Zusammenfassung
Das Absterben eines Knochens bzw. eines Knochenabschnitts wird als Osteonekrose bezeichnet. Es handelt sich um einen Prozess, der prinzipiell jeden Knochen des Körpers betreffen kann. Besonders häufig treten Osteonekrosen im Bereich der Epiphyse auf, bei kleineren Knochen wie bspw. dem Os lunatum kann aber auch der gesamte Knochen pathologisch verändert sein. Die möglichen Auslöser sind vielfältig, gemeinsam ist ihnen jedoch eine Beeinträchtigung der Knochendurchblutung. Die Einteilung der Osteonekrosen in aseptische und septische Formen gilt als historisch. Die klinische Symptomatik ist abhängig von der Lokalisation. In gewichtstragenden Knochenabschnitten, z.B. dem Femurkopf, treten belastungsabhängige Beschwerden eher auf. In der (Früh‑)Diagnostik hat sich die Magnetresonanztomografie als Standard etabliert, in späteren Stadien zeigt auch das Röntgenbild spezifische Veränderungen. Die Therapie ist abhängig von der Lokalisation und dem Stadium der Osteonekrose, kann in frühen Stadien konservativ erfolgen und erfordert in späteren Stadien vorwiegend ein operatives Verfahren.
Die Osteochondrosis dissecans gilt als Sonderform der Osteonekrose und ist eine fokale Knochennekrose der Epiphyse, die bevorzugt im Wachstumsalter auftritt.
Definition
- Osteonekrose
- Untergang vitalen Knochens
- Historische Unterteilung
- Aseptisch (abakteriell, avaskulär, ischämisch)
- Septisch (infektiöse Ursache, bspw. Tuberkulose)
- Osteochondrose
- Störung der enchondralen Ossifikation der Epiphyse
- Sonderform: Osteochondrosis dissecans
- Knochenmarksnekrose („Knocheninfarkt“)
- Medulläre (bzw. metaphysäre) Osteonekrose
- Untergang des Knochenmarks
Epidemiologie
Ätiologie
- Traumatisch
- Frakturen oder Luxationen
- Rezidivierende Mikrotraumen
- Operation
- Intramedullärer Druckanstieg
- Atraumatisch
- Idiopathisch
- Okkludierende Perfusionsstörungen
- Zytotoxisch
- Multifaktorielle Ursache bzw. Systemerkrankungen
- Alkoholabusus
- Glucocorticoide
- Bisphosphonate
- Organtransplantation
- Chronische Niereninsuffizienz
- Autoimmunerkrankungen, bspw. Lupus erythematodes, rheumatoide Arthritis
- Vaskulitiden, bspw. Kollagenosen
- Dekompressionskrankheit
- Stoffwechselstörungen, bspw. Morbus Gaucher, Hyperlipidämie
- Inflammatorisch, bspw. Pankreatitis
- Septisch, bspw. Tuberkulose
Klassifikation
Übersicht nach Lokalisation
Übersicht der häufigsten Osteonekrosen nach Lokalisation | ||
---|---|---|
Lokalisation | Name | |
Wirbelsäule (meist Brustwirbelkörper) | Morbus Calvé | |
Morbus Scheuermann | ||
Humerus | Humeruskopf | Morbus Haas |
Capitulum humeri | Morbus Panner | |
Clavicula (medial) | Morbus Friedrich | |
Hand | Os scaphoideum | Morbus Preiser |
Os lunatum | Morbus Kienböck | |
Metakarpaleköpfchen II–V | Morbus Dieterich | |
Basis Phalanx medialis II–V | Morbus Thiemann | |
Femur | Femurkopf | Morbus Perthes |
Aseptische Hüftkopfnekrose im Erwachsenenalter | ||
Femurkondyle (medial) | Morbus Ahlbäck | |
Patella (distaler Pol) | Morbus Sinding-Larsen-Johansson | |
Tibia | Proximale Epiphyse (medial) | Morbus Blount |
Tuberositas tibiae | Morbus Osgood-Schlatter | |
Fuß | Calcaneus | Morbus Sever-Haglund |
Os naviculare | Morbus Köhler I | |
Os metatarsale (meist II) | Morbus Köhler II (Morbus Freiberg) |
Osteonekrosen im Wachstumsalter
Übersicht der häufigsten Osteonekrosen im Wachstumsalter | |||
---|---|---|---|
Lokalisation | Name | Altersgipfel | |
Wirbelsäule (meist Brustwirbelkörper) | Morbus Calvé | Kindesalter | |
Morbus Scheuermann | 8–12 Jahre | ||
Humerus | Capitulum humeri | Morbus Panner | 6–10 Jahre |
Hand | Basis Phalanx medialis II–V | Morbus Thiemann | 11–19 Jahre |
