Zusammenfassung
Unter dem pathophysiologischen Begriff Enzephalitis versteht man ganz allgemein eine Entzündung des Hirngewebes. Im Speziellen wird er für die Inflammation des Großhirns (Cerebrum) verwendet, die durch diffuse neuronale Schädigung gekennzeichnet ist und mit unterschiedlichen qualitativen und/oder quantitativen Bewusstseinsstörungen, neurologischen (epileptischen Anfällen und/oder fokalen Ausfällen) sowie psychiatrischen (z.B. psychotischen) Symptomen einhergehen kann. Eine Enzephalitis kann erregerbedingt, autoimmun vermittelt (Autoimmunenzephalitis), aber auch unbekannter Ursache sein. Diagnostisch wegweisend kann bereits die (Fremd‑)Anamnese sowie die klinische Symptomatik sein. Es finden sich i.d.R. ein entzündlich veränderter Liquor und in vielen Fällen entzündlich verändertes Gewebe in der Bildgebung. Zur Feststellung der Ätiologie sollten pragmatischerweise zuerst die häufigeren und danach ggf. seltenere Auslösefaktoren abgeklärt werden. Autoimmunenzephalitiden können als Paraneoplasien bei einer Vielzahl möglicher onkologischer Erkrankungen auftreten, weshalb eine Tumorsuche in vielen Fällen zur diagnostischen Aufarbeitung gehört. Therapeutisch werden je nach Ätiologie antiinfektive oder immunmodulatorische Behandlungen eingesetzt. Die Verdachtsdiagnose Enzephalitis sollte bis zur genauen ätiologischen Zuordnung bzw. bis zum Ausschluss mit höchster Dringlichkeit behandelt werden, da andernfalls bleibende schwerste Behinderungen oder der Tod drohen.
Definition
Anatomische Einteilung
- Enzephalitis (im allgemeinen pathophysiologischen Sinne): Entzündung des Hirngewebes
- Enzephalitis im engeren Sinne: Inflammation des Großhirns (Cerebrum)
- Limbische Enzephalitis: Hirngewebsentzündung mit Fokus auf das limbische System in den medialen Temporallappen (gedächtnisbildende Strukturen) [1]
- Zerebellitis: Entzündung des Kleinhirngewebes
- Spezialfall: Paraneoplastische Kleinhirndegeneration
- Hirnstammenzephalitis: Hirngewebsentzündung welche vor allem den Hirnstamm und die angrenzenden Regionen betrifft
- Enzephalitis im engeren Sinne: Inflammation des Großhirns (Cerebrum)
- Meningoenzephalitis: Koinzidenz von Meningitis und Enzephalitis
- Siehe auch: Meningitisches Syndrom - AMBOSS-SOP
- Enzephalomyelitis (im allgemeinen Sinne): Kombination aus Enzephalitis (inkl. Zerebellitis) und Entzündung des Rückenmarks (Myelitis)
- Enzephalomyelitis im engeren Sinne: Bestandteil eigenständiger enzephalomyelitischer Erkrankungen, z.B. Encephalomyelitis disseminata, ADEM
- Siehe auch: Akutes Querschnittsyndrom - AMBOSS-SOP, Konussyndrom
Ätiologische Einteilung
- Erregerbedingte Enzephalitis, u.a.
