Zusammenfassung
Hirnstimulationsverfahren wirken über eine elektrische oder magnetische Stimulation des Gehirns (oder dessen Afferenzen) und werden insb. zur Behandlung psychiatrischer und neurologischer Erkrankungen eingesetzt. Unterschieden werden dabei die nicht-invasiven (u.a. EKT, rTMS) von den invasiven Verfahren (THS, iVNS), wobei alle den gemeinsamen Ansatz verfolgen, krankheitsbedingte neuronale Veränderungen in spezifischen Gehirnregionen bzw. neuronalen Netzwerken zu modulieren und somit Symptome zu lindern.
Bei der Elektrokonvulsionstherapie (EKT) wird ein epileptischer Anfall durch elektrische Stimulation ausgelöst. Das therapeutische Agens ist der epileptische Anfall selbst, wobei der genaue Wirkmechanismus bislang ungeklärt ist. Die häufigste Behandlungsindikation ist die therapieresistente Depression. Weitere Indikationen sind andere schwerwiegende psychiatrische Störungen (bspw. perniziöse Katatonie). Einige Konstellationen (bspw. hohes Narkoserisiko, erhöhter Hirndruck, frischer Myokardinfarkt) bedürfen einer individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung. Absolute Kontraindikationen gibt es nicht. Die Wirksamkeit ist mit einer Remissionsrate von 50–90% bei depressiven Störungen hoch.
Bei der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) werden über ein Spule am Kopf wiederholte Magnetimpulse abgegeben. Die Behandlung erfolgt in wachem Zustand. Hauptindikationen sind therapieresistente Depressionen und Schizophrenie.
Als invasives Verfahren gilt die tiefe Hirnstimulation (THS), die insb. beim Morbus Parkinson zum Einsatz kommt. Hierbei werden in einem operativen Eingriff stimulierende Elektroden in bestimmte Hirnareale implantiert.
Bei der invasiven Vagusnervstimulation (iVNS) wird der linke Vagusnerv über eine Elektrode und einen subkutanen Impulsgeber (ähnlich einem Herzschrittmacher) stimuliert. Das Verfahren kommt insb. bei der pharmakoresistenten Epilepsie zum Einsatz.
Elektrokonvulsionstherapie (EKT)
Die Elektrokonvulsionstherapie ist ein modernes Behandlungsverfahren, das bei einigen schweren psychiatrischen Erkrankungen indiziert und wirksam ist.
Entwicklung [1]
- 1934: Erster pharmakologisch ausgelöster, epileptischer Anfall
- Ab 1938: Methodenverbesserung durch den Einsatz elektrischen Stroms zur Anfallsauslösung [2]
- Seit 1960er: Behandlung unter Muskelrelaxation und in Allgemeinanästhesie
- In deutschsprachigen Ländern: Vergleichsweise seltener Einsatz
Wirkmechanismus [1]
- Nicht abschließend geklärt
- Therapeutisches Agens: Epileptischer Anfall
Wirksamkeit [1]
- Insg. sehr gute Wirksamkeit bei schweren Verläufen und Therapieresistenz insb. affektiver und psychotischer Störungen
- Beste Wirksamkeit bei depressiven Störungen [3]
Indikation
EKT bei Depression [4][5]
- Therapieresistente Depression, insb. bei
- Älteren Personen
- Psychotischen Symptomen [3]
- Akute Suizidalität
- Depressiver Stupor (bei unzureichender Wirksamkeit von Lorazepam erwägen)
- Potenzielle Lebensgefahr bei psychotischer Depression
EKT bei anderen psychiatrischen Erkrankungen [6]
- Perniziöse Katatonie
- Malignes neuroleptisches Syndrom (Ultima Ratio)
- Therapieresistenz bei [7]
Kontraindikation
Grundsätzlich gibt es für eine EKT keine absoluten Kontraindikationen. Eine intensive Aufklärung, Risiko-Nutzen-Abwägung und Absprache mit anderen Fachrichtungen ist jedoch u.a. in folgenden Fällen notwendig: [1][3][5]
- Deutlich erhöhtes Komplikationsrisiko bei Allgemeinanästhesie
- Erhöhter intrazerebraler Druck
- Zerebrale Gefäßveränderungen (bspw. Aneurysmen, Angiome)
- Frischer Myokardinfarkt/Schlaganfall (<3 Monate)
- Schwerer arterieller Hypertonus
- Akuter Glaukomanfall
- Thrombose der Bein- oder Beckenvenen
- Frische Fraktur
- Schwangerschaft (siehe: EKT bei Schwangeren)
Für eine EKT bestehen keine absoluten Kontraindikationen!
