Zusammenfassung
Als Folge einer Episode forcierten Erbrechens (Barotrauma) kommt es beim Boerhaave-Syndrom zu einer Ruptur aller Wandschichten des Ösophagus. In >90% befindet sich die Ruptur im distalen Drittel des Ösophagus links dorsolateral, da dort der geringste muskuläre Widerstand der Ösophaguswand besteht. Klinisch liegt meist eine typische Symptomatik mit retrosternalem Vernichtungsschmerz nach massivem Erbrechen vor, dem die Entwicklung eines Mediastinalemphysems folgt. Die Therapie besteht in der operativen Revision der Rupturstelle, da bei konservativer oder ausbleibender Behandlung die Letalität bei fast 100% liegt.
Epidemiologie
- Geschlecht: ♂ > ♀
- Risikofaktoren: Alkoholabhängigkeit
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Pathophysiologie
- Starkes Erbrechen (Barotrauma) → Ruptur aller Wandschichten des Ösophagus
- In >90% befindet sich die Ruptur im unteren Drittel des Ösophagus links dorsolateral, da dort der geringste muskuläre Widerstand der Ösophaguswand besteht
Symptomatik
- Mackler-Trias
- Explosionsartiges Erbrechen
- Akuter thorakaler Schmerz („retrosternaler Vernichtungsschmerz“)
- Charakteristisch: Haut- oder Mediastinalemphysem
- Mediastinitis im Verlauf
- Dyspnoe, Zyanose
Bei thorakalen Schmerzen immer nach Erbrechen fragen!
Diagnostik
- Anamnestisch: Unmittelbare Episode heftigen Erbrechens
- Röntgen mit wasserlöslichem Kontrastmittel (Gastrografin®)
- Computertomografie
- Endoskopie
Differenzialdiagnosen
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
- Für das Notfallmanagement bei starkem Blutverlust und Schocksymptomatik siehe: Hämorrhagischer Schock - AMBOSS-SOP
- Operativer Verschluss des rupturierten Abschnitts
- Ultima Ratio: Ösophagektomie
- Breitspektrumantibiotika-Gabe
Komplikationen
Mediastinitis
- Fieber, Schmerzen hinter dem Brustbein oder im Rücken, ggf. auch ein Hautemphysem am Hals und im Gesicht, Schocksymptomatik, obere Einflussstauung
- Verlegung der oberen Atemwege
- Sepsis mit Bakteriämie
- Ausbreitung auf Pleura, Perikard
- Thrombose der V. cava, Mediastinalfibrose (chronische Mediastinitis)
- Röntgenthorax in 2 Ebenen: Verbreitertes Mediastinum und Mediastinalemphysem
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Geschichte der Namensgebung
Boerhaave, ein niederländischer Mediziner des 18. Jahrhunderts und offensichtlicher Lebemann, beschrieb das Krankheitsbild 1724, nachdem ein Freund nach einem gemeinsamen opulenten Mahl erbrach und tot umfiel. Der Obduktionsbefund Boerhaaves erbrachte den Befund der Ösophagusruptur als Todesursache. Eine bemerkenswerte medizinhistorische Anekdote.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- K22.-: Sonstige Krankheiten des Ösophagus
- Exklusive: Ösophagusvarizen (I85.‑)
- K22.3: Perforation des Ösophagus
- Ösophagusruptur
- Exklusive: Traumatische Perforation des (thorakalen) Ösophagus (S27.83)
- J98.-: Sonstige Krankheiten der Atemwege
- J98.5-: Krankheiten des Mediastinums, anderenorts nicht klassifiziert
- Exklusive: Abszess des Mediastinums (J85.3)
- J98.50: Mediastinitis
- J98.5-: Krankheiten des Mediastinums, anderenorts nicht klassifiziert
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.