Zusammenfassung
Die Thanatologie beschäftigt sich mit dem Tod, dem Sterben und der Bestattung vom Menschen aus rechtsmedizinischer Sicht. Bei der Leichenschau und der gerichtsmedizinischen Obduktion werden Veränderungen des menschlichen Körpers dokumentiert und beurteilt. Nach dem Tod eines Menschen kann anhand von Todeszeichen der Tod festgestellt und der Todeszeitpunkt eingegrenzt werden. Bei der Beurteilung werden sichere von unsicheren und frühe von späten Leichenveränderungen unterschieden. Vitalitätszeichen sind Hinweise dafür, dass ein Mensch zum Zeitpunkt einer schädigenden Einwirkung noch gelebt hat. Supravitale Reaktionen sind ein Ausdruck für erhaltene Körperfunktionen bei einer Leiche (z.B. sind erhaltene Pupillenreaktionen bis zu 17 Stunden nach dem Tod nachweisbar) – sie geben hilfreiche Hinweise zur Eingrenzung des Todeszeitpunkts.
Du möchtest diesen Artikel lieber hören als lesen? Wir haben ihn für dich im Rahmen unserer studentischen AMBOSS-Audio-Reihe im Podcastformat vertont. Den Link findest du am Kapitelende in der Sektion “Tipps & Links".
Leichenschau und Obduktion
Äußere Leichenschau [1][2]
Generelles
- Definition: Ärztliche Untersuchung eines Verstorbenen zur Feststellung und Bestimmung der näheren Todesumstände
- Veranlasser: Medizinisches Krankenhauspersonal, Angehörige, Pflegeheimleitung, Finder einer Leiche
- Zuständigkeit: Approbierter Arzt
- Individuelle Gesetzgebung nach Bundesland
- Ausnahme: Schleswig-Holstein
- Sonderfall: Notarzteinsatz
- Zeitpunkt: Unverzüglich
- Ort und Voraussetzungen
- Am Auffindungsort [3]
- Bei vollständig entkleideter Leiche
- Bei ausreichender Beleuchtung
- Besonderheiten
- Bei Hinweisen auf nicht-natürlichen Tod: Information der Polizei
- Bei Hinweisen auf CO-Intoxikation: Information von Bewohnern und Polizei
- Instrumente: Handschuhe, Pinzette, Thermometer, Stethoskop, ggf. Taschenlampe
- Ausfüllen des Totenscheins (s. auch Checkliste Totenschein)
- Nach Durchführung der äußeren Leichenschau
- Angaben
- Personalien
- Wohnadresse
- Geburtstag und -ort
- Zuletzt behandelnder Arzt
- Sterbezeitpunkt und -ort,
- Von wem der Tote identifiziert worden ist
- Etwaige Warnhinweise (z.B. Infektionsgefahr)
- Todesart (natürlich, nicht-natürlich, ungeklärt)
- Weiteres Verfahren
- Vor der Bestattung
- Natürliche Todesart: Ggf. klinische Obduktion
- Nicht-natürliche bzw. ungeklärte Todesart: Rechtsmedizin/Staatsanwaltschaft → Gerichtsmedizinische Obduktion → Freigabe zur Bestattung
- Nach der Bestattung: Sammlung aller Totenscheine im Gesundheitsamt → ICD-Verschlüsselung im Statistischen Landesamt → Erhebung der Todesursachenstatistik im Statistischen Bundesamt entsprechend des Bevölkerungsstatistikgesetzes
- Vor der Bestattung
Durchführung
- Feststellung des Todes bzw. Reanimationsversuche
- Identifikation: Durch eigene Kenntnis, durch Angehörige oder mittels Ausweisdokumenten
- Beschreibung der Leiche und der Leichenumgebung
- Lage der Leiche
