Zusammenfassung
Das juvenile Angiofibrom (früher: juveniles Nasenrachenfibrom) ist ein benigner gefäßreicher Tumor, der sich durch aggressives Wachstum auszeichnet. Betroffen ist nahezu ausschließlich das männliche Geschlecht. Leitsymptome sind wiederholtes spontanes Nasenbluten, (einseitig) behinderte Nasenatmung und eitrige Nasensekretion. Diagnostisch ist ein palpatorisch harter, knolliger Tumor charakteristisch, der seinen Ausgang vom Foramen sphenopalatinum nimmt und verdrängend wächst. Der Tumor bildet sich gelegentlich nach der Pubertät zurück; wegen der hohen Blutungsneigung kann eine operative Tumorresektion jedoch oft nicht vermieden werden.
Definition
- Seltener mesenchymaler Tumor: Gefäßreiches Fibrom, das typischerweise vom Foramen sphenopalatinum ausgeht und sich sekundär in Nasopharynx und Nase ausdehnt [1][2][3]
- Dignität: Benigne, jedoch lokal verdrängendes Wachstum
- Zusammensetzung: Irreguläre Gefäße, Fibroblasten, Bindegewebe, glatte Muskelzellen
Epidemiologie
Ätiologie und Pathogenese
- Ätiologie: Unklar, verschiedene Ursprungstheorien [2][3]
- Am ehesten vaskuläre Malformation
- Risikofaktoren
- Familiäre adenomatöse Polyposis und Gardner-Syndrom [6]
- Umstritten
- Hormonelle Einflüsse, insb. Testosteron [2][3][6][7]
- HPV [3]
- Molekulargenetische Besonderheiten: Überexpression verschiedener Transkriptions- und Wachstumsfaktoren sowie Wachstumsregulatoren [3][8]
- Entwicklung [2]
- Typischerweise vom Foramen sphenopalatinum ausgehend
- Verwachsung mit dem Periost der Schädelbasis
- Von dort ausgehend Ausbreitung
- In Nasenhaupthöhle und Nasopharynx
- Nach lateral: In die Fossa pterygopalatina und Fossa infratemporalis
- Nach kranial: In den Sinus sphenoidalis , seltener in die mittlere Schädelgrube
- Über die Fissura orbitalis inferior in die Orbita
- Typischerweise vom Foramen sphenopalatinum ausgehend
Symptomatik
- Nasenatmungsbehinderung (ggf. mit Rhinophonia clausa): Etwa 80–90% der Fälle, meist einseitig [1][2][6]
- Rezidivierende, teils ausgeprägte Epistaxis: Etwa 60% der Fälle
- Eitrige Nasensekretion
- Seltener [6]
- Verlegung der Tuba auditiva mit Paukenerguss und Schallleitungsstörung
- Verlegung der Nasennebenhöhlen mit Kopfschmerzen
- Bei fortgeschrittenem Tumor [2][6]
- Auftreibung des Gaumens oder der Wange mit Gesichtsasymmetrie
- Visusminderung, Exophthalmus, neurologische Ausfälle
Die klinische Symptomatik kann der einer Rachenmandelhyperplasie ähneln! Daher muss vor einer Adenotomie immer der Nasenrachenraum palpiert werden!
