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Enzephalitis

Letzte Aktualisierung: 21.1.2025

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Unter dem pathophysiologischen Begriff Enzephalitis versteht man ganz allgemein eine Entzündung des Hirngewebes. Im Speziellen wird er für die Inflammation des Großhirns (Cerebrum) verwendet, die durch diffuse neuronale Schädigung gekennzeichnet ist und mit unterschiedlichen qualitativen und/oder quantitativen Bewusstseinsstörungen, neurologischen (epileptischen Anfällen und/oder fokalen Ausfällen) sowie psychiatrischen (z.B. psychotischen) Symptomen einhergehen kann. Eine Enzephalitis kann erregerbedingt, autoimmun vermittelt (Autoimmunenzephalitis), aber auch unbekannter Ursache sein. Diagnostisch wegweisend kann bereits die (Fremd‑)Anamnese sowie die klinische Symptomatik sein. Es finden sich i.d.R. ein entzündlich veränderter Liquor und in vielen Fällen entzündlich verändertes Gewebe in der Bildgebung. Zur Feststellung der Ätiologie sollten pragmatischerweise zuerst die häufigeren und danach ggf. seltenere Auslösefaktoren abgeklärt werden. Autoimmunenzephalitiden können als Paraneoplasien bei einer Vielzahl möglicher onkologischer Erkrankungen auftreten, weshalb eine Tumorsuche in vielen Fällen zur diagnostischen Aufarbeitung gehört. Therapeutisch werden je nach Ätiologie antiinfektive oder immunmodulatorische Behandlungen eingesetzt. Die Verdachtsdiagnose Enzephalitis sollte bis zur genauen ätiologischen Zuordnung bzw. bis zum Ausschluss mit höchster Dringlichkeit behandelt werden, da andernfalls bleibende schwerste Behinderungen oder der Tod drohen.

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Anatomische Einteilung

Ätiologische Einteilung

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Ätiologietoggle arrow icon

Erregerbedingte Enzephalitiden (Auswahl)

Erreger von Enzephalitiden können Viren oder Bakterien, seltener Pilze oder Protozoen sein. Viren stellen in gemäßigten klimatischen Zonen die mit Abstand häufigsten Enzephalitiserreger dar mit einer geschätzten Inzidenz von 1,5–7 Fällen pro 100.000 Einwohner. [2]

Autoimmunenzephalitiden

Enzephalitiden, die durch autoimmun wirksame Antikörper ausgelöst werden, lassen sich in klassische paraneoplastische und fakultativ-paraneoplastische Enzephalitiden einteilen. Diese unterscheiden sich in ihrer Häufigkeit und in ihrer Assoziation zu neoplastischen Grunderkrankungen . Grundsätzlich können Enzephalitiden auch durch kreuzreaktive parainfektiöse Antikörper oder vereinzelt im Rahmen überschießender Immunreaktionen nach bestimmten Impfungen ausgelöst werden. [3]

Gegenüberstellung klassischer und fakultativ-paraneoplastischer Enzephalitiden
Klassische paraneoplastische Enzephalitiden [4][5] Fakultativ-paraneoplastische Enzephalitiden [6][7][8]
Pathophysiologie
  1. Tumorgetriggerte Immunantwort
  2. Synthese von autoreaktiven Antikörpern, die meist gegen intrazelluläre Antigene gerichtet sind
  3. Aktivierung zytotoxischer T-Zellen
  4. Immunreaktion gegen Neurone
  1. Autoimmun-bedingte Antikörpersynthese, meist gegen neuronale Oberflächenantigene
    • Tumorgetriggerte Immunantwort möglich, aber weniger häufig
  2. Immunreaktion gegen Neurone
Autoantikörper
Klinische Manifestationsformen (Auswahl)
Tumorassoziation (Auswahl)

Weitere Enzephalitisformen mit vermuteter autoimmunologischer Genese

  • Bickerstaff-Enzephalitis (benigne Hirnstammenzephalitis)
  • Rasmussen-Enzephalitis
    • Chronisch-fokale Enzephalitis mit Atrophie meist nur einer Großhirnhälfte
    • Ätiologisch werden eine Autoimmunerkrankung oder eine chronische Virusinfektion postuliert
    • Pharmakoresistente, kontinuierliche fokale epileptische Anfälle
  • Chronische lymphozytäre Inflammation mit pontinem, perivaskulärem Enhancement responsiv auf Steroide (CLIPPERS)
    • Pontozerebelläre, perivaskuläre Entzündungsinfiltrate
    • Ätiologisch werden autoimmunologische Prozesse oder eine Allergen-getriggerte entzündliche Genese diskutiert

Andere entzündliche ZNS-Erkrankungen mit enzephalitischer Komponente (Auswahl)

Folgende eigenständige, mit einer Hirngewebsentzündung einhergehenden Erkrankungen werden hier zur Übersicht aufgeführt, aber an anderer Stelle ausführlicher behandelt.

