Zusammenfassung
Als Embryonalentwicklung bezeichnet man die pränatale Entwicklung bis zum Ende der 8. Entwicklungswoche. Diese Zeit ist sehr ereignisreich, da hier grundlegende Entwicklungsschritte vollzogen werden, auf deren Basis später die Organentwicklung stattfindet. Nach der Implantation des Keims in die Gebärmutterschleimhaut besteht der Keim aus Embryoblast und Trophoblast. Während sich der Embryoblast im Verlauf zu den verschiedenen embryologischen Körperstrukturen weiterentwickelt, ist der Trophoblast vor allem an der Ausbildung des pränatalen Versorgungssystems beteiligt. Direkt zu Beginn der zweiten Woche differenziert sich der Embryoblast weiter in Epiblast und Hypoblast, wodurch die zweiblättrige Keimscheibe entsteht. In dieser Zeit entstehen auch Amnionhöhle und Dottersack sowie das extraembryonale Mesoderm und die spätere Chorionhöhle (= extraembryonales Zölom). In der dritten und vierten Woche findet dann die Differenzierung der zweiblättrigen zur dreiblättrigen Keimscheibe im Rahmen der Gastrulation statt. Aus den drei Keimblättern (Entoderm, Mesoderm, Ektoderm) entstehen verschiedene Strukturen, die im Anlageplan festgehalten sind. Auch das Nervensystem entsteht in diesen Wochen. Bei der sog. Neurulation bilden sich aus dem Ektoderm das Neuralrohr und die Neuralleiste nach Stimulation mit Signalmolekülen der Chorda dorsalis. Weiterhin werden in dieser Zeit die Körperachsen festgelegt und die Embryonalanlage erreicht durch kraniokaudale und laterale Abfaltung eine dreidimensionale Struktur. Die fünfte bis achte Woche sind vor allem durch die Anlage der noch fehlenden Organe und die weitere Differenzierung des embryonalen Gewebes gekennzeichnet.
Frühentwicklung (2. Woche)
Nach der Implantation in der ersten Woche besteht der Keim aus Embryoblast und Trophoblast. Der Embryoblast differenziert sich in der zweiten Woche weiter, sodass zwei Schichten entstehen, die als Epi- und Hypoblast bezeichnet werden. Das Areal, in dem die beiden Schichten aufeinanderliegen, wird als zweiblättrige Keimscheibe bezeichnet. Aus dieser Keimscheibe wandern Zellen so aus, dass zwei Höhlen entstehen, die als Amnionhöhle (vom Epiblasten gebildet) und Dottersack (vom Hypoblasten gebildet) bezeichnet werden. Da der Trophoblast im Vergleich zur Amnionhöhle und zum Dottersack schneller wächst, entsteht dort eine dritte Höhle (Chorionhöhle), die von extraembryonalem Mesoderm ausgekleidet wird. Neben der Entwicklung der Keimscheibe bildet sich in der zweiten Woche auch der uteroplazentare Kreislauf aus.
- Gliederung
- Entwicklung der zweiblättrigen Keimscheibe
- Entstehung von Amnionhöhle und Dottersack
- Auswanderung des extraembryonalen Mesoderms
- Dauer: 8.–14. Tag
- Ziel: Aus der Blastozyste entsteht durch weitere Differenzierung die Embryonalanlage, die aus zweiblättriger Keimscheibe, Amnionhöhle und Dottersack besteht
Die zweiblättrige Keimscheibe
Direkt nach der Implantation differenziert sich der Embryoblast in zwei einander anliegende Zellschichten , die zusammen als zweiblättrige Keimscheibe bezeichnet werden. Nach Bildung von Amnionhöhle und Dottersack liegt die zweiblättrige Keimscheibe genau dazwischen.
- Epiblast: Zellen, die an den Trophoblasten grenzen
- Hypoblast: Zellen, die an die Blastozystenhöhle grenzen
Aus dem Epiblast gehen neben der Amnionhöhle alle drei Keimblätter (Ektoderm, Mesoderm und Entoderm) und somit das gesamte embryonale Gewebe hervor! Aus dem Hypoblast entsteht das extraembryonale Mesoderm sowie der Dottersack!
