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Tic-Störungen

Letzte Aktualisierung: 20.3.2025

Zusammenfassungtoggle arrow icon

Bei Tic-Störungen leiden die Betroffenen v.a. unter unwillkürlichen, im gleichen Muster wiederkehrenden, unrhythmischen motorischen Bewegungen oder vokalen Äußerungen, die bis zu einem gewissen Grad unterdrückt werden können. Tic-Störungen werden zu den extrapyramidal-motorischen Hyperkinesien gezählt. Dabei wird zwischen einfachen und komplexen Tics unterschieden. Allgemein bekannt (wenn auch klinisch eher selten) sind die komplexen motorischen und vokalen Tics beim Gilles-de-la-Tourette-Syndrom. Die häufigste Form ist die vorübergehende Tic-Störung, die fast ausschließlich im Kindesalter auftritt, in den meisten Fällen spontan sistiert und daher i.d.R. nicht therapiebedürftig ist. Schwere und progrediente Verlaufsformen werden primär verhaltenstherapeutisch behandelt, medikamentös kommen Antipsychotika (bevorzugt Aripiprazol) zum Einsatz.

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Epidemiologietoggle arrow icon

  • Punktprävalenz [1]
    • Vorübergehende Tic-Störung: 3–19%
    • Chronische motorische Tic-Störung: 1,3–5%
    • Tourette-Syndrom: 0,4–0,7%
  • Geschlechterverteilung: > (3–4:1)
  • Erkrankungsbeginn: Meist zwischen 4 und 6 Jahren

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

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Ätiologietoggle arrow icon

Die Ursache der Tic-Störungen ist nicht hinreichend bekannt und am ehesten multifaktoriell bedingt. Dabei spielen u.a. genetische, neurobiologische und Umweltfaktoren eine Rolle. [1][2]

  • Genetik: Familiäre Häufung
  • Neurobiologie: Dysfunktion insb. dopaminerg modulierter Regelkreise im Bereich der Basalganglien und des Motorkortex
  • Umweltfaktoren: Bspw. Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen
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Symptomatiktoggle arrow icon

Tic-Störungen können einen erheblichen Leidensdruck bei Betroffenen und deren Angehörigen auslösen.

Tic-Symptomatik

  • Definition eines Tics: Unwillkürliche, rasche, wiederholte, unrhythmische Bewegung meist umschriebener Muskelgruppen oder eine Lautproduktion, die plötzlich einsetzt und keinem erkennbaren Zweck dient [3]
  • Ausprägung
    • Deutliche Variation möglich
    • Meist überwiegen motorische und einfache Tics [3]
Einteilung der Tics nach Qualität und Komplexität (Beispiele) [1][2]
Einfach Komplex Besondere Phänomene (selten)
Motorische Tics
  • Stirnrunzeln
  • Augenblinzeln
  • Schulterzucken
  • Springen
  • Klatschen

Vokale Tics/Phonetische Tics

  • Räuspern
  • Schmatzen
  • Schniefen
  • Wörter
  • Sätze

Typische Merkmale [1][2]

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Diagnostiktoggle arrow icon

Exploration [2][7]

Anamnese und klinische Beobachtung sind maßgeblich für die Diagnostik. [6]

Testpsychologische Verfahren [2]

Testpsychologische Verfahren spielen im klinischen Alltag eher eine untergeordnete Rolle. Häufig ist die Symptomatik eindeutig und eine weiterführende Diagnostik nicht notwendig. [1]

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ICD-10toggle arrow icon

In der ICD-10-Klassifikation werden Tic-Störungen der Kategorie „Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend“ zugeordnet.

Vorübergehende Tic-Störung (F95.0)

Diagnostische Kriterien der vorübergehenden Tic-Störung nach ICD-10 [9]
A
  • Einzelne oder multiple motorische oder sprachliche Tics, die mehrmals am Tag sowie an den meisten Tagen in einem Zeitraum von mind. 4 Wochen auftreten
B
  • Dauer: ≤12 Monate
C
  • Kein Tourette-Syndrom und keine Hinweise auf eine organische oder pharmakologische Ursache
D
  • Beginn vor dem 18. Lebensjahr

Chronische motorische oder vokale Tic-Störung (F95.1)

