- Physiologischerweise nur sehr geringe Mengen (konjugiertes/direktes) Bilirubin im Urin (unter der Nachweisgrenze des Urinstreifentests)
- Erhöht bei Erkrankungen der Leber und Gallenwege (insb. bei intra-/posthepatischem Ikterus)
- Fehlerquellen
- Falsch-negative Befunde bei: Erhöhter Konzentration an Ascorbinsäure oder Nitrit, längerer Lagerung des Urins unter Lichteinstrahlung
- Vorgehen bei positivem Befund: Bestimmung der Aminotransferasen und der Cholestaseparameter im Serum
Urobilinogen
- Methodik: Kopplungsreaktion
- Interpretation
- Physiologischerweise nur sehr geringe Mengen Urobilinogen im Urin (unter der Nachweisgrenze des Urinstreifentests)
- Teilweise erhöht bei intrahepatischem Ikterus (nicht-obstruktive Cholestase) und insb. bei prähepatischem Ikterus (z.B. Hämolyse)
- Fehlerquellen
- Falsch-positive Befunde bei: Verzehr von Roter Bete und anderen farbstoffhaltigen Lebensmitteln
- Falsch-negative Befunde bei: Längere Lagerung der Urinprobe bei Sonneneinstrahlung
- Vorgehen bei positivem Befund: Bestimmung von Bilirubin und Hämolyseparametern im Serum (Haptoglobin↓, LDH↑, Indirektes Bilirubin↑)
Bilirubin und Urobilinogen im Urin sind zur Differenzialdiagnose eines Ikterus nur bedingt geeignet. Sie können bei richtiger Interpretation jedoch ergänzend zur Bestimmung der Serumwerte herangezogen werden!
Spezifisches Gewicht (Urinkonzentration)
- Methodik: Farbumschlagreaktion
- Interpretation
- Normalbefund: Eusthenurie (1,010–1,030 g/mL)
- Hypersthenurie (>1,030 g/mL) bei:
- Exsikkose
- Morbus Addison
- Chronische Herzinsuffizienz
- Leberinsuffizienz (z.B. bei Leberzirrhose)
- Hyposthenurie (<1,010 g/mL) bei:
- Hypervolämie
- Diabetes insipidus infolge fehlender ADH-Wirkung
- Nierenerkrankungen mit tubulärem Schädigungsmuster (Stauungsniere, als Folge rezidivierender Nephritiden)
- Elektrolytentgleisungen (schwere Hyperkalzämien oder Hypokaliämien)
- Isosthenurie (konstant Werte von 1,010 g/mL unabhängig vom Hydratationszustand): Hinweis auf eine verringerte Konzentrationsleistung der Niere bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz
- Fehlerquellen
- Falsch-hohe Befunde bei: Stark alkalischem Urin
- Falsch-niedrige Befunde bei: Stark saurem Urin
- Vorgehen bei auffälligem Befund: Abhängig von der Fragestellung, ggf. Abklärung einer Endokrinopathie (Diabetes insipidus, Hypocortisolismus)
Mikroskopische Untersuchung
Urinsediment
- Zellen: Erythrozyten, Leukozyten
- Phasenkontrastmikroskopie zum Nachweis dysmorpher Erythrozyten (Akanthozyten)
- Zylinder
- Hyaline Zylinder: Unspezifischer Befund, auch bei Gesunden
- Aufbau: Bestehend aus Tamm-Horsfall-Proteinen
- Mikroskopie: Homogen, glasig-transparent und farblos
- Granulierte Zylinder: Hinweis auf eine Proteinurie (bspw. im Rahmen einer Glomerulo- oder Pyelonephritis); mitunter aber auch bei Gesunden (z.B. nach starker körperlicher Belastung)
- Aufbau: Bestehend aus einer hyalinen Matrix, in die verschieden große Tröpfchen von Plasmaproteinen eingelagert sind
- Mikroskopie: Meist größer als hyaline Zylinder, eingeschlossene Plasmaprotein-Tröpfchen, stark lichtbrechend
- Epithelzylinder: Hinweis auf eine Glomerulonephritis, interstitielle Nierenerkrankungen (Tubulusschaden) , teilweise aber auch bei Gesunden
- Aufbau: Bestehend aus zusammengelagerten, abgeschilferten Tubulusepithelzellen
- Mikroskopie: Schlauchartige Zellzylinder, teilweise mehrreihig, mitunter schwer von Leukozytenzylindern zu unterscheiden
- Leukozytenzylinder: Hinweis auf glomeruläre und interstitielle Nephritis, Pyelonephritis u.a.