Entstehung von Amnionhöhle und Dottersack
Aus der frisch entstandenen zweiblättrigen Keimscheibe wandern im Anschluss Zellen aus, die je um den Epi- bzw. Hypoblasten eine Höhle formen.
Entstehung der Amnionhöhle
Die Amnionhöhle wird von Zellen des Epiblasten gebildet.
- Primäre Amnionhöhle: Spaltraum zwischen Epiblast und Trophoblast
- Sekundäre Amnionhöhle
- Entsteht durch Auswanderung der Epiblastenzellen (= Amnioblasten) entlang des Trophoblasten, sodass die primäre Amnionhöhle von Amnioblasten ausgekleidet ist
- Abgeschlossener flüssigkeitsgefüllter Raum (= Amnionhöhle) entsteht
Entstehung des Dottersacks
Der Dottersack wird von Zellen des Hypoblasten gebildet.
- Primärer Dottersack: Entsteht durch die seitliche Auswanderung der Hypoblastenzellen (= Dottersackepithel), sodass die ehemalige Blastozystenhöhle von Dottersackepithel ausgekleidet ist
- Sekundärer Dottersack: Durch Abschnürung eines Teils des primären Dottersacks verkleinert sich dieser bis zum Ende der zweiten Woche zum sekundären Dottersack
Die zweiblättrige Keimscheibe bildet nun die Trennschicht zwischen Dottersack und Amnionhöhle!
Auswanderung des extraembryonalen Mesoderms
- Ausgangssituation: Amnionhöhle und primärer Dottersack sind vom Trophoblasten umgeben
- Verlauf
- Spaltbildung zwischen Trophoblast (außen) und Amnionhöhle sowie dem primären Dottersack (innen), da der Trophoblast deutlich schneller wächst
- Spaltraum wird durch extraembryonales Mesoderm ausgekleidet
- Durch erneute Spaltbildung im extraembryonalen Mesoderm entsteht ein neuer Hohlraum und das extraembryonale Mesoderm gliedert sich in zwei über den Haftstiel verbundene Blätter
- Parietales Blatt: Kleidet den Trophoblasten aus
- Extraembryonales Zölom (= Chorionhöhle)
- Höhle, die im extraembryonalen Mesoderm entsteht und zwischen den beiden Blättern verbleibt
- Als sog. Chorionhöhle von der mittleren Eihaut (= Chorion, bestehend aus parietalem Blatt+Trophoblast) ausgekleidet
- Viszerales Blatt: Umgibt Amnionhöhle und Dottersack mit dazwischenliegender Keimscheibe
- Haftstiel: Bleibt als Brücke zwischen parietalem und viszeralem Blatt erhalten → Später Teil der Nabelschnur
Das extraembryonale Zölom entspricht der Chorionhöhle, die von der mittleren Eihaut (=Chorion, bestehend aus parietalem Blatt des extraembryonalen Mesoderms und dem Trophoblasten) ausgekleidet ist.
Gastrulation, Neurulation und Morphogenese (3.-4. Woche)
Im Laufe der dritten und vierten Woche differenziert sich die Embryonalanlage weiter aus. Die drei Keimblätter entstehen und die Blutbildung im Mesenchym des Dottersacks beginnt. Außerdem werden das Nervensystem und das Darmrohr angelegt. Im Laufe der vierten Woche entwickelt sich die spätere Körperform des Embryos durch die laterale Abfaltung der Keimscheibe sowie die Ausbildung der Extremitätenknospen. Ebenso entstehen die ersten intraembryonalen Blutgefäße und die Herzanlage als Basis des primordialen Kreislaufsystems. Im kranialen Bereich des Embryos bilden sich die Schlundbögen, die Linsenplakode und die Ohrgrübchen aus.
