Zusammenfassung
Unter Long-QT-Syndrom (LQTS) werden verschiedene Krankheitsbilder verstanden, die zu einer Verlängerung der QT-Zeit führen und schwere Herzrhythmusstörungen (insb. Torsade-de-Pointes-Tachykardien) auslösen können. Es gibt einerseits angeborene, genetisch bedingte Formen des Long-QT-Syndroms, andererseits tritt es sehr häufig infolge anderer Faktoren als erworbenes Long-QT-Syndrom auf, dessen wichtigste Unterform medikamenteninduziert ist. Klinisch fällt es insb. durch Synkopen oder einen Herzstillstand auf, es kann aber auch lange asymptomatisch verlaufen. Die Diagnose basiert auf dem Nachweis einer QTc-Verlängerung im EKG, typischer Ursachen sowie ggf. einer verantwortlichen Mutation. Therapeutisch sollten vor allem QT-Zeit-verlängernde Faktoren vermieden werden. Beim angeborenen LQTS erfolgt häufig eine medikamentöse Prophylaxe mit Betablockern oder anderen Antiarrhythmika, bei Hochrisikokonstellationen werden ICDs implantiert.
Definitionen
- Allgemeine Definition: Pathologische Verlängerung der QTc-Zeit [1]
- Angeborenes LQTS: Nachgewiesene LQTS-Mutation oder Verlängerung der QTc-Zeit ohne sekundäre Ursache [1]
- Erworbenes LQTS: Verlängerung der QT-Zeit mit bekannter sekundärer Ursache [1]
Bei nachgewiesener LQTS-Mutation wird ein Long-QT-Syndrom unabhängig von der QT-Zeit diagnostiziert!
Angeborenes Long-QT-Syndrom
Grundlagen
- Definition: Angeborene Störung der ventrikulären Repolarisation durch Veränderung der kardialen Ionenkanäle, die zu einer Verlängerung der QTc-Zeit führen kann [1]
- Kriterien
- Verlängerung der QTc-Zeit ohne sekundäre Ursache [2]
- Nachweis einer LQTS-Mutation
- Positive Familienanamnese für LQTS oder plötzlichen Herztod
- Erhöhter Risikoscore (bspw. Schwartz-Score) [1]
Klassifikation [1]
- Einteilung nach betroffenen Genen (LQTS-1–13)
- Hauptformen: Über 75% der Fälle
- LQTS-1: Mutation des KCNQ-1-Gens
- Typisch: Synkopen bei körperlicher Belastung
- LQTS-2: Mutation des KCNH-2-Gens
- Typisch: Synkopen bei emotionaler Aufregung, erhöhtes Risiko bei Frauen in den ersten 9 Monaten postpartum
- LQTS-3: Mutation des SCN5A-Gens [3]
- Typisch: Plötzlicher Herztod im Schlaf, höhere Sterblichkeit als bei LQTS-1 oder LQTS-2
- LQTS-1: Mutation des KCNQ-1-Gens
- Seltene Formen: Ca. 5% der Fälle [4]
- LQTS-4–13 und Jervell-Lange-Nielsen-Syndrom
- Hauptformen: Über 75% der Fälle
- Einteilung in Syndrome: Neben der genetischen Einteilung ist die Klassifikation in verschiedene Syndrome verbreitet
- Romano-Ward-Syndrom: Autosomal-dominant vererbtes isoliertes LQTS
- Keine extrakardialen Manifestationen
- Entspricht den LQTS-Subtypen 1–6 und 9–13
- Andersen-Tawil-Syndrom: Autosomal-dominant vererbtes LQTS mit extrakardialen Manifestationen
- Zusätzlich faziale und skelettale Dysmorphien (bspw. Skoliose, Kleinwuchs, Klinodaktylie, Hypertelorismus) und episodische Muskelschwäche [2]
- Ätiologie: Mutation im KCNJ2-Gen
- Entspricht LQTS-7
- Timothy-Syndrom: Autosomal-dominant vererbtes LQTS mit extrakardialen Manifestationen
- Multisystemerkrankung, zusätzlich u.a. Syndaktylie, kognitive Beeinträchtigung, Autismus möglich
- Ätiologie: Mutation im CACNA1C-Gen
- Entspricht LQTS-8
- Jervell-Lange-Nielsen-Syndrom: Autosomal-rezessiv vererbtes LQTS mit extrakardialen Manifestationen
- Zusätzlich Innenohrschwerhörigkeit
- Ätiologie: Mutation im KCNQ-1- oder KCNE-1-Gen
- Romano-Ward-Syndrom: Autosomal-dominant vererbtes isoliertes LQTS
LQTS-1–3 machen zusammen über 75% der Fälle aus, während die übrigen Subtypen 4–13 nur in etwa 5% gefunden werden. In ca. 20% wird keine ursächliche Mutation festgestellt! [4]
Symptome/Klinik [2]
- Symptome ventrikulärer Herzrhythmusstörungen (insb. Torsade-de-Pointes-Tachykardien)
- Synkopen, evtl. mit vollständigem Kreislaufstillstand
- Plötzlicher Herztod
- Lange asymptomatische Verläufe möglich
Torsade-de-Pointes-Tachykardien sind die charakteristischen Herzrhythmusstörungen beim Long-QT-Syndrom!
