Zusammenfassung
Dyspnoe bezeichnet das subjektive Gefühl einer unzureichenden oder erschwerten Atmung und kann Ausdruck verschiedener, vorwiegend kardialer und pulmonaler Erkrankungen sein. Diagnostisch stehen zunächst die Anamnese und klinische Untersuchung (insb. Vitalparameter und Auskultation) im Vordergrund. Anhand dieser lässt sich i.d.R. rasch beurteilen, wie dringlich eine weitere Abklärung und Therapie sind. Eine akut aufgetretene Dyspnoe ist dabei immer als Notfall zu werten, schließlich können ihr lebensbedrohliche Erkrankungen wie ein Herzinfarkt oder eine Lungenembolie zugrunde liegen. Bei einer chronischen Dyspnoe sind hingegen auch eher chronische Erkrankungen wie eine COPD, ein Asthma bronchiale oder eine Herzinsuffizienz zu bedenken. Therapeutisch steht immer die Behandlung der Grunderkrankung im Vordergrund. Symptomatisch können v.a. in der Akutsituation eine Sauerstoffgabe und ggf. eine Sedierung zur Linderung der Luftnot sinnvoll sein, insb. da diese für den Patienten häufig sehr beängstigend ist.
Definition
Als Dyspnoe (oder auch Luft-/Atemnot) wird das subjektive Gefühl einer unzureichenden oder erschwerten Atmung bezeichnet. Sie kann mit objektiven Zeichen wie z.B. dem Einsatz der Atemhilfsmuskulatur, dem Zwang zur aufrechten Körperhaltung (Orthopnoe) und einer erhöhten Atemfrequenz einhergehen.
Klassifikation
Zur Schweregradeinteilung der Dyspnoe können verschiedene Skalen zum Einsatz kommen. Ein Beispiel ist die Dyspnoe-Skala der American Thoracic Society:
Dyspnoe-Skala nach ATS | Schweregrad | Beschreibung |
---|---|---|
0 | Keine Dyspnoe | Keine Beschwerden bei raschem Gehen in der Ebene oder leichtem Anstieg |
1 | Mild | Kurzatmigkeit bei raschem Gehen in der Ebene oder leichtem Anstieg |
2 | Mäßig | Aufgrund von Kurzatmigkeit langsameres Gehen in der Ebene als Altersgenossen oder bei eigenem Gehtempo Pausen zum Luftholen nötig |
3 | Schwer | Nach einigen Minuten oder 100m Gehen im Schritttempo Pausen erforderlich |
4 | Sehr schwer | Aufgrund von Kurzatmigkeit kann das Haus nicht verlassen werden; Luftnot bereits beim An- und Ausziehen |
Dyspnoe aufgrund einer Herzinsuffizienz wird nach der sehr verbreiteten NYHA-Klassifikation eingeteilt. Teilweise wird die Klassifikation im klinischen Jargon (fälschlicherweise) auch zur Beschreibung des Schweregrades von Luftnot verwendet, obwohl die Ursache unklar bzw. nicht auf eine Herzinsuffizienz zurückzuführen ist.
Pathophysiologie
- Die Pathophysiologie der Dyspnoe ist sehr komplex und bis heute nicht vollständig verstanden. Zu den Hauptfaktoren der Entstehung von Dyspnoe zählen vermutlich:
- Stimulation von zentralen und peripheren Chemorezeptoren
- Primärer Stimulus: Anstieg des CO2-Partialdrucks im Blut (Hyperkapnie)
- Weitere Stimuli: Abfall des O2-Partialdrucks im Blut (Hypoxämie) , (metabolische) Azidose
- Stimulation von Mechanorezeptoren in den oberen Atemwegen, der Lunge und der Brustwand
- Stimulation von zentralen und peripheren Chemorezeptoren
- Für die subjektive Wahrnehmung von Dyspnoe spielen neben den o.g. Stimuli auch zentralnervöse Einflüsse wie Gefühle (insb. Angst), Selbstwahrnehmung und Gewöhnung eine wichtige Rolle
Diagnostik
Die Primärdiagnostik ist vor allem auf die Erkennung einer respiratorischen Insuffizienz jeglicher Genese ausgerichtet - Vitalzeichen, SpO2 und eine klinische Ersteinschätzung nach basaler Anamnese und Untersuchung erlauben fast immer, die Dringlichkeit und Art der weiterführenden diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen einzuschätzen. Entscheidend ist dabei vor allem, akut lebensbedrohliche Erkrankungen (insb. Myokardinfarkt, Lungenembolie, Lungenödem) auszuschließen!