- Gliederung
- Voraussetzung für die Gastrulation: Primitivstreifen und Primitivknoten
- Gastrulation
- Voraussetzung für die Neurulation: Chorda dorsalis
- Neurulation
- Morphogenese
- Differenzierung der Keimscheibe
- Dauer: 15.–28. Tag
- Ziel: Weitere Differenzierung des Embryos und Entstehung erster Organanlagen
- Schlundbögen
- Linsenplakode
- Ohrgrübchen
- Primordiales Kreislaufsystem mit Herzanlage und ersten intraembryonalen Blutgefäßen
- Darmrohr
- Nervensystem
Voraussetzung für die Gastrulation: Primitivstreifen und Primitivknoten
Der Primitivstreifen entsteht als längliche Zellverdichtung in der Medianebene des Epiblasten. Gemeinsam mit dem Primitivknoten und den aus ihm hervorgehenden Strukturen bildet er die Voraussetzung für die Entwicklung der dreiblättrigen Keimscheibe.
- Definition
- Primitivstreifen: Längliche Zellverdichtung in der Medianebene des Epiblasten
- Primitivknoten: Rundliche Zellverdichtung am kranialen Ende des Primitivstreifens
- Assoziierte Strukturen
- Primitivrinne: Längliche Vertiefung im Primitivstreifen
- Primitivgrube: Punktförmige Vertiefung im Primitivknoten
- Funktion
- Voraussetzung für die Entstehung der dreiblättrigen Keimscheibe
- Festlegung der kraniokaudalen Körperachse
Der Primitivstreifen legt die kraniokaudale Körperachse fest, der Primitivknoten definiert den kranialen Pol!
Gastrulation
Bei der Gastrulation entsteht durch Auswanderung von Epiblastenzellen die dreiblättrige Keimscheibe. Vom Epiblasten ausgehend wandern Zellen zwischen Epi- und Hypoblast ein und werden zum intraembryonalen Mesoderm. Der Hypoblast wird komplett durch Zellen des Epiblasten verdrängt, aus denen in der Folge das Entoderm entsteht. Der ursprüngliche Epiblast wird zum Ektoderm.
- Definition: Auswanderung von Epiblastenzellen (Invagination) zwischen Epiblast und Hypoblast sowie Verdrängung des Hypoblasten, damit die dreiblättrige Keimscheibe entstehen kann.
- Ausgangspunkt: Primitivstreifen als längliche Verdichtung des Epiblasten
- Ziel: Entstehung der dreiblättrigen Keimscheibe (Mesoderm, Entoderm und Ektoderm)
- Ablauf
- Entstehung Mesoderm (intraembryonales Mesoderm)
- Epiblastenzellen unterhalb des Primitivstreifens lösen sich aus dem Zellverband und wandeln sich zu Mesodermzellen um (= epithelial-mesenchymale Transformation)
- Mesodermzellen wandern in die dadurch entstandene Primitivrinne ein
- Ausbreitung der Zellen beidseits der Primitivrinne und Entstehung einer neuen Schicht zwischen Epiblast und Hypoblast, das sog. Mesoderm
- Entstehung Entoderm
- Epiblastenzellen wandern von Primitivstreifen und Primitivknoten aus in die Hypoblastenschicht ein
- Epiblastenzellen verdrängen die Hypoblastenzellen komplett und bilden ein weiteres Keimblatt, das sog. Entoderm
- Entstehung Ektoderm: Differenzierung der verbleibenden Epiblastenzellschicht zum Ektoderm
- Entstehung Mesoderm (intraembryonales Mesoderm)
Das gesamte embryonale Gewebe entspringt dem Epiblasten!
Voraussetzung für die Neurulation: Die Chorda dorsalis
Die Chorda dorsalis entsteht parallel zur dreiblättrigen Keimscheibe aus dem Chordafortsatz. Sie ist die Leitstruktur für die Ausbildung des Nervensystems. Relikte der Chorda dorsalis sind die Nuclei pulposi der Zwischenwirbelscheiben.
- Definition: Schlauchförmige Einstülpung zwischen Ektoderm und Entoderm, die als Leitstruktur für die Ausbildung des Nervensystems gilt
- Lokalisation: Der Chordafortsatz wandert entlang der späteren kraniokaudalen Körperachse vom Primitivknoten (dem kranialen Ende des Primitivstreifens) weiter nach kranial und endet an der Prächordalplatte
- Zeitraum: 3. Entwicklungswoche
- Ablauf:
- Im Rahmen der Gastrulation wandern Epiblastzellen durch Primitivknoten und -streifen zwischen Epiblast und Hypoblast aus und bilden das Mesoderm.