- Virusenzephalitis: Entzündung des Hirngewebes durch Viren
- Bakterielle Enzephalitis: Entzündung des Hirngewebes durch Bakterien, entweder primär (seltener) oder infolge einer extrazerebralen bakteriellen Infektion (häufiger)
- Herdenzephalitis (auch: Zerebritis): Lokal umschriebene bakterielle (seltener durch Mykosen oder Protozoen bedingte) Hirngewebsentzündung
- Hirnabszess: Abgekapselter septischer (nekrotischer) Entzündungsherd, meist nach Durchlaufen einer Zerebritis
- Herdenzephalitis (auch: Zerebritis): Lokal umschriebene bakterielle (seltener durch Mykosen oder Protozoen bedingte) Hirngewebsentzündung
- Autoimmunenzephalitis: Durch autoimmun wirksame Antikörper vermittelte Entzündung des Hirngewebes
- Paraneoplastische Autoimmunenzephalitis: Vermittelt durch paraneoplastische Antikörper
Ätiologie
Erregerbedingte Enzephalitiden (Auswahl)
Erreger von Enzephalitiden können Viren oder Bakterien, seltener Pilze oder Protozoen sein. Viren stellen in gemäßigten klimatischen Zonen die mit Abstand häufigsten Enzephalitiserreger dar mit einer geschätzten Inzidenz von 1,5–7 Fällen pro 100.000 Einwohner. [2]
Übersicht der Enzephalitiserreger (Auswahl) | |||
---|---|---|---|
Viren (Virusenzephalitis) | Bakterien (Bakterielle Enzephalitis) | Pilze | Parasiten |
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Autoimmunenzephalitiden
Enzephalitiden, die durch autoimmun wirksame Antikörper ausgelöst werden, lassen sich in klassische paraneoplastische und fakultativ-paraneoplastische Enzephalitiden einteilen. Diese unterscheiden sich in ihrer Häufigkeit und in ihrer Assoziation zu neoplastischen Grunderkrankungen . Grundsätzlich können Enzephalitiden auch durch kreuzreaktive parainfektiöse Antikörper oder vereinzelt im Rahmen überschießender Immunreaktionen nach bestimmten Impfungen ausgelöst werden. [3]
Gegenüberstellung klassischer und fakultativ-paraneoplastischer Enzephalitiden | ||
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Klassische paraneoplastische Enzephalitiden [4][5] | Fakultativ-paraneoplastische Enzephalitiden [6][7][8] | |
Pathophysiologie |
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Autoantikörper |
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Klinische Manifestationsformen (Auswahl) |
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Tumorassoziation (Auswahl) |
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Weitere Enzephalitisformen mit vermuteter autoimmunologischer Genese
- Bickerstaff-Enzephalitis (benigne Hirnstammenzephalitis)
- Postinfektiöse Hirnstammenzephalitis
- Assoziiert mit Anti-GQ1b-Antikörpern
- Lähmungen der motorischen Hirnnerven
- Günstige Prognose hinsichtlich funktioneller Wiederherstellung über 3–18 Monate
- Rasmussen-Enzephalitis
- Chronisch-fokale Enzephalitis mit Atrophie meist nur einer Großhirnhälfte
- Ätiologisch werden eine Autoimmunerkrankung oder eine chronische Virusinfektion postuliert
- Pharmakoresistente, kontinuierliche fokale epileptische Anfälle
- Chronische lymphozytäre Inflammation mit pontinem, perivaskulärem Enhancement responsiv auf Steroide (CLIPPERS)
- Pontozerebelläre, perivaskuläre Entzündungsinfiltrate
- Ätiologisch werden autoimmunologische Prozesse oder eine Allergen-getriggerte entzündliche Genese diskutiert
Andere entzündliche ZNS-Erkrankungen mit enzephalitischer Komponente (Auswahl)
Folgende eigenständige, mit einer Hirngewebsentzündung einhergehenden Erkrankungen werden hier zur Übersicht aufgeführt, aber an anderer Stelle ausführlicher behandelt.
- Multiple Sklerose (Encephalomyelitis disseminata)
- Akute demyelinisierende Enzephalomyelitis (ADEM)
- Akute hämorrhagische Leukenzephalomyelitis (AHLE, auch: Hurst-Enzephalitis)
- Aggressive, häufig letale Verlaufsform der ADEM
- Parainfektiöse, durch kreuzreaktive Antikörper vermittelte Enzephalitis mit hämorrhagischen Läsionen und Nekrosen in Gehirn und/oder Rückenmark
- Oft Funktionsstörungen des Hirnstamms und/oder Kleinhirns
- Akute hämorrhagische Leukenzephalomyelitis (AHLE, auch: Hurst-Enzephalitis)
- Myalgische Enzephalomyelitis
- Stiff-Person-Syndrom (SPS) plus progressive Enzephalomyelitis mit Rigidität und Myoklonus (PERM)
- Morbus Whipple
- Neurosarkoidose, auch im Rahmen einer systemischen Sarkoidose (Morbus Boeck)
Symptomatik
Entzündungen des Hirngewebes können unterschiedliche Allgemeinsymptome sowie psychiatrische und/oder nicht-fokale neurologische Defizite verursachen. Fokale neurologische Ausfälle sind allerdings ebenso bzw. in Kombination dazu möglich . Die individuellen Symptome können sich in einem Zeitraum von Tagen bis Monaten gleichzeitig oder zeitlich versetzt entwickeln und hängen von der Lokalisation und Größe der hauptsächlich betroffenen Gehirnareale ab.
