Zusammenfassung
Breitkomplextachykardie ist ein notfallmedizinischer Sammelbegriff für eine primäre Tachykardie mit verbreiterten QRS-Komplexen, deren Genese nicht bekannt ist. Da es sich dabei häufig (>80%) um potenziell lebensbedrohliche ventrikuläre Herzrhythmusstörungen handelt, sind Kenntnisse über das akute Management wichtig. Die kardiologische Differenzialdiagnostik ist schwierig und im Notfall nachrangig. Therapeutisch kommen je nach Zustand des Patienten eine elektrische Therapie (Kardioversion, Defibrillation oder antitachykardes Pacing) oder Antiarrhythmika infrage.
Begriffsdefinitionen zur Breitkomplextachykardie
Wann spricht man von einer Breitkomplextachykardie?
Die Arbeitsdiagnose „Breitkomplextachykardie“ wird angewandt, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
- Herzfrequenz >100/min
- Kein Sinusrhythmus
- QRS-Dauer >120 ms
- Unbekannte Genese
Weitere Definitionen
- Anhaltende vs. nicht-anhaltende Tachykardie: Erst ab einer Dauer von 30 Sekunden liegt eine anhaltende Tachykardie vor
- Ventrikuläre Tachykardie (VT): Kammererregung beginnt distal des His-Bündels
- Supraventrikuläre Tachykardie (SVT): Erregung der Ventrikel über eine Struktur proximal des His-Bündels
- Präexzitation: Erregung der Ventrikel über eine akzessorische atrioventrikuläre Leitungsbahn (bspw. bei WPW-Syndrom)
- Aberranz: Erregungsleitung findet zumindest teilweise unter Umgehung des His-Tawara-Purkinje-Systems statt
- Supraventrikuläre Tachykardie mit aberranter Überleitung (SVT-a): SVT mit teilweiser Umgehung des His-Tawara-Purkinje-Systems durch einen Schenkelblock
Initiales Vorgehen
- Bei Kreislaufstillstand: Behandlung wie bei Kammerflimmern (CPR, schnellstmögliche Defibrillation mit hoher Energie), siehe: Reanimation - AMBOSS-SOP
- Bei Instabilität (Kriterien: RR <90 mmHg, Bewusstseinsstörung, starke Angina pectoris, starke Luftnot durch die Tachykardie)
- Keine weitere Verzögerung, elektrische Therapie der Breitkomplextachykardie
- Klinisch stabil
- Reanimationsbereitschaft
- Überwachung anschließen, Defibrillator-Pads aufkleben
- Intubationsmaterial bereitlegen
- Akutdiagnostik einleiten
- Ggf. kardiologisch erfahrene Hilfe rufen
- Reanimationsbereitschaft
Die initiale Einteilung richtet sich nach der Stabilität des Patienten. Instabile Patienten benötigen eine sofortige Rhythmustherapie (im Allgemeinen elektrisch), bei stabilen Patienten sollte zuerst eine fokussierte Diagnostik erfolgen.
Akutdiagnostik
Wenn es der Zustand des Patienten zulässt und die Genese der Rhythmusstörung nicht sicher bekannt ist, sollten vor Therapiebeginn diagnostische Maßnahmen erfolgen.
- 12-Kanal-EKG
- Fragestellung: Genese der Tachykardie für weiteres Prozedere, Rezidivprophylaxe
- Vor-EKGs: Zum Vergleich, wenn praktikabel
- Laboruntersuchung
- Elektrolyte (insb. auch über eine Blutgasanalyse)
- Troponin
- Ggf. Echokardiografie: Nur bei erfahrenem Untersucher und schneller Verfügbarkeit sinnvoll
- Fragestellung: Lokalisierte Wandbewegungsstörungen, Herzinsuffizienz, Stauungszeichen, atrioventrikuläre Dissoziation
- Problem: Schwierige Untersuchung!
