Zusammenfassung
Die Belastungsinkontinenz (früher: Stressinkontinenz) beschreibt einen unwillkürlichen Urinverlust bei Belastung. Ursächlich ist eine abdominelle Druckerhöhung mit konsekutiver Erhöhung des Harnblasendrucks oberhalb des Harnröhrenverschlussdrucks bei vorgeschädigter Beckenbodenmuskulatur. Der Schweregrad wird anhand der Belastungsintensität ermittelt. Therapeutisch kommen sowohl konservative als auch medikamentöse und operative Verfahren zum Einsatz.
Epidemiologie
- Prävalenz der Harninkontinenz: ♀ > ♂ [1][2]
- ♀
- Lineare altersabhängige Steigerung bis 50 Jahre auf ca. 30%, erneuter Anstieg ab 70 Jahren
- In jüngeren Jahren überwiegt die Belastungsinkontinenz, im Alter eher die Mischinkontinenz
- ♂
- 3–11% aller Männer unabhängig von der Inkontinenzform
- Belastungsinkontinenz <10%, Dranginkontinenz (40–80%) und Mischinkontinenz (10–30%)
- Postoperative Harninkontinenz (insb. Belastungsinkontinenz)
- Nach offener radikaler Prostatektomie: 4–12%
- Nach laparoskopischer Prostatektomie: 10– 25%
- Nach roboterassistierter Prostatektomie: 3–9%
- Nach transurethralen Eingriffen : 0–9%
- ♀
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Bindegewebe- und/oder Muskelschwäche
- Urogenitaler Deszensus
- Urethral bedingte Verschlussinsuffizienz
- Postpartal
- Postoperativ (z.B. nach radikaler Prostatektomie, transurethralen Eingriffen, Radiatio , Verletzung von Nerven und Muskeln)
- Postmenopausal
- Änderung der intraabdominellen Druckverhältnisse (Adipositas, Asthmatiker, „Raucherhusten“)
- Permanente schwere körperliche Belastung
- Harnwegsinfektion [3]
Pathophysiologie
Anatomie und Funktion der Harnblase
Die Anatomie und Physiologie der Kontinenz und Miktion wird im vorklinischen Kapitel Harnblase behandelt.
Komponenten des Harnröhrenverschlusses [4]
- Harnröhrentonus: Harnröhrenverschlussdruck in Ruhe
- Passive Drucktransmission: Abdominelle Drucksteigerung bei Belastung → Druck auf Blasenhals und Harnröhre
- Aktive Drucktransmission: Kontraktion der quergestreiften Beckenboden- und Sphinktermuskulatur bei Belastung
Pathophysiologie der weiblichen Harninkontinenz [2]
Für die Funktion der kontrollierten Harnblasenentleerung ist der komplexe Mechanismus des Harnröhrenverschlusses entscheidend. Im Laufe der Zeit wurden daher verschiedene Theorien entwickelt, welche als Grundlage für die Harnkontinenz eine intakte quergestreifte Muskulatur des Beckenbodens, intakte Nerven und Ligamente gemein haben.
Hängemattentheorie nach DeLancey [5]
- Elastische vordere Vaginalwand als „Hängematte“ für die Harnröhre
- Fixation der vorderen Vaginalwand am Musculus levator ani und Arcus tendineus fascia pelvis
- Unter Belastung Druck auf Harnröhre gegen die „Hängematte“ → Verschluss der Harnröhre
- Defekt der „hängemattebildenden“ Schicht → Insuffizienter Verschluss der Harnröhre → Harninkontinenz
Integraltheorie nach Petros/Ulmsten [6]
- Aktuellste Hypothese
- Kontinenzmechanismus an distaler Urethra: Widerlager durch die Ligg. pubourethralia
- Voraussetzung
- Intakter Bandapparat des Beckens
- Intakte Beckenbodenmuskulatur
- Elastische vordere Vaginalwand
- Ausreichender Harnröhrentonus
- Intaktheit periurethraler und perivaginaler Bänder sorgt für korrekte Wirkung der Kraftvektoren bei Belastung
- Koordination von Kräften durch intakte Vaginalwand
- Defekt einzelner Strukturen → Hypermobilität und Positionsverschiebung der Harnröhre unter Belastung → Harninkontinenz
Pathophysiologie der männlichen Harninkontinenz [2]
Die Inkontinenz des Mannes ist häufig durch eine Sphinkterschädigung bei Prostatabehandlung bedingt.
