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Zwangsstörungen

Letzte Aktualisierung: 5.3.2025

Zusammenfassungtoggle arrow icon

Zwangsstörungen präsentieren sich meist als eine Kombination aus Zwangsgedanken (Vorstellungen, Ideen) und Zwangshandlungen. Sie drängen sich Betroffenen wiederholt innerlich auf und werden i.d.R. als unsinnig und unangenehm erlebt. Es gelingt jedoch meist nicht, Widerstand zu leisten, was zu einem hohen Leidensdruck und starker Alltagsbeeinträchtigung führen kann. Ursächlich scheinen sowohl biologische (Neurobiologie, Genetik) als auch psychosoziale Aspekte relevant zu sein. Zur Diagnosestellung nach ICD-10 müssen Zwangsgedanken und/oder -handlungen an den meisten Tagen während mind. 2 Wochen vorhanden sein. Die Komorbidität mit anderen psychiatrischen Störungen ist hoch, insb. Angststörungen und Depressionen. Therapeutisch stehen mit Psychotherapie (insb. Expositionstraining) und medikamentöser Behandlung (insb. SSRI) wirksame Mittel zur Verfügung. Ohne Behandlung verlaufen Zwangsstörungen meist chronisch.

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Epidemiologietoggle arrow icon

  • Lebenszeitprävalenz: Ca. 2–3% [1]
  • Alters- und Geschlechterverteilung [2]
    • Erkrankungsbeginn meist im Jugendalter [3]
    • Lebenszeitrisiko:

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

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Ätiologietoggle arrow icon

Wie bei den meisten psychiatrischen Erkrankungen wird bei den Zwangsstörungen eine multifaktorielle Genese angenommen. [1][2]

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Symptomatiktoggle arrow icon

Symptome und Einteilung [1][2][4]

Meist treten Zwangsgedanken und -handlungen in Kombination bzw. gemischt auf (ICD-10: F42.2).

  • Allgemein
    • Rezidivierend auftretende Zwangsgedanken und/oder -handlungen über mind. 2 Wochen
    • Gedanken/Handlungen werden i.d.R. als unsinnig erlebt
    • Widerstand führt zu Angstentwicklung und bleibt i.d.R. erfolglos
    • Oftmals starke Beeinträchtigung des sozialen und beruflichen Alltags
    • Häufig Vermeidungsverhalten
    • Oft Verheimlichung der Zwangssymptome, da sich viele Betroffene für ihre Gedanken oder Verhaltensweisen schämen
  • Zwangsgedanken: Vorstellungen, Ideen (engl: „obsessions“)
    • Einordnung als eigene Gedanken
    • Meist quälender Charakter
    • Beispielhafte Ausprägungen
      • Kontamination: Gedanken an Schmutz und Infektion
      • Pathologischer Zweifel: Gedanken in Bezug auf eigenes Handeln
      • Ordnung: Gedanken an Symmetrie und Struktur
      • Magie: Gedanken an Konsequenzen des eigenen Denkens und Handelns
    • Unterform: Zwangsimpulse
      • Sich aufdrängende Handlungsimpulse
      • Oft angstauslösend und als unsinnig bewertet
      • Werden in aller Regel nicht ausgeführt
  • Zwangshandlungen: Von außen sichtbare oder rein kognitive Handlungen (engl: „compulsions“) [3]
    • Meist Folge von Zwangsgedanken oder zielen auf Vollständigkeitserleben ab [3][5]
    • Repetitive, meist sicherheitsgebende und oft ritualisierte Handlungen gegen inneren Widerstand
    • Ausführung wird nicht als angenehm empfunden
    • Häufige Ausprägungen
      • Waschzwang
      • Kontrollzwang
      • Ordnungszwang
      • Zählzwang

Häufige psychiatrische Komorbiditäten [1][2]

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Diagnostiktoggle arrow icon

Exploration [2][6]

Viele Betroffene verheimlichen Zwangssymptome, da sie sich für ihre Gedanken oder Verhaltensweisen schämen. Eine empathische und gezielte Exploration ist daher besonders wichtig.