- Zustand der Kleidung
- Allgemein- und Pflegezustand
- Entkleiden der Leiche und Entfernung von Pflastern und Verbänden
- Systematische Untersuchung der Leiche
- Geruch: Allgemein und aus Mund/Nase
- Kopf
- Behaarte Kopfhaut und Gesichtsschädel abtasten
- Bei Kopfverletzungen siehe auch: Hutkrempen-Regel und Puppe-Regel
- Mund: Mundhöhle , Schleimhaut , Zunge, Zähne/Gebiss
- Augen: Bindehaut, Augenlider, Pupillen
- Ohren: Gehörgänge
- Restlicher Körper
- Haut: Ödeme, Druckstellen, Schürfungen , Strommarken, Wunden , Hämatome , Schmauchspuren, Narben bzw. Injektionsstellen
- Weitere Körperöffnungen: After, Genitale
- Sichere Todeszeichen: Frühe und späte Leichenerscheinungen
- Totenflecke: Lage, Farbe, Intensität, Ausdehnung, Wegdrückbarkeit, Verlagerbarkeit, Übereinstimmung mit Auffindesituation
- Totenstarre: Ausprägung in großen/kleinen Gelenken
- Vertrocknungen: Lippen, Genitale, Augen
- Tiefe Rektaltemperatur
- Fäulnis
- Insektenbefall
- Supravitale Reaktionen zur Eingrenzung des Todeszeitpunktes
Obduktion
- Klinische Obduktion
- Zweck: Medizinische Klärung der natürlichen Todesursache und der vorbestehenden Erkrankungen
- Zuständiger Arzt: Wird i.d.R. von einem Pathologen durchgeführt
- Voraussetzungen
- Natürliche Todesart
- Zustimmung der verstorbenen Person zu Lebzeiten oder der totensorgeberechtigten Person(en)
- Ausnahmeregelungen auf Landesebene
- Gerichtsmedizinische Obduktion
- Zweck: Rechtliche und medizinische Klärung eines nicht-natürlichen oder ungeklärten Todes
- Zuständiger Arzt: Wird immer von zwei Ärzten durchgeführt, mind. einer muss Rechtsmediziner sein
- Voraussetzungen
- Totenschein mit nicht-natürlicher und ungeklärter Todesart
- Anordnung der Staatsanwaltschaft/des Gerichts
- Weitere Obduktionsarten
- Anatomische Obduktion
- Zweck: Lehre und Forschung über den Aufbau des menschlichen Körpers
- Versicherungsrechtliche Obduktion
- Zweck: Klärung versicherungsrechtlicher Ansprüche
- Private Obduktion
- Zweck: Bspw. Klärung versicherungsrechtlicher Ansprüche oder Beweiserbringung im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses
- Obduktion gemäß Infektionsschutzgesetz
- Zweck: Klärung der Infektiosität einer verstorbenen Person
- Obduktion gemäß Feuerbestattungsgesetz
- Zweck: Klärung von Widersprüchen aus der ersten und zweiten äußeren Leichenschau, die in fast allen Bundesländern vor einer Feuerbestattung durchgeführt werden muss
- Anatomische Obduktion
Ein nicht-natürlicher oder ungeklärter Tod muss der Polizei gemeldet werden. Die Staatsanwaltschaft kann daraufhin eine gerichtsmedizinische Obduktion anordnen!
Laut Strafprozessordnung (§ 89) muss sich die Leicheneröffnung, soweit der Zustand der Leiche dies gestattet, stets auf die Öffnung aller drei Körperhöhlen (Schädel-, Brust- und Bauchhöhle) erstrecken!
Schwimmprobe
Schwimmproben werden im Rahmen einer Obduktion an Lunge und Magen-Darm-Trakt durchgeführt, um nachzuweisen, ob ein Totgeborenes doch schon gelebt hat.