- Lageänderung des Sphinkters durch Prostatachirurgie (Descensus der posterioren Harnröhre und des Blasenhalses) → Kein intakter Harnröhrenverschluss unter Belastung möglich → Harninkontinenz
- Narbige Umwandlung elastischer Strukturen des Kontinenzapparates durch ionisierende Strahlung oder thermische Energie → Hemmt konzentrischen Harnröhrenverschluss, Kontraktilität des Sphinkters und Reaktionsvermögen auf plötzliche Druckerhöhung auf die Harnblase bei Belastung → Harninkontinenz
Klassifikation
Schweregrade nach Stamey und Ingelman-Sundberg [2]
Gradeinteilung der Belastungsinkontinenz nach Stamey und Ingelmann-Sundberg | |
---|---|
Grad 1 | Urinverlust bei plötzlichem Anstieg des abdominellen Drucks (z.B. Husten, Niesen, Lachen) und schwerer körperlicher Belastung (Heben) |
Grad 2 | Urinverlust bei geringer Belastung (z.B. Gehen, Aufstehen von einem Stuhl oder aus dem Bett) |
Grad 3 | Urinverlust unabhängig von Belastung oder Körperposition (z.B. im Liegen) |
Gradeinteilung der Belastungsinkontinenz mittels Pad-Test
Gradeinteilung der Belastungsinkontinenz mittels Pad-Test | |
---|---|
Grad 1 | ≤10 mL Harnverlust |
Grad 2 | 10–25 mL Harnverlust |
Grad 3 | 25–50 mL Harnverlust |
Grad 4 | >50 mL Harnverlust |
- Für den genauen Ablauf siehe: Pad-Test
Die EAU (European Association of Urology) empfiehlt den Pad-Test, um das Ausmaß der Inkontinenz zu quantifizieren sowie im Verlauf die Therapieergebnisse zu objektivieren! [7]
Symptomatik
- Urinverlust in Belastungssituationen ohne Harndrang
- Rezidivierende Harnwegsinfekte
Diagnostik
Für Details zur Basisdiagnostik bei Inkontinenz siehe Diagnostik bei Harninkontinenz
- Ausführliche Anamnese und Evaluation des Miktionsverhaltens
- Quantifizierung des Urinverlusts
- Allgemeine gynäkologische Untersuchung
- Marshall-Bonney-Test
- Für weitere Details zu Stresstests bei V.a. Belastungsinkontinenz siehe auch: Harninkontinenz
- Apparative Diagnostik (siehe auch: Sonografie bei Harninkontinenz)
- Sonografie der Harnblase
- Sonografie des Beckenbodens (Perineal- oder Introitussonografie)
- Miktionsurethrogramm bei unklaren Befunden
- Urodynamik
- Zystoskopie
Differenzialdiagnosen
- Dranginkontinenz
- Mischinkontinenz
- Überlaufinkontinenz
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Konservative Therapie [1][8]
Die konservative Therapie (inkl. lokaler Östrogentherapie bei Frauen) gilt als Therapie der ersten Wahl bei Belastungsinkontinenz. Bei fehlender Heilung nach 3–6 Monaten wird eine operative Therapie empfohlen.
