Zusammenfassung
Retinale Gefäßverschlüsse umfassen arterielle und venöse Verschlüsse von Netzhautgefäßen.
Arterielle Verschlüsse (Zentralarterienverschluss, Arterienastverschluss) äußern sich durch einen plötzlichen, schmerzlosen und massiven Visusverlust im betroffenen Areal. Funduskopisch zeigt sich eine abgeblasste, ödematöse Netzhaut typischerweise mit einem „kirschroten Fleck“ im Bereich der Fovea. Therapieversuche sind meist ohne Erfolg, da es sehr schnell zur irreversiblen Schädigung der Netzhaut kommt, sodass insbesondere bei Makulabeteiligung die Prognose für die Sehfähigkeit sehr schlecht ist. Da die Retina strenggenommen ein Teil des Gehirns ist und ihre arterielle Gefäßversorgung über die hirnversorgende A. carotis interna erfolgt, ist ein arterieller retinaler Gefäßverschluss als Sonderform des ischämischen Schlaganfalls zu werten und stellt einen Notfall dar. In den meisten Fällen ist der Gefäßverschluss embolisch bedingt, seltener entzündlich verursacht. Die Therapie richtet sich nach der Grunderkrankung.
Venöse Verschlüsse (Zentralvenenverschluss, Venenastverschluss) sind deutlich häufiger als arterielle Verschlüsse und zeigen oft einen weniger fulminanten Verlauf. Diagnostisch wegweisend ist die Fundoskopie, wo sich streifige Einblutungen in der Retina zeigen. Im Verlauf ist die Fluoreszenzangiografie ein wichtiges Diagnostikum zur Unterscheidung in die ischämische und die nicht-ischämische Form. Prognostisch kann es zu dauerhaftem Visusverlust und bei der ischämischen Form zu einem Neovaskularisationsglaukom kommen, es kann aber auch eine Besserung der Sehfähigkeit auftreten.
Definition
- Durchblutungsstörung der Retina aufgrund eines Verschlusses der
- A. centralis retinae (Zentralarterienverschluss) bzw. eines Arterienastes (Arterienastverschluss) oder
- V. centralis retinae (Zentralvenenverschluss) bzw. eines Venenastes (Venenastverschluss)
Epidemiologie
- Retinale Arterienverschlüsse: Selten
- Retinale Venenverschlüsse: Zweithäufigste vaskuläre Erkrankung der Netzhaut (nach der diabetischen Retinopathie)
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Arterienverschluss
- Häufig embolisch (ca. 95%): Meist arteriosklerotische Plaques der A. carotis oder Thromben aus den Herzvorhöfen
- Selten entzündlich: Bspw. Riesenzellarteriitis
Venenverschluss
- Zirkulationsstörung des Bluts in der Zentralvene bzw. den Venenästen durch
- Internistische Grunderkrankungen
- Okuläre Grunderkrankungen
- Glaukom
- Retinale Vaskulitis
Symptomatik
Arterienverschluss
- Generell: In 15% der Fälle mit vorausgehender Amaurosis fugax
- Zentralarterienastverschluss: Plötzliche einseitige, schmerzlose und meist massive Visusverschlechterung
- Arterienastverschlüsse: Plötzlich auftretende Skotome oder Visusverschlechterung im betroffenen Areal
Venenverschluss
- Visusverschlechterung
- Meist subakuter Beginn und chronischer Verlauf
- Venenastverschlüsse können auch asymptomatisch verlaufen
Verlaufs- und Sonderformen
Amaurosis fugax (lat.: flüchtige Blindheit)
- Definition: Plötzlich einsetzender, Sekunden bis Minuten anhaltender, schmerzloser Funktionsverlust mit spontaner Normalisierung des Sehens, meist einseitig
- Ätiologie: Meist Netzhautischämie durch einen transienten Verschluss der A. centralis retinae durch Mikroembolie
- Kardiovaskulär (Arteriosklerose, Stenose und atheromatöse Plaques der A. carotis, kardiale Thromben)
- Vaskulitiden (z.B. Riesenzellarteriitis, Panarteriitis nodosa)
- Kollagenosen (insb. Lupus erythematodes)
- Diagnostik
- Ophthalmoskopie, Visusprüfung, Prüfung auf relativen afferenten Pupillendefekt und Pupillenstörungen, Untersuchung der vorderen Augenabschnitte
- Sofortige Ursachenabklärung einleiten: Insb.
- Embolische Genese: Insb. Abklärung von Karotisstenose , Vorhofflimmern sowie weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren
- Entzündliche Genese: Insb. Abklärung einer Riesenzellarteriitis
- Therapie: Therapie der Grunderkrankung im Sinne der Sekundärprävention der TIA, inkl.
- Reduktion kardiovaskulärer Risikofaktoren, ggf. ASS
- Bei Riesenzellarteriitis: Hochdosisglucocorticoidtherapie, siehe dazu Therapie bei Riesenzellarteriitis
- Komplikationen
Die Amaurosis fugax ist die TIA des Auges! Sie muss als Warnsignal betrachtet und bzgl. ihrer Ursachen gründlich abgeklärt werden!
