Zusammenfassung
Fußdeformitäten sind eine heterogene Gruppe von angeborenen oder erworbenen Erkrankungen, die nach ihrem klinischen Erscheinungsbild klassifiziert werden. Der angeborene Klumpfuß ist die bekannteste Deformität des Fußes und wird u.a. durch Dominanz des M. tibialis posterior gegenüber den anderen Muskelgruppen hervorgerufen. Klinisch zeigt sich der Klumpfuß durch eine kombinierte komplexe Fehlbildung mit Spitz-, Hohl- und Sichelfuß sowie Rückfuß-betonter Einwärtskippung des medialen Fußrandes. Die Redressionstherapie (durch serielle Gipsanlagen) sollte möglichst innerhalb der ersten Lebenstage begonnen werden.
Grundlagen der Diagnostik und Therapie der Fußdeformitäten
- Diagnostik: Klinische Untersuchung
- Jede Fußdeformität kann sich auf das restliche muskuloskelettale System auswirken und zu Fehlhaltungen führen, womit Knie, Hüfte und Wirbelsäule bei jeder Untersuchung miteinbezogen werden müssen.
- Flexible vs. rigide Fußfehlstellungen: Bei allen Fehlstellungen des Fußes muss erhoben werden, ob sich die Fehlstellung noch aktiv (durch Muskelkontraktion des Patienten) oder passiv (manuell durch den Untersucher) ausgleichen lässt.
- Eine rigide Fehlstellung bedeutet, dass bereits ein strukturelles Problem besteht
- Eine flexible Fehlstellung wird dagegen durch muskuläre Dysbalancen verursacht
- Grundprinzipien der Therapie
- Bei flexiblen Deformitäten: In der Regel können Einlagen, Orthesen und manuelle Redression bereits zu Besserung führen
- Bei rigiden Deformitäten: Ein operativer Eingriff zum Lösen kontrakter Strukturen ist meist notwendig
Bei angeborenen Deformitäten ist eine frühe Behandlung essenziell, da sich so zum Teil operative Eingriffe vermeiden lassen. Eine verspätete Therapie kann zur Folge haben, dass eine initial muskuläre Dysbalance in ein strukturelles Problem übergehen kann!
Klumpfuß (Pes equinovarus adductus supinatus et excavatus)
- Definition: Der Klumpfuß setzt sich aus mehreren fixierten Fußfehlstellungen zusammen
- Epidemiologie
- Eine der häufigsten angeborenen Fehlbildungen
- Etwa 50% bilaterales Auftreten
- Ätiologie
- Am häufigsten: Kongenital
- Selten: Erworben (bspw. neurogen, traumatisch)
- Pathogenese
- Dominanz der medialseitigen Muskelgruppe mit M. tibialis posterior als „Klumpfußmuskel“ (→ Plantarflexion, Rückfuß betonte Supination)
- Medialdeviation des Talushalses
- Schwäche und Atrophie der Peroneusgruppe („Klumpfußwade“)
- Achillessehnenverkürzung
- Diagnostik
- Differenzialdiagnose: Klumpfußhaltung
- Komplikationen: Unphysiologische Belastung mit Ulzerationen und frühzeitiger Arthrose
- Therapie [2][3]
-
Redressionsbehandlung nach Ponseti
- Bedeutung: Methode der 1. Wahl
- Ziel: Korrektur der subtalaren Gelenkstellung mit schmerzfreier voller Mobilität
- Prinzip: Graduelle Reposition durch mehrfache Gipsanlagen
- Zeitpunkt: Beginn in den ersten Lebenswochen (idealerweise in den ersten Lebenstagen)
- Prognose: Therapieerfolg in 80–90% der Fälle
-
Abduktionsschiene
- Ziel: Rezidivprophylaxe
- Zeitpunkt: Im Anschluss an die Gipsbehandlung
- Anwendung: 3 Monate ganztägig, anschließend partiell (in Ruhezeiten ) bis zum Alter von 3–4 Jahren
- Ggf. operative Versorgung
- Indikation: Unzureichender Erfolg konservativer Maßnahmen , ggf. bei Rezidiv
- Vorgehen: Abhängig von Ausprägung der Fehlstellung [4]
-
Redressionsbehandlung nach Ponseti
Die Redressionsbehandlung nach Ponseti sollte frühzeitig (möglichst in den ersten Lebenstagen) beginnen!