- Gewichtsreduktion
- Regelmäßige Miktion
- Keine erhöhte Flüssigkeitsaufnahme [8]
- Stuhlregulierung bei chronischer Obstipation
- Schwere körperliche Arbeit vermeiden
- Beckenbodentraining
- Elektromagnetische Beckenbodenkontraktionen
- Biofeedback
- Pessarbehandlung (bei Frauen)
- Hilfsmittel
- Einlagen, Inkontinenzhosen
- Inkontinenztampon
- Kondomurinal und Penisklemme
- Suprapubischer Katheter
Medikamentöse Therapie [1][2][3][8]
- Hormonelle Therapie (bei Frauen)
- Indikation: Postmenopausal bei atropher Vaginalschleimhaut und/oder Pessartherapie (zur Vermeidung lokaler Nekrosen und Läsionen)
- Anwendung: Topische Östrogengabe
- Wirkung: Bessere Vaskularisation, Epithelproliferation und höhere Sensibilität auf α-Adrenozeptoren
- Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
- Indikation [8]
- Nur bei psychisch gesunden Patienten:innen
- In Deutschland Zulassung nur bei Frauen
- Anwendung: Duloxetin (einziger zugelassener Wirkstoff)
- Wirkung: Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin im Nucleus Onuf des Sakralmarks, dadurch erhöhte Konzentration an postsynaptischer Membran (Motoneurone des N. pudendus) → Erhöhter Sphinktertonus
- Nebenwirkung: Übelkeit (40%), Müdigkeit, Mundtrockenheit, Insomnie, Obstipation, Schwindel
- Ergebnisse
- Hohe Abbruchrate (20-40% in Kurzzeitstudien)
- Erfolgsrate vergleichbar zu Beckenbodentraining
- Indikation [8]
- α- und β-Adrenergika
- Indikation: Nur bei leichten Inkontinenzgraden
- α-Adrenergika (z.B. Midodrin, Off-Label Use): Erhöhung des Harnröhrentonus (glatte Muskulatur)
- β2-Adrenergika (Clenbuterol, Spiropent): Relaxation des Detrusor vesicae, möglicher Effekt an quergestreifter Muskulatur (nicht nachgewiesen)
- Systemische Nebenwirkungen (Blutdruckanstieg, Tachykardie, Herzrhythmusstörungen), daher klinisch selten eingesetzt
- Trizyklische Antidepressiva
- Imipramin und Doxepin können eine Erhöhung des urethralen Widerstands bei gleichzeitiger Senkung der Harnblasenkontraktilität bewirken
- Sehr seltene Anwendung bei Belastungsinkontinenz (Off-Label Use)
Operative Therapien [1][2][2][3][9][10][11]
Die operative Therapie der Belastungsinkontinenz sollte erst nach Ausschöpfen der konservativen Therapie erfolgen. Die Therapieentscheidung richtet sich je nach Schwere der Symptomatik, Compliance und Operationsfähigkeit (Alter, Komorbiditäten) der Betroffenen sowie der Expertise der behandelnden Kliniken. Es gibt eine Vielzahl operativer Eingriffe bei der Behandlung der Belastungsinkontinenz. Die wichtigsten und häufigsten sind hier in Kürze aufgeführt.
Bei Frauen
Suburethrale Schlingen/Bänder [8][11]
- „Goldstandard“ der operativen Therapie [8]
- Referenzverfahren der operativen Therapie, gleich effektiv wie Kolposuspension nach Burch
- Indikation: Belastungsinkontinenz ohne korrekturbedürftigen paravaginalen Defekt, Mobile Harnröhre , Mischinkontinenz , larvierte Belastungsinkontinenz
- Wirkprinzip: Unterstützung des Blasenhalses durch spannungsfreie Einlage eines suburethralen Bandes
- Vorteil: Durchführung in Lokalanästhesie unter Analgosedierung möglich
- Tension-free vaginal tape (TVT)
- Zugangswege: Vaginoabdominal-retropubisch , abdominovaginal-retropubisch
- Traktionsrichtung und Lage des Bandes u-förmig um Urethra
- Operationsablauf (retropubische Technik – abdominovaginaler Weg)
- Steinschnittlagerung
- Vaginale Inzision im Bereich der mittleren Urethra ca. 1 cm unterhalb des Meatus urethrae externus