Lungenschwimmprobe
- Definition: Test zur Überprüfung einer stattgehabten Belüftung der Lunge bei Totgeburten im Rahmen einer Obduktion
- Testergebnis
- Positiv: Schwimmende Lunge als Nachweis einer Belüftung der Lunge und Hinweis auf stattgehabte Atemzüge
- Falsch-positiv : Anderweitige Belüftung durch Reanimationsversuche oder Gasbildung bei Fäulnis
- Falsch-negativ : Flüssigkeitsaspiration oder Erstickung durch Burking
Magen-Darm-Schwimmprobe
- Definition: Test zum Nachweis von Luft im Gastrointestinaltrakt bei Neugeborenen im Rahmen einer Obduktion als Hinweis auf die Lebensdauer
- Testergebnis
Identifizierung eines Leichnams [4]
Ist die Identität eines Verstorbenen über Dokumente oder Angehörige nicht zu ermitteln, muss die Polizei informiert werden. Diese leitet dann ein Verfahren zur Feststellung der Identität ein. Die Identifizierung des Verstorbenen erfolgt in der Rechtsmedizin über:
- Äußere Merkmale des Leichnams
- Gebissbefund
- Erfassung von Vorhandensein und Zustand
- Abgleich mit zahnärztlichen Befunden
- Implantate: Bspw. Zahnimplantate, Herzschrittmacher
- Skelett
- Bestimmung des Geschlechts, der Körpergröße und des Alters
- Ggf. auch der Liegezeit
Checkliste Totenschein
Diese Sektion bietet eine Hilfestellung zum Ausfüllen des Totenscheins. Da das Bestattungsgesetz Ländersache ist, variieren Gesetz und Aufbau des Leichenschauscheins zwischen den Bundesländern. Länderübergreifend müssen aber weitestgehend die gleichen Angaben getroffen werden.
Generelles [2]
- Durchführung der Leichenschau und Ausfüllen des Totenscheins: Nur durch einen approbierten Arzt
- Pflicht: Jeder Arzt auf Verlangen
- Bei Verdacht auf medizinische Maßnahmen als direkte Todesursache: Keine Beteiligung der behandelnden Ärzte bei der Totenschau !
- „Akt hoher ärztlicher Verantwortung“
- Strenge gesetzliche Vorgaben
- Kein Zulassen einer Beeinflussung durch Institutionen jeglicher Art
- Exakter Aufbau des Totenscheins: Variabel je nach Bundesland
- Nicht-vertraulicher Teil
- Vertraulicher Teil
Das Bestattungsgesetz und der Aufbau des Totenscheins variieren von Bundesland zu Bundesland!
Ablauf [2][5][6]
- Durchführung der äußeren Leichenschau: Siehe auch Leichenschau
- Ausfüllen des Totenscheins
- Unmittelbar nach Beendigung der Leichenschau
- Allgemeine Angaben des Totenscheins : Ausfüllen (kräftig drücken!)
- Nicht-vertraulicher Teil des Totenscheins: Abtrennen und ausfüllen
- Vertraulicher Teil des Totenscheins: In vierfacher Ausfertigung im Durchschreibeverfahren ausfüllen
- Bestätigung der Leichenschau mit Ort, Datum und Unterschrift auf allen Blättern
- Weitergabe der ausgefüllten Unterlagen
- Nicht-vertraulicher Teil
- Zuständiges Standesamt bei natürlicher Todesart
- Polizei bei nicht-natürlicher Todesart oder ungeklärter Todesart, bzw. je nach Bundesland auch bei Feuerbestattung
- Vertraulicher Teil: Abhängig vom Bundesland
- 1 Blatt: Verbleib beim ausfüllenden Arzt
- Benachrichtigung
- Polizei: Bei nicht-natürlicher Todesart oder ungeklärter Todesart , bei unbekanntem Toten
- Gesundheitsamt: Bei Verdacht auf oder Vorliegen einer meldepflichtigen Infektionskrankheit beim Verstorbenen
- Berufsgenossenschaft: Bei Todesfall im Rahmen eines Arbeits- oder Wegeunfalls oder durch eine Berufskrankheit verursacht
- Nicht-vertraulicher Teil
Ausfüllen des Totenscheins
Allgemeine Angaben des Totenscheins
- Personalien des Verstorbenen (Name, Adresse, Geburtsdatum und -ort sowie Geschlecht)
- Identifikation
- Eigene Kenntnis
- Einsicht Personalien (Personalausweis/Reisepass)
- Angaben Angehöriger/Dritter
- Nicht möglich
- Todeszeitpunkt
- Bekannt
- Nach eigenen Feststellungen
- Nach Angaben Dritter/Angehöriger
- Unbekannt/tot aufgefunden: Zeitpunkt der Auffindung der Leiche
- Bekannt
Nicht-vertraulicher Teil des Totenscheins
- Sterbeort bzw. Auffindeort der Leiche, falls der Sterbeort nicht angegeben werden kann