Anamnese
- Verlauf
- Akut
- Chronisch
- Intermittierend, mit beschwerdefreien Intervallen
- Rezidivierend, ohne beschwerdefreie Intervalle
- Progredient
- Qualität/Charakter
- Thorakales Engegefühl
- Schnelles Atmen (Tachypnoe)
- Flaches Atmen
- Erschwerte Atemarbeit
- Bei Belastung vs. in Ruhe
- Lageabhängigkeit
- Begleitsymptome, u.a.
- Vorerkrankungen
- Medikamenteneinnahme
Körperliche Untersuchung
Mit Schwerpunkt auf:
- Vitalparameter
- Atemfrequenz
- Puls
- Blutdruck
- Auskultation des Herzens
- Untersuchung der Lunge
- Perkussion und Auskultation der Lunge
- Feinblasige Rasselgeräusche bei Pneumonie
- Grobblasige Rasselgeräusche bei (alveolärem) Lungenödem
- Giemen und Brummen bei obstruktiven Erkrankungen
- Einseitig fehlendes/abgeschwächtes Atemgeräusch bei Atelektasen, großem Pleuraerguss oder Pneumothorax
- Inspiratorischer Stridor bei Verengungen der oberen Atemwege (z.B. Fremdkörperaspiration, Tracheomalazie)
- Normaler Auskultationsbefund u.a. bei Lungenembolie, Anämie, neurologischen Erkrankungen, psychogener Dyspnoe
- Verhältnis zwischen Inspiration und Exspiration
- Einsatz der Atemhilfsmuskulatur? → siehe auch Zeichen der Dyspnoe
- Perkussion und Auskultation der Lunge
- Prüfung auf das Vorliegen von Ödemen
- Äußere Hinweise auf eine Hypoxie
Weitere Diagnostik
- Pulsoxymetrie
- Blutgasanalyse
- EKG
- Labordiagnostik
- Bei akuter Dyspnoe: Herzenzyme, D-Dimere, Entzündungsparameter, BNP
- Bei chronischer Dyspnoe: Blutbild (Hämoglobin), Entzündungsparameter, BNP
- Bildgebung
- Lungenfunktionstest (z.B. Spirometrie , Diffusionskapazität )
Bei unklarer Dyspnoe soll in der Notaufnahme ein natriuretisches Peptid bestimmt werden! (DGIM - Klug entscheiden in der Notaufnahme)
Differenzialdiagnosen
Ursachen für akute Dyspnoe
Ursachen für akute Dyspnoe | Erkrankung | Begleitsymptome/Charakteristika | Wegweisende Diagnostik |
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Kardial | Akutes Koronarsyndrom | ||
Akute Dekompensation einer Herzinsuffizienz |
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Herzrhythmusstörungen | |||
Perikardtamponade |
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Pulmonal | Asthma bronchiale |
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Fremdkörperaspiration |
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Lungenembolie |
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Pneumonie |
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Pneumothorax |
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Hämatothorax |
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Pleuraerguss |
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Erkrankungen der oberen Atemwege | Infekte der oberen Atemwege (z.B. Laryngitis, Pharyngitis) |
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Obstruktionen der oberen Atemwege (z.B. Polypen, Vocal Cord Dysfunction, Tracheomalazie, Reinke-Ödem) |
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Angioödem |
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Metabolisch | Metabolische Azidose |
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Psychogen | Hyperventilation (z.B. im Rahmen von Angst-/Panikstörungen) |
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Neurogen | Akute, beidseitige Zwerchfellparese |
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Weitere | Vergiftungen (z.B. mit Blausäure, Kohlenstoffmonoxid, Schwefelwasserstoff) |
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Medikamentenüberdosierung (z.B. Ticagrelor, Salicylate) |
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Anaphylaxie |
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Sepsis |
Ursachen für chronische Dyspnoe
Ursachen für chronische Dyspnoe | Erkrankung | Begleitsymptome/Charkateristika | Wegweisende Befunde |
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Kardial | Herzinsuffizienz |
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Pulmonal | COPD |
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Asthma bronchiale |
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Interstitielle Lungenerkrankungen |
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Chronisch rezidivierende Lungenembolien |
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Pulmonale Hypertonie |
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Mukoviszidose |
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Psychogen | Angststörung |
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Neurogen | Myasthenia gravis |
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Zwerchfellparese |
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Weitere | Fehlende Kondition |
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Anämie |
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Thoraxdeformitäten |
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AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Grundsätzlich sollte immer die Therapie der Grunderkrankung im Vordergrund stehen!