Diagnostik
Arterienverschluss [1]
- Ophthalmoskopie
- Grau-weiße Verfärbung der Retina durch Ödem der Nervenfaserschicht
- Kirschroter Fleck in der Fovea centralis
- Enggestellte Gefäße
- Weitere augenärztliche Untersuchungen: Visusprüfung, Prüfung auf relativen afferenten Pupillendefekt und Pupillenstörungen, Untersuchung der vorderen Augenabschnitte
- Sofortige Ursachenabklärung einleiten: Insb.
- Embolische Genese: Insb. Abklärung von Karotisstenose , Vorhofflimmern sowie weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren
- Entzündliche Genese: Insb. Abklärung einer Riesenzellarteriitis
- Augenärztliche Kontrolluntersuchungen nach retinalem Gefäßverschluss: Nach etwa 1 Woche, 1 Monat und nach 3 Monaten
- Zusätzlich bei Riesenzellarteriitis: Kontrolle beider Augen in den ersten Tagen nach Symptombeginn
Venenverschluss
-
Ophthalmoskopie
- Zentralvenenverschluss: Streifen- oder punktförmige Blutung in allen vier Netzhautquadranten
- Venenastverschluss: Streifen- oder punktförmige Blutung in den betroffenen Arealen
- Cotton-Wool-Herde
- Makulaödem
- Papillenödem
- Fluoreszenzangiografie
Zum Vergleich: Normalbefunde
Therapie
Arterienverschluss [1]
- Mangelhafte Datenlage: Keine Behandlungspflicht der Akutsymptomatik
- Schlaganfall-Thrombolyse: Kann bis max.(!) 4,5 h nach Symptombeginn erwogen werden, sofern keine Beteiligung der Makula und keine Zeichen einer Reperfusion in der augenärztlichen Untersuchung erkennbar ist
- Augeninnendrucksenkung
- Probatorische Bulbusmassage: Kann erwogen werden
- Medikamentöse Augeninnendrucksenkung: Kann erwogen werden
- Parazentese: Nicht empfohlen
- Therapie der Grunderkrankung : So rasch wie möglich einleiten
- Schnelle Weiterleitung in neurologische oder internistische Behandlung!
Venenverschluss
- Im Akutstadium Hämodilution (Senkung des Hämatokrit auf ca. 35%)
- Laserbehandlung (panretinale Laserkoagulation) beim ischämischen Zentralvenenverschluss mit Neovaskularisationen, Rubeosis iridis und evtl. beim Makulaödem
- Intravitreale Medikamenten-Injektionen (VEGF-Inhibitoren, Steroide)
Komplikationen
Arterienverschluss [1]
- Sofern keine Reperfusion
- Neovaskularisationen in der Retina
- Hämorrhagisches Sekundärglaukom bei Rubeosis iridis
- Bei Riesenzellarteriitis: Ausweitung der Entzündung auf weitere große Gefäße
Venenverschluss
Insbesondere bei der ischämischen Form kann es durch Netzhautischämie zur Ausschüttung von vasoproliferativen Substanzen (VEGF) kommen
- Rubeosis iridis mit Neovaskularisationsglaukom
- Gefäßneubildungen
- Netzhautablösung
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
Arterienverschluss [1]
- Generell: Früh ausgeprägte irreversible Netzhautschäden (bereits 4,5 h nach Verschluss)
- Zentralarterienverschluss
- I.d.R. hochgradiger Visusverlust
- Selten geringfügige Besserung des Visus in der ersten Woche nach Symptombeginn
- Arterienastverschluss
- Visusverlust/Gesichtsfeldeinschränkung je nach Lokalisation der Ischämie
- Insg. bessere Visusprognose als bei Zentralarterienverschluss
Venenverschluss
- Visusprognose ist mäßig bis schlecht: Variation zwischen sehr guten Ergebnissen bis hin zur schmerzhaften Erblindung möglich (Drittel-Regel zur Prognose: Verbesserung des Visus vs. Visus bleibt konstant vs. Visusverschlechterung)
- Insbesondere bei ischämischer Form schlechtere Prognose
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- H34.-: Netzhautgefäßverschluss
- Exklusive: Amaurosis fugax (G45.3‑)
- H34.0: Transitorischer arterieller retinaler Gefäßverschluss
- H34.1: Verschluss der A. centralis retinae
- H34.2: Sonstiger Verschluss retinaler Arterien
- Arterieller retinaler Gefäßverschluss:
- Arterienast
- partiell
- Hollenhorst-Plaques
- Retinale Mikroembolie
- Arterieller retinaler Gefäßverschluss:
- H34.8: Sonstiger Netzhautgefäßverschluss
- Venöser retinaler Gefäßverschluss:
- Anfangsstadium
- partiell
- Venenast
- zentral
- Venöser retinaler Gefäßverschluss:
- H34.9: Netzhautgefäßverschluss, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.