Zusammenfassung
Cannabis gilt seit dem 01.04.2024 in Deutschland als (teil‑)legalisierte Droge (siehe auch: Cannabisgesetz [CanG] unter Tipps & Links). Die Hauptwirkstoffe THC und Cannabidiol werden aus der Hanfpflanze gewonnen und i.d.R. inhalativ als gedrehte Zigaretten (Joints) oder oral, z.B. in Form von Keksen (sog. Spacecookies), konsumiert. Bei etwa 1% der deutschen Bevölkerung liegt ein Cannabismissbrauch bzw. eine -abhängigkeit vor.
Cannabis besitzt eine euphorisierende und sedativ-anxiolytische Hauptwirkung. Je nach Züchtung können unterschiedlich stark ausgeprägte halluzinogene und psychotische Wirkungen hinzukommen.
In Deutschland ist die Verordnung von cannabishaltigen Medikamenten möglich. Die Evidenzlage ist hier noch gering, wobei aufgrund der erleichterten Verordnung in den kommenden Jahren eine Verbesserung der Datenlage zu erwarten ist.
Epidemiologie
- Lebenszeitprävalenz des Cannabiskonsums [1]
- Jugendliche (12–17 Jahre): Ca. 10%
- Erwachsene: Ca. 35%
- Prävalenz des regelmäßigen Konsums [1]
- Jugendliche (12–17 Jahre): Ca. 1%
- Erwachsene: Ca. 4%
- Prävalenz von Missbrauch/Abhängigkeit: Ca. 1% der erwachsenen Gesamtbevölkerung [2]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Herstellungs- und Konsumformen
- Herstellungsformen
- Marihuana (sog. „Gras“): Getrocknete Blätter und Blüten der Hanfpflanze
- Haschisch (sog. „Dope“, „Shit“): Harz der Blütenstände der Hanfpflanze
- Konsumformen
Wirkstoffe und Wirkmechanismus
- Wirkstoffe [2]
- Tetrahydrocannabinol (THC): Hauptwirkstoff
- Cannabidiol (CBD): Weiterer Wirkstoff, der die THC-Wirkung moduliert und damit für viele angenehme Effekte verantwortlich ist
- Wirkmechanismus: Bindung an die spezifischen Cannabinoid-Rezeptoren CB1, CB2 → U.a. Hemmung eines GABAergen Interneurons → Hemmung des inhibitorischen Effekts auf nachgeschaltete dopaminerge Neurone → Erhöhung der Dopaminausschüttung im Nucleus accumbens des mesolimbischen Belohnungssystems [2]
Wirkungen und Nebenwirkungen
Wirkungen
- Initial: Euphorie (oft mit sog. „Lachflashs“), Entspannung und halluzinogene Effekte
- Im Verlauf: Passivität, Antriebshemmung und gesteigerter Appetit / Heißhungerattacken
- Zeitlicher Ablauf
- Inhalativer Konsum: Wirkeintritt innerhalb weniger Minuten, Wirkmaximum nach 20–30 min, Wirkdauer insg. ca. 2–5 h
- Oraler Konsum: Wirkeintritt nach ca. 45–120 min, Wirkmaximum nach 2–3 h, Wirkdauer insg. ca. 5–10 h
Nebenwirkungen
- Körperlich
- Übelkeit, Erbrechen
- Tachykardie
- Vasodilatation mit konjunktivaler Injektion
- Appetitsteigerung, Mundtrockenheit mit Durstgefühl
- Psychisch
- Ängstliche Verstimmung bis hin zu Panikgefühlen
- Derealisation, Depersonalisation
- Psychotische Symptome
Komplikationen bei Cannabiskonsum
Körperlich
- Pulmonale Folgeerkrankungen des inhalativen Konsums
- Selten
- Kardiovaskuläre oder zerebrale Komplikationen [3][4]
- Cannabis-Hyperemesis-Syndrom
Psychisch [5]
- Erhöhtes Risiko für komorbide Erkrankungen, u.a.