Stadien
Die Stadieneinteilung des juvenilen Angiofibroms ist uneinheitlich, am gebräuchlichsten sind die Radkowski- und die Andrews-Fisch-Klassifikation. Bedeutsam sind die Einteilungen für die Entscheidung über das chirurgische Vorgehen und für die Prognoseabschätzung, moderne Operationsmethoden (insb. die endoskopische Resektion) sind gegenwärtig allerdings nicht ausreichend berücksichtigt. [9]
Stadieneinteilung des juvenilen Angiofibroms nach Radkowski [10] | ||
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Stadium | Eigenschaften | |
I | Ia | Begrenzung auf Nasenhaupthöhle/Nasenrachen |
Ib | Ausdehnung in ≥1 Nasennebenhöhle | |
II | IIa | Minimale Ausdehnung durch das Foramen sphenopalatinum in die Fossa pterygopalatina |
IIb | Ausfüllung der Fossa pterygopalatina (mit oder ohne Erosion der Orbita) | |
IIc | Ausdehnung in Fossa infratemporalis (mit oder ohne Wangenbeteiligung) oder posterior der Procc. pterygoidei | |
III | IIIa | Erosion der Schädelbasis mit minimaler intrakranieller Ausdehnung |
IIIb | Erosion der Schädelbasis mit extensiver intrakranieller Ausdehnung (mit oder ohne Beteiligung des Sinus cavernosus) |
Stadieneinteilung des juvenilen Angiofibroms nach Andrews und Fisch [11] | ||
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Stadium | Eigenschaften | |
I | Begrenzung auf Nasenhaupthöhle/Nasenrachen | |
II | Infiltration von Fossa pterygopalatina oder Nasennebenhöhlen mit Knochendestruktion | |
III | IIIa | Infiltration der Fossa infratemporalis oder Orbita ohne intrakranielle Ausbreitung |
IIIb | Infiltration der Fossa infratemporalis oder Orbita mit intrakranieller, extraduraler Ausbreitung | |
IV | IVa | Intrakranielle, intradurale Ausdehnung ohne Beteiligung des Sinus cavernosus, Chiasma opticum oder der Hypophyse |
IVb | Intrakranielle, intradurale Ausdehnung mit Infiltration des Sinus cavernosus, Chiasma opticum oder der Hypophyse |
Diagnostik
- Nasenendoskopie und posteriore Rhinoskopie: Knolliger rötlicher Tumor mit glatter Schleimhautoberfläche [1][2]
- Lokalisation: Posterolaterale Wand der Nasenhaupthöhle mit sekundärer Tumorausdehnung in den Nasopharynx
- Endoskopischer Palpationsbefund: Harter Tumor
- Bildgebung: Zur Diagnosestellung, Beurteilung der Tumorausdehnung und Therapieplanung [2][6]
Das juvenile Angiofibrom wird klinisch und radiologisch diagnostiziert! Eine Biopsie, insb. in Lokalanästhesie, sollte wegen der massiven Blutungsgefahr unterbleiben!
Therapie
- Primär operative Therapie: Möglichst vollständige Tumorexstirpation [1][2][6]
- Zugangsweg: Abhängig von Tumorgröße und -lokalisation
- Transnasal (mikroskopisch/endoskopisch) [12]
- Offener Zugang [6]
- Laterale Rhinotomie
- Transmaxillär/transpalatinal
- Midfacial Degloving [13]
- Ggf. Kombination beider Zugangswege (endoskopischer + umschriebenen offener Zugang) [14]
- Aufgrund hoher Blutungsgefahr [2][6][14]
- Präoperative Eigenblutspende empfehlenswert
- Präoperative neuroradiologische Embolisation der zuführenden Gefäße
- Frühzeitig Autotransfusionssystem (Cell Saver) erwägen
- Zugangsweg: Abhängig von Tumorgröße und -lokalisation
- In Einzelfällen: Spontanremissionen beschrieben [1][2][15]
- Bei inoperablen Tumoren: Strahlentherapie möglich
Prognose
- Komplikationen [1]
- Parästhesien und chronische Schmerzen
- Kiefergelenksarthropathien
- Wachstumsstörungen des Gesichtsschädels
- Tubenfunktionsstörung
-
Rezidive: In ca. 20–45% der Fälle [6]
- Auftreten überwiegend 6–36 Monate nach Primärerkrankung
- Erhöhtes Risiko bei unvollständiger Resektion
- Nachsorge mit engmaschiger klinischer Diagnostik und MRT-Bildgebung [14]
- Prognose nach Abschluss der Pubertät [14]
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- D10.-: Gutartige Neubildung des Mundes und des Pharynx
- D10.6: Nasopharynx
- Hinterrand des Nasenseptums und der Choanen
- Rachentonsille
- D10.6: Nasopharynx
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.