- Axiales Mesoderm: Einige dieser Zellen wachsen röhrenförmig vom Primitivknoten weiter nach kranial und bilden den Chordafortsatz. Vor dem Chordafortsatz liegt das prächordale Mesoderm.
- Der Chordafortsatz verschmilzt mit dem darunter liegenden Entoderm. Zudem löst sich zumindest teilweise der „Boden“ des Chordafortsatzes auf, so dass nur das „Dach“ als sog. Chordaplatte erhalten bleibt. Dadurch kann zeitweise eine Verbindung zwischen Amnionhöhle und Dottersack bestehen (Canalis neurentericus).
- Die Chordaplatte verschmilzt zur strangförmigen Chorda dorsalis. Außerdem bildet sich erneut eine durchgehende Entodermschicht, so dass die dreiblättrige Keimscheibe wieder vollständig ist und die Chorda dorsalis nun wieder zwischen Ektoderm und Entoderm liegt.
- Während dieser Vorgänge beginnt bereits die Neurulation.
Die Chorda dorsalis bildet sich im Verlauf der Embryonalentwicklung zurück. Relikte sind die Nuclei pulposi der Zwischenwirbelscheiben!
Neurulation
Als Neurulation wird die Entstehung des Neuralrohrs und der Neuralleisten bezeichnet, die Vorläufer des zentralen und peripheren Nervensystems sind. Daneben entstehen aus der Neuralleiste auch noch eine Reihe anderer Gewebe. Parallel zur Bildung des Neuralrohrs entsteht das Oberflächenektoderm, das später die Epidermis des Rückens bildet.
- Definition: Entstehung des Neuralrohrs und der Neuralleisten durch Abfaltung der Neuralplatte
- Ausgangssituation
- Chorda dorsalis sezerniert Signalmoleküle für die Ausdifferenzierung des medialen (direkt über der Chorda gelegenen) Ektoderms zu neuralen Zellen
- Dieser Bereich wird als Neuralplatte bezeichnet
- Ablauf
- Der zentrale Bereich der Neuralplatte senkt sich ab und wird so zur Neuralrinne
- An den beiden Längsseiten der Neuralrinne befinden sich die Neuralfalten
- Durch das Aufeinanderwachsen der Neuralfalten entsteht aus der Neuralrinne das Neuralrohr
-
Kranial und kaudal steht das Neuralrohr je durch eine Öffnung (Neuroporus) mit der Amnionhöhle in Kontakt
- Neuroporus cranialis: Schließt sich am 24–25. Tag
- Neuroporus caudalis: Schließt sich am 26.–27.Tag
- Durch Verschmelzung der Neuralfalten der gegenüberliegenden Seiten miteinander entsteht oberhalb des Neuralrohrs das Oberflächenektoderm, das direkt an die Amnionhöhle grenzt
- Bei der Verschmelzung der Neuralfalten lösen sich einige Zellen aus dem Epithelverband und lagern sich als Neuralleiste zwischen Neuralrohr und Oberflächenektoderm ab
- Ergebnis
- Neuralrohr: Wird zum Zentralnervensystem (Gehirn und Rückenmark)
- Neuralleiste: Differenziert sich zu verschiedenen Zelltypen, u.a. Neuronen, Spinalganglien und Glia des peripheren Nervensystems
- Oberflächenektoderm: Wird zur Epidermis des Rückens
Das gesamte Nervensystem entsteht aus Ektoderm!