- Quantitative Bewusstseinsstörung (bei unklarer, neu aufgetretener quantitativer Bewusstseinsstörung siehe: Vigilanzminderung - AMBOSS-SOP)
- Psychopathologische Auffälligkeiten, insb. Delir (siehe auch: Neurologische Untersuchung - neuropsychologische Veränderungen)
- Qualitative Bewusstseins- und Orientierungsstörungen
- Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen
- Formale Denkstörungen
- Inhaltliche Denkstörungen
- Zwanghaftes Verhalten
- Wahn
- Halluzinationen
- Störungen der Affektivität
- Störungen des Antriebs und der Psychomotorik
- Sonderform: Klüver-Bucy-Syndrom
- Symptome: Starke orale Tendenzen (alles wird in den Mund genommen und gegessen), Angstverlust und Hypersexualität
- Ursache: Bilaterale Temporallappenschädigung mit Affektion des limbischen Systems (v.a. Amygdala und Hippokampus) durch Enzephalitiden, chronische Degeneration oder Traumata
- Neurologische Symptome
- Kopfschmerzen
- Schlafstörungen
- Gleichgewichtsstörungen
- Fokal-neurologische Defizite
- (Fokale oder sekundär-generalisierte) epileptische Anfälle
-
Dyskinesien
- Dystone Anfälle, z.B. faziobrachiale dystone Anfälle bei Autoimmunenzephalitis durch Anti-LGI1-Antikörper
- Internistische Allgemeinsymptome
- Fieber
- Übelkeit
- Abgeschlagenheit
- Appetitlosigkeit
- Gliederschmerzen
Bei neu aufgetretenen psychischen Störungen mit raschem Beginn (innerhalb von 3 Monaten) muss eine Abklärung einer (hirn‑)organischen, insb. entzündlichen Ursache erfolgen! Vor allem in der Kombination mit epileptischen Anfällen und/oder neu aufgetretenen fokal-neurologischen Defiziten gehört die Enzephalitis zu den dringend abzuklärenden Differenzialdiagnosen!
Diagnostik
Die Diagnostik unterteilt sich in drei aufeinander aufbauende Schritte, mit dem Ziel der Feststellung der Diagnose und der möglichst genauen ätiologischen Zuordnung vor Einleitung einer spezifischen Therapie:
- Basisdiagnostik bei V.a. Enzephalitis: Grundlegend zur Feststellung der Enzephalitis, ungeachtet der individuellen Genese
- Spezielle Diagnostik bei V.a. Enzephalitis: 1. Abklärung häufiger Ursachen
- Spezielle Diagnostik bei V.a. Enzephalitis: 2. Abklärung seltener Ursachen
Die Verdachtsdiagnose einer Enzephalitis ist mind. bis zur genauen ätiologischen Zuordnung bzw. bis zu ihrem Ausschluss mit höchster Dringlichkeit zu behandeln: Es drohen bleibende schwere Behinderung, chronische Erkrankung und Tod, abhängig von der Ätiologie sowie vom Zeitpunkt der Diagnosestellung und des Therapiebeginns. Grundsätzlich gilt: Je früher Diagnostik und Therapie erfolgen, desto besser!
Basisdiagnostik
Anamnese
In der Eigen- und idealerweise auch Fremdanamnese sollten die folgenden wegweisenden Informationen erfragt werden (Auswahl):
- Zeitlicher Verlauf: Akut oder langsam-progredient
- Psychische und neurologische Auffälligkeiten, insb.
- Bewusstseins- und Orientierungsstörungen
- Stimmungs- und/oder Verhaltensauffälligkeiten
- Kopfschmerzen
- Schlafstörungen
- Epileptische Anfälle und/oder dystone Anfälle
- Allgemeinsymptome, insb.