Diagnostik
- Familienanamnese: Synkopen, plötzlicher Herztod bei nahen Verwandten (meist autosomal-dominante Vererbung) [4]
- Medikamentenanamnese: Identifikation von QT-Zeit-verlängernden Medikamenten (Ausschluss eines medikamenteninduzierten LQTS, ggf. Risikominderung durch Absetzen)
- EKG
- Verlängerung der QTc-Zeit auf >440 ms (Männer) bzw. >460 ms (Frauen) [2]
- T- und U-Wellen-Veränderungen bei einigen Subtypen [2]
- Laboranalyse: Ausschluss sekundärer Ursachen
- Genetische Testung [4]
- Indikationen
- Klinischer Verdacht auf angeborenes LQTS: Ungeklärte QTc-Verlängerung, unklare Synkopen
- Familienangehörige nach Identifikation eines Indexfalls
- Durchführung
- Indikationen
- Risikostratifizierung: Faktoren für erhöhtes Risiko [4]
- Starke Erhöhung der QTc-Zeit (>500 ms)
- Weibliches Geschlecht
- Hochrisikomutation
- Z.n. Synkope
- Z.n. ventrikulärer Tachykardie oder Herzstillstand (höchstes Risiko!)
- Ggf. Schwartz-Score: Score für das Screening auf ein angeborenes Long-QT-Syndrom, zuletzt 2011 aktualisiert [5]
Schwartz-Score | |
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Parameter | Befund und Punktzahl |
EKG-Veränderungen |
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Anamnese |
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Familienanamnese |
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Auswertung |
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Differenzialdiagnosen [2]
- Erworbenes LQTS (Nachweis einer sekundären Ursache)
- Katecholaminerge polymorphe ventrikuläre Tachykardie (belastungsabhängige Synkopen und polymorphe VT)
- Brugada-Syndrom (Synkopen, polymorphe VT und Herzstillstand, Symptome bspw. durch Fieber induziert, Auftreten häufig auch im Schlaf)
Prophylaxe und Therapie [1]
- Allgemeine Maßnahmen: Immer indiziert [1]
- Vermeidung QT-Zeit-verlängernder Medikamente
- Vermeidung und ggf. Korrektur von Elektrolytentgleisungen
- Vermeiden typischer Trigger
- Medikamentöse Prophylaxe: Immer indiziert [1]
-
Betablocker: In der Regel Therapie der 1. Wahl [4]
- Propranolol [6]
- Ggf. zusätzlich andere Antiarrhythmika
- Natriumkanalblocker (Mexiletin, Flecainid oder Ranolazin): Insb. beim LQTS-3 mit einer QTc >500 ms [1]
-
Betablocker: In der Regel Therapie der 1. Wahl [4]
- ICD-Implantation: Bei Hochrisikopatient:innen [1]
- Chirurgische sympathische Denervation: Option bei Betablocker-Unverträglichkeit oder nach multipler ICD-Schock-Abgabe [7]
Die Therapiestrategie bei angeborenem LQTS muss anhand einer individuellen Risikobewertung erfolgen!
