Zusammenfassung
Beim posterioren reversiblen Enzephalopathie-Syndrom (PRES) handelt es sich um eine akut auftretende Form der Enzephalopathie, bei der es zu subkortikalen und kortikalen ödematösen Gewebeveränderungen kommt, die sich auf die posterioren Anteile beider Großhirnhemisphären, weiterhin das Kleinhirn und/oder den Hirnstamm, beschränken bzw. dort beginnen. Daraus resultiert das klinische Erscheinungsbild aus qualitativen und im Verlauf auch quantitativen Bewusstseinsstörungen, Kopfschmerzen sowie retrochiasmalen Visusstörungen und epileptischen Anfällen. Die genaue Ursache dieser Enzephalopathie ist noch nicht geklärt, es sind jedoch verschiedene Triggerfaktoren bekannt. Dazu zählen z.B. Präeklampsien/Eklampsien, Z.n. Organtransplantationen oder Therapien mit zytotoxischen Medikamenten/Zytostatika. Im Rahmen des PRES werden sehr häufig anhaltend und teilweise krisenhaft erhöhte Blutdruckwerte registriert, die sowohl als Folge der Enzephalopathie als auch als deren möglicher Auslöser diskutiert werden. Bei klinischem Verdacht auf ein PRES erfolgt die Diagnosesicherung mittels cMRT, die die typisch lokalisierten Hirngewebsödeme sichtbar machen kann. Therapeutisch steht neben der Behandlung des Auslösers die antihypertensive und ggf. anfallssuppressive Therapie im Vordergrund, was in aller Regel einen erhöhten Überwachungsaufwand bis zur Intensivtherapie erfordert.
Ätiologie
Die folgenden Triggerfaktoren sind bekanntermaßen mit der Entwicklung eines PRES assoziiert, wenngleich die genaue Pathophysiologie des Syndroms noch nicht bekannt ist: [1][2]
- Präeklampsie/Eklampsie
- Immunsuppression nach Knochenmarks- und Organtransplantationen [3]
- Zytotoxische Medikation, z.B. Chemotherapeutika
- Autoimmunerkrankungen, z.B.
- Systemischer Lupus Erythematodes [1][4]
- Guillain-Barré-Syndrom
- Hypertension: Hypertensiver Notfall bzw. länger anhaltende hypertensive Entgleisungen
- Weitere, seltenere Auslöser (Auswahl)
- Sepsis
- Hypomagnesiämie
Pathophysiologie
- Zwei konkurrierende Hypothesen [1][2]
- Hypoperfusionshypothese
- Zerebrale Vasokonstriktion in Folge einer Endotheldysfunktion
- Hypoperfusion
- Ausbildung eines ischämischen (zytotoxischen) Ödems
- Hyperperfusionshypothese [5]
- Kritischer und rascher Blutdruckanstieg (hypertensiver Notfall)
- Störung der zerebralen Autoregulation im Sinne eines „Überdrucks“
- Hyperperfusion und Störung der Blut-Hirn-Schranke
- Ausbildung eines (vasogenen) interstitiellen Ödems
- Hypoperfusionshypothese
- Gemeinsame Endstrecke
- Auslösende Faktoren
- Endotheldysfunktion
- Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke mit Ausbildung eines interstitiellen Ödems [6]
Symptomatik
Das klinische Erscheinungsbild des PRES beinhaltet als gemeinsamen Nenner mit anderen Formen der Enzephalopathie ein zerebrales Allgemeinsyndrom, das hier in typischer Kombination mit weiteren neurologischen und internistischen Symptomen auftritt. Die Symptome entwickeln sich meist innerhalb von Stunden bis Tagen. [1][2]
Zerebrale Allgemeinsymptome
- Bewusstseinsstörungen
- Qualitativ: Orientierungs-, Auffassungs- und Konzentrationsstörungen, Halluzinationen, Agitation und Lethargie
- Quantitativ: Von Somnolenz bis Koma, oft auch fluktuierend, auch mit prolongiertem Verlauf über mehrere Tage
- Kopfschmerzen
- Eher dumpfe Qualität in bilateraler Lokalisation
- Meist in geringer bis moderater Schmerzintensität
- Übelkeit und Erbrechen
Fokal-neurologische Begleitsymptome
- Epileptische Anfälle
- Symptomatische Anfälle aufgrund (bilateraler) posteriorer Läsionen
- I.d.R. als (sekundär) generalisierte epileptische Anfälle erscheinend, deren kurze fokale Einleitung schwer zu erfassen ist
- Auch als Status epilepticus
- Retrochiasmale Visusstörungen
- Homonyme Hemianopsie oder (kortikale/subkortikale) Blindheit
- In milderen Fällen auch bilaterales Verschwommensehen beschrieben
- Sensomotorische fokal-neurologische Defizite, auch bilateral
Typische internistische Begleitsymptome
PRES-Patient:innen benötigen eine engmaschige Überwachung bis hin zum intensivmedizinischen Management! [1]
Diagnostik
Bildgebung
cMRT [1][7]
Die Diagnose PRES wird bei wegweisenden klinischen Befunden (zerebrale Allgemeinsymptome, insb. qualitative Bewusstseinsstörung plus typische neurologische und internistische Begleitsymptome) sowie passenden Triggerfaktoren v.a. durch eine zeitnahe zerebrale MRT-Bildgebung gestützt!
- Typisches Muster vasogener Ödeme [8]
- I.d.R. im Okzipitallappen und hinteren Teilen von Parietal- und Temporallappen
- Oft zusätzlich auch in Frontallappen, Kleinhirn, Basalganglien oder Hirnstamm
- Immer subkortikal gelegen, häufig auch zusätzlich kortikal
- I.d.R. beidseitig und meist symmetrisch
- Aber: Auch atypische Lokalisationen und asymmetrische Befallsmuster sind möglich!