- Fieber
- Gliederschmerzen
- B-Symptomatik
- Vorerkrankungen
- Infekte in der unmittelbaren Vorgeschichte (in den Wochen vor dem Symptombeginn)
- Bekannte Autoimmunerkrankungen
- Neurologische Vorerkrankungen
- Psychiatrische Vorerkrankungen
- Bekannte Tumorerkrankung
- Risikofaktoren für Tumorerkrankungen
Körperliche Untersuchung
- Herz-Kreislauf-Untersuchung inkl. EKG
- Blutdruckmessung
- Pulsmessung und Oxymetrie
- Herzauskultation: Insb. Suche nach Herzgeräuschen
- Temperaturmessung
- Hautinspektion: Insb. Frage nach Effloreszenzen, Hautturgor
- Neurologische Untersuchung, insb.
- Meningismusprüfung
- Höhere Hirnleistungen
- Hirnnervenuntersuchung, insb.
- Suche nach klinischen Hirndruckzeichen
- Suche nach Hirnnervenausfällen
- Nystagmusbeurteilung
- Untersuchung des Sprechens: Insb. Frage nach bulbärer Dysarthrie
- Untersuchung der Muskelkraft: Insb. Frage nach Hemiparese
- Suche nach Hyperreflexie und Pyramidenbahnzeichen (Babinski-Gruppe)
- Koordinationsprüfung inkl. Stand- und Gangprüfung: Insb. Frage nach Stand- und Gangataxie
Bei Vorliegen eines meningitischen Syndroms – Meningismus in Kombination mit Fieber und ggf. Kopfschmerzen sowie weiteren der o.g. Symptome – muss eine Notfallabklärung erfolgen, siehe: Meningitisches Syndrom - AMBOSS-SOP!
Blutuntersuchung
- Peripher-venöse Blutkulturen
- Großes Blutbild, systemische Entzündungsparameter: CRP, PCT, BSG
- Elektrolythaushalt: Insb. Natrium, Kalium
- Nierenfunktionsparameter: Harnstoff, Kreatinin, GFR
- Leberfunktionsparameter: Insb. ALT, AST
- Gerinnungsparameter: INR/Quick, pTT
Bildgebung mittels cMRT
- Ideale Bildgebung , um entzündliches Hirngewebe direkt nachweisen zu können , wegweisende Befunde:
- Radiologische Hirndruckzeichen
- Ischämische, hämorrhagische, raumfordernde Läsionen: Insb. temporal und/oder frontal
- Signalsteigerungen mit Hinweis auf Inflammation, z.B. periventrikulär und/oder meningeal
- Hirnödeme
Eine unauffällige Bildgebung schließt eine Enzephalitis nicht aus!
Liquoruntersuchung
- Voraussetzung für die Lumbalpunktion
- Ausreichende Gerinnungsfunktion und
- Ausschluss bildgebender oder klinischer Hirndruckzeichen
- Nachweis einer akuten ZNS-Inflammation: Feststellung eines entzündlichen Liquorsyndroms, siehe: Liquordiagnostik - Interpretation, insb.
- Lymphozytäre Pleozytose: Deutet am ehesten auf Virusenzephalitis oder Autoimmunenzephalitis hin
- Granulozytäre Pleozytose und verringerte Glucosekonzentration im Liquor: Wegweisend für viele bakterielle Erreger, siehe auch: Meningitisches Syndrom - AMBOSS-SOP
Zur späteren erweiterten Diagnostik müssen zusätzliche Serum- und Liquorproben asserviert werden!
EEG
Die EEG ist kein notwendiger Bestandteil der Diagnostik, wenn die vorangegangenen Untersuchungen wegweisende Befunde erbracht haben. Sie kann die Diagnose Enzephalitis nicht ausschließen, dient bei passenden Befunden aber folgenden Funktionen:
- Unterstützung der Diagnose Enzephalitis bei
- Lateralisierten periodischen Entladungen (lateralized periodic discharges, LPD) und
- Fokalen oder generalisierten Verlangsamungen, verlangsamter EEG-Grundaktivität
- Ausschluss eines nicht-konvulsiven Status epilepticus
- Bei Nachweis eines nicht-konvulsiven Status epilepticus weiter gemäß: Status epilepticus - AMBOSS-SOP
Eine unauffällige EEG schließt eine Enzephalitis nicht aus!
Spezielle Diagnostik: 1. Abklärung häufiger Ursachen
Die erweiterte Diagnostik dient der ätiologischen Zuordnung des entzündlichen Prozesses und entscheidet über die speziellen Therapiemaßnahmen. Sie sollte zwar einerseits abgestuft nach der Häufigkeit der Auslöser erfolgen, andererseits aber mit geringem Aufwand und kostengünstig zu überprüfende Ursachen frühzeitig einschließen.
