Zusammenfassung
Die Paronychie ist eine Entzündung des Nagelwalls, die sich zu einem Panaritium mit eitriger Entzündung des den Nagel umgebenden Gewebes entwickeln kann. Ein Panaritium kann sich allerdings auch ohne vorhergehende Paronychie infolge von Bagatellverletzungen bilden, die durch Keimeinwanderung und -besiedelung zu einer eitrigen Entzündung führen.
Klinisch zeigen sich eine schmerzhafte Schwellung und eine Rötung des betroffenen Areals, ggf. mit Eitersekretion. Die Entzündung kann sich in tiefere Strukturen ausdehnen und dadurch zu einer sog. V-Phlegmone bzw. einer Phlegmone der Hohlhand oder des Unterarmes führen. Im schlimmsten Fall ist eine systemische Infektion bis hin zur Sepsis möglich.
Therapeutisch kann bei nicht-abszedierenden Befunden ein konservativer Therapieversuch durchgeführt werden. Bei Abszedierung ist dagegen ein chirurgisches Vorgehen zur Abszessentlastung und Spülung sowie eine begleitende Antibiotikatherapie indiziert.
Definition
- Paronychie
- Entzündung des lateralen und/oder proximalen Nagelwalls der Fingernägel oder Zehennägel
- Evtl. mit nachfolgender eitriger Einschmelzung (=Panaritium parunguale)
- Panaritium
- Lokalisierte, eitrig-einschmelzende Entzündung im Bereich der Fingernägel oder (seltener) Zehennägel
- Im klinischen Sprachgebrauch häufig synonym verwendet zu Paronychie
- Unguis incarnatus
- In den Nagelwall eingewachsener Nagel, meist der Großzehe
- Evtl. nachfolgende Entzündung, Hypergranulation und ggf. eitrige Einschmelzung
- Insb. im akuten Stadium mit florider Entzündung stark schmerzhaft
Die Begriffe „Paronychie“ und „Panaritium“ werden im klinischen Sprachgebrauch häufig synonym verwendet!
Epidemiologie
- Paronychie bzw. Panaritium [1]
- Unguis incarnatus [2]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Keimspektrum [3][4]
- Typische Erreger: Staphylococcus aureus und/oder (seltener) Streptokokken
- Atypische Erreger: Enterobakterien, Anaerobier und Schimmelpilze
- Infektionsweg: I.d.R. direkte lokale Infektion
- Eintrittspforten für Nagelentzündungen
- Maniküre oder Pediküre
- Nägelkauen und/oder Fingerlutschen
- Unguis incarnatus
- Bisswunden
- Stichverletzungen
- Offene Phalangenfraktur, bspw. Zehenfraktur
- Risikofaktoren für Nagelentzündungen
- Falsche Nagelpflege oder mangelnde Hand- bzw. Fußhygiene
- Anatomische Prädisposition
- Tragen enger Schuhe oder Handschuhe
- Berufliche Keimexposition
- Chemikalische Reizung
- Durchblutungsstörungen, bspw. bei pAVK
- Diabetes mellitus
Klassifikation
- Oberflächliche Panaritien [5]
- Panaritium cutaneum
- Panaritium subcutaneum
- Panaritium parunguale
- Panaritium subunguale
- Tiefe Panaritien (Komplikationen der oberflächlichen Panaritien)
- Panaritium periostale
- Panaritium ossale
- Panaritium articulare
- Panaritium tendinosum
- Kragenknopfpanaritium: Gleichzeitig oberflächliche und tiefe Eiteransammlungen (oberflächliches und tiefes Panaritium), die über eine Fistel kommunizieren
Symptomatik
Paronychie bzw. Panaritium [1][5]
- Meist akutes Auftreten
- Pulsierender Schmerz, Rötung, Schwellung, Überwärmung
- Lymphangitis und Lymphadenitis möglich
- Eiterbildung
- Bei Sehnenscheidenbeteiligung (Panaritium tendinosum) [6]
- Schonhaltung des Fingers in Beugestellung
- Druckschmerz über der gesamten Sehnenscheide
- Generalisierte Schwellung des gesamten Fingers
- Extension des Fingers stark schmerzhaft
- Bei systemischer Beteiligung: Fieber, Schüttelfrost, Entzündungsparameter↑, Sepsis
- Chronifizierung möglich
Stadieneinteilung der Paronychie [7] | |
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Stadien | Klinisches Bild |
I | Eiterblase (Bulla infecta) meist in der Nageltasche |
II | Abszess in der Nageltasche ohne Perforation der Lederhaut |
III | Ausbreitung des Abszesses im subkutanen Fettgewebe |
IV | Ausbreitung des Abszesses unter die Nagelplatte |
V | Beteiligung des Knochens oder Nekrosebildung |
Unguis incarnatus
Stadieneinteilung des Unguis incarnatus [2] | |
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Stadien | Klinisches Bild |
I |
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IIa | |
IIb |
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III |
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IV |
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Diagnostik
- Anamnese und klinische Untersuchung i.d.R. ausreichend
- Erweiterte Diagnostik bei unklarem Befund oder schweren bzw. chronischen Formen
- Labordiagnostik (Bestimmung der Entzündungsparameter)
- Mikrobiologie (Keimnachweis mittels Abstrich)
- Bildgebung (Nachweis bzw. Ausschluss einer ossären Beteiligung bzw. eines Fremdkörpers)
Differenzialdiagnosen
- Paronychien durch Herpes-simplex-Infektion
- Entzündlich-rheumatische Erkrankungen, bspw. Psoriasis vulgaris
- Tumoren und Metastasen, bspw. akrolentiginöses Melanom
- Onychomykosen
- Impetigo contagiosa
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Konservative Therapie [3][5]
- Indikation: Befunde ohne Anhaltspunkt für Abszedierung und ohne Allgemeinsymptome
- Allgemeine Maßnahmen
- Ruhigstellung
- Hochlagerung
- Kühlung
Medikamentöse Therapie bei Nagelentzündungen
- Topische Antiseptika (Polyhexanid, Povidon-Iod, Octenidin oder Chlorhexidin etc.)