- Präparieren unter der Vaginalhautfaszie mit spreizenden Bewegungen mittels Präparierschere bis zum paraurethralen Raum knapp unter Ramus inferior ossis pubis, Kontrolle der Präparationstiefe mittels Zeigefinger
- Zwei abdominelle Inzisionen ca. 2 cm lateral der Mittellinie knapp vor dem Os pubis
- Einbringen des Tunnelierungsinstruments je rechts und links über die Inzisionen mit engem Kontakt zum Os pubis lateral, paravesikal bis auf den Beckenboden zur endopelvinen Faszie → Durchstechung der endopelvinen Faszie → Tasten der Spitze des Tunnelierungsinstruments mit dem Zeigefinger im paraurethralen Raum → Ausführen des Instrumentes nach vaginal
- Befestigung des alloplastischen Bandes an den Enden der Tunnelierungsgeräte und Durchzug nach außen abdominal
- Intraoperative Urethrozystoskopie (zum Ausschluss einer Blasenperforation)
- Zug des Bandes so weit, bis unter Urethra eine kleine Schlaufe liegt
- Einlegen einer kleinen Schere oder Overholt in Schlaufe → Lockerer Zug am Band von abdominal, sodass Schere oder Overholt ohne Widerstand zwischen Band und Urethra herausgezogen werden können
- Naht der vaginalen Inzision (fortlaufend oder mittels Einzelknopfnähten)
- Kürzung der Bandüberstände suprapubisch unter leichtem Herunterdrücken der Haut
- Naht der suprapubischen Inzisionen
- Komplikationen: Blasenverletzung (1–2%) , Banderosionen, Blutungen (z.B. paravesikales oder retropubisches Hämatom), De-Novo-Dranginkontinenz, Hyperkontinenz bei Überkorrektur
- Sonografischer Ausschluss einer inkorrekten Position des TVT bei postoperativer Inkontinenz oder Blasenentleerungsstörung
- Ergebnisse
- Erfolgsrate 80%, subjektive Heilungsrate 70–98%
- Transobturator Tape (TOT)
- Zugangswege: „Outside-in“ , „inside-out“
- Traktionsrichtung und Lage des Bandes v-förmig um Urethra
- Operationsablauf („outside-in“, transobturatorisch)
- Steinschnittlagerung mit Kippung der Oberschenkel nach kranial und lateral
- Tasten des Ramus inferior ossis pubis mit lateraler Inzision auf Höhe der Klitoris
- Mediane Kolpotomie 1 cm unter Meatus externus mit einer Länge von 2–3 cm
- Paraurethrale Präparation mit Präparierschere bis knapp unter Ramus inferior ossis pubis
- Ca. 2–3 cm sagittal Durchstechung von Haut in der Schenkelbeuge, der Oberschenkelfaszie und Membrana obturatoria unter etwas Druck mit dem Deschamps-Haken
- Griff des Deschamps-Hakens leicht nach vorn und lateral drehen → Krümmung des Hakens unter Ramus inferior ossis pubis mit Spitze nach medial führen
- Einführen des Zeigefingers in den paraurethral präparierten Raum legen und Tasten der Spitze des Deschamps-Hakens
- Ausleiten des Hakens nach vaginal
- Verbinden des Bands mit dem Deschamps-Haken und Ausleiten nach lateral durch Foramen obturatum
- Lösen des Deschamps-Hakens und Fixierung des Bandes mit Klemmen
- Gleiches Vorgehen auf Gegenseite
- Wichtig: Darauf achten, dass Band sich nicht verdreht
- Fakultativ: Urethro-Zystoskopie zum Ausschluss einer Blasenperforation
- Lockeres Einlegen einer Schere oder Overholt in suburethrale Schlinge
- Anziehen des Bandes an den Enden, bis Schere oder Overholt ohne Widerstand aus der Schlaufe herausgezogen werden kann
- Verschluss der Kolpotomie (fortlaufende oder Einzelknopfnaht)
- Kürzung der Bandüberstände in Schenkelbeuge unter leichtem Herunterdrücken der Haut
- Verschluss der Hautinzision
- Ergebnisse
- Ähnliche Kontinenzrate wie TVT
- Subjektive Heilungsrate 60–98%