- Warnhinweise
- Herzschrittmacher
- Infektionsgefahr
- Sonstiges, wie bspw. Hinweise auf gefährliche chemische Stoffe oder radioaktive Strahlung
- Todesart/Todesursache
- Anhalt für äußere Einwirkungen
- Siehe auch: Natürliche Todesart, nicht-natürliche Todesart und ungeklärte Todesart
- Zusatzangaben bei Totgeborenen
- Als tote Leibesfrucht geboren
- In der Geburt verstorben
Vertraulicher Teil des Totenscheins
- Zuletzt behandelnde/r Ärztin/Arzt bzw. Krankenhaus
- Sichere Todeszeichen
- Totenstarre
- Totenflecke
- Fäulnis
- Verletzungen, die nicht mit dem Leben vereinbar sind
- Hirntod
- Reanimationsbehandlung: Ja/Nein
- Todesursache bzw. Angaben zur Krankheitsanamnese mit ICD-10-Kodierung
- Unmittelbare Todesursachen
- Beispiele: Blutungen (z.B. Hirnblutungen, akuter Blutverlust), Infektionen (z.B. septischer Schock), akute Herzinsuffizienz (z.B. akute Herzinsuffizienz bei Lungenembolie), O2-Mangel (z.B. akute Koronarinsuffizienz, zerebrale Hypoxie)
- Vorangegangene Erkrankungen
- Folgeleiden: Bspw. Infektionen (Pneumonie, Urozystitis, Wundinfekte), Metastasierung (z.B. Hirnmetastasen, Lungenmetastasen), Infarkte (Myokardinfarkt, ischämischer Insult)
- Grunderkrankung: Bspw. Diabetes mellitus, koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, chronische Niereninsuffizienz, maligne Grunderkrankung, arterielle Hypertonie
- Weitere wesentliche Krankheiten oder Veränderungen zur Zeit des Todes
- Nähere Angaben: Epikrise
- Äußere Ursachen
- Unfallkategorie
- Hilfestellung: Kausalkette Todesursache
- Hilfestellung: Modell der Sterbetypen
- Unmittelbare Todesursachen
- Notwendigkeit bzw. Durchführung einer Obduktion
- Bei Frauen
- Schwangerschaft
- Geburt oder Abort innerhalb der letzten 3 Monate
- Bei Totgeborenen und bei Kindern unter einem Jahr
- Angaben über Geburtsort sowie Körpergewicht und -länge bei der Geburt
- Vorliegen einer Mehrlingsgeburt
- Ggf. Erkrankungen der Mutter während der Schwangerschaft
- Bei Neugeborenen, die innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Geburt gestorben sind
- Angabe der Anzahl an Lebensstunden
- Vorliegen einer Frühgeburt
- Schwangerschaftswoche
- Anhaltspunkte für einen nicht-natürlichen Tod: Information der zuständigen Polizeibehörde
Hilfestellungen beim Ausfüllen
Kausalkette: Todesursache
Die Kausalkette beschreibe eine nachvollziehbare (also „kausale“) Verkettung von Grunderkrankung, Folgeleiden und unmittelbarer Todesursache. Tatsächlich ist es insb. bei den ersten ärztlichen Leichenschauen nicht einfach, die Kausalkette auszufüllen, wenn bspw. eine multimorbide Person verstorben ist und keine eindeutige Todesursache direkt zugeordnet werden kann.
- Unmittelbare Todesursache (Die ICD-10-Kodierung muss stets mit angegeben werden!)
- Beispiel 1: Blutung (z.B. Hirnblutungen, akuter Blutverlust)
- Beispiel 2: Infektion (z.B. septischer Schock)
- Beispiel 3: Akute Herzinsuffizienz (z.B. akute Herzinsuffizienz bei Lungenembolie)
- Beispiel 4: O2-Mangel (z.B. akute Koronarinsuffizienz, zerebrale Hypoxie)
- Folgeleiden: Finale Todesursache als Folge von
- Beispiel 1: Infektion (z.B. Pneumonie, Urozystitis, Wundinfekte)
- Beispiel 2: Metastasierung (z.B. Hirnmetastasen, Lungenmetastasen)
- Beispiel 3: Infarkt (z.B. Myokardinfarkt, ischämischer Insult)
- Grunderkrankung: Folgeleiden durch
- Beispiel 1: Systemische Grunderkrankung (z.B. Rheumatoide Arthritis, Arthrose, Osteoporose)
- Beispiel 2: Organspezifische Grunderkrankung (z.B. Herzinsuffizienz, chronische Niereninsuffizienz, koronare Herzkrankheit, Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie)
- Beispiel 3: Maligne Grunderkrankung
- Andere wesentliche Krankheiten
Fallbeispiele einer Kausalkette
Diese Tabelle dient als Beispiel und soll nicht als Schreibvorlage dienen. Ein gewissenhaftes Ausfüllen des Totenscheins ist, auch in Bezug der Auswirkungen auf die Todesursachenstatistik, sehr wichtig.