Vorbereitung
- Ausführliche Anamnese [3]
- Problemsituationen abklären und ggf. vorbereitende Maßnahmen treffen [1]
- Siehe auch: Risikokonstellationen für eine EKT
- Narkoserisiken abklären
- Medikation auf mögliche Interaktionen mit der EKT überprüfen, insb.
- Problemsituationen abklären und ggf. vorbereitende Maßnahmen treffen [1]
- Aufklärung und schriftliche Einwilligung [1][3]
- Frühzeitig und idealerweise Angehörige einbeziehen
- EKT nicht als Ultima Ratio nennen
- Bei fehlender Einwilligungsfähigkeit: Juristischer Vertreter
Ablauf/Durchführung
Durchführung [1][5]
- Auslösung eines epileptischen Anfalls
- Durch Applikation von Stromimpulsen über Oberflächenelektroden an der Kopfhaut [3]
- I.d.R. selbstlimitierend (30–90 s) [2]
- In Zusammenarbeit mit Anästhesieteam
- Kurze Allgemeinanästhesie (wenige Minuten)
- Muskelrelaxation
- Beatmung mittels (Larynx‑)Maske
- Monitoring
- EEG (Ableitung über beiden Hemisphären)
- Pulsoximetrie
- EKG
- Blutdruck [1]
Platzierung der Stimulationselektroden [1]
Eine unilaterale Stimulation der nicht-dominanten Hemisphäre wird i.d.R. als 1. Wahl eingesetzt. Bei unzureichendem Erfolg kann auf eine bilaterale Stimulation gewechselt werden.
- Rechts unilateral (RUL)
- 1. Elektrode: Rechts temporal
- 2. Elektrode: Rechts hochparietal
- Bitemporal (BT)
- 1. Elektrode: Rechts temporal
- 2. Elektrode: Links temporal
- Links anterior - rechts temporal (LART)
- 1. Elektrode: Links frontal
- 2. Elektrode: Rechts temporal
- Bifrontal (BF)
- 1. Elektrode: Rechts frontal
- 2. Elektrode: Links frontal
Behandlungssteuerung [1][9]
- Allgemein
- Größte Relevanz: Klinische Wirksamkeit
- Hilfreich: Beurteilung der Qualitätsmerkmale eines Anfalls
- Verbesserung der Anfallsqualität durch diverse Steuerungsmaßnahmen möglich
- Bei insuffizientem Anfall (0–2 Qualitätsmerkmale erfüllt): Restimulation mit erhöhter Intensität im Rahmen der bereits bestehenden Narkose erwägen
- Qualitätsmerkmale eines Anfalls
- Dauer >25 s
- EEG-Amplitude während des Anfalls >180 μV
- EEG-Synchronität der Hemisphären während des Anfalls: Mind. 90%
- Postiktale Suppression
- Herzfrequenz >120/min
- Mögliche Steuerungsmaßnahmen
- Stimulusintensität erhöhen
- Elektrodenposition ändern (Wechsel auf bilaterale Stimulation)
- Narkotikum wechseln [10]
- Konvulsionshemmende Medikamente reduzieren (bspw. Benzodiazepine)
- Hyperventilation vor Stimulation
Behandlungsdauer [1][5]
Therapieserie
- 8–12 Behandlungen
- Frequenz: Meist 2–3 Behandlungen pro Woche
- Ende: Durch klinischen Verlauf bestimmt
Erhaltungsbehandlungen
- Ziel: Rezidivprophylaxe
- Indikation: Nach erfolgreicher EKT-Behandlungsserie und
- Anamnestischem Rückfall unter anderer Rezidivprophylaxe
- Unverträglichkeit für andere Rezidivprophylaxe
- Präferenz der Betroffenen
- Intervalle
- Zunächst meist 1 Woche
- Schrittweise Verlängerung der Intervalle
- Bis zu 4–6 Wochen
Nebenwirkungen und Komplikationen