Spreizfuß (Pes transversoplanus)
- Definition: Auseinanderweichen der Metatarsalia mit anschließendem Absenken der Metatarsale-Köpfchen
- Epidemiologie: Häufigste Fußdeformität
- Ätiologie: Bedingt durch muskuläre oder bindegewebige Schwäche (begünstigt durch schlechtes Schuhwerk)
- Klinik
- Absenkung der Metatarsalia II–IV → Unphysiologische Belastung der Metatarsalköpfchen II–IV → Schmerzhafte Schwielen (Metatarsalgie)
- Fehlstellung des 1. und 5. Strahls: Hallux valgus und Digitus quintus varus
- Komplikation: Morton-Metatarsalgie (Morton-Neuralgie)
- Plötzliche, stechende Schmerzen auf der Plantarseite des Fußes im Versorgungsbereich der Nervi digitales plantares communes (Äste der Nn. plantaris medialis et lateralis aus dem Nervus tibialis)
- Diagnostik
- Klinische Untersuchung: Siehe Grundlagen der Diagnostik und Therapie der Fußdeformitäten
-
Röntgen
- Nachweis der auseinandergetretenen Metatarsalköpfchen
- Erosionen der mittleren Metatarsalköpfchen
- Fehlstellungen des 1. und 5. Strahls
- Therapie:
- Einlagen (mit Pelotte zur retrokapitalen Abstützung im Bereich der Metatarsalköpfchen)
- Immer in Kombination mit Eigenübungsprogrammen zur Förderung der Fußmuskulatur
- Einlagen (mit Pelotte zur retrokapitalen Abstützung im Bereich der Metatarsalköpfchen)
Angeborener Plattfuß (Talus verticalis, Pes planus congenitus)
- Definition: Seltene komplexe Fehlbildung des Fußes mit rigider Steilstellung des Talus und Luxation des Talokalkaneonavikulargelenks
- Ätiologie
- Angeboren
- Isoliert oder in Zusammenhang mit neurologischen Störungen (insb. Meningomyelozele) sowie Systemerkrankungen
- Pathogenese
- Luxation des Os naviculare nach kranial
- (Sub‑)Luxation des Talonavikular- und Subtalargelenks
- Verkürzte Achillessehne
- Klinik
- Vorfuß abduziert, proniert und dorsal extendiert
- Konvexe Fußsohle
- Diagnostik
- Therapie
- Korrigierende Gipsbehandlung ab den ersten Lebenswochen (umgekehrtes Ponseti-Prinzip ) [3]
- Rein konservative Therapie führt selten zum Erfolg→ Operative Korrektur innerhalb der ersten 3 Lebensjahre
- Hintere Kapsulotomie des oberen und unteren Sprunggelenks + Achillessehnenverlängerung + offene Reposition des Talokalkaneonavikulargelenks
- Langandauernde Nachbehandlung mit Unterschenkelgipsen (etwa 2 Jahre), da der Talus sonst oftmals in seine alte Fehlstellung zurückgleitet
Erworbener Plattfuß (Pes planus)
- Definition: Erworbene flexible Fehlstellung des Fußes mit vollständig verflachter Längswölbung bis hin zur Konvexität (Insuffizienz des M. tibialis posterior)
- Ätiologie
- Endzustand des Knickplattfußes (Pes planovalgus): Der Ausfall des M. tibialis posterior (Funktion: Plantarflexion und Supination) führt zunächst zu einem Knickplattfuß, im weiteren Verlauf zu einem Plattfuß (Pes planus)
- Posttraumatisch
- Therapie
- Fersenumfassende Einlagen mit Unterstützung des Längsgewölbes (Supinationskeil) zum Aufrichten der Ferse
- Bei Erfolglosigkeit: Operationen möglich (Umstellungsosteotomien, Arthrodese)
Fersensporn
- Definition: Verknöcherung von Sehnenansätzen am Fersenbein
- Ätiologie: Fehlbelastung, Übergewicht, Fußdeformitäten
- Pathogenese: Unbekannt, diskutiert werden u.a. repetitive Mikrotraumata der Sehnenansätze
- Klinik: Lokale Schmerzen
- Einteilung
- Plantarer Fersensporn (betrifft Ansatz der Plantaraponeurose am Calcaneus - häufiger!)
- Kranialer Fersensporn (betrifft Ansatz der Achillessehne am Calcaneus - „Haglund-Exostose“)
- Therapie
- 1. Wahl: Konservativ
- Entlastung: Sportpause, Einlagen, zu enges Schuhwerk meiden
- Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR)
- Physikalisch: Im Reizzustand Kälte (Kryotherapie), ansonsten Wärme (Ultraschallbehandlung)
- Alternativ
- Bestrahlung: Kein einheitliches Therapieschema vorhanden. Kleine Einzeldosen von 0,5 Gy bis zu einer Gesamtdosis von 3–12 Gy werden vorgeschlagen.