  • Allgemeine Exploration
  • Screening: Zohar-Fineberg Obsessive Compulsive Screen (ZF-OCS) [6]
    • Spezifität niedrig
    • Positives Screening, wenn mind. 1 der folgenden Fragen bejaht und eine Beeinträchtigung im Alltag angegeben wird
      • „Waschen und putzen Sie sehr viel?“
      • „Kontrollieren Sie sehr viel?“
      • „Haben Sie quälende Gedanken, die Sie loswerden möchten, aber nicht können?“
      • „Brauchen Sie für Alltagstätigkeiten sehr lange?“
      • „Machen Sie sich Gedanken um Ordnung und Symmetrie?“
  • Diagnostische Kriterien einer Zwangsstörung nach ICD-10 prüfen
    • Inkl. Erfassung der Auswirkungen auf Lebensqualität, Alltag, berufliche und soziale Teilhabe

Somatische Diagnostik [6]

Die somatische Diagnostik dient primär dem Ausschluss einer organischen Ursache für die Zwangssymptomatik, was jedoch insg. eher selten vorliegt.

Testpsychologische Verfahren [2][5][6]

Diese eignen sich zur Schweregradbestimmung und Verlaufsbeurteilung.

  • Yale-Brown Obsessive Compulsive Scale (Y-BOCS) [2][3]
    • Goldstandard
    • Zweiteilig: Symptom-Checkliste und halbstrukturiertes Interview zur Schweregradeinschätzung
    • Zeitaufwand i.d.R. 30–60 min
    • Auch als Selbstrating möglich
  • Hamburger Zwangsinventar-Kurzform (HZI-K)
    • Selbstrating mit 72 Items
    • Zeitaufwand i.d.R. 15–30 min
  • Obsessive Compulsive Inventory-Revised (OCI-R)
    • Selbstrating mit 18 Items
    • Geringer Zeitaufwand
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ICD-10toggle arrow icon

Diagnostische Kriterien einer Zwangsstörung nach ICD-10 [4]
A
  • Zwangsgedanken oder -handlungen (oder beides)
  • Auftreten an den meisten Tagen während mind. 2 Wochen
B
  • Zwangsgedanken- oder handlungen zeigen alle folgenden Merkmale
    • Sie werden von Betroffenen als eigene Gedanken/Handlungen angesehen und nicht als von anderen Personen oder Einflüssen eingegeben
    • Sie wiederholen sich andauernd und werden als unangenehm empfunden
    • Mind. ein Zwangsgedanke (oder eine Zwangshandlung) wird als übertrieben und unsinnig anerkannt
    • Betroffene versuchen Widerstand zu leisten
    • Gegen mind. einen Zwangsgedanken (oder eine Zwangshandlung) wird erfolglos Widerstand geleistet
    • Ausführung von Zwangsgedanken oder -handlungen ist für sich genommen nicht angenehm
C
  • Betroffene leiden unter den Zwangsgedanken und -handlungen oder werden in ihrer sozialen/individuellen Leistungsfähigkeit behindert (meist durch den besonderen Zeitaufwand)
D
Differenzierungen
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ICD-11toggle arrow icon

  • Wesentliche Änderungen, u.a. [7]
    • Zusammen mit den Zwangsspektrumsstörungen in der Kategorie „Zwangsstörung und verwandte Störungen“ gelistet
    • Klinische Subtypen entfallen
    • Einteilung nach Krankheitseinsicht
      • Mittelmäßig bis gut / schlecht bis fehlend
  • Mehr Informationen zur ICD-11 (deutsche Entwurfsfassung) unter: Tipps & Links
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Zwangsspektrumsstörungentoggle arrow icon

In der ICD-11 werden die Zwangsstörungen zusammen mit den Zwangsspektrumsstörungen in der Kategorie „Zwangsstörung und verwandte Störungen“ aufgeführt. [7]

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Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

Psychiatrische Differenzialdiagnosen [1][3]

Zahlreiche psychiatrische Erkrankungen zeigen zwangsähnliche Merkmale, weshalb ein Blick auf die unterscheidenden Merkmale wichtig ist. Im Folgenden werden einige wichtige Erkrankungen aufgeführt.

Somatische Differenzialdiagnosen [1][3]

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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Therapietoggle arrow icon

Überblick [1]

Therapieoptionen

Bei der Behandlung von Zwangsstörungen ist Kognitive Verhaltenstherapie mit Expositionstraining die Therapie der 1. Wahl!