- Ggf. systemische Antibiotikatherapie [4]
- Erwachsene
- Jugendliche ≥12 Jahren
- Säuglinge und Kinder ≥1 Monat bis <12 Jahre
- Bei Pilzinfektion: Systemische und/oder lokale Antimykotikatherapie (siehe: Therapie der Tinea)
Bei beginnender leichter Symptomatik ist eine topische Antiseptikatherapie i.d.R. ausreichend! Bei ausgeprägtem Lokalbefund oder Allgemeinsymptomen ist zusätzlich eine systemische Antibiotikatherapie indiziert!
Chirurgische Therapie [3][5]
Panaritium [7]
- Indikation: Bei Abszedierung
- Kontraindikation: Herpesinfektion
- Operationsvorbereitung
- Leitungsanästhesie nach Oberst
- Ggf. Antibiotikatherapie, siehe: Medikamentöse Therapie bei Nagelentzündungen
- Ggf. Finger-/Zehenblutsperre
- Steriles Abdecken, bspw. mit Lochtuch
- Vorgehen: Je nach Stadieneinteilung der Paronychie
- Ab Stadium I: Inzision der Bulla infecta , Resektion von Hornhaut, Spülung zur Reinigung der Eiterhöhle
- Ab Stadium II: Zusätzlich Inspektion des Wundgrundes, um Fistel/Kragenknopfpanaritium nicht zu übersehen
- Ab Stadium III : Ggf. Gegeninzision (z.B. der seitlichen Nageltasche), ggf. Einlage einer Lasche
- Ab Stadium IV : (Teil‑)Resektion der Nagelplatte und Spülung
- Postoperative Behandlung
- Regelmäßige Befundkontrolle
- Verband feucht halten , alternativ: Fingerbäder bis zu dreimal täglich
- Bei Antibiotikagabe: Reevaluation nach 5 Tagen
Um ein Kragenknopfpanaritium nicht zu übersehen, ist die Inspektion des Wundgrundes obligat durchzuführen!
Unguis incarnatus [2]
- Indikation
- Akuter Unguis incarnatus mit florider Infektion
- Chronischer Unguis incarnatus
- Kontraindikation: Keine, jedoch bevorzugt konservative Therapie bei akutem Unguis incarnatus milder Ausprägung
- Operationsvorbereitung
- Leitungsanästhesie nach Oberst
- Ggf. Antibiotikatherapie, siehe: Medikamentöse Therapie bei Nagelentzündungen
- Ggf. Finger-/Zehenblutsperre
- Steriles Abdecken, bspw. mit Lochtuch
Nagelerhaltende Eingriffe
- Indikation: Bis einschließlich Stadium IIb (akut)
- Vorgehen
- Entfernung des hypertrophen Gewebes
- Entlastung des evtl. vorhandenen Abszesses
- Entfernung von Nagelresten und Fremdkörpern
- Spülung mit NaCl 0,9%, Polyhexanid-Lösung o.ä.
Eingriffe mit Verschmälerung der Nagelplatte
- Indikation: Unguis incarnatus ab Stadium III (chronisch)
- Maßnahmen
- Nagelkeilresektion nach Emmert (Emmert-Plastik)
- Selektive (chirurgische/chemische) Matrixresektion
- Wahl des Verfahrens: Nagelmatrixresektion wird hinsichtlich der Rezidivrate als überlegen angesehen [8]
- Vorgehen
- Nagelkeilresektion
- Resektion des randständigen erkrankten Zehennagels
- Exzision von Nagelbett mit Entfernung der Nagelmatrix
- Exzision des betroffenen Nagelwalls
- Nagelmatrixresektion
- Resektion des randständigen erkrankten Zehennagels
- Entfernung der dazugehörigen Nagelmatrix
- Keine Entfernung des Nagelwalls
- Verschluss des proximalen Hautschnittes mit Einzelknopfnähten
- Nagelkeilresektion
Komplikationen
- Entzündung der Sehnenscheiden von Daumen und Kleinfinger (V-Phlegmone)
- Phlegmone der Hohlhand oder des Unterarmes
- Ischämische Sehnennekrose
- Lymphangitis/Lymphadenitis
- Gelenkempyem
- Osteomyelitis
- Sepsis
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
L03.-: Phlegmone
- L03.0-: Phlegmone an Fingern und Zehen
- Inklusive: Infektion des Nagels, Onychie, Paronychie, Perionychie
- L03.01: Phlegmone an Fingern
- L03.02: Phlegmone an Zehen
L60.-: Krankheiten der Nägel
- Exklusive:Onychie und Paronychie (L03.0‑); Uhrglasnägel (R68.3)
- L60.0: Unguis incarnatus
- Inklusive: Eingewachsener Nagel
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.