Fallbeispiel | Finale Todesursache | Folgeleiden einer Grunderkrankung | Grundleiden |
---|---|---|---|
Patient 1 |
|
|
|
Patient 2 |
| ||
Patient 3 |
|
|
|
Patient 4 |
|
|
|
Patient 5 |
|
Falls die Todesursache nicht zu ermitteln ist, sollte auf Spekulationen verzichtet und „Todesursache ungeklärt“ angegeben werden!
Modell der Sterbetypen [7]
Beim Erstellen einer Kausalkette hilft es, strukturiert vorzugehen und dazu z.B. das Modell der Sterbetypen heranzuziehen.
- Linearer Sterbetyp
- Grunderkrankung führt zu einem Folgeleiden im gleichen Organsystem, das (ggf. über weitere Folgeleiden) zur finalen Todesursache führt
- Beispiel 1: Depression → Substanzmissbrauch in suizidaler Absicht → Akutes Leberversagen → Tod
- Beispiel 2: Koronare Herzkrankheit → Myokardinfarkt → Akute Herzinsuffizienz → Tod
- Divergierender Sterbetyp
- Organspezifische Grunderkrankung führt zu einer Schädigung des Gesamtorganismus und zahlreichen Folgeleiden, die (ggf. über weitere Folgeleiden) zu einer unspezifischen Todesursache führen
- Beispiel: Lokales Karzinom → Metastasen, Tumorkachexie, Tumoranämie, rezidivierende Infekte → Blutungen, O2-Mangel, schwere Sepsis → Tod
- Konvergierender Sterbetyp
- Mehrere Grunderkrankungen führen zu einem gemeinsamen Folgeleiden, das (ggf. über ein weiteres Folgeleiden) zum Versagen eines lebensnotwendigen Organs und damit zum Tod führt
- Beispiel: Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, Nikotinabusus, pAVK, chronische Niereninsuffizienz → Wundinfekt → schwere Sepsis → Tod
- Komplexer Sterbetyp
- Mind. 2 Grunderkrankungen liegen vor, führen unabhängig voneinander zu Folgeleiden und einer kausalen Todesursache
- Häufig nicht-eindeutige Todesursache, theoretisch liegen mehrere Todesursachen vor
- Beispiel: COPD, malignes Melanom, KHK, Substanzmissbrauch → AECOPD und Hirnmetastasen → schwere Sepsis und Hirnblutungen → Tod
Begriffsdefinitionen
Allgemeine Begriffsdefinitionen
- Klinischer Tod
- Kreislaufstillstand und Einstellung der Atmung mit konsekutivem Hirntod nach wenigen Minuten
- Reversibel durch kardiopulmonale Reanimation
- Intermediäres Leben: Zeitraum zwischen Individualtod und Absterben der letzten Körperzelle
- Biologischer Tod: Zeitraum nach Absterben der letzten Körperzelle
- Menschliche Leiche
- Körper eines Verstorbenen
- Körper eines verstorbenen Neugeborenen (Todeseintritt, nachdem post partum bereits Lebenszeichen vorhanden waren )
- Totgeburt ab Körpergewicht 500 g
- Körperteil, dessen Fehlen nicht mit dem Leben vereinbar ist (Kopf, Rumpf)
Todesart und Todesursache [2]
- Todesursache: Unmittelbar zum Tode führende Ursache
- Todesart: Art und Weise, die zum Tod eines Menschen geführt hat [1]
- Umschreibung der näheren Todesumstände, selten der exakten Todesursache
- Unterscheidung zwischen
- Natürlicher Todesart
- Nicht-natürlicher Todesart
- Ungeklärter Todesart
- Natürlicher Tod
- Tod aus krankhafter Ursache ohne Einwirken rechtlich relevanter Faktoren
- Kein Nachweis einer schädlichen Fremdeinwirkung in der Krankheitsentwicklung