Femur | Femurkopf | Morbus Perthes | 4–10 Jahre |
Patella (distaler Pol) | Morbus Sinding-Larsen-Johansson | 8–15 Jahre | |
Tibia | Proximale Epiphyse (medial) | Morbus Blount | 1–10 Jahre |
Tuberositas tibiae | Morbus Osgood-Schlatter | 8–15 Jahre | |
Fuß | Calcaneus | Morbus Sever-Haglund | 8–15 Jahre |
Os naviculare | Morbus Köhler I | 4–12 Jahre | |
Os metatarsale (meist II) | Morbus Köhler II (Morbus Freiberg) | 10–18 Jahre |
- Morbus Calvé (Vertebra plana) [5]
- Beschreibung: Kollaps eines (Brust‑)Wirbelkörpers
- Ätiologie: Grunderkrankung oft Langerhans-Zell-Histiozytose
- Klinik: Belastungsabhängige Beschwerden, Schonhaltung, muskuläre Verspannung
- Therapie: Therapie der Grunderkrankung, lokal meist konservative Therapie
- Morbus Scheuermann [6]
- Beschreibung: Osteochondrose der Ringapophyse → Perforation der Endplatte → Bandscheibenprotrusion in die Wirbelkörper → Keilform der Wirbelkörper → Verstärkte Kyphose der Brustwirbelsäule → Ggf. kompensatorische Lordose der Lendenwirbelsäule
- Epidemiologie und Ätiologie: ♂ > ♀, familiäre Häufung
- Klinik: Meist wenig Beschwerden, eher kosmetisch störend
- Therapie: Meist konservativ, operativ ab ca. 75° Kyphose empfohlen
- Morbus Panner [7]
- Beschreibung: Osteonekrose des Knochenkerns des Capitulum humeri
- Epidemiologie und Ätiologie: ♂ > ♀, sportliche Aktivität
- Klinik: Schwellung, Schmerzen und Bewegungseinschränkung (insb. der Extension) des Ellenbogens
- Therapie: Konservativ mit guter Prognose
- Madelung-Deformität
- Beschreibung: Wachstumsstörung der distalen palmar-ulnaren Radiusepiphyse
- Epidemiologie und Ätiologie: ♀ > ♂, autosomal-dominante Vererbung, häufig bilateral, assoziiert mit enchondralen Dysostosen und dem Turner-Syndrom
- Klinik: Häufig Bewegungseinschränkung insb. der Pronation/Supination, Beschwerden bei Belastung
- Therapie: Bei Kindern meist konservativ , bei Erwachsenen beschwerdeabhängig operativ
- Morbus Thiemann [8]
- Beschreibung: Osteochondrose der Basis der Mittelphalanx der Langfinger
- Epidemiologie und Ätiologie: Sehr selten, familiäre Häufung
- Klinik: Meist schmerzlose Schwellung und Bewegungseinschränkung der Finger
- Therapie: Konservativ
- Morbus Perthes
- Morbus Sinding-Larsen-Johansson [9]
- Morbus Blount [10]
- Beschreibung: Asymmetrisches Wachstum der proximalen posteromedialen Tibiaepiphyse → Genu varum, Tibia procurvatum
- Epidemiologie und Ätiologie: Infantiles (1–3 Jahre, meist bilaterales) und juveniles (>6 Jahre, meist unilaterales) Auftreten, assoziiert mit Übergewicht und Vitamin-D-Mangel
- Klinik: Schmerzen, Gangstörung, Beinlängendifferenz
- Therapie: Infantile Form initial meist konservativ, juvenile Form häufig operativ
- Morbus Osgood-Schlatter [9][11]
- Beschreibung: Apophysitis der Tuberositas tibiae
- Epidemiologie und Ätiologie: ♂ ≈ ♀ , assoziiert mit sportlicher Aktivität
- Klinik: (Belastungsabhängige) Beschwerden, Druckschmerz über der Tuberositas tibiae, Schwellung, ggf. Gangstörungen
- Therapie: Konservativ mit guter Prognose , ggf. operativ
- Morbus Sever-Haglund [12]
- Morbus Köhler I [8]
- Beschreibung: Osteochondrose des Os naviculare
- Epidemiologie: ♂ > ♀
- Klinik: Schmerzhafte Schwellung insb. des medialen Fußrandes, meist unilateral, Gangstörung
- Therapie: Meist konservativ
- Morbus Köhler II (Morbus Freiberg) [1]
- Beschreibung: Osteonekrose des Metatarsaleköpfchens II (seltener: III–V)
- Epidemiologie: ♀ > ♂
- Klinik: Metatarsalgie mit schmerzhafter Schwellung, Gangstörung
- Therapie: Meist konservativ
Osteonekrosen im Erwachsenenalter
Übersicht der häufigsten Osteonekrosen im Erwachsenalter | |||