- Operative Abtragung der knöchernen Ausziehung
- 1. Wahl: Konservativ
Spitzfuß (Pes equinus)
- Definition: Flexionskontraktur des Fußes
- Ätiologie: Erworben
- Häufigste Begleiterscheinung bei infantiler Zerebralparese
- Komponente des Klumpfußes
- Pathogenese
- Bei infantiler Zerebralparese
- Spastischer Hypertonus der Wadenmuskulatur
- Durch Spastik beeinträchtigtes Längenwachstum der Muskulatur
- Bei Klumpfuß: Siehe Pathogenese des Klumpfußes
- Bei infantiler Zerebralparese
- Klinik
- Steppergang
- Gangunsicherheit
- Bei einseitigem Spitzfuß:
- Funktionelle Beinverlängerung der betroffenen Seite beim Gehen → Ausweichen des Beines zur Seite → Beckenschiefstand und Rückenbeschwerden
- Bei beidseitigem Spitzfuß:
- Mangelnde Stabilität mit erhöhter Sturzgefahr, jedoch keine funktionelle Beinverlängerung
- Diagnostik
- Siehe: Grundlagen der Diagnostik und Therapie der Fußdeformitäten
- Silfverskjöld-Test
- Durchführung
- Überprüfen der aktiven und passiven Dorsalextension im oberen Sprunggelenk bei gestrecktem Knie
- Erneute Durchführung bei 90° flektiertem Knie
- Befund/Bedeutung
- Keine Verbesserung der Dorsalextension → Kontraktur von Musculus gastrocnemius und soleus
- Verbesserung der Dorsalextension → Kontraktur nur von Musculus gastrocnemius
- Durchführung
- Therapie
- Bei Spitzfuß im Rahmen eines Klumpfußes
- Meist operative Therapie mittels Achillessehnenverlängerung notwendig, da eine strukturelle Verkürzung der Sehne vorliegt
- Bei Spitzfuß als Folge einer Zerebralparese
- Konservativ: Flexibler Spitzfuß
- Gipsbehandlung: Unterschenkelgips in Dorsalextension zur Dehnung der Wadenmuskulatur. Kann mit Botulinumtoxin kombiniert werden
- Botulinumtoxin: Injektion in Wadenmuskulatur führt zu Relaxation für ca. 3 - 6 Monate
- Orthesen: Ausgleich der Plantarflexion
- Physiotherapie: Dehnung der Wadenmuskulatur
- Operativ: Rigider Spitzfuß oder mangelnder Erfolg der konservativen Therapie
- Aponeurotische Verlängerung des Musculus gastrocnemius (OP nach Baumann)
- Achillessehnenverlängerung
- Proximalisierung der Muskelansätze des Musculus gastrocnemius an der Achillessehne
- Konservativ: Flexibler Spitzfuß
- Bei Spitzfuß im Rahmen eines Klumpfußes
Hohlfuß (Pes cavus, Pes cavovarus)
- Definition: Überhöhtes Längsgewölbe des Vorfußes, oft mit Rückfußvarus
- Ätiologie: Erworben im Zuge neurogener Störungen oder idiopathisch (dann oft bilateral)
- Pathogenese
- Bildet sich während der Wachstumsphase aus
- Kontraktur von Plantarfaszie und Zehenstreckern
- Dysbalance zwischen schwachen Fußhebern (v.a. Musculus tibialis anterior) und stärkerer Peronealmuskulatur
- Klinik: Lokale Schmerzen und Druckschwielen unter den Köpfchen der Metatarsalia I und V
- Diagnostik
- Klinische Untersuchung: Flexible vs. rigide Fußfehlstellungen
- Neurologische Untersuchung zum Erfassen neurogener Störungen
- Röntgen: Fuß und oberes Sprunggelenk in 2 Ebenen → u.a. Steilstellung Calcaneus
- Therapie
- Konservativ: Bei flexiblem Hohlfuß
- Physiotherapie, Einlagen und Orthesen
- Operativ: Bei rigidem Hohlfuß oder mangelndem Erfolg der konservativen Therapie
- Plantarfaszien-Release
- Sehnentransfer
- Verschiedene Osteotomien
- Bei sehr schweren Fällen: Triple-Arthrodese
- Konservativ: Bei flexiblem Hohlfuß
Sichelfuß (Pes adductus, Pes metatarsus varus)
- Definition: Adduktion des Vorfußes
- Ätiologie: Unklar, besteht von Geburt an