Unbehandelt stirbt etwa die Hälfte der symptomatischen Personen mit einem angeborenen LQTS innerhalb von 10 Jahren! [4]
Erworbenes Long-QT-Syndrom
Grundlagen [2]
- Definition: Sekundäre Verlängerung der QTc-Zeit
- Kriterien
- Pathologisch erhöhte QTc-Zeit
- Identifikation einer sekundären Ursache
- Wichtigste Form: Medikamenteninduziertes Long-QT-Syndrom
- Weitere mögliche Auslöser
- Elektrolytstörungen (Hypokaliämie, Hypokalzämie, Hypomagnesiämie)
- Hypothyreose
- Ausgeprägte Bradykardie jeder Ursache
Medikamenteninduziertes Long-QT-Syndrom [8]
- Klinische Problemdefinition: Verlängerungen der QT-Zeit prädisponieren zur Ausbildung von Herzrhythmusstörungen wie Torsade de Pointes und ventrikulärer Tachykardie
- Wesentliche Einflussgrößen: Medikation, Vorerkrankungen bzw. akute Erkrankungszustände und genetische Faktoren
- Siehe auch: Torsades de Pointes - klinisches Management, Angeborenes Long-QT-Syndrom
Torsade des Pointes sind lebensbedrohliche Rhythmusstörungen, daher ist eine umsichtige Medikation zur Prävention unerlässlich!
Diagnostische Kriterien einer verlängerten QT-Zeit
- Korrigierte QT-Zeit (QTc) >470 ms bei Frauen bzw. QTc >450 ms bei Männern
- Einnahme mind. eines Medikaments mit Potenzial zur QT-Zeit-Verlängerung
- Nachweisliche QT-Zeit-Veränderung >30 ms nach Ansetzen bzw. Absetzen einer verdächtigten Medikation
Risikokonstellationen einer verlängerten QT-Zeit
- QT-Zeit verlängernde Medikamente
- Insb. Kombinationen mehrerer QT-Zeit verlängernder Medikamente
- Antiarrhythmika
- Überdosierung von Einzelsubstanzen
- Interaktionen: Insb. CYP3A4-Hemmer können den Metabolismus QT-Zeit verlängernder Medikamente herabsetzen (Risikopotenzierung!)
- Akute Veränderungen des Gesundheitszustands
- Neu auftretende Bradykardie (bspw. Bradyarrhythmia absoluta )
- Akute Verschlechterung der Nierenfunktion
- Die Entwicklung einer Hypokaliämie bzw. Hypomagnesiämie
- Das Auftreten zusätzlicher Risikofaktoren für Torsade de Pointes (siehe: Übersicht weiterer Risikofaktoren für Torsade de Pointes)
- Patienten-Risikogruppen für QT-Zeit-Verlängerungen: Insb. Patientengruppen, die bei akuter Erkrankung zusätzlich zu einer bestehenden Medikation weitere riskante Medikamente erhalten
- Bei HIV-Infektion mit Candidose bzw. (opportunistischen) Infektionen und antibiotischer bzw. antimykotischer Therapie
- Abhängige Menschen mit Methadon-Substitution und Psychopharmaka-Medikation
- Alte und vorerkrankte Menschen (Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz) mit akuter Gesundheitsverschlechterung
- Immunsupprimierte (bspw. nach Organtransplantation)
- Bei psychiatrischen Erkrankungen und Mehrfachmedikation
Prävention einer verlängerten QT-Zeit
- EKG-Kontrollen: In allen Risikofällen!
- I.d.R. vor Einleitung einer Risikomedikation und 4–7 Tage nach Therapiebeginn ausreichend
- Jedoch engmaschigere Kontrolle und ggf. Monitoring bei als hochriskant einzuschätzenden Situationen
- Absetzen des Medikaments bei Überschreiten des QTc-Grenzwertes (>470 ms)
- Weitere Grundsätze
QT-Zeit-verlängernde Medikamente
- Häufigkeit riskanter Kombinationstherapien: Ca. 5–10% [9]
- Potenzierende Genuss- und Nahrungsmittel: Grapefruitsaft, Kaffee, Alkohol und Nikotin können das Risiko erhöhen
- Pharmakokinetik: Insb. (schnelle) intravenöse Gaben von riskanten Wirkstoffen können akute Rhythmusstörungen hervorrufen
- CYP3A4-Inhibitoren: Kombination aus QT-Zeit verlängerndem Medikament und einem Inhibitor potenziert das Risiko; einige Wirkstoffe sind sowohl CYP3A4-Inhibitoren als auch QT-Zeit verlängernd
Bei akuter Erkrankung und erforderlicher Verordnung einer Risikomedikation unbedingt die bestehende Medikation im Hinblick auf Risikofaktoren für Torsade des Pointes und QT-Verlängerung prüfen!