Die EKT gilt als sicheres Behandlungsverfahren, das keine strukturellen Hirnschäden zur Folge hat. Das Mortalitätsrisiko von ca. 1:50.000 Behandlungen entspricht dem allgemeinen Narkoserisiko kleinerer Eingriffe. [3]
Nebenwirkungen [1][5]
- Häufige Nebenwirkungen
- Schwindel, Übelkeit
- Kopfschmerzen
- Muskelkater
- Kognitive Nebenwirkungen
- Meist vollständige und zügige Rückbildung von [11]
- Postiktalen Verwirrtheitszuständen
- Postiktalen Funktionsstörungen (bspw. Wortfindungsstörungen)
- Amnesien um den Ereigniszeitpunkt herum
- Selten anhaltende retrograde Amnesie
- Meist vollständige und zügige Rückbildung von [11]
Mögliche Komplikationen [1]
- Prolongierter Anfall: Iktales EEG >2 min
- Maßnahme im Akutfall: Pharmakologische Durchbrechung des Anfalls
- Benzodiazepin
- Bei Persistenz: Anfallssuppressivum (Valproat) oder Anästhetikum (Propofol oder Thiopental)
- Mögliche Maßnahmen für folgende Behandlungen
- Stimulationsintensität erhöhen
- Propofolnarkose
- Keine Hyperventilation vor Stimulation
- Ggf. anfallsfördernde Medikation reduzieren (bspw. Antipsychotika)
- Maßnahme im Akutfall: Pharmakologische Durchbrechung des Anfalls
- Weitere
- Herzrhythmusstörungen
- Blutdruckdysregulation
- Switch zu hypomaner Symptomatik
EKT bei Schwangeren
Eine EKT ist in der Schwangerschaft nicht kontraindiziert, unerwünschte Ereignisse kommen jedoch in ca. 30% der Fälle vor. Der Einsatz sollte daher nur bei schwerer Symptomausprägung und als Ultima Ratio erwogen werden. [12]
Mögliche unerwünschte Ereignisse der EKT bei Schwangerschaft
- Fetaler Herzfrequenzabfall
- Uterine Kontraktionen
- Frühgeburt
- Kindliche Mortalität: Ca. 7%
Zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen bei EKT in der Schwangerschaft
- Ärztlich-gynäkologische Begleitung der EKT
- Arterielle BGAs während und sofort nach EKT
- Kardiotokografie während und sofort nach EKT
Repetitive Transkranielle Magnetstimulation (rTMS)
- Indikationen, u.a.
- Therapieresistente Depression
- Schizophrenie
- Andauernde akustische Halluzinationen
- Persistierende Negativsymptome
- Vorgehen
- Einsatz repetitiver, kurzer, starker Magnetimpulse
- Applikation über Spule direkt an Kopfoberfläche
- Ansteuerung gezielter Kortexareale möglich, bspw.
- Frequenzabhängige Modulation kortikaler Erregbarkeit
- Stimulation i.d.R. 5× pro Woche, über 2–6 Wochen
- Merkmale
- Nicht-invasiv
- Keine Anästhesie notwendig
- Ambulant durchführbar
- Insg. sehr gute Verträglichkeit
- Keine kognitiven Nebenwirkungen bekannt
- Nebenwirkungen
- Häufig: Passagere Kopf-, Nacken-, Zahnschmerzen und Parästhesien
- Selten: Switch in (Hypo‑)Manie , epileptischer Anfall
- Kontraindikationen
- Relative
- Zurückliegende epileptische Anfälle
- Tumore oder Läsionen im Gehirn (vaskulär, traumatisch, entzündlich, metabolisch)
- Anfallsschwellensenkende Medikation (bspw. Clozapin), ohne gleichzeitige Einnahme eines Anfallssuppressivums
- Schlafentzug
- Alkoholkonsum
- Schwangerschaft
- Schwere Herzerkrankung
- Absolute
- Magnetische Metallgegenstände im Kopfbereich (Ausnahme: Zahnprothesen)
- Implantierte Geräte, inkl.