- Deutliche objektivierbare Befunde für das ursächliche Krankheitsbild
-
Eine für die konkrete Todesursache charakteristische Anamnese
- Erhebung ggf. mithilfe behandelnder Ärzte, Zahnärzte oder Heilpraktiker, eine Auskunftspflicht dieser Personen ist in den Bestattungsgesetzen der Länder verankert
- Nicht-natürlicher Tod (bzw. Verdacht auf einen nicht-natürlichen Tod)
- Tod durch ein von außen einwirkendes Ereignis oder durch ein von außen beeinflusstes Geschehen
- Wird zwar durch das Einwirken von außen verursacht, impliziert aber nicht zwingend ein Fremdverschulden
- Häufigste Ursachen: Unfälle, Suizide und Tötungsdelikte
- Beispiel: Tod einer 70-jährigen Frau durch eine Lungenembolie nach Verkehrsunfall mit Oberschenkelfraktur vor 4 Wochen
- Ungeklärter Tod
- Fehlen einer eindeutigen Todesursache bzw. unklarer Zusammenhang zwischen einem medizinischen Eingriff und einem Grundleiden
- Beispiel: Tod eines scheinbar gesunden Säuglings
- Möglichkeit 1: Bspw. plötzlicher Kindstod als natürliche Todesursache
- Möglichkeit 2: Tod durch Fremdeinwirken
- Angabe auf dem Totenschein: Ungeklärte Todesursache
Ist ein vermeintlich natürlicher Tod im Krankenhaus (Ableben eines multimorbiden Patienten) ursächlich auf einen anderen Zusammenhang zurückzuführen (z.B. Unfall), so handelt es sich um einen nicht-natürlichen Tod!
Todeszeichen
Sichere Todeszeichen
Todeszeichen dienen der Feststellung des Todes und der Eingrenzung des Todeszeitpunkts.
Frühe Leichenveränderungen
Totenflecken (Livores)
- Pathophysiologie: Schwerkraftbedingtes Absinken des Blutes und der Körperflüssigkeiten → blau-violette Flecken, auf der dem Boden zugewandten Körperpartie
- Beurteilung: Auftreten, Farbe, Wegdrückbarkeit und Umlagerbarkeit geben Hinweise auf Todeszeitpunkt, Todesursache und eine evtl. Veränderung der Leichenposition
- Auftreten: Frühestens 20–30 Minuten nach Todeszeitpunkt
- Zeitliche Veränderungen
- Wegdrückbarkeit
- Bis 4 Stunden nach Eintritt des Todes mit leichtem Druck wegstreichbar
- Bis 20–30 Stunden i.d.R. mit starkem Druck noch wegdrückbar
- Durch den transvasalen Austritt von Flüssigkeit kommt es dann zur intravasalen Hämokonzentration, sodass die Totenflecken endgültig fixiert werden.
- Umlagerbarkeit: Totenflecken an verschiedenen Stellen sprechen für eine Veränderung der Leichenposition
- Bis 6 Stunden vollständig verlagerbar
- Bis 12 Stunden noch partiell verlagerbar
- Wegdrückbarkeit
- Farbe
- Blau-Violett: Normal
- Hellrot: Intoxikation mit Kohlenstoffmonoxid (CO), Blausäure (Cyanid, CN−) oder Kälte
- Blassrosa (kaum ausgeprägt): Blutverluste, starke Anämie, Verblutungstod
- Braunrot: Intoxikation mit Methämoglobinbildner (wie Nitrit oder Anilin)
- Grünrot: Fäulnis
- Weiteres
- Vibex/Vibices: Reiskorngroße Blutungen im Bereich von Totenflecken, die oft bei sehr ausgeprägten Totenflecken zu sehen sind. Sie entstehen durch intrakutane Berstungsblutungen im Totenfleckenbereich.
Totenflecken treten nach 20–30 Minuten auf und sind – insofern keine mit dem Leben nicht vereinbaren Verletzungen vorliegen – das erste sichere Todeszeichen!