- Komplikationen: Blasenverletzung (geringer als bei TVT, ca. 0,5%), Beckenhämatome und Speicherstörung, höhere Rate an chronischem perinealen Schmerz und Dyspareunie als bei TVT
- Mini-Schlingen: [12][13][14]
- Indikation: Alternative zu TVT/TOT
- Ziel: Verkürzung der OP-Zeit, Reduktion des Blutverlustes
- Wirkprinzip: Anbringen durch einzelne Inzision suburethral und Verankerung des Bandes meist im Foramen obturatum mit Gewebeankern
- Ergebnis: Geringere Wirksamkeit als TVT/TOT , Blasenverletzung und Blutungen als Komplikation trotz geringerer Manipulation möglich
- Adjustierbare Schlingen (Remeex®): Keine Überlegenheit zu konventionellen Schlingen nachgewiesen
Kolposuspension nach Burch [15]
- Veralteter Goldstandard
- Indikation: Hypermobile proximale Urethra und hypermobiler Blasenhals, Verfahren der 1. Wahl bei Kontraindikation oder Ablehnung der Implantation alloplastischer Bänder (z.B. Transobturator Tape, Tension-free vaginal Tape) [8]
- Durchführung
- Suprapubischer Zugang
- Urethraferne Fixierung der Vaginalvorderwand am Lig. ileopectineum
- Offen oder laparoskopisch möglich
- Ergebnisse
- Kontinenzrate bis zu 70% nach 10 Jahren beschrieben
- Postoperative Miktionsstörung in bis zu 10% der Fälle, De-Novo-Dranginkontinenz-Symptomatik in bis zu 17% der Fälle, erhöhtes Risiko eines Descensus genitalis, insb. einer Rektozele [1]
Kolposuspension nach Marshall-Marchetti-Krantz [15]
- Indikation: Hypermobile proximale Urethra und hypermobiler Blasenhals
- Durchführung
- Ergebnisse: Ähnlich wie bei Methode nach Burch
- Komplikation: Osteitis pubis in 3% der Fälle [1]
Weitere Optionen
- Faszienschlingentechnik: Meist nur noch alternativ zu TVT/TOT
- Artifizieller Sphinkter
- Indikation: Rezidivinkontinenz, nach multiplen Voroperationen und vollständigem Verlust der Schließmuskelfunktion, bei Urethralinsuffizienz
- Wirkprinzip: Implantation der Sphinktermanschette um Harnröhre/Blasenhals und der Pumpe in die äußeren Labien, Platzierung des druckregulierenden Ballons intraperitoneal
- Ergebnisse: Subjektive Heilungsrate 60–88%, Komplikationsrate mit Revisionsoperation 40%, mit Explantation 6–15% innerhalb der ersten 10 Jahre nach Implantation
Operative Therapie bei Vorliegen von Belastungsinkontinenz und Descensus genitalis [7][14]
- Allgemein
- Kombination von Deszensuschirurgie und Inkontinenzchirurgie in einzeitiger oder zweizeitiger Operation möglich
- Kontrovers diskutiert
- Behebung des Descensus genitalis siehe auch:
- Operative Therapie des Descensus genitalis
- Urologische Operationsvideos – GeSRU-Steps: Sakrokolpopexie
- Behebung der Belastungsinkontinenz
- Suprapubische Verfahren
- Kolposuspension nach Burch
- Kolposuspension nach Marshall-Marchetti-Krantz
- Nadelsuspensionsplastik
- Faszienschlingentechnik
- Suburethrale Schlingen
- Suprapubische Verfahren
Laut der European Association of Urology (EAU) sollte Patientinnen eine gleichzeitige operative Therapie des Descensus genitalis und der Belastungsinkontinenz angeboten werden!
Über eine höhere Komplikationsrate bei simultaner Therapie von urogenitalem Descensus und der Belastungsinkontinenz sollte hingewiesen werden!
Über die mögliche Verschlechterung der Inkontinenz bei einer reinen Korrektur des Descensus genitalis sollte aufgeklärt werden!
Bei Männern [14][16] [10]
Eine operative Therapie der Belastungsinkontinenz sollte bei stabilem Kontinenzstatus, frühestens 6 Monate nach einer operativen Intervention (z.B. Prostatektomie) und erst nach Ausschöpfen der konservativen Therapie erfolgen.