- Intoxikationspsychose
- Auftreten: Auch bei gelegentlichem Konsum möglich
- Psychotische Symptome, ggf. mit Verwirrtheit und partieller Amnesie nach Ende des Rausches
- Dauer: Stunden bis 2 Tage
- Therapie: Ggf. Benzodiazepine
- Induzierte Psychose
- Auftreten: Meist bei chronischem Konsum
- Ursache: Individuell hohe Disposition für Psychosen vermutet
- Beginn: Unmittelbar nach Cannabiskonsum bis zu 2 Wochen danach
- Dauer: Tage bis Wochen (gelegentlich bis zu 6 Monate)
- Therapie
- Psychoedukation
- Atypische Antipsychotika, ggf. Benzodiazepine (nur kurzzeitig)
- Chronische Persönlichkeitsveränderung
- Auftreten: Bei chronischem Konsum
- Amotivationales Syndrom, u.a. mit
- Antriebsstörungen
- Affektverflachung
- Leistungsminderung
- Dauer: Chronischer Verlauf bei starkem Konsum, meist Besserung nach längerer Abstinenz
- Therapie
- Ggf. antriebssteigernde Antidepressiva oder atypische Antipsychotika
- Soziotherapie
- Kognitive Störungen
- Auftreten: Insb. bei chronischem Konsum und Konsumbeginn im jugendlichen Alter
- Anhaltende Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen
- Häufig in Kombination mit amotivationalem Syndrom
- Mögliche Ursachen
- Chronischer Intoxikationszustand
- Neurotoxische Effekte
- Dauer: Nach Abstinenz überwiegend reversibel
- Keine spezifischen Therapiemaßnahmen
Therapie bei Intoxikation
- Supportive Therapie (Beruhigung und Reizabschirmung): I.d.R. ausreichend
- Medikamentöse Therapie
- Ggf. bei starker Angstsymptomatik: Intermittierende Gabe von Benzodiazepinen
- Ggf. bei akut psychotischer Symptomatik: Intermittierende Gabe von Antipsychotika und/oder Benzodiazepinen
Cannabisabhängigkeit
Diagnosekriterien
- Entsprechend den allgemeinen Kriterien
- Mehr Informationen zur ICD-11 (deutsche Entwurfsfassung) unter Tipps & Links
Der Großteil der Cannabiskonsument:innen entwickelt keine Abhängigkeit! [5]
Entzugssymptome [2][6]
- Häufige körperliche Symptome
- Appetit- und Gewichtsverlust
- Schlafstörungen
- Motorische Unruhe, Tremor
- Schwitzen
- Häufige psychische Symptome
- Irritabilität
- Aggression
- Ängste
- Depression
- Dauer [5]
- Beginn: Ca. 12 h nach letztem Konsum
- Können bis zu 3 Wochen anhalten
- Medikamentöse Therapieoptionen
- Selten notwendig [5][7]
- Bislang keine medikamentöse Therapieoption zur Rückfallprophylaxe nach erfolgreichem Cannabisentzug
Therapie der Cannabisabhängigkeit [5]
- Therapieangebote
- I.d.R. ambulante Kurzzeitinterventionen mit folgenden Schwerpunkten
- Psychoedukation
- Kognitive Verhaltenstherapie
- Familientherapie
- Motivationsförderung
- Teilstationäre und stationäre Entzugs- und Entwöhnungstherapien insb. bei starker Entzugssymptomatik, schwieriger sozialer Situation oder Komorbiditäten sinnvoll [8]
- Selbsthilfegruppen
- Internetbasierte Entwöhnungsprogramme : Siehe Tipps & Links
- I.d.R. ambulante Kurzzeitinterventionen mit folgenden Schwerpunkten
- Keine spezifische Pharmakotherapie vorhanden
- Zum allgemeinen Vorgehen bei Abhängigkeitserkrankungen siehe: Therapie von Abhängigkeiten
Medizinische Verwendung von Cannabis
- Verordnung: In Deutschland ist die Verordnung von cannabishaltigen Medikamenten unter bestimmten Bedingungen möglich
- Verschreibung im Rahmen eines BtM-Rezepts entfällt seit 01.04.2024 (Ausnahme: Nabilon )
- Verschreibungspflicht bleibt bestehen
- Ggf. Klärung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse
- Siehe auch: BfArM, Medizinisches Cannabis unter Tipps & Links
- Verfügbare Präparate [9]
- Bevorzugt: Fertigarzneien / isolierte Einzelsubstanzen
- Nabilon (Handelsname: Canemes®, vollsynthetisches Cannabinoid, als Kapseln)
- Nabiximols (Handelsname: Sativex®, Extrakt aus Cannabispflanze, als Sublingualspray)
- Dronabinol (CB1R-Agonist)
- Als Rezepturarzneimittel: Abgabe in verschiedenen Galeniken [8]
- Als Fertigarzneimittel: Marinol® (synthetisches Dronabinol in Kapselform; derzeit keine Zulassung in Deutschland, muss ggf. unter Beachtung der entsprechenden Bestimmungen aus den USA oder Kanada importiert werden)
- Alternativ: Getrocknete Cannabisblüten und ölige Cannabisextrakte
- Bevorzugt: Fertigarzneien / isolierte Einzelsubstanzen
- Anwendungsgebiete: Bspw. [9]
- Nabilon: Bei Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Chemotherapie bei Krebspatient:innen
- Nabiximols: Bei mittelschwerer bis schwerer Spastik bei Multipler Sklerose
- Dronabinol: Insb. bei
- Chronisch-entzündlichen Erkrankungen (z.B. chronische Arthritis) [10]
- Chronischen Schmerzen (insb. neuropathische Schmerzen) [11]
- Spastik bei Multipler Sklerose
- Übelkeit/Erbrechen (z.B. bei Krebserkrankungen bzw. Z.n. Chemotherapie)
- Appetitlosigkeit
- Nebenwirkungen: Bspw. [12]
- Zentralnervöse Nebenwirkungen wie Schwindel, Somnolenz, Konzentrationsstörungen, Stimmungsschwankungen
- Gastrointestinale Nebenwirkungen (v.a. Übelkeit, Mundtrockenheit)
- Kontraindikationen: Bspw.