Erreger-/Antikörpersuche
Die Suche nach Erregern bzw. Antikörpern, die bekanntermaßen eine Enzephalitis auslösen bzw. vermitteln können, sollte in den zuvor asservierten Proben durchgeführt werden.
- Viren: Suche nach DNA/RNA mittels PCR im Liquor und/oder IgM- und IgG-Antikörpern in Liquor und Serum
- Bakterien: Suche nach IgM- und IgG-Antikörpern in Liquor und Serum, ggf. mikrobiologischer Nachweis
- Autoantikörper
- Gegen intrazelluläre Antigene (klassisch-paraneoplastisch)
- Gegen Oberflächenantigene (fakultativ-paraneoplastisch)
- Anti-NMDAR-Antikörper (Zielantigen: NMDA-Rezeptor)
-
Antikörper gegen den VGKC-Komplex (Zielantigen: Voltage-Gated Potassium Channel)
- Anti-LGI1-Antikörper (Zielantigen: Leucine-rich Glioma-inactivated Protein 1)
- Anti-CASPR2-Antikörper (Zielantigen: Contactin-Associated Protein Like 2)
Ein negativer Antikörpertest schließt bei passendem klinischen Syndrom eine paraneoplastische Erkrankung nicht aus!
Tumorsuche
Eine Tumorsuche ist bei Nachweis eines Antikörpers gegen intrazelluläre Strukturen (Diagnose einer klassischen paraneoplastischen Enzephalitis) unabdingbar, da die frühzeitige Behandlung des zugrundeliegenden Tumors prognoseentscheidend ist. Bei Nachweis eines Oberflächenantikörpers (Diagnose einer fakultativ-paraneoplastischen Enzephalitis) sind Tumorerkrankungen zwar seltener, können aber ohne Tumorsuche nicht sicher ausgeschlossen werden.
- Röntgen-Thorax
- Sonografie des gesamten Abdomens
- Sonografie der Schilddrüse
- Ganzkörper-CT oder -MRT
- Ganzkörper-FDG-PET-CT [11]
- Gastroskopie
- Koloskopie
- Mammografie
Die (symptomatische) Behandlung einer Enzephalitis hat ohne Diagnose und Therapie einer möglicherweise zugrundeliegenden Tumorerkrankung (insb. bei klassischen paraneoplastischen Enzephalitiden) i.d.R. keinen dauerhaften Erfolg!
Spezielle Diagnostik: 2. Abklärung seltener Ursachen
Sofern auf der ersten Stufe der Erreger- und Antikörpersuche kein wegweisender Befund erhoben werden konnte, sollten seltenere Erreger und bekannte seltenere Enzephalitisautoantikörper abgeklärt werden.
- Viren: Suche nach DNA/RNA mittels PCR und/oder IgM- und IgG-Antikörpern in Liquor und Serum
- Mumpsvirus
- Masernvirus
- Rötelnvirus
- Papovaviren, insb. JC-Virus-Infektion
- Rabiesvirus
- Bakterien: Suche nach IgM- und IgG-Antikörpern in Liquor und Serum, ggf. mikrobiologischer Nachweis
- Seltenere Enzephalitisautoantikörper: Suche nach bekannten Autoantikörpern in Liquor und Serum
- Gegen intrazelluläre Antigene (klassisch-paraneoplastisch)
- ANNA3 (antineuronukleärer Antikörper Typ 3)
- Anti-PCA2-AK (Zielantigen: Purkinje-Zellen-Antigen 2)
- Anti-CRMP5-Antikörper (Synonym: Anti-CV2-Antikörper; Zielantigen: Collapsin Response Mediator Protein 5)
- Anti-Recoverin-Antikörper
- Tr-Antikörper (Trotter-Autoantikörper gegen Purkinje-Zellen)
- Anti-SOX1-Antikörper (Zielantigen: „sry-like high mobility group box“)
- Anti-ZIC4-Antikörper (Zielantigen: Zinkfinger-Protein 4)
- Gegen Oberflächenantigene (fakultativ-paraneoplastisch)
- Anti-AMPA1- und -AMPA2-Rezeptor-Autoantikörper (Zielantigene: AMPA-Rezeptoren)
- Anti-GABAa- und -GABAb-Rezeptor-Antikörper
- Anti- GAD65-Rezeptor-Antikörper
- Anti-mGluR5-Antikörper (Zielantigen: metabotroper Glutamatrezeptor 5)
- Anti-Glycin-Rezeptor-Antikörper
- Anti-D2R-Antikörper (Zielantigen: Dopamin-D2-Rezeptor)
- Anti-GFAP-Antikörper (Zielantigen: Glial Fibrillary Acidic Protein)
- Anti-DPPX-Antikörper (Zielantigen: Dipeptidyl-Peptidase-like Protein 6)
- Anti-IgLON5-Antikörper (Zielantigen: Immunoglobulin-like neuronal Cell Adhesion Molecule 5)
- Anti-Neurexin-3α-Antikörper
- Gegen intrazelluläre Antigene (klassisch-paraneoplastisch)
- Pilze
- Candida spp.