- Artifizieller Sphinkter
- Goldstandard
- Indikation
- Belastungsinkontinenz Grad II–III (z.B. bei Z.n. Prostatektomie, Radiatio )
- Voraussetzung: Fingerfertigkeit und kognitive Fähigkeiten des Patienten
- Durchführung
- System aus Manschette (Cuff) um den Blasenhals/oder bulbäre Harnröhre, intraperitoneal gelegener druckregulierender Ballon und Ventilpumpe skrotal
- Ergebnisse
- Allgemeine Komplikationen: Infekte, mechanische Defekte, Durchwanderung des Cuffs
- Kontinenzrate ca. 80%, Revisionsrate 20%
- Retrourethrale Schlinge (AdVance®,AdVanceXP® ): Transobturatorische Schlinge aus Polypropylene
- Indikation:Belastungsinkontinenz Grad I–II nach radikaler Prostatektomie, kein Sphinkterdefekt, positiver Repositionierungstest mit funktioneller Harnröhrenlänge ≥1 cm
- Kontraindikation: Negativer Repositionierungstest mit funktioneller Harnröhrenlänge <1 cm, Urinverlust im Liegen
- Durchführung
- Implantation retrourethral im Bereich der membranösen Harnröhre am Bulbus
- Zur korrekten Positionierung müssen das Centrum tendineum durchtrennt und der Bulbus mobilisiert werden
- Wirkprinzip: Nicht vollständig geklärt
- Ergebnis: Erfolgsrate 77%
- Komplikationen: Lokale Wundinfektionen, rezidivierende Harnwegsinfekte, postoperativer Harnverhalt, perineale Schmerzen
- Adjustierbare Schlingen
- Indikation: Belastungsinkontinenz Grad I–II, Harnstrahlunterbrechung möglich, Z.n. Radiatio
- Kontraindikation: Neoblase
- Durchführung: Positionierung der adjustierbaren Schlinge im Bereich der bulbären Urethra auf dem M. bulbospongiosus über perinealen Zugangsweg, Möglichkeit zur Adjustierung je nach System über externen Manipulator oder skrotal implantierten Port
- Wirkprinzip: Permanente Druckerhöhung des urethralen Widerstands
- 3 Systeme in Deutschland
- Argus®-Schlinge/Phorbas®-System
- Remeex®-System
- ATOMS®-System
- Ergebnis: Erfolgsraten von bis zu 65–80%, abhängig vom verwendeten System
- Komplikationen: Perineale Schmerzen, Wundinfektionen, Arrosion von Urethra, Blasenverletzungen
- Ballonimplantat am Blasenhals (ProAct®)
- Indikation: Gering- bis mittelgradige Belastungsinkontinenz (Grad I–II) nach Prostatektomie, TUR-P oder Zystoprostatektomie
- Durchführung
- Implantation zweier nachjustierbarer Ballons von perineal am Blasenhals
- Füllung der Ballons kann über Port (subkutan labial oder skrotal gelegen) angepasst werden
- Wirkprinzip: Kompression der Urethra und Erhöhung des Auslasswiderstandes
- Kontraindikation: Z.n. Radiatio
- Ergebnisse: Uneinheitlich Angaben in Literatur (Besserung in bis zu 92% der Fälle möglich, aber auch Bestehenbleiben der Inkontinenz in bis zu 30% der Fälle berichtet)
- Komplikationen: Hohe Explantationsrate (bis 30%) wegen Arrosion, Migration des Ballons
- Schlingensystem mit Knochenverankerung (Invance)
- Nicht-adjustierbare Schlinge aus silikonbeschichtetem Polypropylene
- Indikation: Keine ideale Indikation
- Durchführung: Fixierung der Schlinge mit je 3 Titanschrauben an den beiden Rami ossis ischiopubicum
- Wirkprinzip: Kompression der bulbären Harnröhre
- Kontraindikation: Radiatio, Restharnbildung, Belastungsinkontinenz Grad III
Die European Association of Urology (EAU) warnt aufgrund der hohen Komplikations- und Explantationsrate vor Implantation des ProAct®-Systems bei vorbestrahlten Patienten!
Laut European Association of Urology (EAU) gibt es bisher keinen Hinweis darauf, dass adjustierbare Schlingen besser sind als nicht-adjustierbare Schlingen!
Bei leichter bis moderater Belastungsinkontinenz können Männern Schlingenverfahren angeboten werden!
Submuköse Injektion (Bulking Agents)
- Indikation
- Hypotone Urethra ohne Hypermobilität
- Ultima Ratio bei nicht narkosefähigen Patient:innen
- Durchführung
- Wirkprinzip: Erhöhung des Auslasswiderstandes
- Ergebnisse
- Initial gute Erfolgsrate, jedoch nicht im Langzeitverlauf (mehrfache Injektionen nötig)
- Nicht bei Patient:innen mit komplettem Heilungswunsch empfohlen
Supravesikale Harnableitung
- Ultima Ratio (z.B. nach Radiatio, destruiertem Sphinkter)
- Inkontinente Harnableitung: Ileumkonduit
- Kontinente Harnableitung: Z.B. Mainz-Pouch, suprapubische Zystostomie bei nicht operationsfähigen Patient:innen
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- N39.-: Sonstige Krankheiten des Harnsystems
- N39.3: Belastungsinkontinenz [Stressinkontinenz]
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.