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Symptomatiktoggle arrow icon

Entzündungen des Hirngewebes können unterschiedliche Allgemeinsymptome sowie psychiatrische und/oder nicht-fokale neurologische Defizite verursachen. Fokale neurologische Ausfälle sind allerdings ebenso bzw. in Kombination dazu möglich . Die individuellen Symptome können sich in einem Zeitraum von Tagen bis Monaten gleichzeitig oder zeitlich versetzt entwickeln und hängen von der Lokalisation und Größe der hauptsächlich betroffenen Gehirnareale ab.

Bei neu aufgetretenen psychischen Störungen mit raschem Beginn (innerhalb von 3 Monaten) muss eine Abklärung einer (hirn‑)organischen, insb. entzündlichen Ursache erfolgen! Vor allem in der Kombination mit epileptischen Anfällen und/oder neu aufgetretenen fokal-neurologischen Defiziten gehört die Enzephalitis zu den dringend abzuklärenden Differenzialdiagnosen!

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Diagnostiktoggle arrow icon

Die Diagnostik unterteilt sich in drei aufeinander aufbauende Schritte, mit dem Ziel der Feststellung der Diagnose und der möglichst genauen ätiologischen Zuordnung vor Einleitung einer spezifischen Therapie:

  1. Basisdiagnostik bei V.a. Enzephalitis: Grundlegend zur Feststellung der Enzephalitis, ungeachtet der individuellen Genese
  2. Spezielle Diagnostik bei V.a. Enzephalitis: 1. Abklärung häufiger Ursachen
  3. Spezielle Diagnostik bei V.a. Enzephalitis: 2. Abklärung seltener Ursachen

Die Verdachtsdiagnose einer Enzephalitis ist mind. bis zur genauen ätiologischen Zuordnung bzw. bis zu ihrem Ausschluss mit höchster Dringlichkeit zu behandeln: Es drohen bleibende schwere Behinderung, chronische Erkrankung und Tod, abhängig von der Ätiologie sowie vom Zeitpunkt der Diagnosestellung und des Therapiebeginns. Grundsätzlich gilt: Je früher Diagnostik und Therapie erfolgen, desto besser!

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Basisdiagnostiktoggle arrow icon

Anamnese

In der Eigen- und idealerweise auch Fremdanamnese sollten die folgenden wegweisenden Informationen erfragt werden (Auswahl):

  • Zeitlicher Verlauf: Akut oder langsam-progredient
  • Psychische und neurologische Auffälligkeiten, insb.
  • Allgemeinsymptome, insb.
  • Vorerkrankungen
    • Infekte in der unmittelbaren Vorgeschichte (in den Wochen vor dem Symptombeginn)
    • Bekannte Autoimmunerkrankungen
    • Neurologische Vorerkrankungen
    • Psychiatrische Vorerkrankungen
    • Bekannte Tumorerkrankung
    • Risikofaktoren für Tumorerkrankungen

Körperliche Untersuchung

Bei Vorliegen eines meningitischen SyndromsMeningismus in Kombination mit Fieber und ggf. Kopfschmerzen sowie weiteren der o.g. Symptome – muss eine Notfallabklärung erfolgen, siehe: Meningitisches Syndrom - AMBOSS-SOP!

Blutuntersuchung

Bildgebung mittels cMRT

  • Ideale Bildgebung , um entzündliches Hirngewebe direkt nachweisen zu können , wegweisende Befunde:
    • Radiologische Hirndruckzeichen
    • Ischämische, hämorrhagische, raumfordernde Läsionen: Insb. temporal und/oder frontal
    • Signalsteigerungen mit Hinweis auf Inflammation, z.B. periventrikulär und/oder meningeal
    • Hirnödeme

Eine unauffällige Bildgebung schließt eine Enzephalitis nicht aus!

Liquoruntersuchung

Zur späteren erweiterten Diagnostik müssen zusätzliche Serum- und Liquorproben asserviert werden!

EEG

Die EEG ist kein notwendiger Bestandteil der Diagnostik, wenn die vorangegangenen Untersuchungen wegweisende Befunde erbracht haben. Sie kann die Diagnose Enzephalitis nicht ausschließen, dient bei passenden Befunden aber folgenden Funktionen:

Eine unauffällige EEG schließt eine Enzephalitis nicht aus!

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Spezielle Diagnostik: 1. Abklärung häufiger Ursachentoggle arrow icon

Die erweiterte Diagnostik dient der ätiologischen Zuordnung des entzündlichen Prozesses und entscheidet über die speziellen Therapiemaßnahmen. Sie sollte zwar einerseits abgestuft nach der Häufigkeit der Auslöser erfolgen, andererseits aber mit geringem Aufwand und kostengünstig zu überprüfende Ursachen frühzeitig einschließen.