Diagnostische Kriterien der chronischen motorischen oder vokalen Tic-Störung nach ICD-10 [9]
A
  • Motorische oder vokale Tics, die mehrmals am Tag sowie an den meisten Tagen in einem Zeitraum von mind. 12 Monaten auftreten
B
  • Im aktuellen Zeitraum von 1 Jahr keine Remission, die länger als 2 Monate andauerte
C
  • Kein Tourette-Syndrom und keine Hinweise auf eine organische oder pharmakologische Ursache
D
  • Beginn vor dem 18. Lebensjahr

Kombinierte vokale und multiple motorische Tics (Tourette-Syndrom) (F95.2)

Diagnostische Kriterien der kombinierten vokalen und multiplen motorischen Tics (Tourette-Syndrom) nach ICD-10 [9]
A
  • Multiple motorische Tics und ein oder mehrere vokale Tics, die eine Zeit lang, aber nicht notwendigerweise, gleichzeitig bestanden
B
  • Die Tics treten mehrmals am Tag und über einen Zeitraum von >1 Jahr fast jeden Tag auf
  • Keine Remission im gegebenen Jahr, die länger als 2 Monate andauerte
C
  • Beginn vor dem 18. Lebensjahr
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ICD-11toggle arrow icon

In der ICD-11-Klassifikation werden die Tic-Störungen nicht mehr den psychischen Störungen, sondern in erster Linie den Bewegungsstörungen als neurologisches Krankheitsbild zugeordnet. [2][6]

  • Neue Kategorie: Secondary Tics
  • Kriterium des Erstmanifestationsalters entfällt
  • Mehr Informationen zur ICD-11 (deutsche Entwurfsfassung) unter Tipps & Links
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Komorbiditätentoggle arrow icon

Chronische Tic-Störungen treten häufig zusammen mit psychischen Komorbiditäten auf, insb. [1][2]

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Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

Differenzialdiagnostisch sollten Erkrankungen mit hyperkinetischenTic-ähnlichen“ Symptomen abgegrenzt werden, bspw. [1]

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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Differenzialdiagnose: Muskelzuckungen des Gesichtstoggle arrow icon

Differenzialdiagnose: Muskelzuckungen des Gesichts
Erkrankung Charakteristika Therapie
Blepharospasmus
Oromandibuläre Dystonie
  • Extrapyramidal-motorische Bewegungsstörung
  • Repetitiv anhaltende Muskelkontraktionen vorwiegend der unteren Gesichtshälfte
Spasmus hemifacialis
  • Ätiologie: Diskutiert werden in Analogie zur Trigeminusneuralgie eine vaskuläre Kompression des N. facialis nach Austritt aus dem Hirnstamm sowie eine zentrale Übererregbarkeit der Hirnnervenkerne
  • Streng einseitige, schmerzlose, kurze (oder auch längere), klonische (oder tonische) Kontraktionen
  • Beginnt meist am Auge, kann im Verlauf auf die komplette, vom N. facialis innervierte Gesichtshälfte übergreifen
  • Länger andauernde tonische Krämpfe möglich → Funktionelle Blindheit, asymmetrische Gesichtszüge
  • Auch im Schlaf nachweisbar
Faziale Tic-Störung
  • Extrapyramidal-motorische Hyperkinesien
  • Komplexe Zuckungen auch über das Innervationsgebiet des N. facialis hinaus , die länger als 0,15 s andauern
  • Willentlich meist unterdrückbar, sistieren im Schlaf
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Therapietoggle arrow icon

Ob eine Tic-Störung therapiebedürftig ist, hängt u.a. vom individuellen Leidensdruck und vorliegenden Komorbiditäten ab. Dabei unterscheidet sich die Behandlung von Kindern grundsätzlich nicht von der bei Erwachsenen. [1][8]

Allgemein

  • Behandlungsziele
    • Symptomreduktion
    • Verbesserung der Lebensqualität
  • Grundsätzliches Vorgehen [2]
    • Therapie der Wahl: Verhaltenstherapie
      • Bei fehlender Wirksamkeit, Verfügbarkeit oder Compliance : Zusätzliche oder alleinige Pharmakotherapie
    • Ggf. primäre Behandlung komorbider Störungen in Erwägung ziehen
    • Therapiedauer: Wenn möglich mind. über mehrere Monate [1]
  • Bei Therapieresistenz [10]

Psychotherapie [1][11]

