Zusammenfassung
Beim Spannungskopfschmerz bzw. Kopfschmerz vom Spannungstyp handelt es sich um den häufigsten Kopfschmerztyp. Diese Form des primären Kopfschmerzes ist in ihren Ursachen noch unzureichend verstanden. Depressionen, Angststörungen und Stress gehören zu den ätiologischen Faktoren. Unterschieden werden der episodisch und der chronisch auftretende Spannungskopfschmerz. Die episodische Form wird akut mit gängigen Schmerzmitteln wie Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Paracetamol behandelt. Bei der chronischen Form sollte eine medikamentöse Prophylaxe mit Amitriptylin erfolgen. Bei beiden Formen des Spannungskopfschmerzes sind nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Entspannungstechniken oder Massagen wesentliche Bestandteile der Therapie. Eine häufige Komplikation der Selbstmedikation ist die Entwicklung eines Kopfschmerzes bei Medikamentenübergebrauch.
Epidemiologie
- Häufigste Kopfschmerzerkrankung
- Prävalenz
- Geschlecht: Frauen etwas häufiger
- Alter
- Häufigster Erkrankungsbeginn im dritten Lebensjahrzehnt, teilweise schon im Schulalter auftretend
- Episodischer Spannungskopfschmerz im Alter weniger
- Chronischer Spannungskopfschmerz im Alter gehäuft
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Multifaktorielle Genese
- Ätiologische Faktoren
- Depressive Störungen
- Angst
- Psychosozialer Stress
- Muskulärer Stress
- Missbrauch von Analgetika gegen Kopfschmerzen vom Spannungstyp
- Oromandibuläre Dysfunktion
Klassifikation
Kopfschmerz vom Spannungstyp - Einteilung in episodische und chronische Form
Die Unterschiede zwischen beiden Formen sind beträchtlich: Während ein vom episodischen Kopfschmerz Betroffener seinem Alltag häufig weitgehend uneingeschränkt nachgehen und etwa arbeiten kann, kann die chronische Form mit gravierenden sozioökonomischen Konsequenzen einhergehen.
- Episodischer Kopfschmerz vom Spannungstyp: Insg. mind. 10 Episoden an durchschnittlich <15 Tagen pro Monat über mind. 3 Monate
- Sporadisch auftretender episodischer Kopfschmerz vom Spannungstyp: mindestens 10 Episoden, durchschnittlich aber an <1 Tag pro Monat und <12 Tagen pro Jahr
- Häufig auftretender episodischer Kopfschmerz vom Spannungstyp: mindestens 10 Episoden, ≥1 Tag pro Monat, aber <15 Tagen pro Monat; über mind. 3 Monate
- Chronischer Kopfschmerz vom Spannungstyp: Kopfschmerzen an durchschnittlich ≥15 Tagen/Monat, über mindestens 3 Monate
Pathophysiologie
- Unzureichend verstanden
- Mögliche pathophysiologische Abfolge:
- Erhöhte Schmerzempfindlichkeit der (überbeanspruchten) perikraniellen Muskulatur, etwa in Folge von Fehlbelastungen
- Erhöhte Schmerzsensibilisierung in zentralen Kerngebieten (etwa kaudaler Teil des Ncl. spinalis nervi trigemini)
- Verminderte Inhibition durch übergeordnete Zentren
- Sekundäre Verspannungen der perikraniellen Muskulatur
- Daueraktivierung nozizeptiver zentraler Neurone führt zu chronifizierten Schmerzen
Symptomatik
- Kopfschmerzen
- Typischerweise bifrontal, okzipital oder holozephal
- Dumpf drückend, Engegefühl („Schraubstockgefühl“)
- Meist leichte bis mäßige Intensität
- Weitere Charakteristika
- Keine Verstärkung, sondern häufig sogar Linderung durch körperliche Tätigkeit
- Keine vegetativen Begleitsymptome, allenfalls Phono- oder Photophobie bzw. Übelkeit (letztere nur bei der chronischen Form)
Erbrechen ist mit Kopfschmerzen vom Spannungstyp nicht vereinbar!