Totenstarre (Rigor mortis)
- Pathophysiologie: Erschlaffung aller Muskeln nach Eintritt des Todes → ATP-Mangel → Totenstarre
- Beurteilung: Erlaubt Rückschlüsse auf den Todeszeitpunkt
- Zeitliche Abfolge
- Todeseintritt: Erschlaffung aller Muskeln
- Nach 2–4 Stunden (nach Todeseintritt): Beginn der Totenstarre, passive Bewegungen sind erschwert, aber noch möglich
- Nach 6–12 Stunden: Vollständige Starre, passive Bewegungen nur noch unter starker Krafteinwirkung möglich
- Bis 8 Stunden: Die Totenstarre tritt nach passiver Bewegung (Brechung) wieder auf
- Nach 48–72 Stunden: Autolyse der Muskulatur mit Lösung der Totenstarre
- Regeln und Phänomene
- Temperaturabhängigkeit: Wärme beschleunigt, Kälte bremst den Prozess
- Totenlaut: Seufzendes Geräusch, das nur vor oder nach der Totenstarre beim Bewegen der Leiche ausgelöst werden kann.
- Nystensche Regel: Die Nysten-Regel gibt die zeitliche Abfolge der Körperpartien an, bei denen die Totenstarre eintritt. Die Reihenfolge hängt v.a. von der letzten Benutzung ab:
Weitere frühe Leichenveränderungen
- Nicht mit dem Leben zu vereinbarende Verletzungen
- Cruor (Leichenhautgerinnsel): Schwarzrote postmortale Thromben
- Speckhautgerinnsel: Postmortale gelblich-weiße Akkumulationen von Leuko- und Thrombozyten
Späte Leichenveränderungen
- Verwesung
- Fäulnis
- Fäulniszeichen: Durchschlagen des Venennetzes , Grünfärbung, Anstieg der Leichentemperatur durch Bakterienbesiedelung
- Entomologische Untersuchung zur Schätzung des Todeszeitpunktes
- Casper-Regel: Eine Leiche zeigt in etwa jeweils die gleiche Fäulnisausprägung nach einer Woche an der Luft, nach 2 Wochen im Wasser oder nach 8 Wochen im Erdgrab
- Autolyse
- Leichenfraß
- Mumifikation
- Fettwachsbildung (Adipocire)
Unsichere Todeszeichen
Unsichere Todeszeichen sind diejenigen Erscheinungen, die zwangsläufig post mortem auftreten, den Individualtod aber nicht beweisen.
- Fehlende Kreislauffunktionen (Puls, Atmung)
- Bewusstlosigkeit
- Blässe o. Vertrocknung der Haut
- Areflexie
- Lichtstarre, weite Pupillen, Hornhauttrübung [1]
- Hypothermie [1]
Scheintod: AEIOU-Regel nach Bahrmann
Fehler entstehen durch das Nicht-Erkennen eines Scheintodes mit unsicheren Todeszeichen bei Ursachen, bei denen die Lebensvorgänge auf ein Minimum reduziert sind . Die AEIOU-Regel fasst diese Ursachen zusammen:
- A = Anämie, Anoxämie, Alkohol
- E = Epilepsie, Elektrizität
- I = Injury (Schädel-Hirn-Trauma)
- O = Opium (Betäubungsmittel, Barbiturate)
- U = Urämie, Unterkühlung
Eine Todesbescheinigung darf nie ohne das Vorhandensein sicherer Todeszeichen ausgestellt werden!
Irreversibler Hirnfunktionsausfall [8]
- Definition: Endgültiger Ausfall der Gesamtfunktion von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm
- Entspricht dem Tod des Menschen
- Feststellung in einem dreistufigen Schema
- Klärung der Voraussetzungen zur Feststellung eines irreversiblen Hirnfunktionsausfalls
- Klinische Untersuchung des Patienten: Feststellung der klinischen Symptome
- Weiterführende Untersuchung mittels apparativer Diagnostik oder einer zweiten Untersuchung nach einem definierten Beobachtungszeitraum
Vitalreaktionen (Vitalitätszeichen)
Vitalreaktionen geben Hinweise darauf, ob eine Person während der schädigenden Einwirkung auf den Körper noch gelebt hat. Dadurch ist eine Abgrenzung zu Verletzungen/Schädigungen möglich, die post mortem stattgefunden haben.