Neuralrohrdefekte
Neuralrohrdefekte oder embryonale Spaltbildungen gehören zu den häufigsten ZNS-Fehlbildungen und entstehen, wenn sich das embryonale Neuralrohr unvollständig verschließt (meist am kaudalen oder kranialen Ende). Spaltbildungen am kaudalen Ende sind häufiger und werden als Spina bifida bezeichnet. Es wird eine Spina bifida occulta von eine Spina bifida aperta unterschieden. Bei der Spina bifida occulta besteht lediglich eine Spaltbildung des knöchernen Wirbelbogens, bei der Spina bifida aperta sind in den Defekt zusätzlich die Meningen und evtl. das Rückenmark einbezogen, weshalb die Klinik wesentlich ausgeprägter ist und sogar zum Auftreten einer Querschnittssymptomatik führen kann. Die Klinik der kranialen Spaltbildungen (Cranium bifidum) ist ebenfalls stark von der Lokalisation und Ausprägung abhängig, wobei die Maximalvariante, der Anenzephalus, nicht mit dem Leben vereinbar ist. Die Diagnose eines Neuralrohrdefekts wird häufig schon während der Schwangerschaft mittels Sonografie und der Bestimmung von erhöhten AFP- und Acetylcholinesterase-Werten im Fruchtwasser gestellt. Therapeutisch kann lediglich eine Defektdeckung erfolgen, die neurologische Prognose ist oft nur geringfügig beeinflussbar. Präventiv sollten während der Schwangerschaft ausreichende Mengen an Folsäure eingenommen werden, da sie wichtig für die Zellteilung ist und das Auftreten von Neuralrohrdefekten verhindern kann.
Morphogenese
Als Morphogenese wird die Entstehung der Körperform bezeichnet. Dabei kommt es zu sog. Abfaltungen (= Krümmungen) des Embryos, wodurch aus der flachen, zweidimensionalen Keimscheibe eine dreidimensionale Embryonalanlage wird, die sich im Verlauf der Schwangerschaft immer weiter der späteren menschlichen Körperform annähert. Während dieser Abfaltungsprozesse entstehen die Leibeshöhle, die Leibeswand und das Darmrohr. Neben der Entwicklung des Darmrohrs wird in diesem Abschnitt auch auf die Entstehung der oberen und unteren Körperöffnung eingegangen: Am kranialen und kaudalen Embryonalpol gibt es je einen mesodermfreien Bezirk, in dem Entoderm und Ektoderm direkt aufeinanderliegen und als Rachen- bzw. Kloakenmembran bezeichnet werden. In diesen beiden Bereichen entstehen im Verlauf Mund und After.
Festlegung der Körperachsen
- Dorsoventrale Körperachse: Entsteht durch die Differenzierung des Embryoblasten zur zweiblättrigen Keimscheibe
- Dorsale Körperachse: Epiblast
- Ventrale Körperachse: Hypoblast
- Kraniokaudale Körperachse: Entsteht durch das Auswachsen des Primitivstreifens
- Kranialer Pol: Primitivknoten
- Rechts-Links Differenzierung: Seitenspezifische Anordnung der unpaaren Brust- und Bauchorgane wird durch die molekulare Asymmetrie von Signalmolekülen im Seitenplattenmesoderm festgelegt
Situs inversus
Sehr selten kommt es zu einer fehlerhaften Rechts-Links-Differenzierung, die zu einer Heterotaxie, d.h. zu einer Verlagerung der Brust- oder Bauchorgane von der rechten auf die linke Seite oder umgekehrt führt. Das klinische Bild wird als Situs inversus bezeichnet. Es handelt sich primär nicht um eine Erkrankung, jedoch sollte man diese Besonderheit bei Untersuchungen bedenken.