- Aufbau: Zusammengelagerte Leukozyten, teilweise einer Eiweiß-Grundsubstanz aufgelagert
- Mikroskopie: Meist scharfe Randbegrenzung der Zylinder , mitunter schwer von Epithelzylindern zu unterscheiden
- Erythrozytenzylinder: Hinweis auf eine Glomerulonephritis
- Hyaline Zylinder: Unspezifischer Befund, auch bei Gesunden
Urinzytologie
- Indikation
- Diagnostik und Nachsorge des Harnblasen-/Urothelkarzinoms
- Durchführung
- Vorbereitung: Zentrifugation des Urins, Fixierung, Färbung (meist nach Papanicolaou)
- Konventionelle Urinzytologie: Mikroskopische Beurteilung insb. der Zellkerne
- Malignitätskriterien: Entrundung des Zellkerns, verdickte Kernmembranen, Veränderungen des Kern-Plasma-Verhältnis zugunsten des Zellkerns, erhöhter Chromatingehalt des Zellkerns (Hyperchromasie)
- Aussagekraft
- Wenig differenzierte Urotheltumoren werden mit höherer Wahrscheinlichkeit (80–90%) detektiert als hochdifferenzierte (ca. 50%)
- Hohe Sensitivität insb. für zystoskopisch nicht erkennbare Karzinome (z.B. Carcinoma in situ)
- Automatisierte Verfahren: Meist vollautomatisierte zytometrische Ermittlung des DNA-Gehalts der Zellen
Mikrobiologische Untersuchung („Urinkultur“)
Indikation
- Bei V.a. einen Harnwegsinfekt, insb. bei positivem Nachweis von Leukozyten und/oder Nitrit im Urinteststreifen
- Ausnahme: Bei nicht-hospitalisierten Frauen mit einem unkomplizierten Harnwegsinfekt kann häufig auf eine Kultur verzichtet werden
Die diagnostischen Säulen einer Harnwegsinfektion sind die Klinik (Dysurie), der pathologische Urinstatus (Leukozyturie, Nitriturie) und der Nachweis pathogener Erreger in der mikrobiologischen Diagnostik!
Bestandteile
- Mikroskopie: Untersuchung nach Gramfärbung
- Kulturelle Anzucht auf geeigneten Nährmedien: Verwendung von Urintauchkulturen bzw. Beimpfung geeigneter Kulturmedien
- Bei Wachstum: Keimdifferenzierung und Resistenztestung (Antibiogramm)
- Keimzahlbestimmung: Durch Anwendung kalibrierter mikrobiologischer Methoden
Die Befunde des Urinstatus sind umgehend, die orientierende Mikroskopie innerhalb von Stunden verfügbar. Der Befund zu Anzucht, Spezies- und Keimzahlbestimmung und Resistogramm benötigt i.d.R. ca. 48 h!
Interpretation
- Keimzahl
- Ab 105KBE/mL : Signifikante Bakteriurie → Harnwegsinfekt sehr wahrscheinlich, insb. bei Nachweis eines uropathogenen Erregers
- Bei typischer Klinik (Dys-, Pollakisurie) können bereits Keimzahlen von >103KBE/ml signifikant sein
- Keimvielfalt
- Bei einem Harnwegsinfekt ist meist ein Keim führend
- Wenn hohe Zahlen und mehrere Keime → Hinweis auf Kontamination
- Erregerspektrum beachten: Am häufigsten sind Keime der Darmflora (siehe auch: Ätiologie der Urozystitis), lokale Häufungen von Erregern (ggf. als Nosokomialinfektion) sind möglich
Besondere Konstellationen
Asymptomatische Bakteriurie
- Definition: Nachweis einer Bakteriurie ≥ 105 KBE/mL im Mittelstrahlurin ohne Vorliegen klinischer Symptome
- Vorkommen: Bei gesunden Männern stets pathologisch und verdächtig auf das Vorliegen einer chronischen Prostatitis, bei ansonsten gesunden prämenopausalen Frauen ein Zufallsbefund in 1–5% der Patientinnen ohne Krankheitswert.