- Medikamentenpumpe
- Hirnstimulatorsysteme (bspw. tiefe Hirnstimulation)
- Cochlea-Implantat
- Relative
Tiefe Hirnstimulation (THS)
- Indikationen
- Morbus Parkinson (häufigster Anwendungsfall)
- Dystonie
- Epilepsie
- Tremor
- Zwangsstörung (keine etablierte Behandlungsmethode )
- Vorgehen
- Vorab: Zerebrale Bildgebung zur Planung des optimalen Zugangsweges
- Stereotaktische Implantation stimulierender Elektroden in definierte Hirnareale
- Implantation eines subkutan gelegenen Impulsgebers
- Wirkmechanismus
- Nicht vollständig geklärt
- Frequenzabhängige Modulation neuronaler Netzwerke
- Merkmale
- Invasiv
- In Allgemeinanästhesie oder als Wachkraniotomie möglich
- Symptomatisches Behandlungsverfahren
- Nebenwirkungen [1]
- (Post‑)Operative Komplikationen, u.a.
- Hirnblutungen [16]
- Epileptische Anfälle
- Infektionen
- Elektrodendislokation
- Stimulationsabhängige Nebenwirkungen
- (Post‑)Operative Komplikationen, u.a.
- Kontraindikationen [17]
- Relevante operative Kontraindikationen
- Schwere Allgemeinerkrankungen bzw. stark prognoseverschlechternde Erkrankungen
- Demenz
- Schwere Depression/Manie
- Suizidalität
- Psychose
Vagusnervstimulation (VNS)
Invasive Vagusnervstimulation (iVNS) [18][19]
- Indikationen
- Vorgehen
- Subkutane Implantation eines Impulsgebers unterhalb der linken Clavicula sowie einer Elektrode am linken Vagusnerv (zervikal)
- Verbindung der beiden über subkutanes Kabel
- Nach abgeschlossener Wundheilung (i.d.R. 14 Tage): Beginn mit intermittierender elektrischer Stimulation
- Wirkeintritt: Baut sich langsam auf, teils über Jahre
- Stimulationsparameter
- Stromintensität : Therapeutischer Bereich ca. 1,5–2,25 mA
- Pulsweite : Ca. 130–1.000 μs
- Frequenz : Ca. 20–30 Hz
- Arbeitszyklus (AN-/AUS-Zeit)
- Stimulationsdauer
- Wirkmechanismus
- Merkmale
- Invasiv
- Durchführung in Allgemeinanästhesie (Dauer: 1–2 h)
- Batteriewechsel des Impulsgebers ca. alle 6–10 Jahre nötig
- Insg. gute Verträglichkeit
- Keine kognitiven Nebenwirkungen
- Nebenwirkungen
- Operative Komplikationen, u.a.
- Blutung
- Wundinfektion
- Stimmbandlähmung
- Stimulationsabhängige Nebenwirkungen (eher temporär ), u.a.
- Leichte Stimmveränderungen
- Heiserkeit
- Parästhesien
- Husten
- Dyspnoe
- Kopfschmerzen
- Schluckstörungen
- Schlafstörungen
- Nackenschmerzen
- Verschlechterung eines obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms (OSAS)
- Operative Komplikationen, u.a.
- Kontraindikationen
- Z.n. linksseitiger Vagotomie
- Elektrotherapie
- Ultraschalltherapie
- Relevante operative Kontraindikationen
- Vorbekannte Allergien auf bestimmte Materialien
- Schweres obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (OSAS)
Nicht-invasive transkutane Vagusnervstimulation (tVNS) [19]
Diese Verfahren werden in Deutschland derzeit nur im Rahmen von Studien eingesetzt bzw. sind kommerziell erwerblich.
Transkutane aurikuläre Vagusnervstimulation (taVNS)
- Vorgehen: Reizung des R. auricularis im Bereich der Ohrmuschel
- Anwendungs- und Forschungsbereiche, u.a.
- Pharmakoresistente Epilepsie
- Schmerzen (akut und chronisch) [20]
- Migräne
- Therapieresistente Depression
Transkutane zervikale Vagusnervstimulation (tcVNS)
- Vorgehen: Reizung der zervikalen Fasern des N. vagus entlang des M. sternocleidomastoideus
- Anwendungs- und Forschungsbereiche, u.a.
Studientelegramme zum Thema
- One-Minute Telegram (aus unserer englischsprachigen Redaktion)
- One-Minute Telegram 62-2022-2/3: ECT more effective than ketamine in major depressive episode
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