Setting [6]

Zwangssymptome zeigen sich i.d.R. besonders stark im häuslichen Umfeld. Es ist daher wichtig, die Symptome auch dort zu bewältigen.

  • Ambulant: 1. Wahl, wenn möglich und verfügbar
  • Stationär: Wenn ≥1 der folgenden Kriterien zutreffen
    • Fehlende Verfügbarkeit oder unzureichende Wirksamkeit der ambulanten Behandlung
    • Ambulante Behandlung nicht möglich oder deutlich erschwert aufgrund
      • Der Schwere der Symptomatik
      • Vorliegender Komorbiditäten (psychisch oder somatisch)
    • Lebensgefahr, bspw. durch akute Suizidalität
    • Ausgeprägte Verwahrlosung oder Vernachlässigung
    • Alltagsbewältigung unmöglich
    • Ausgeprägter Leidensdruck sowie starke Einbußen der psychosozialen Funktionsfähigkeit
    • Krankheitsförderndes Umfeld
  • Aufsuchende Behandlung (sog. Home-Treatment): Bei schwerer Symptomausprägung, insb. mit Einbußen der beruflichen und sozialen Teilhabe
    • Hohe Behandlungsintensität (wie bei stationärer Behandlung)
    • Vorteil: U.a. verbesserter Einbezug des persönlichen Umfeldes möglich

Psychotherapie bei Zwangsstörungen [1][2][3]

Vorbereitung und Behandlungsplanung

Das zentrale Element der psychotherapeutischen Behandlung ist das Expositionstraining mit Reaktionsverhinderung. Für eine erfolgreiche Behandlung ist eine gute Vorbereitung wichtig.

  • Vorliegen psychiatrischer Komorbiditäten abklären [6]
    • Relevanz für anstehende KVT einschätzen
    • Ggf. Behandlung der Komorbidität der KVT voranstellen
  • Therapeutische Beziehung aufbauen
    • Vertrauensvolle Atmosphäre schaffen
    • Nicht rückversichern
  • Therapiemotivation klären
  • Therapieziele klären
    • Symptombezogene Ziele: Neue Standards festlegen
    • Allgemeinere Ziele: Insb. Bearbeitung von Themen, die symptomaufrechterhaltend wirken (bspw. Stressmanagement)
  • Genaue Betrachtung der Zwangssymptomatik
  • Psychoedukation (wenn möglich: Enge Bezugspersonen einbeziehen) ) [6]
  • Modell der Symptomentstehung erarbeiten
  • Zwangshierarchie erstellen

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) mit Expositionstraining und Reaktionsverhinderung bzw. -management

  • Mögliches Behandlungssetting [6]
    • Einzeltherapie
    • Gruppentherapie, insb. wenn Einzeltherapie nicht verfügbar ist
    • Internetbasierte Intervention, insb. wenn zeitnahe Behandlung nicht verfügbar ist
  • Vorgehen [6]
    • I.d.R. graduierte Konfrontation (für allgemeine Informationen hierzu siehe: Expositionstraining)
    • Beginn i.d.R. mit einem mittelschweren Stimulus (gemäß aufgestellter Zwangshierarchie)
    • Zunächst durch Therapeut:in begleitet
    • Wenn möglich: Hochfrequente Exposition (an aufeinanderfolgenden Tagen)
    • Expositionen auch im häuslichen bzw. zwangsprovozierenden Umfeld durchführen
    • Adhärenz regelmäßig prüfen und ggf. fördern
    • Fortführung bis zur Remission (Y-BOCS ≤12) und Verbesserung der Lebensqualität
    • Rückfallprophylaxe planen
  • Therapieeffekte
    • Response in ca. 60–80% der Fälle [2][3]
    • Mittlere bis hohe Effektstärken
    • Langanhaltende Symptombesserung möglich
    • Beste Wirksamkeit bei
      • Intensiven (mehrstündigen) Expositionen außerhalb der Praxisräume/Klinik
      • Stationärer Behandlung
  • Sonderfall: Reine Zwangsgedanken
    • Exposition bspw. durch wiederholtes Hören selbst aufgenommener Zwangsgedanken
    • Wirksamkeit der Exposition geringer
    • Kombination aus KVT und SSRI empfohlen