- Aspergillus spp.
- Cryptococcus neoformans → Kryptokokkenmeningitis
- Coccidioides immitis → Kokzidioidomykose
- Histoplasma capsulatum, siehe auch: Histoplasmose
- Blastomyces dermatitidis
- Parasiten
- Amöben → Amöbenmeningoenzephalitis [12][13]
- Taenia solium (Zystizerken) → Neurozystizerkose
- Echinokokken → Echinokokkose
- Toxoplasma gondii → Zerebrale Toxoplasmose
Therapie
- Basistherapie der Enzephalitis: Symptomatische, empirisch begründete antiinfektive und prophylaktische Therapiemaßnahmen, ungeachtet der individuellen Ätiologie
- Spezifische Therapie der Enzephalitis: Bei bekannter Ursache, ggf. auch bereits bei hinreichendem Verdacht einzusetzende, spezifische antiinfektive bzw. immunmodulatorische Therapiemaßnahmen
Basistherapie
- Symptomatische Therapie, wenn notwendig
- Fiebersenkung, z.B. mit Paracetamol i.v. oder p.o.
- Schmerztherapie, siehe: WHO-Stufenschema
- Behandlung von Übelkeit z.B. mit Dimenhydrinat i.v.
- Delir-Therapie, Behandlung von Angst und Erregungszuständen
- Anfallssuppressive Therapie
- Bei Status epilepticus im Rahmen einer Enzephalitis, siehe: Status epilepticus - AMBOSS-SOP
- Anfallsprophylaxe z.B. mit Levetiracetam i.v. oder p.o.
- Empirische antiinfektive Therapie
- Antiviral und antibiotisch
- Für Dosierungen siehe: Empirische antiinfektive Therapie bei V.a. ZNS-Infektion
- Prophylaktische Therapiemaßnahmen
- Bei z.B. Paresen, Gleichgewichtsstörungen, Sprach-/Sprechstörungen entsprechende Beübung mittels Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie
- Medikamentöse Thrombose- und Lungenembolie-Prophylaxe bei bettlägrigen Patient:innen, z.B. mit Enoxaparin s.c.
Spezifische Therapie nach Ursache
Einige Therapiemaßnahmen, zu denen noch keine ausreichende Studienlage zur Wirksamkeit vorliegen, haben sich in der klinischen Praxis als hilfreich erwiesen. Im Folgenden sind diese neben einer Auswahl evidenzbasierter Therapiemaßnahmen aufgeführt.
Erregerbedingte Enzephalitiden
Viren
Etablierte Therapieempfehlungen bei viralen Enzephalitiden (Auswahl) | |
---|---|
Erreger | Mögliche Wirkstoffe [9][14] |
HSV (siehe auch: Therapie der Herpes-simplex-Enzephalitis) | |
| |
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Epstein-Barr-Virus |
|
Bei Masern, Röteln, Mumps, Polio, FSME und Tollwut besteht derzeit keine erregerspezifische Therapie. Hier ist v.a. die Prophylaxe mittels aktiver Impfung von größter Bedeutung!