- Geriatrische Patient:innen: Insb. bei Patient:innen aus Pflegeeinrichtungen und bei Vorliegen einer dauerhaften Urinkatheterableitung
- Schwangerschaft: Bei Schwangeren liegt die asymptomatische Bakteriurie häufiger vor und erhöht das Risiko für das Auftreten einer Pyelonephritis im Schwangerschaftsverlauf
- Therapeutische Konsequenz: Antibiotische Therapie nur bei Risikogruppen, unkritische Antibiotikagaben prädisponieren für die Entwicklung symptomatischer Harnwegsinfektionen
- Ansonsten gesunde Frauen mit asymptomatischer Bakteriurie: Keine standardmäßige Therapie, nur bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen mit einem klar zu identifizierenden Erreger als Auslöser
- Bei Urolithiasis: Bei Urolithiasis mit einer Harnwegsinfektion als Triebfeder der Konkrementbildung ist eine konsequente antibiotische Eradikation insb. nitritproduzierender Bakterienstämme nach Resistogramm sinnvoll, siehe auch: Harnsteine - Nachsorge
- Bei Schwangeren: Eine antibiotische Behandlung kann erwogen werden, siehe auch: Urozystitis - Antibiotische Therapie in der Schwangerschaft
- Bei geriatrischen Patient:innen inkl. Blasenkatheterpatient:innen: Therapieentscheidung abhängig vom Vorliegen weiterer klinischer Symptome (Schmerzen, Fieber) und/oder Entzündungszeichen (CRP-Erhöhung)
- Patient:innen mit (neurogenen) Blasenentleerungsstörungen bzw. nach operativen Rekonstruktionen der Harnwege: Eine Kolonisation der Harnwege ist hier eher ein Normalfall, keine antibiotische Therapie ohne Vorliegen weiterer Symptome einer Harnwegsinfektion
- Bei geplantem Wechsel eines Blasenkatheters: Keine routinemäßige antibiotische Therapie!
- Bei Patient:innen mit Nephrostoma oder interner Harnleiterschienung: Vor Intervention bzw. Wechsel Diagnostik und ggf. antibiotische Behandlung
- Bei Patient:innen mit bevorstehender urologischer OP: Bei jeglicher operativer Intervention mit Durchbrechung der Integrität des Urothels präoperative Diagnostik und ggf. antibiotische Therapie
- Perioperative Antibiotikaprophylaxe in der Urologie: Eingriffsspezifisch bestehen Empfehlungen zur perioperativen Antibiotikaprophylaxe
Patient:innen mit asymptomatischer Bakteriurie sollen nicht mit Antibiotika behandelt werden!
Diskrepante Befunde
Es kommen merkwürdige Befundkonstellationen vor (wie eine sterile Leukozyturie ), in denen ein (scheinbarer) Widerspruch zwischen Urinbefund, Klinik und einem Therapieansprechen besteht. Mögliche Ursachen dafür sind:
- Erreger durch Standarddiagnostik nicht erfasst
- Urethritis mit abweichendem Erregerspektrum (Chlamydien, Gonorrhö, Mykoplasmen, Ureaplasma urealyticum)
- Urogenitale Tuberkulose
- Schistosomiasis (insb. bei Hämaturie und Reiseanamnese)
- Infektionen durch Viren und Pilze (Rarität bei immunkompetenten Patient:innen)
- Abakterielle Entzündungen
- Urethro-okulo-synoviales Syndrom bei reaktiver Arthritis (Leukozyturie ohne Erregernachweis)
- Nephritiden
- Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantation
- Weitere Sonderfälle und Differenzialdiagnosen
- Chronisch rezidivierende Prostatitis
- Bakterielle Vaginose (Trichomonas vaginalis)
Studientelegramme zum Thema
- Studientelegramm 89-2019-1/3: Measure for Measure? ‒ Kochsalzzufuhr und Mortalität
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