  • Psychoedukation [6]
  • Verhaltenstherapie
    • Habit Reversal Training , i.d.R. im Rahmen der Comprehensive Behavioral Intervention for Tics (CBIT)
      • Empfohlenes Alter: Ab 9 Jahren
      • Komponenten: Bspw. Wahrnehmungstraining, Entspannungsübungen, Trainieren einer Alternativbewegung
      • In Deutschland aktuell kaum verfügbar
    • Alternativ: Expositionstraining (Exposure and Response Prevention)

Medikamentöse Therapie [1]

Tic-Störungen werden zu den extrapyramidal-motorischen Hyperkinesien gezählt. I.d.R. liegt ein Dopaminüberschuss in den Basalganglien vor, sodass die Therapieansätze häufig auf einen Dopaminantagonismus abzielen.

Antipsychotika [6][8][12]

Das einzige bisher in Deutschland zugelassene Medikament ist das typische Antipsychotikum Haloperidol (ab 10 Jahren). Es wird jedoch aufgrund seines hohen Nebenwirkungsprofils nicht mehr empfohlen. Die Gabe aller nachfolgend aufgeführten Antipsychotika erfolgt als Off-Label Use:

  • Allgemeine Dosierungsempfehlung: Niedrige Einstiegsdosis, langsame Steigerung („Start low, go slow“)
  • Substanzen

Weitere Substanzen

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Prognosetoggle arrow icon

  • Verlauf [2]
    • Maximale Symptomausprägung: I.d.R. zwischen dem 10. und 12. Lebensjahr [1]
    • Häufig Voll- oder Teilremission zum 20. Lebensjahr hin
  • Spontanremissionsraten [2]
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025toggle arrow icon

  • F95.-: Ticstörungen
    • Syndrome, bei denen das vorwiegende Symptom ein Tic ist. Ein Tic ist eine unwillkürliche, rasche, wiederholte, nichtrhythmische Bewegung meist umschriebener Muskelgruppen oder eine Lautproduktion, die plötzlich einsetzt und keinem erkennbaren Zweck dient. Normalerweise werden Tics als nicht willkürlich beeinflussbar erlebt, sie können jedoch meist für unterschiedlich lange Zeiträume unterdrückt werden. Belastungen können sie verstärken, während des Schlafens verschwinden sie. Häufige einfache motorische Tics sind Blinzeln, Kopfwerfen, Schulterzucken und Grimassieren. Häufige einfache vokale Tics sind z.B. Räuspern, Bellen, Schnüffeln und Zischen. Komplexe Tics sind Sich-selbst-schlagen sowie Springen und Hüpfen. Komplexe vokale Tics sind die Wiederholung bestimmter Wörter und manchmal der Gebrauch sozial unangebrachter, oft obszöner Wörter (Koprolalie) und die Wiederholung eigener Laute oder Wörter (Palilalie).
    • F95.0: Vorübergehende Ticstörung
      • Sie erfüllt die allgemeinen Kriterien für eine Ticstörung, jedoch halten die Tics nicht länger als 12 Monate an. Die Tics sind häufig Blinzeln, Grimassieren oder Kopfschütteln.
    • F95.1: Chronische motorische oder vokale Ticstörung
      • Sie erfüllt die allgemeinen Kriterien für eine Ticstörung, wobei motorische oder vokale Tics, jedoch nicht beide zugleich, einzeln, meist jedoch multipel, auftreten und länger als ein Jahr andauern.
    • F95.2: Kombinierte vokale und multiple motorische Tics [Tourette-Syndrom]
      • Eine Form der Ticstörung, bei der gegenwärtig oder in der Vergangenheit multiple motorische Tics und ein oder mehrere vokale Tics vorgekommen sind, die aber nicht notwendigerweise gleichzeitig auftreten müssen. Die Störung verschlechtert sich meist während der Adoleszenz und neigt dazu, bis in das Erwachsenenalter anzuhalten. Die vokalen Tics sind häufig multipel mit explosiven repetitiven Vokalisationen, Räuspern und Grunzen und Gebrauch von obszönen Wörtern oder Phrasen. Manchmal besteht eine begleitende gestische Echopraxie, die ebenfalls obszöner Natur sein kann (Kopropraxie).
    • F95.8: Sonstige Ticstörungen
    • F95.9: Ticstörung, nicht näher bezeichnet

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.

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