Erreger-/Antikörpersuche

Die Suche nach Erregern bzw. Antikörpern, die bekanntermaßen eine Enzephalitis auslösen bzw. vermitteln können, sollte in den zuvor asservierten Proben durchgeführt werden.

Ein negativer Antikörpertest schließt bei passendem klinischen Syndrom eine paraneoplastische Erkrankung nicht aus!

Tumorsuche

Eine Tumorsuche ist bei Nachweis eines Antikörpers gegen intrazelluläre Strukturen (Diagnose einer klassischen paraneoplastischen Enzephalitis) unabdingbar, da die frühzeitige Behandlung des zugrundeliegenden Tumors prognoseentscheidend ist. Bei Nachweis eines Oberflächenantikörpers (Diagnose einer fakultativ-paraneoplastischen Enzephalitis) sind Tumorerkrankungen zwar seltener, können aber ohne Tumorsuche nicht sicher ausgeschlossen werden.

Die (symptomatische) Behandlung einer Enzephalitis hat ohne Diagnose und Therapie einer möglicherweise zugrundeliegenden Tumorerkrankung (insb. bei klassischen paraneoplastischen Enzephalitiden) i.d.R. keinen dauerhaften Erfolg!

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Spezielle Diagnostik: 2. Abklärung seltener Ursachentoggle arrow icon

Sofern auf der ersten Stufe der Erreger- und Antikörpersuche kein wegweisender Befund erhoben werden konnte, sollten seltenere Erreger und bekannte seltenere Enzephalitisautoantikörper abgeklärt werden.

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Therapietoggle arrow icon

  1. Basistherapie der Enzephalitis: Symptomatische, empirisch begründete antiinfektive und prophylaktische Therapiemaßnahmen, ungeachtet der individuellen Ätiologie
  2. Spezifische Therapie der Enzephalitis: Bei bekannter Ursache, ggf. auch bereits bei hinreichendem Verdacht einzusetzende, spezifische antiinfektive bzw. immunmodulatorische Therapiemaßnahmen
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Basistherapietoggle arrow icon

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Spezifische Therapie nach Ursachetoggle arrow icon

Einige Therapiemaßnahmen, zu denen noch keine ausreichende Studienlage zur Wirksamkeit vorliegen, haben sich in der klinischen Praxis als hilfreich erwiesen. Im Folgenden sind diese neben einer Auswahl evidenzbasierter Therapiemaßnahmen aufgeführt.

Erregerbedingte Enzephalitiden

Viren

Etablierte Therapieempfehlungen bei viralen Enzephalitiden (Auswahl)
Erreger Mögliche Wirkstoffe [9][14]
HSV (siehe auch: Therapie der Herpes-simplex-Enzephalitis)

VZV

CMV

HIV

Epstein-Barr-Virus

Bei Masern, Röteln, Mumps, Polio, FSME und Tollwut besteht derzeit keine erregerspezifische Therapie. Hier ist v.a. die Prophylaxe mittels aktiver Impfung von größter Bedeutung!

Bakterien

Pilze

Etablierte Therapieempfehlungen bei durch Pilze bedingten Enzephalitiden (Auswahl)
Erreger Mögliche Wirkstoffe
Candida spp. [19]
Cryptococcus neoformans
Aspergillen [20]

Parasiten

Etablierte Therapieempfehlungen bei durch Protozoen bedingten Enzephalitiden (Auswahl)
Erreger Wirkstoff

Toxoplasma gondii

Amöben
Echinokokken
Taenia solium (Zystizerken)

Autoimmunenzephalitiden

Übersicht der Therapieoptionen bei Autoimmunenzephalitiden [14][25][26]
Therapiestufen

Klassische paraneoplastische Enzephalitiden

Fakultativ-paraneoplastische Enzephalitiden
Akuttherapie Primäre Therapieoptionen
Sekundäre Therapieoptionen
Alternativen
Erhaltungstherapie

Die Therapie mit Methylprednisolon kann mit der Gabe von IVIG oder der Plasmapherese/Immunadsorption kombiniert werden. Kommt es nach zweiwöchiger Primärtherapie zu keiner Symptomverbesserung, sollte die Sekundärtherapie begonnen werden. Zeigt sich hierunter nach 3–6 Monaten keine Besserung, ist eine Weiterführung der Therapie nicht mehr von Nutzen! [27]

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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025toggle arrow icon

Entzündliche Krankheiten des Zentralnervensystems (G00-G09)

G04.-: Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis

G05.-*: Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis bei anderenorts klassifizierten Krankheiten

Protozoenkrankheiten (B50-B64)

  • B60.-: Sonstige Protozoenkrankheiten, anderenorts nicht klassifiziert
    • B60.2: Naegleriainfektion
      • Primäre Amöben-Meningoenzephalitis† (G05.2*)

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.

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