- Erhöhte Wahrscheinlichkeit bei intrauterinen Lageanomalien
- Assoziation zu Hüftgelenkdysplasie
- Pathogenese: Unklar, vermutet wird ein muskuläres Ungleichgewicht zwischen adduzierender Muskulatur und Fibularis-Gruppe
- Klinik
- Einwärts gedrehte Zehen
- In der Regel schmerzlos
- Ausgeprägtere Fälle können eine mediale Hautfalte im Vorfußbereich aufweisen
- Diagnostik
- Klinische Untersuchung: Flexible vs. rigide Fußfehlstellungen
- Kitzeln am Fußaußenrand → Korrigiert sich die Fehlhaltung, liegt ein milder Sichelfuß vor
- Differenzialdiagnosen
- Vermehrte tibiale Innenrotation
- Femorale Anteversion
- Therapie
- Bei flexiblem Sichelfuß ist meist keine Therapie notwendig
- Rigider Sichelfuß oder keine selbständige Normalisierung der Fußhaltung: Konservative Therapie
- Gipsschalen zur Fußkorrektur
- Orthesen und Einlagen
- Mangelnder Erfolg der konservativen Therapie: Operative Therapie
- Zuklappende Osteotomie des Os cuboideum (lateraler Strahl wird gekürzt) oder aufklappende Osteotomie des Os cuneiforme (medialer Strahl wird verlängert)
Spaltfuß
- Definition: Inkomplette oder fehlende Anlage v.a. der zentralen Strahlen der Füße
- Epidemiologie: Seltene Fußdeformität (Inzidenz: ca. 1/100.000)
- Ätiologie
-
Hereditär: U.a. autosomal-dominanter Erbgang
- Häufig assoziiert mit genetischen Fehlbildungssyndromen
- Häufig assoziiert mit Spalthand
- Selten sporadisch
-
Hereditär: U.a. autosomal-dominanter Erbgang
- Klinik
- Oligodaktylie
- Syndaktylie
- Ggf. krebsscherenartiges Aussehen der Füße
- Meist nur geringe funktionelle Beeinträchtigung
- Therapie
- Konservative Versorgung mittels Einlagen, Orthesen oder ggf. Prothesen
- Selten Indikation zur operativen Therapie (ggf. Osteotomie zur Verschmälerung des Fußes)
3D-Anatomie
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3D-Modell
Exkurs
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- M21.-: Sonstige erworbene Deformitäten der Extremitäten
- Exklusive
- M21.0-: Valgusdeformität, anderenorts nicht klassifiziert [0-9]
- Exklusive: Metatarsus valgus (Q66.6), Pes calcaneovalgus congenitus (Q66.4)
- M21.1-: Varusdeformität, anderenorts nicht klassifiziert [0-9]
- Exklusive: Metatarsus varus (Q66.2), Tibia vara (M92.5)
- M21.2-: Flexionsdeformität [0-9]
- M21.3-: Fallhand oder Hängefuß (erworben) [0,3,7]
- M21.4: Plattfuß [Pes planus] (erworben)
- Exklusive: Pes planus congenitus (Q66.5)
- M21.5-: Erworbene Klauenhand, Klumphand, erworbener Klauenfuß und Klumpfuß [0,4,7]
- Exklusive: Klumpfuß, nicht als erworben bezeichnet (Q66.0)
- M21.6-: Sonstige erworbene Deformitäten des Knöchels und des Fußes
- M21.60: Erworbener Hohlfuß [Pes cavus]
- M21.61: Erworbener Knick-Plattfuß [Pes planovalgus]
- M21.62: Erworbener Spitzfuß [Pes equinus]
- Exklusive: Hängefuß (erworben) (M21.37)
- M21.63: Erworbener Spreizfuß
- M21.68: Sonstige erworbene Deformitäten des Knöchels und des Fußes
- M21.7-: Unterschiedliche Extremitätenlänge (erworben) [0-7,9]
- M21.8-: Sonstige näher bezeichnete erworbene Deformitäten der Extremitäten [0-6,9]
- M21.9-: Erworbene Deformität einer Extremität, nicht näher bezeichnet [0-7,9]
Lokalisation der Muskel-Skelett-Beteiligung
- 0 Mehrere Lokalisationen
- 1 Schulterregion
- 2 Oberarm
- 3 Unterarm
- 4 Hand
- 5 Beckenregion und Oberschenkel
- 6 Unterschenkel
- 7 Knöchel und Fuß
- 8 Sonstige
- 9 Nicht näher bezeichnete Lokalisation
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.