Wenn möglich sollte das Expositionstraining als Blockexposition (an aufeinanderfolgenden Tagen) erfolgen! [6]

Prognostische Faktoren für die Wirksamkeit einer KVT bei Zwangsstörungen [2]
Positive Prädiktoren (Auswahl) Negative Prädiktoren (Auswahl)

Weitere Verfahren [1]

Medikamentöse Therapie bei Zwangsstörungen [1][2][3]

Pharmakotherapie ist nicht das Mittel der 1. Wahl zur Behandlung von Zwangsstörungen. Eine Indikation besteht in ausgewählten Fällen, bspw. bei komorbider Depression. In erster Linie werden Antidepressiva eingesetzt.

  • Wann immer möglich: In Kombination mit Psychotherapie
  • Wichtig: Aufklärung über allgemeine Nebenwirkungen von Antidepressiva
  • Bei Therapieerfolg: Erhaltungsbehandlung über 1–2 Jahre
  • Am Ende der Erhaltungsbehandlung: Langsam Ausschleichen

Mögliche Substanzen

SSRI bei Zwangsstörungen [3]

  • Besonderheiten für Einsatz bei Zwangsstörungen
    • Längere Wirklatenz: Wirkeintritt i.d.R. nicht vor der 5. Behandlungswoche
    • I.d.R. höhere Dosis notwendig als bei Depressionsbehandlung [6]
    • Wirkmaximum i.d.R. nach 8–12 Wochen
  • Geeignete Substanzen
  • Therapieeffekte bei Monotherapie mit SSRI
    • Responserate: Ca. 60%
    • Durchschnittliche Besserung (gemessen an Y-BOCS): 20–40% [2]
    • I.d.R. nicht anhaltend nach Absetzen der Medikation

Medikamentöse Optionen bei unzureichender Response auf SSRI [2][3]

Die Beurteilung von Therapieerfolg anhand der Y-BOCS-Reduktion ist in der Literatur teils uneinheitlich definiert. Bessert sich die Y-BOCS jedoch um weniger als 25%, liegt kein Therapieerfolg vor. Mögliche Ursachen (bspw. zu niedriger Plasmaspiegel) sollten dann überprüft und die Therapie angepasst werden. [6]

Weitere Therapieverfahren

  • Sport [2]
    • Insb. Ausdauertraining sinnvoll
    • Kein nachgewiesener Effekt auf Zwangsgedanken
  • Tiefe Hirnstimulation [2]
    • Behandlungsoption bei schwerster Symptomausprägung und Therapieresistenz
    • Symptombesserung in ca. 40–60% der Fälle
    • Stimulationsort: Oft vordere Capsula interna beidseits
  • Repetitive transkranielle Magnetstimulation [6]
    • Zur kurzfristigen Symptomreduktion, wenn Therapieoptionen der 1. Wahl keine ausreichende Response erzielen
    • Wirksamste Stimulationsart (anhand bisheriger Daten): Niederfrequenzstimulation des dorsolateralen Präfrontalkortex (links)
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Prognose und Verlauftoggle arrow icon

  • Ohne Behandlung [2]
    • Selten Spontanremission
    • Ausbreitungsneigung
    • In ca. der Hälfte der Fälle: Lebenslange (meist schwankende) Symptomatik
  • Mit Behandlung [2]
    • Gute Symptomlinderung möglich
    • Nachhaltiger Therapieerfolg meist nur durch KVT erreichbar
    • Selten vollständige Remission
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Patienteninformationentoggle arrow icon

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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025toggle arrow icon

F42.-: Zwangsstörung

  • Inklusive: Anankastische Neurose, Zwangsneurose
  • Exklusive: Zwangspersönlichkeit(sstörung) (F60.5)
  • F42.0: Vorwiegend Zwangsgedanken oder Grübelzwang
  • F42.1: Vorwiegend Zwangshandlungen [Zwangsrituale]
  • F42.2: Zwangsgedanken und -handlungen, gemischt
  • F42.8: Sonstige Zwangsstörungen
  • F42.9: Zwangsstörung, nicht näher bezeichnet

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.

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