Zusammenfassung
Vorfußfrakturen (insb. Zehenfrakturen) gehören zu den häufigsten Verletzungen des Fußes. Sie entstehen meist durch ein Trauma, können jedoch auch bei repetitiver Belastung auftreten. Undislozierte Frakturen der 2.–5. Zehe werden fast immer konservativ behandelt und zeigen gute funktionelle Ergebnisse. Verletzungen der 1. Zehe erfordern jedoch aufgrund der vermehrten Belastung des 1. Strahls häufiger eine operative Behandlung.
Zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen einer Zehenfraktur zählen traumatische Verletzungen vom plantaren Kapselbandapparat des 1. MTP-Gelenks (Turf Toe), die ggf. von einer Sesambeinfraktur begleitet werden, sowie die Sesamoiditis.
Definition
- Definition: Zehenfrakturen = Eine oder mehrere Frakturen der fünf Zehen (= Digiti pedis I–V, D1–5), bspw.
- Halluxfraktur
- Kleinzehenfraktur
- Anatomie: Zehen bestehen aus jeweils drei Zehenknochen
Epidemiologie
- Inzidenz der Zehenfrakturen [1][2][3]
- Lokalisation und Begleitverletzungen
- Großzehe (ca. 40%) und 5. Zehe (ca. 30%) am häufigsten betroffen
- Serienfrakturen selten (ca. 5%)
- Kleinzehenfrakturen häufig mehrfragmentär
- Ca. ⅓ offene Verletzungen
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Häufigste Ursachen von Vorfußfrakturen
- Hängenbleiben der (meist) 5. Zehe, bspw. an Bettpfosten oder Schränken
- Quetschverletzung
- Sportverletzungen
Klassifikation
- AO-Klassifikation der Vorfußfrakturen (Regio 88) - Stand 2018 [4]
- Beispiel: Großzehenfraktur der proximalen Phalanx am proximalen Ende: 88.1.1.1
Diagnostik
Klinische Untersuchung und Anamnese
- Unfallmechanismus und -hergang
- Allgemeine Frakturzeichen
- pDMS
- Fehlstellungen
- Achsabweichung
- Rotationsfehler
- Verkürzung
- Begleitverletzungen
- Verletzungen des Nagels und Nagelbettes
- Sehnenschäden, bspw. bei Schnittverletzung
Bei offenen Verletzungen sollte insb. auf eine mögliche Verschmutzung der Wunde geachtet werden!
Bildgebende Diagnostik
-
Konventionelles Röntgen
- Fuß in 3 Ebenen
- Einzelne Zehen in 2 Ebenen
- Befund siehe auch: Radiologische Frakturzeichen
- Ggf. MRT, bspw. bei V.a. Stressfraktur
- Ggf. CT, bspw. bei mehrfragmentären Frakturen, Sesambeinfraktur
Therapie
Allgemeine Maßnahmen
- Schmerzadaptierte Analgesie mit NSAR
- Schwellungsprophylaxe durch Hochlagerung und Kühlung
- Behandlung der Begleitverletzungen, bspw. subunguales Hämatom, Nagelbettverletzung, Nagelluxation, Weichteilverletzungen
D1-Fraktur [1]
Konservative Therapie
- Indikation
- Gelenkstufe <2 mm
- Keine relevante Achsfehlstellung oder Verkürzung
- Keine Begleitverletzungen
- Verfahren
- Ruhigstellung für 3–4 Wochen im Gipsschuh oder Vorfußentlastungsschuh
- Schmerzadaptierte Vollbelastung
Operative Therapie [5]
- Indikation
- Gelenkstufe >2 mm
- Relevante Achs- und Rotationsfehlstellung
- Fragmentdislokation
- Offene Fraktur
- Verfahren
- Offene Reposition und Schrauben-/Plattenosteosynthese bei
- Schaftfraktur
- Frakturen mit Gelenkbeteiligung
- Geschlossene Reposition und K-Draht-Osteosynthese bei
- Endphalanxfrakturen mit großem Fragment bzw. Dislokation
- Ausgeprägtem Weichteilschaden zur Konsolidierung
- MTP-Gelenkversteifung
- Bei nicht-rekonstruierbarer Gelenkfraktur
- Sekundär bei Therapieversagen
- Offene Reposition und Schrauben-/Plattenosteosynthese bei
D2-5-Fraktur [2][6]
Bei Luxationen muss zunächst eine zügige Reposition erfolgen, ggf. unter Lokalanästhesie. Je nach Stabilität entscheidet sich das folgende Prozedere.