- Allgemeine Akutmaßnahmen
- Beruhigung, ggf. auch medikamentös
- Oberkörperhochlagerung/sitzende Position
- Sauerstoffgabe
- Spezifische Akutmaßnahmen
- Bei obstruktiver Komponente: β2-Sympathomimetika, Glucocorticoide
- Bei allergischer Komponente/Anaphylaxie: Glucocorticoide, Adrenalin
- Bei Ödemen u./o. Verdacht auf pulmonale Stauung: Nitrate, Schleifendiuretika
- Weitere Maßnahmen je nach Erkrankung
- Ultima Ratio bei Vorliegen einer respiratorischen Insuffizienz: Intubation und Beatmung
AMBOSS-Pflegewissen: Dyspnoe
Dyspnoe bezeichnet das subjektive Gefühl einer unzureichenden oder erschwerten Atmung und kann Ausdruck verschiedener, vorwiegend kardialer und pulmonaler Erkrankungen sein.
- Akute Dyspnoe: Notfall bis lebensbedrohliche Erkrankungen ausgeschlossen sind
- Chronische Dyspnoe: Therapie der Grunderkrankung, symptomatische Behandlung der Dyspnoe
- Grundsätzliche Aspekte der Pflege bei Dyspnoe
- Dyspnoe ist ein belastender, als bedrohlich wahrgenommener Zustand, der je nach Ausprägung Todesangst auslösen kann
- Im Umgang mit Patient:innen mit akuter Luftnot sollte die Pflegekraft Ruhe ausstrahlen
- Symptomatisch können insb. in der Akutsituation eine Sauerstoffgabe und ggf. eine Sedierung zur Linderung der Luftnot und zu Beruhigung sinnvoll sein
- Therapeutisch steht immer die Behandlung der Grunderkrankung im Vordergrund
Aufgaben der Pflege bei Dyspnoe
- Erfassen der Situation und möglicher Auslöser:
- Akute Verschlechterung einer Grunderkrankung ggf. auch unter laufender Sauerstofftherapie
- Als Reaktion auf körperliche Überanstrengung
- Ggf. als allergische Reaktion nach Medikamentengabe
- Hilfe holen: Ärzt:in informieren, ggf. zweite Pflegekraft
- Psychische Unterstützung: Patient:in nicht alleine lassen, Ruhe ausstrahlen
- Positionierung: Oberkörperhochlage
- Luftzufuhr verbessern: Fenster öffnen
- Beengende Kleidung entfernen
- Basismonitoring:
- SpO2
- Atemfrequenz
- Herzfrequenz
- Blutdruck
- Temperatur
- Beobachtung der Haut: Auf Zyanosezeichen
- Sauerstoffgabe: Nach ärztlicher Rücksprache, ggf. Flussrate erhöhen
- Absaugen: Nach ärztlicher Anordnung bei V.a. Verlegung der Atemwege durch Aspiration oder Sekretstau
- Siehe auch: AMBOSS-Pflegewissen: Absaugen der Atemwege
- Medikamentöse Therapie: Nach ärztlicher Anordnung
- Bei allergischer Komponente/Anaphylaxie: Glucocorticoide, Adrenalin
- Bei obstruktiver Komponente: β2-Sympathomimetika, Glucocorticoide
- Bei Ödemen und/oder Verdacht auf pulmonale Stauung: Schleifendiuretika
- Ultima Ratio bei Vorliegen einer respiratorischen Insuffizienz: Intubation und Beatmung
Akut lebensbedrohliche Erkrankungen (insb. Myokardinfarkt, Lungenembolie, Lungenödem) müssen zeitnah ausgeschlossen werden! Auch bei bekannter pulmonaler Vorerkrankung wie COPD dürfen diese Differentialdiagnosen nicht vorschnell ausgeschlossen werden!
Thematisch verwandte AMBOSS-Pflegeinhalte
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- R06.-: Störungen der Atmung
- Exklusive: Atemnot beim Neugeborenen (P22.‑), Atemnotsyndrom des Erwachsenen (J80.‑), Atemstillstand (R09.2), Respiratorische Insuffizienz (J96.‑), Respiratorische Insuffizienz beim Neugeborenen (P28.5)
- R06.0: Dyspnoe
- Kurzatmigkeit
- Orthopnoe
- Exklusive: Transitorische Tachypnoe beim Neugeborenen (P22.1)
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.