Kraniokaudale Abfaltung
- Ziel: Einengung des Dottersacks
- Ablauf: Der kraniale und der kaudale Embryonalpol rollen sich ein, wodurch die Keimscheibe gekrümmt wird
- Ergebnis: Embryo hat eine C-Form
- Kaudaler Anteil: Steißfalte
- Kranialer Anteil: Kopffalte
Laterale Abfaltung
- Ziel
- Weitere Einengung des Dottersacks
- Entstehung von Leibeshöhle und Darmrohr
- Ablauf
- Auswachsen der seitlichen Ränder der Keimscheibe nach ventral
- Annäherung des Ektoderms und des ihm aufliegenden Seitenplattenmesoderms beider Seiten
- Zusammenwachsen beider Seiten lässt seitliche und vordere Körperwand sowie einen Hohlraum, die sekundäre Leibeshöhle (intraembryonales Zölom) entstehen
- Annäherung des Entoderms und des ihm aufliegenden Seitenplattenmesoderms beider Seiten → Entstehung des Darmrohrs
- Ergebnis
- Sekundäre Leibeshöhle (= intraembryonales Zölom)
- Darmrohr
- Schlunddarm
- Vorderdarm
- Mitteldarm
- Enddarm
Entstehung von Rachen- und Kloakenmembran
- Ziel: Bildung der späteren Körperöffnungen
- Ablauf
- Rachenmembran (=Buccopharyngealmembran oder Oropharyngealmembran): Mesodermfreier Bereich am kranialen Embryonalpol
- Sinkt durch Gehirnwachstum in die Tiefe und die Mundbucht (= Stomatodeum) entsteht
- Rachenmembran reißt kurz nach der Abfaltung ein → Entstehung einer Verbindung zwischen Mundbucht (und damit auch der Amnionhöhle) und dem Darmrohr
- Kloakenmembran: Mesodermfreier Bereich am kaudalen Embryonalpol
- Sinkt durch Wachstum der Steißfalte in die Tiefe und die Afterbucht (= Proktodeum) entsteht
- Kloakenmembran reißt deutlich später als die Rachenmembran → Entstehung einer Verbindung zwischen Amnionhöhle und Urogenital- bzw- Analtrakt
- Rachenmembran (=Buccopharyngealmembran oder Oropharyngealmembran): Mesodermfreier Bereich am kranialen Embryonalpol
- Ergebnis
- Der Embryo steht über die Körperöffnungen mit der Außenwelt (z.B. der Amnionflüssigkeit) in Verbindung
Differenzierung der Keimscheibe
Differenzierung des Mesoderms
Axiales Mesoderm
- Lage: Zentraler Anteil des Mesoderms
- Bestandteile: Chorda dorsalis und prächordales Mesoderm
Paraxiales Mesoderm
- Lage: Strangförmig an die Chorda dorsalis angrenzendes Mesoderm
- Bestandteile: Somiten
- Ablauf:
- Das paraxiale Mesoderm segmentiert sich entlang des Neuralrohrs in rundliche Zellhaufen (Somiten)
- Bis zu Beginn der fünften Woche bilden sich in kraniokaudaler Richtung initial 42–44 Somitenpaare
- Rückbildung einiger Somitenpaare, sodass letztlich 35–37 Somitenpaare übrig bleiben
- Somiten als Ursegmente bedingen die auch beim ausgewachsenen Organismus (z.B. an den Wirbelkörpern) noch erkennbare segmentale Gliederung des Körpers (Metamerie)
- Differenzierung der Somiten durch Signalmoleküle der Chorda dorsalis in unterschiedliche Abschnitte
- Abschnitte der Somiten
- Sklerotom: Auswanderung der Zellen nach medial in Richtung Chorda dorsalis und Fusion der beiden Sklerotome eines Somitenpaares
- Dermomyotom
- Dermatom: Auswanderung in Richtung Oberflächenektoderm
- Myotom: Untergliederung in dorsales Epimer und ventral gelegenes Hypomer
- Epimer (Embryologie): Zellen wandern nicht aus sondern verbleiben an Ort und Stelle
- Hypomer: Zellen wandern aus
Intermediäres Mesoderm
- Lage: Lateral des paraxialen Mesoderms gelegen
- Bestandteile: Urogenitalfalte, die den nephrogenen Strang und die Genitalleiste enthält
Seitenplattenmesoderm
- Lage: Lateral des intermediären Mesoderms
- Bestandteile
- Parietales Blatt (Somatopleura): Dem Ektoderm anliegendes Blatt
- Viszerales Blatt (Splanchnopleura): Dem Entoderm anliegendes Blatt
- Bereits in der zweiten Entwicklungswoche entstehen dort, wo sich später das Seitenplattenmesoderm befindet, kleine Spalten im Mesoderm
- Durch die laterale Abfaltung kommt es zur Verschmelzung des Seitenplattenmesoderms beider Seiten und die Zölomspalten fließen zu einem großen Hohlraum (intraembryonales Zölom) zusammen
- Er stellt die sekundäre Leibeshöhle dar, die sich später in die Perikardhöhle, die Pleurahöhle und die Peritonealhöhle differenziert
- Dadurch Aufteilung des Seitenplattenmesoderms in zwei Blätter
Mesenchym ≠ Mesoderm: Mesoderm bezeichnet eines der drei Keimblätter, das sich zu unterschiedlichen Geweben differenzieren kann. Das Mesenchym hingegen stellt das embryonale Bindegewebe dar, das vor allem aus dem Mesoderm, aber auch aus anderen Keimblättern entsteht.