Einteilung und Differenzialdiagnosen
Differenzialdiagnostisch kommen verschiedene ventrikuläre Tachykardien (über 80% der Breitkomplextachykardien!) und aberrant übergeleitete supraventrikuläre Tachykardien infrage. Die Unterscheidung ist schwierig und im Akutfall nachrangig . Die EKG-Kriterien der ventrikulären Tachykardie sind daher hier nicht aufgeführt.
Eine supraventrikuläre Tachykardie mit aberranter Überleitung muss bewiesen werden, bis dahin ist von einer ventrikulären Tachykardie auszugehen!
Einteilung im Akutfall
Stabile Breitkomplextachykardien sollten über ein 12-Kanal-EKG weiter eingeteilt werden.
- QRS-Variabilität: Monomorph oder polymorph?
- Monomorph: Alle QRS-Komplexe sehen annähernd gleich aus
- Regelmäßig oder (stark) unregelmäßig?
- Polymorph: Viele unterschiedliche Morphologien (Capture Beats und Fusion Beats dürfen hier nicht als Polymorphie gewertet werden)
- Immer unregelmäßig
- Monomorph: Alle QRS-Komplexe sehen annähernd gleich aus
Differenzialdiagnosen nach Einteilung
- Regelmäßig und monomorph: Häufigste Form
- Monomorphe ventrikuläre Tachykardie (über 80% der Breitkomplextachykardien im Notfallsetting!)
- Supraventrikuläre Tachykardie mit aberranter Überleitung
- Unregelmäßig und monomorph
- Aberrant übergeleitetes Vorhofflimmern
- Vorhofflimmern mit akzessorischer Leitungsbahn (WPW)
- Auch FBI genannt: „Fast, broad, irregular“
- Hinweise: Deltawelle im Vor-EKG oder vorbeschriebene Präexzitation
- Ventrikuläre Tachykardie
- Unregelmäßig und polymorph: Selten anhaltend
- Torsade de Pointes: Typisches EKG-Muster mit Spitzenumkehr
- Wichtige Differenzialdiagnose!
- Für Details siehe: Torsade de Pointes - Klinisches Management
- Polymorphe ventrikuläre Tachykardie: Insb. im Rahmen eines akuten Myokardinfarktes (Degeneration in Kammerflimmern wahrscheinlich!)
- Torsade de Pointes: Typisches EKG-Muster mit Spitzenumkehr
- Alle Breitkomplextachykardien
-
Hypokaliämie und Hyperkaliämie
- Risikopatienten: Terminal niereninsuffiziente Patienten, Dialysepatienten
-
Hypokaliämie und Hyperkaliämie
Zwei Sonderformen der stabilen Breitkomplextachykardien müssen erkannt und anders therapiert werden: das mögliche präexzitierte Vorhofflimmern („FBI - Fast, Broad, Irregular“) und die Torsade de Pointes!
Elektrische Therapie (Defibrillation, Kardioversion und antitachykarde Stimulation)
Bei instabilen oder therapierefraktären Breitkomplextachykardien wird elektrisch behandelt. Wenn möglich sollte die Schockabgabe synchronisiert erfolgen (= elektrische Kardioversion), insb. bei polymorphen Breitkomplextachykardien ist das aber nicht immer möglich – dann muss ausnahmsweise defibrilliert werden. Bei vorhandenem Schrittmacher und klinischer Erfahrung kann auch eine antitachykarde Stimulation durchgeführt werden.
Elektrische Kardioversion und Defibrillation
- Indikationen
- Alle instabilen Breitkomplextachykardien
- Stabile Breitkomplextachykardien nach frustraner medikamentöser Kardioversion
- Durchführung
- Bei Bewusstsein: Analgosedierung
- Für Kardioversion Synchronisation einstellen
- Schockabgabe und Erfolgskontrolle
- Für Details siehe: Elektrische Kardioversion und Defibrillation - AMBOSS-SOP
Bei Breitkomplextachykardien sollte primär kardiovertiert, d.h. R-Zacken-synchronisiert geschockt werden!