---|---|---|---|
Lokalisation | Name | Altersgipfel | |
Humerus (Humeruskopf) | Morbus Haas | Erwachsenalter | |
Clavicula (medial) | Morbus Friedrich | Junges Erwachsenalter | |
Hand | Os scaphoideum | Morbus Preiser | Erwachsenalter |
Os lunatum | Morbus Kienböck | Junges Erwachsenenalter | |
Metakarpaleköpfchen II–V | Morbus Dieterich | Erwachsenalter | |
Femur | Femurkopf | Aseptische Hüftkopfnekrose im Erwachsenenalter | 30–50 Jahre |
Femurkondyle (medial) | Morbus Ahlbäck | >65 Jahre |
- Morbus Haas [13]
- Beschreibung: Osteonekrose des Humeruskopfes
- Ätiologie: Häufigste Ursachen sind Trauma, Sichelzellkrankheit und Glucocorticoide
- Klinik: Belastungsabhängige Beschwerden , Nachtschmerz, später Bewegungseinschränkung → Omarthrose
- Therapie: Initial konservativ, bei Anzeichen struktureller Veränderungen operativ
- Morbus Friedrich [14]
- Beschreibung: Osteonekrose der medialen Clavicula
- Epidemiologie: ♀ > ♂, meist unilateral
- Klinik: Schwellung, Druckschmerz des Sternoklavikulargelenkes, Bewegungseinschränkung
- Therapie: Konservativ, nur in Ausnahmefällen operativ
- Morbus Preiser [15]
- Beschreibung: Osteonekrose des Os scaphoideum
- Ätiologie: Multiple Ursachen diskutiert
- Klinik: Belastungsabhängige Beschwerden, später Bewegungseinschränkung → Karpale Arthrose
- Therapie: Initial konservativ, bei Anzeichen struktureller Veränderung operativ
- Morbus Kienböck [16]
- Beschreibung: Osteonekrose des Os lunatum
- Ätiologie: Multiple Ursachen diskutiert
- Klinik: Belastungsabhängige Beschwerden, Druckschmerz, später Bewegungseinschränkung → Karpale Arthrose
- Therapie: Initial konservativ, bei Anzeichen struktureller Veränderung operativ
- Morbus Dieterich [17]
- Beschreibung: Osteonekrose Caput Os metacarpale III (II–V)
- Ätiologie: Multiple Ursachen diskutiert
- Klinik: Belastungsabhängige Beschwerden, Schwellung, ggf. Bewegungseinschränkung
- Therapie: Konservativ, operative Therapie in Ausnahmefällen
- Femurkopfnekrose (siehe: Aseptische Hüftkopfnekrose im Erwachsenenalter)
- Beschreibung: Osteonekrose des Femurkopfes
- Epidemiologie und Ätiologie: ♂ > ♀, 70% bilateral, multiple Ursachen diskutiert
- Klinik: Belastungsabhängige Beschwerden, Bewegungseinschränkung → Koxarthrose
- Therapie: Initial konservativ möglich, später operative Therapie
- Morbus Ahlbäck (spontane Osteonekrose, SONK) [2]
Pathophysiologie
Pathomechanismus
- Prinzipielle Unterscheidung zweier Pathomechanismen
- Lokale Minderperfusion
- Toxische Einflüsse auf Osteoblasten und Osteozyten
- Multifaktoriell: Diverse auslösende Faktoren (siehe: Osteonekrosen - Ätiologie)
- Resultat
- Störung der Makro- oder Mikrozirkulation → Ischämie → Absterben von Osteoklasten und Osteoblasten → Kein physiologischer Knochenstoffwechsel möglich → Fibrose und fehlerhafter Knochenumbau mit Bildung von Geflechtknochen [3]
- Bei mechanischer Belastung → Kollaps subchondralen Knochens
Grundsätzliche Pathomechanismen beinhalten eine lokale Minderperfusion sowie toxische Einflüsse auf Osteoblasten und Osteozyten!
Stadien
- Ischämische Ödemphase
- Nekrotisches Areal mit leeren Osteozytenlakunen
- Avaskuläre Zone mit Fettzelleninfiltration
- Markraumödem
- Randbereich mit erhöhter Gefäßdichte und reaktiver Hyperämie
- Demarkationsphase
- Einsprossen von Blutgefäßen
- Osteoidbildung
- Reparationsphase
- Abbau des toten Knochengewebes
- Einsprossen von Bindegewebe
- Ausbildung von Geflechtknochen
- Endstadium
- Lamellenknochen ersetzt Geflechtknochen
- Deformierte Gelenkfläche: Keine Restitutio ad integrum möglich (präarthrotische Deformität)
Symptomatik
- Abhängig von Lokalisation, bspw.