Bakterien
Pilze
Etablierte Therapieempfehlungen bei durch Pilze bedingten Enzephalitiden (Auswahl) | |
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Erreger | Mögliche Wirkstoffe |
Candida spp. [19] |
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Cryptococcus neoformans |
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Aspergillen [20] |
Parasiten
Etablierte Therapieempfehlungen bei durch Protozoen bedingten Enzephalitiden (Auswahl) | |
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Erreger | Wirkstoff |
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Amöben |
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Echinokokken |
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Taenia solium (Zystizerken) |
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Autoimmunenzephalitiden
- Grundprinzipien der Therapie von Autoimmunenzephalitiden
- Bei hinreichendem Verdacht sollte eine Immuntherapie schon vor dem Erhalt des Antikörperbefundes begonnen werden
- Behandlung der neoplastischen Grunderkrankung, sofern nachgewiesen
- Fakultativ-paraneoplastische Enzephalitiden sind durch immunsuppressive Therapie i.d.R. besser zu behandeln als klassische paraneoplastische Enzephalitiden
Übersicht der Therapieoptionen bei Autoimmunenzephalitiden [14][25][26] | |||
---|---|---|---|
Therapiestufen | Fakultativ-paraneoplastische Enzephalitiden | ||
Akuttherapie | Primäre Therapieoptionen |
|
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Sekundäre Therapieoptionen |
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| |
Alternativen |
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Erhaltungstherapie |
|
Die Therapie mit Methylprednisolon kann mit der Gabe von IVIG oder der Plasmapherese/Immunadsorption kombiniert werden. Kommt es nach zweiwöchiger Primärtherapie zu keiner Symptomverbesserung, sollte die Sekundärtherapie begonnen werden. Zeigt sich hierunter nach 3–6 Monaten keine Besserung, ist eine Weiterführung der Therapie nicht mehr von Nutzen! [27]
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
Entzündliche Krankheiten des Zentralnervensystems (G00-G09)
G04.-: Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis
- G04.0: Akute disseminierte Enzephalitis
- Enzephalitis
- Enzephalomyelitis
- nach Impfung
- G04.1: Humane T-Zell-lymphotrope Virus-assoziierte Myelopathie
- G04.2: Bakterielle Meningoenzephalitis und Meningomyelitis, anderenorts nicht klassifiziert
- G04.8: Sonstige Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis
- Postinfektiöse Enzephalitis und Enzephalomyelitis o.n.A.
- G04.9: Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis, nicht näher bezeichnet
- Ventrikulitis (zerebral) o.n.A.
G05.-*: Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- G05.0*: Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis bei anderenorts klassifizierten bakteriellen Krankheiten
- Enzephalitis, Myelitis oder Enzephalomyelitis (bei) (durch):
- Listerien (A32.1†)
- Meningokokken (A39.8†)
-
Syphilis:
- konnatal (A50.4†)
- Spät- (A52.1†)
- tuberkulös (A17.8†)
- Enzephalitis, Myelitis oder Enzephalomyelitis (bei) (durch):
- G05.1*: Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis bei anderenorts klassifizierten Viruskrankheiten
- Enzephalitis, Myelitis oder Enzephalomyelitis (bei) (durch):
- Adenoviren (A85.1†)
- Enteroviren (A85.0†)
- Grippe:
- Herpesviren [Herpes simplex] (B00.4†)
- Masern (B05.0†)
- Mumps (B26.2†)
- Röteln (B06.0†)
- Varizellen (B01.1†)
- Zoster (B02.0†)
- Zytomegalieviren (B25.88†)
- Enzephalitis, Myelitis oder Enzephalomyelitis (bei) (durch):
- G05.2*: Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis bei sonstigen anderenorts klassifizierten infektiösen und parasitären Krankheiten
- Enzephalitis, Myelitis oder Enzephalomyelitis bei:
- afrikanischer Trypanosomiasis (B56.-†)
- Chagas-Krankheit (chronisch) (B57.4†)
- Naegleriainfektion (B60.2†)
- Toxoplasmose (B58.2†)
- Eosinophile Meningoenzephalitis (B83.2†)
- Enzephalitis, Myelitis oder Enzephalomyelitis bei:
- G05.8*: Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten
Protozoenkrankheiten (B50-B64)
- B60.-: Sonstige Protozoenkrankheiten, anderenorts nicht klassifiziert
- B60.2: Naegleriainfektion
- Primäre Amöben-Meningoenzephalitis† (G05.2*)
- B60.2: Naegleriainfektion
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.