Embryonaler Anlageplan
Als Anlageplan (engl. fate map) bezeichnet man die Auflistung der Derivate einer Zellpopulation, also z.B. eines Keimblattes. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die verschiedenen Gewebearten und Strukturen, die aus den drei Keimblättern entstehen.
Keimblattstruktur | Differenzierte Gewebe/Organe | ||
---|---|---|---|
Ektoderm |
| ||
Neuralleiste |
| ||
Ektodermale Plakoden | |||
Oberflächenektoderm |
| ||
Mesoderm (= intraembryonales Mesoderm) | Axial | Prächordal |
|
Chorda dorsalis | |||
Paraxial | Sklerotom |
| |
Dermatom |
| ||
Myotom |
| ||
Intermediär | |||
Seitenplattenmesoderm | Viszerales Blatt (Splanchnopleura) |
| |
Parietales Blatt (Somatopleura) |
| ||
Entoderm |
|
Weiterentwicklung des Embryos (5.-8. Woche)
Die fünfte bis achte Woche der Embryonalentwicklung steht vor allem im Zeichen der Organanlagen und der weiteren Differenzierung des Embryos. In der sich anschließenden Fetalperiode wächst und reift der Fötus nur noch, alle Organanlagen sind bis zum Ende der achten Woche angelegt. Auf die Differenzierung und die genaue Entwicklung der einzelnen Organe (Organogenese) soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Du findest sie immer zu Beginn der jeweiligen Organkapitel.
- Dauer: 29.–56. Tag
- Ziel: Anlage aller noch fehlenden Organanlagen und weitere Differenzierung der einzelnen Gewebe
Charakteristika | |
---|---|
5. Woche |
|
6. Woche |
|
7. Woche |
|
8. Woche |
|
Wiederholungsfragen zum Kapitel Embryonalentwicklung
Frühentwicklung (2. Woche)
Direkt nach der Implantation differenziert sich der Embryoblast in die sog. „zweiblättrige Keimscheibe“, die aus Epi- und Hypoblast besteht. Welche Strukturen gehen aus dem Epiblast hervor?
Gastrulation, Neurulation und Morphogenese (3.–4. Woche)
Was ist die Chorda dorsalis und wo befinden sich ihre Relikte beim erwachsenen Menschen?
Das Neuralrohr ist nach seiner Entstehung zunächst nach kranial und kaudal hin geöffnet. Mit welcher Struktur steht das Neuralrohr dadurch in Verbindung und wann schließen sich die Öffnungen?
Wie entsteht die Neuralleiste und welche Strukturen des Nervengewebes gehen aus ihr hervor?
Aus welchen embryonalen Anlagen gehen folgende Strukturen bzw. Zellen hervor: Septum und Ausflussbahn des Herzens, autochthone Rückenmuskulatur, Extremitätenskelett, Thyreozyten, Drüsengewebe?
Eine Sammlung von allgemeineren und offeneren Fragen zu den verschiedenen prüfungsrelevanten Themen findest du im Kapitel Beispielfragen aus dem mündlichen Physikum.
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Embryologie
Embryogenese
Embryogenese – Teil 1: Befruchtung bis Implantation
Embryogenese – Teil 2: Von der 2- zur 3-blättrigen Keimscheibe
Embryogenese – Teil 3: Neurulation und Differenzierung des Mesoderms
Embryogenese – Teil 4: Morphogenese
Embryogenese – Teil 5: Weitere Embryonalentwicklung
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