- Psychiatrische Komorbiditäten wie schwere Persönlichkeitsstörungen oder Psychosen
- Schwere kardiovaskuläre Komorbidität
- Schwangerschaft und Stillzeit
- Evidenzlage [13][14]
- (Noch) geringe Evidenz für viele Indikationen
- Verbesserung der Datenlage in den kommenden Jahren aufgrund der erleichterten Verordnung zu erwarten
Rechtsmedizinischer Nachweis
- Urin: Je nach Konsumhäufigkeit kann die Nachweisbarkeit zwischen ca. 3 Tagen (Gelegenheitskonsum) bis zu mehreren Wochen (starker Konsum) liegen [2]
- Blut [2]
- Nachweis von aktivem THC ca. 12–72 h nach Konsum (je nach Konsummuster)
- Nachweis von THC-Metaboliten bis zu mehrere Wochen (je nach Konsummuster)
Studientelegramme zum Thema
- HOMe Studientelegramme Innere Medizin
- Studientelegramm 282-2024-1/3: Non fumar!? Mögliche Gesundheitsfolgen von Cannabis-Legalisierung
- Studientelegramm 202-2022-3/3: Don’t smoke weed and drive – Daten aus Kanada
- Studientelegramm 194-2021-2/3: Cannabiskonsum unter Schwangeren während der COVID-19-Pandemie
- Studientelegramm 65-2019-1/3: Keine Macht den Drogen
- Studientelegramm 52-2018-3/3: “Tu mal lieber die Möhrchen” - No pot for diabetics?
- Studientelegramm 16-2018-2/3: Marihuanakonsum und Verkehrssicherheit
- One-Minute Telegram (aus unserer englischsprachigen Redaktion)
- One-Minute Telegram 95-2024-2/3: Cannabis: a menace to heart health?
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AMBOSS-Podcast zum Thema
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Cannabis: THC und CBD
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
F12.-: Psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide
- F12.0: Akute Intoxikation [akuter Rausch]
- Rausch o.n.A.
- Trance und Besessenheitszustände bei Intoxikation mit psychotropen Substanzen
- “Horrortrip“ (Angstreise) bei halluzinogenen Substanzen
- Exklusive: Intoxikation im Sinne einer Vergiftung (T36-T50)
- F12.1: Schädlicher Gebrauch
- F12.2: Abhängigkeitssyndrom
- Nicht näher bezeichnete Drogensucht
- F12.3: Entzugssyndrom
- F12.4: Entzugssyndrom mit Delir
- F12.5: Psychotische Störung
- Exklusive: Durch Alkohol oder psychoaktive Substanzen bedingter Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störung (F10-F19, vierte Stelle .7)
- F12.6: Amnestisches Syndrom
- Alkohol- oder substanzbedingte amnestische Störung
- Durch Alkohol oder andere psychotrope Substanzen bedingte Korsakowpsychose
- Nicht näher bezeichnetes Korsakow-Syndrom
- Exklusive: Nicht substanzbedingte(s) Korsakow-Psychose oder -Syndrom (F04)
- F12.7: Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störung
- Demenz und andere leichtere Formen anhaltender Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten
- Nachhallzustände (Flashbacks)
- Posthalluzinogene Wahrnehmungsstörung
- Residuale affektive Störung
- Residuale Störung der Persönlichkeit und des Verhaltens
- Verzögert auftretende psychotische Störung durch psychotrope Substanzen bedingt
- Exklusive: Alkohol- oder substanzbedingt:
- Korsakow-Syndrom (F10-F19, vierte Stelle .6)
- Psychotischer Zustand (F10-F19, vierte Stelle .5)
- F12.8: Sonstige psychische und Verhaltensstörungen
- F12.9: Nicht näher bezeichnete psychische und Verhaltensstörung
T40.-: Vergiftung durch Betäubungsmittel und Psychodysleptika [Halluzinogene]
- Exklusive: Intoxikation im Sinne von Rausch (F10-F19)
- T40.7: Cannabis (-Derivate)
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.