Diagnostik
Klinisch-neurologische Diagnostik
- Kopfschmerz- und Medikamentenanamnese
- Unauffälliger neurologischer Status: Keine Zusatzdiagnostik indiziert, insbesondere keine Bildgebung von Kopf oder Halswirbelsäule
Diagnosekriterien des Spannungskopfschmerzes gemäß International Classification of Headache Disorders (ICHD-3)
- Differenzierung zwischen episodischer und chronischer Form: Wichtig für unterschiedliche Pharmakotherapie
Episodischer Kopfschmerz vom Spannungstyp: Sporadisch auftretend
Kriterien | Beschreibung |
---|---|
A | Mindestens 10 Episoden, die
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B | Kopfschmerzdauer zwischen 30 Minuten und 7 Tagen |
C | Der Kopfschmerz weist mindestens zwei der folgenden vier Charakteristika auf:
|
D | Beide der folgenden Punkte sind erfüllt:
|
E | Nicht besser durch eine andere Diagnose aus der Klassifikation begründbar |
Es werden zudem folgende Formen unterschieden
|
Episodischer Kopfschmerz vom Spannungstyp: Häufig auftretend
Kriterien | Beschreibung |
---|---|
A | Mindestens 10 Episoden, die
|
B | Kopfschmerzdauer zwischen 30 Minuten und 7 Tagen |
C | Der Kopfschmerz weist mindestens zwei der folgenden Charakteristika auf:
|
D | Beide der folgenden Punkte sind erfüllt:
|
E | Nicht besser durch eine andere Diagnose aus der Klassifikation begründbar |
Es werden zudem folgende Formen unterschieden
|
Chronischer Kopfschmerz vom Spannungstyp
Kriterien | Beschreibung |
---|---|
A | Kopfschmerz, der
|
B | Kopfschmerz über Stunden bis Tage oder kontinuierlich vorhanden |
C | Der Kopfschmerz weist mindestens zwei der folgenden Charakteristika auf:
|
D | Beide folgenden Punkte sind erfüllt:
|
E | Nicht besser durch eine andere Diagnose aus der Klassifikation begründbar |
Wahrscheinlicher Kopfschmerz vom Spannungstyp
- Kopfschmerzen, die ein diagnostisches Kriterium o.g. Verlaufsformen des Kopfschmerzes vom Spannungstyp verfehlen und keine diagnostischen Kriterien einer anderen Kopfschmerzerkrankung erfüllen.
Differenzialdiagnosen
- Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch
- Idiopathische intrakranielle Hypertension (Pseudotumor cerebri)
- Migräne
- Neu aufgetretener täglicher Kopfschmerz
Für das Notfallmanagement von Kopfschmerzen mit zunächst unklarer Ursache siehe: Kopfschmerzen - AMBOSS-SOP
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Allgemeine Therapiehinweise
- Häufig Selbstmedikation
- Kausale Therapie von Begleiterkrankungen (etwa Angststörungen, Depressionen)
- Kopfschmerztagebuch führen über:
- Kopfschmerzsymptomatik
- Begleitsymptomatik
- Therapeutische Maßnahmen und deren Wirkung
- Aufklärung über Kopfschmerzen
- Chronische Form: Behandlung in spezialisierten Kliniken/Praxen sinnvoll
Nicht-medikamentöse Prophylaxe
- Erstmaßnahme!
- Ziel: Chronifizierung vorbeugen
- Maßnahmen
- Verbesserung der Ergonomie am Arbeitsplatz
- Verhaltenstherapie (Techniken zur Stressbewältigung)
- Progressive Muskelentspannung nach Jacobson
- Leichtes Ausdauertraining
- EMG-Biofeedback
- (Selbst‑)Massage der perikraniellen Muskulatur
- Wärmetherapie
- (Präventive) Physiotherapie (Rückenschule, isometrische An- und Entspannungsübungen der perikraniellen Muskulatur)
- Akupunktur
Medikamentöse Therapie
- Akuttherapie des episodischen Spannungskopfschmerzes
- Analgetika wie Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Paracetamol
- Pfefferminzöl auf Stirn und Schläfe
- Prophylaxe des chronischen Spannungskopfschmerzes: Amitriptylin (trizyklisches Antidepressivum)
Akuttherapie
Akuttherapie des episodischen Kopfschmerz vom Spannungstyp
- Bei leichten Beschwerden Analgetika oft nicht notwendig
- Analgetikaeinnahme auf maximal 10 Tage pro Monat begrenzen
- Wirkstoffe
- Pfefferminzöl
- Acetylsalicylsäure (ASS)
- Ibuprofen
- Naproxen
- Paracetamol
- Kombinationspräparat Acetylsalicylsäure/Paracetamol/Koffein
- Metamizol
- Unwirksam bzw. aus anderen Gründen nicht sinnvoll
Akuttherapie des chronischen Kopfschmerz vom Spannungstyp
- Wie beim episodischen Kopfschmerz vom Spannungstyp
- Dauermedikation sollte vermieden werden
- Medikamentöse Prophylaxe sowie nicht-medikamentöse Maßnahmen bevorzugen
Die zu häufige Einnahme von Analgetika sollte vermieden werden – durch medikamenteninduzierten Kopfschmerz droht ein Teufelskreis!
Prophylaxe des chronischen Kopfschmerz vom Spannungstyp
- Nur bei chronischer Form
- Ziel: Reduktion der Kopfschmerzsymptomatik
- 1. Wahl
- Amitriptylin
- Mittel der 1. Wahl
- Wirkbeginn nach 2–3 Wochen
- Langsame Aufdosierung reduziert Risiko für Nebenwirkungen (insbesondere Mundtrockenheit, Müdigkeit)
- Keine Monotherapie, sondern eingebettet in Behandlungskonzept mit nicht-medikamentösen Maßnahmen
- Dosisreduktion im Verlauf anstreben
- Amitriptylin
- 2. Wahl (Off-label-Therapie)
- Mirtazapin
- Wirkbeginn nach 1–2 Wochen
- Venlafaxin
- Regelmäßige Blutdruckkontrollen zu Behandlungsbeginn
- Bei unretardierter Form Verteilung auf mehrere Tagesdosen
- Tizanidin
- Mirtazapin
- Unwirksam: Botulinumtoxin
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- G44.2: Spannungskopfschmerz
- Chronischer Spannungskopfschmerz
- Episodischer Spannungskopfschmerz
- Spannungskopfschmerz o.n.A.
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.