- Belastungsabhängige Beschwerden
- Schmerzhafte Bewegungseinschränkung
- Ggf. Nachtschmerz
- Ggf. Schwellung des betroffenen Gelenkes bei begleitender Synovialitis
Stadien
Je nach Lokalisation erfolgt die Einteilung bei den einzelnen Krankheitsentitäten unterschiedlich. Einen Ansatz zur einheitlichen Klassifikation bieten die ARCO-Stadien, die für die Hüftkopfnekrose entwickelt wurden. Für die verschiedenen Stadien bzw. Phasen des Untergangs von Knochengewebe siehe Osteonekrosen - Pathophysiologie.
Diagnostik
Anamnese
- Vorbestehendes Trauma
- Begleiterkrankungen und Vormedikation
- Sozialanamnese
- Beginn, Auslöser und Verlauf der Beschwerden
Körperliche Untersuchung
- Inspektion: Meist unauffällig, ggf.
- Fehlstellung
- Schwellung des betroffenen Gelenkes
- Palpation: Ggf. Druckschmerz
- Bewegungsausmaß
- Instabilität
- Krepitation und Gelenkblockade: Häufiger bei Osteochondrosis dissecans
Apparative Diagnostik [18]
Röntgen
- Indikation
- Stadieneinteilung
- Abschätzung des Krankheitsprogresses
- Festlegung von Therapieoptionen
- Ausschluss von Differenzialdiagnosen
- Stadieneinteilung
- Verfahren: Betroffenes Gelenk in zwei Ebenen
- Befund
MRT
- Indikation
- Erkennen eines Frühstadiums
- Ausschluss von Differenzialdiagnosen
- Verfahren: Nativ und ggf. mit i.v. Kontrastmittel
- Befund
- Fokales oder diffuses Knochenmarködem [19]
- Avaskuläre und hypervaskuläre Zonen
- Subchondrale Nekrose mit reaktivem Randsaum
- Doppellinienzeichen (Double-Line Sign)
- T1-Wichtung: Niedrige Signalintensität
- T2-Wichtung: Hohe Signalintensität
- Formveränderung und/oder Fragmentation
Skelettszintigrafie
- Indikation: Erkennen eines Frühstadiums (falls MRT nicht möglich)
- Befund
- Initial häufig verminderte Anreicherung
- Doughnut Sign: Zentral nekrotisches Areal umgeben von verstärkter Anreicherung
Differenzialdiagnosen
- Subchondrale (Insuffizienz‑)Fraktur
- Stressfraktur
- Pathologische Fraktur
- Arthrose
- Destruktive Osteoarthritis
- Infektiöse Arthritis
- Osteomyelitis
- Osteochondrosis dissecans
- Knochenmarksnekrose
- Intraossäre Zysten
- Tumor oder Metastasen
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Konservativ
- Entlastung bzw. Belastungsreduktion, bspw. durch Sportverzicht
- Kurzzeitige Ruhigstellung des entsprechenden Gelenkes
- Krankengymnastik
-
Analgetika (z.B. NSAR)
- Ibuprofen
- Naproxen
- Diclofenac unretardiert
- Paracetamol
- Kühlung
- Regelmäßige Kontrollen
- Periphere Vasodilatatoren, z.B. Iloprost (Off-Label Use) [21]
Meist steht die primär konservative Therapie im Vordergrund, insb. bei Osteonekrosen im Wachstumsalter!
Operativ
Individuelle Entscheidung (abhängig von Lokalisation, Stadium der Erkrankung, Lebensalter, Ausmaß der Beschwerden), bspw.:
- Markraumdekompression: Anbohrung des nekrotischen Knochens zur Revitalisierung und Ödementlastung [22]
- Spongiosaplastik: Bei strukturellem Knochenverlust zur Unterfütterung
- Umstellungsosteotomie: Bei bereits eingetretenen Fehlstellungen bzw. zur Entlastung
- Endoprothese: Bei bereits eingetretener Arthrose
- Siehe auch:
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- M87.-: Knochennekrose
- M87.0-: Idiopathische aseptische Knochennekrose [0–9]
Lokalisation der Muskel-Skelett-Beteiligung
- 0 Mehrere Lokalisationen
- 1 Schulterregion
- 2 Oberarm
- 3 Unterarm
- 4 Hand
- 5 Beckenregion und Oberschenkel
- 6 Unterschenkel
- 7 Knöchel und Fuß
- 8 Sonstige
- 9 Nicht näher bezeichnete Lokalisation
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.