Konservative Therapie
- Indikation
- Stabile Fraktur
- Stabile Reposition
- Verfahren
- Schienung (Dachziegelverband oder Buddy Taping genannt) an nächster Zehe mit Heftpflaster für 2–3 Wochen
- Rein funktionelle Nachbehandlung
Operative Therapie [5]
- Indikation
- Instabile Reposition
- Ausgeprägte Dislokation der Fragmente nach Reposition
- Verfahren
- Evtl. K-Draht-Transfixation für 3 Wochen
- Teilbelastung für Zeitraum der Transfixation, bspw. im Vorfußentlastungsschuh
Es gibt keine evidenzbasierten Therapieempfehlungen zur Behandlung von Zehenfrakturen. Klinikinterne Standards müssen beachtet werden! [1]
Differenzialdiagnosen
Turf Toe [3][7][8][9]
- Definition: Traumatische Sportverletzung des plantaren Kapselbandapparates des 1. MTP-Gelenks
- Epidemiologie
- Höchste Inzidenz bei Spielern der National Football League (ca. 45%)
- In der Normalbevölkerung sehr selten
- Pathophysiologie
- Verletzungsmechanismus: Hyperextension im 1. MTP-Gelenk, kombiniert mit axialer Belastung oder Rotation
- Risikofaktoren: Flexibles Schuhwerk, künstlicher Untergrund, chronische Überbelastung
- Symptome/Klinik
- Schwellung
- Hämatom
- Druckschmerz plantar
- Ggf. Instabilität im 1. MTP-Gelenk
- Diagnostik: Einteilung
- Grad 1: Zerrung des plantaren Kapselbandapparates
- Grad 2: (Teil‑)Zerreißung des Kapselbandapparates, keine Verletzung des Gelenkes
- Grad 3: Zusätzlich Verletzung der plantaren Platte, Verletzung des Gelenkes
- Therapie
- Konservativ: Schmerzadaptierte Vollbelastung und Sportkarenz
- Operativ
- Indikation
- Frustraner konservativer Therapieversuch
- Instabile Grad-2-Verletzung
- Grad-3-Verletzung
- Durchführung
- Instabiles MTP-Gelenk: Refixation des Kapselbandapparates
- Begleitende Sesambeinfraktur: Offene Reposition und Osteosynthese
- Indikation
Sesambeinfraktur [2][7][10]
- Definition: Frakturen des tibialen oder fibularen Sesambeins, häufig im Zusammenhang mit sog. Turf-Toe-Verletzung
- Epidemiologie
- Insg. geringe Fallzahl
- Stressfraktur des Sesambeins: Insb. bei Berufsgruppen mit hoher körperlicher Belastung
- Symptome/Klinik
- Belastungsabhängige Beschwerden
- Druckschmerz plantar
- Passive Dorsalextension schmerzhaft
- Diagnostik: Radiologische Untersuchung
- Konventionelles Röntgen unter Belastung
- Ggf. CT [1]
- Ggf. MRT zum Ausschluss einer Stressfraktur oder Entzündung
- Differenzialdiagnose
- Bipartites (zweigeteiltes) Sesambein
- Therapie
- Wenig dislozierte Frakturen: Konservativ mit bis zu 6 Wochen Ruhigstellung mit 15 kg Teilbelastung, bspw. im Gipsschuh
- Größere und/oder dislozierte Fragmente: Offene Reposition und Schraubenosteosynthese möglich
- Pseudarthrose: Ggf. Spongiosaplastik und Schraubenosteosynthese
- Therapieresistente Beschwerden: Exzision des Sesambeins
Aufgrund der geringen Fallzahlen gibt es keine eindeutige Richtlinie zur adäquaten Therapie!
Sesamoiditis [7]
- Definition: Entzündung des tibialen und/oder des fibularen Sesambeins sowie des umgebenden Gewebes
- Epidemiologie
- Sportler:innen
- Erhöhte Inzidenz bei anatomischen Varianten mit vermehrter Belastung des 1. Strahls
- Traumaunabhängiges Vorkommen bei degenerativen Veränderungen oder rheumatischen Erkrankungen
- Diagnostik
- Anamnese und klinische Untersuchung
- Radiologische Untersuchung
- Ggf. diagnostische Injektion (siehe: Intraartikuläre Punktion und Injektion)
- Therapie
Weitere Differenzialdiagnosen
- Mittelfußfrakturen
- Hallux rigidus, Hallux valgus [7]
- Weichteilerkrankungen, bspw. [1]
- Luxationen am Fuß, bspw. Luxation der Metatarsophalangealgelenke [11]
- Aseptische Nekrose des Sesambeins (Morbus Renander) [12]
- Offene Wunden der Zehen, siehe: Chirurgische Wundversorgung
- Chondromalazie [2]
- Osteochondrose [2]
- Arthrose [2]
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Komplikationen
- Allgemeine Komplikationen
- CRPS
- Schmerzen
- Infektionen
- Pseudarthrose
- Störung der Fußgeometrie
- Bewegungseinschränkung
- Degenerative Veränderungen, bspw. sekundäre Arthrose
- Postoperative Komplikationen
- Allgemeine postoperative Komplikationen
- Spezielle postoperative Komplikationen
- Wundheilungsstörung und Infektion
- Postoperative Schmerzen
- Schwellung
- Fehlstellung
- Repositionsverlust
- Implantatversagen
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Insg. geringes Risiko für Komplikationen [2]
- Konservative Therapie: I.d.R. mit gutem funktionellen Ergebnis, abhängig von mehreren Faktoren [1]
- Betroffener Strahl
- Frakturtyp
- Anzahl der Frakturen
- Weichteilbeteiligung
- Gelenkbeteiligung
- Alter, Geschlecht, BMI
- Nikotinabusus
- Begleiterkrankungen, bspw. Diabetes mellitus
Zehenfrakturen lassen sich i.d.R. mit gutem funktionellen Ergebnis konservativ behandeln!
3D-Anatomie
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3D-Modell
Exkurs
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- S91.: Offene Wunde der Knöchelregion und des Fußes, inkl.
- S92.-: Fraktur des Fußes (ausgenommen oberes Sprunggelenk)
- S93.-: Luxation, Verstauchung und Zerrung der Gelenke und Bänder in Höhe des oberen Sprunggelenkes und des Fußes
- M84.3-: Stressfraktur, anderenorts nicht klassifiziert
- M84.37: Stressfraktur, anderenorts nicht klassifiziert: Knöchel und Fuß (Fußwurzel, Mittelfuß, Zehen, Sprunggelenk, sonstige Gelenke des Fußes)
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.