- Darstellung der Läsionen je nach Bildgewichtung
- T1-Gewichtung mit Kontrastmittel: Keine oder nur geringe Kontrastmittelanreicherung
- T2-Gewichtung mit FLAIR-Sequenz: Bilaterale Hyperintensitäten
-
DWI-Gewichtung: Isointenses Signal
- Ggf. nur leichte Hyperintensität („T2-Durchscheineffekt“)
- ADC (Apparent Diffusion Coefficient“) gesteigert
cCT [1][2]
- Indikation
- In der Akutsituation nur zum Ausschluss von ischämischen, hämorrhagischen oder grob raumfordernden Differenzialdiagnosen
- Zusätzliche cMRT unbedingt erforderlich!
- Befund
- Keine PRES-spezifischen Befunde, häufig unauffällig
EEG [2]
- Indikationen
- Ausschluss eines nonkonvulsiven Status epilepticus als Ursache der Symptomatik bzw. Komplikation des PRES
- Erkennen einer möglichen Erregbarkeitssteigerung
- Befunde: Über die o.g. hinaus in den meisten Fällen unspezifisch
Abklärung anderer Ursachen
Wenn die bisherige Diagnostik keine klärenden Befunde erbracht hat, muss die weitere Diagnostik dem allgemeinen leitsymptombasierten Ansatz folgen (und alle anderen Enzephalopathie-Ursachen berücksichtigen).
- Siehe dann je nach Leitsymptom
Wie bei jeder Enzephalopathie mit neu aufgetretener unklarer qualitativer Bewusstseinsstörung sollte diese auch hier neben der cMRT-Bildgebung zügig umfassend differenzialdiagnostisch abgeklärt werden, insb. wenn kein wegweisender cMRT-Befund erhoben werden kann!
Differenzialdiagnosen
- Embolische Infarkte im vertebrobasilären Stromgebiet, insb. beidseitige Infarzierungen durch Embolien über die A. basilaris
- Embolien im vertebrobasilären Stromgebiet, insb. multiple Embolien können zur Infarzierungen in beiden Hemisphären führen
- Ischämische Läsionsmuster und resultierende Symptome entlang der vaskulären Versorgung
- Epileptische Anfälle eher selten
- cMRT zeigt Hyperintensität in der DWI-Gewichtung mit gleichzeitiger Absenkung des Apparent Diffusion Coefficient (ADC)
- Zerebrale Vaskulitis
- Variable klinische Symptomatik: Kann der des PRES ähneln, insb. wenn posteriore Hirnregionen deutlich betroffen sind
- Bildgebender Nachweis von
- Ischämien und/oder Blutungen (in für zerebrale Vaskulitis typischer Verteilung) schließt das PRES aus
- Nachweis von Vasospasmen spricht für eine Vaskulitis, schließt das PRES allein aber nicht sicher aus
- Sicherer Nachweis einer zerebralen Vaskulitis gelingt per Biopsie
- Klinische Besserung unter Immunsuppression grenzt das PRES allerdings bereits deutlich ab
- Enzephalitis, insb. Autoimmunenzephalitis und Virusenzephalitis
- Symptomatik entwickelt sich i.d.R. weniger rasch
- Meist stehen kognitive und psychiatrische Symptome, weniger die Visusstörung oder Hypertension im Vordergrund
- cMRT zeigt Läsionen mit typischerweise abweichendem Verteilungsmuster
- Sicherung erfolgt labordiagnostisch über die Detektion von Erregern bzw. Antikörpern in Blut und Liquor
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Neben dem Absetzen oder Beheben des auslösenden Trigger-Faktors steht die antihypertensive und anfallssuppressive Therapie im Vordergrund. I.d.R. ist die Behandlung auf einer neurologischen Intensivstation unter engmaschigem, idealerweise invasivem Blutdruck-Monitoring und die Beteiligung weiterer Fachdisziplinen je nach individuellem Auslöser angezeigt.
Bei PRES im Kontext einer Präeklampsie/Eklampsie siehe bzgl. antihypertensiver und anfallssuppressiver Therapie sowie zur Entbindungsindikation: Therapie hypertensiver Schwangerschaftserkrankungen
Entsprechend dem Auslöser sollte eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Fächern (bspw. Onkologie oder Gynäkologie/Geburtshilfe) erfolgen! [1]
Antihypertensive Therapie [2]
- Ziel: Konsequente Blutdrucksenkung um mind. 25% im Vergleich zu den Ausgangsmessungen
- Intravenöse antihypertensive Therapie unter Monitoring
- 1. Wahl
- α1-Blocker (Urapidil) [9]
- Zentrale α2-Agonisten (Clonidin) [10]
- 2. Wahl: Direkte Vasodilatatoren (Dihydralazin) [11] (bei Schwangeren nicht empfohlen!)
- Siehe auch: Therapie des hypertensiven Notfalls
- 1. Wahl
Nitroglycerin sollte wegen der möglichen Verstärkung vasogener Ödeme vermieden werden!
Anfallssuppressive Therapie [2]
- Bei Status epilepticus gemäß: Status epilepticus - AMBOSS-SOP [12]
- Zur Anfallsprophylaxe: Bspw. Levetiracetam
- Indikation
- Nach erstmaligem akut symptomatischen epileptischen Anfall im Rahmen des PRES
- Auch ohne aufgetretenen epileptischen Anfall, wenn das EEG eine Erregbarkeitssteigerung zeigt
- Indikation
- Im Verlauf: Absetzen der Anfallssuppressiva nach klinischer und radiologischer Remission