Antitachykardes Pacing (ATP) [1][2]
- Definition: Beendigung einer Tachykardie durch schnelle Schrittmacherimpulse („Überstimulation“)
- Voraussetzung: Erfahrung in der Behandlung von Tachykardien mit ATP!
- Vorteile
- Für den Patienten angenehmer als externer Schock, keine Analgosedierung erforderlich
- Unterdrückung rezidivierender ventrikulärer Tachykardien möglich
- Indikationen
- Therapierefraktäre ventrikuläre Tachykardie [3]
- Breitkomplextachykardie bei vorhandenem implantierten Defibrillator oder Schrittmacher
- Ablauf
- Stimulationsmethode
- Bei vorhandenem ICD/Schrittmacher
- Auslösung über die Software des Aggregates
- Kein ICD/Schrittmacher vorhanden (dann nur in Ausnahmefällen)
- Transvenöser Schrittmacher: Ggf. Neuanlage, idealerweise in rechter Ventrikelspitze
- Transkutaner Schrittmacher: Ultima Ratio!
- Bei vorhandenem ICD/Schrittmacher
- Ziel: „Einfangen“ des Rhythmus, bei Erfolg verändert sich die QRS-Morphologie und die QRS-Komplexe folgen den Stimulationen
- 1. Versuch: Einzelne Stimulationen über einen Zeitraum von <10 s
- 2. Versuch: Stimulationsfrequenz ca. 15 Schläge pro Minute über der Tachykardiefrequenz
- 3. Versuch: Ggf. Frequenz langsam steigern
- Stimulationsmethode
Medikamentöse Therapie
Eine primär medikamentöse Therapie wird bei stabilen Breitkomplextachykardien durchgeführt. Wenn Kontraindikationen gegen die Medikamente bestehen, kann bei stabilen Patienten aber auch eine elektrische Kardioversion durchgeführt werden. Größter Nachteil ist die dann erforderliche Kurznarkose. Die Torsade de Pointes und das (mögliche) präexzitierte Vorhofflimmern erfordern ein spezielles medikamentöses Vorgehen, ansonsten kann mit Amiodaron, Ajmalin und ggf. Adenosin behandelt werden.
Allgemeine medikamentöse Therapie bei unklarer stabiler Breitkomplextachykardie
- Erste Wahl
- Amiodaron [4]
- Kontraindikationen
- Bekannte Schilddrüsenfunktionsstörung
- Torsade de Pointes
- Präexzitiertes Vorhofflimmern (umstritten) [5][6]
- Kontraindikationen
- Ajmalin
- Kontraindikationen
- Amiodaron [4]
- Korrektur von möglichen Auslösern
- Hypokaliämie und Hypomagnesiämie ausgleichen
- Ggf. QT-Zeit verlängernde Medikamente absetzen
Spezielle Therapieoptionen
Monomorphe regelmäßige Breitkomplextachykardie
Hier kommt differenzialdiagnostisch eine supraventrikuläre Tachykardie mit aberranter Überleitung infrage.
- Optional: Zuerst Versuch mit Adenosin [7]
- Voraussetzung: Stabiler Patient, keine unregelmäßige Tachykardie, keine Hinweise auf eine akzessorische Leitungsbahn
- Vorteile
- Bei evtl. vorhandener supraventrikulärer Tachykardie schnelle und nebenwirkungsarme Beendigung
- Diagnostisch wertvolle Hinweise
- Probleme
- Bei ventrikulärer Tachykardie nicht wirksam
- Bei Vorhofflimmern mit akzessorischer Bahn absolut kontraindiziert
- Anwendung: Guter intravenöser Zugang erforderlich
- 1. Versuch
- 2. Versuch
- Praxistipp: EKG während und nach der Gabe kontinuierlich aufzeichnen/drucken
Torsade de Pointes (medikamentöse Therapie)
- Magnesium
- Weitere Therapie je nach Genese der Torsade, siehe: Therapie der Torsade de Pointes