- Kreislauf
- Verblutungszeichen
- Zeichen einer Einflussstauung: Stauungsblutung, Perthes-Druckstauung
-
Embolien
-
Fettembolien bei Verletzung des Knochens und des subkutanen Fettgewebes
- Befund: Mikroembolien im Kapillarsystem, die sich geweihartig aufzweigen
- Färbemethode: Sudanfärbung zur Darstellung der Triglyzeride
- Luftembolien bei Gefäßverletzungen, offene Traumen und Gewebsembolien
-
Fettembolien bei Verletzung des Knochens und des subkutanen Fettgewebes
- Stoffwechsel: Giftmetabolismus (Metabolite des Giftes im Urin nachweisbar)
- Atmung
- Aspiration: Ruß, Blut, Wasser, Mageninhalt
- Giftige Gase wie Kohlenstoffmonoxid in der Lunge
- Hautemphysem bei tiefen Thoraxverletzungen
- Kollabierte Lunge bei Pneumothorax durch äußere Gewalteinwirkung
- ZNS
- Krähenfüße
- Hinweise auf das Funktionieren des vegetativen Nervensystems: Verschlucken und Aushusten von Blut
Die Vitalreaktionen geben Hinweise darauf, dass eine Schädigung des Organismus vor dem Todeszeitpunkt stattgefunden hat!
Bestimmung des Todeszeitpunktes
Supravitale Reaktionen
Supravitale Reaktionen entstehen durch erhaltene Körperfunktionen während des intermediären Lebens (nach Eintritt des Individualtodes und vor Eintritt des biologischen Tods). Sie geben konkrete Hinweise auf den Todeszeitpunkt.
-
Bis ca. 8 Stunden nach Todeszeitpunkt
-
Skelettmuskulatur
- Bis 1,5–2,5 Stunden p.m.: Zsako-Muskelphänomen
- 3–5 Stunden p.m.: Nach mechanischem Reiz auf den Muskel entsteht ein reversibler ausgeprägter idiomuskulärer Wulst
- Bis 8 Stunden p.m.: Nach mechanischem Reiz auf den Muskel entsteht ein leichter idiomuskulärer Wulst, der bis zu 24 Stunden persistiert
-
Skelettmuskulatur
- Bis 17 Stunden
- Pupillenreaktion: Die Gabe von Mydriatika/Miotika führt zur Mydriasis/Miosis
- Bis 80 Stunden
- Bewegliche Spermien sind noch nachweisbar
Elektrische Erregbarkeit der Muskulatur [4][9]
- Mithilfe elektrischer Impulse werden Muskeln gereizt und die Reizantwort festgehalten
- Thenar- und Hypothenarmuskulatur: Bis max. 12 h p.m.
- Mimische Muskulatur
- M. orbicularis oris: Bis max. 11 h p.m.
- M. orbicularis oculi: Bis max. 22 h p.m., Graduierung der Reizantwort in 6 Stufen möglich
- Glatte Irismuskulatur: Pharmakologische Reizung bis max. 50 h p.m.
Abkühlung der Körpertemperatur [1][4]
- Postmortal gleicht sich die Körperkerntemperatur an die Umgebungstemperatur an
- Abhängig von: Bekleidung, Lagerung, Proportionen des Körpers, Fettanteil, Feuchtigkeit der Umgebung, Wind
- Messung im tiefen Rektum (mind. 8 cm oberhalb des Sphincter ani)
- Temperaturentwicklung
- Erste 2–3 h p.m.: Temperaturplateau
- Ab 2–3 h p.m.: Abfall der Körperkerntemperatur um 0,5–1,5 °C/h
Frühe und späte Leichenveränderungen
Auch die Entwicklung der sicheren Todeszeichen lässt eine Eingrenzung des Todeszeitpunktes zu.
AMBOSS-Podcast zum Thema
Leichenschau und Totenschein (Februar 2020)
Interesse an noch mehr Medizinwissen zum Hören? Abonniere jetzt den AMBOSS-Podcast über deinen Podcast-Anbieter oder den Link am Seitenende unter "Tipps & Links"